Schattenblick →INFOPOOL →GEISTESWISSENSCHAFTEN → GESCHICHTE

MITTELALTER/019: Rang und Ordnung im spätmittelalterlichen Reich (Ruperto Carola)


Ruperto Carola - Forschungsmagazin der Universität Heidelberg 3/2009

Der Brief des Kaisers
Rang und Ordnung im spätmittelalterlichen Reich

Von Jörg Peltzer


Die hierarchisch organisierten Gesellschaften des vormodernen Europa durchliefen im Spätmittelalter (1200 bis 1500) eine Phase enormer Dynamik. Dies betraf auch und gerade den Hochadel. Neue fürstliche Eliten formierten sich und strukturierten nachhaltig die politisch-sozialen Ordnungen. Diese Prozesse sind, obgleich als Phänomen erkannt, bislang nicht eingehend erforscht. Unsere von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und dem European Research Council (ERC) geförderte Gruppe "Rang und Ordnung/RANK" untersucht die Formierung und Visualisierung fürstlichen Rangs im spätmittelalterlichen Europa in vergleichender und interdisziplinärer Perspektive.

Im Zentrum stehen dabei das Reich und England im 13. und 14. Jahrhundert. Beispielhaft sei dies im Folgenden anhand von Dokumenten illustriert, die Kaiser Karl IV. im Februar des Jahres 1361 an Ruprecht, Pfalzgraf bei Rhein und Kurfürst, schickte und die in abschriftlicher (kopialer) Form im sogenannten zweiten Kopialbuch Ruprechts überliefert ist.

Hauptgegenstand der Sendung war die Einladung zum nächsten Hoftag. Als zentrale Verhandlungspunkte waren festgesetzt: 1. Das Gesuch von Papst Innozenz VI., ihn gegen marodierende Söldnertruppen zu unterstützen. 2. Die Ranganmaßungen Herzog Rudolfs IV. von Österreich. Als Anlagen fügte Karl eine Abschrift des päpstlichen Schreibens sowie drei Dokumente bei, die sich um die Ansprüche Rudolfs auf einen kurfürstlichen, wenn nicht gar königlichen Rang im Ordnungsgefüge des heiligen römischen Reichs drehten (der Zusatz "deutscher Nation" wird erst im 15. Jahrhundert gebräuchlich und ist seit 1512 offizieller Bestandteil der Titulatur).

Der Inhalt der Dokumente sowie der Kontext ihrer Entstehung und Überlieferung verraten viel über offensive wie defensive Rangstrategien und bieten Einblicke in die Ausdifferenzierung der fürstlichen Elite im Reich des 14. Jahrhunderts.

Als der Habsburger Rudolf IV. im Jahr 1358 sein Amt als Herzog von Österreich antrat, sah er seinen Rang bedroht. Seinem Selbstverständnis nach gehörte Rudolf - er konnte mit seinem Urgroßvater (Rudolf I.), seinem Großvater (Albrecht I.) und seinem Onkel (Friedrich dem Schönen) immerhin drei gewählte Könige zu seinen Vorfahren zählen - zur absoluten Elite im Reich. Aber er war kein Kurfürst, kein Königswähler. Deren Sonderstellung im Reich, ihre quasi überfürstliche Position, hatte aber gerade die Goldene Bulle Karls IV. (1356/57) unterstrichen und gestärkt. Diese Abschichtungstendenzen, vor allem aber die Tatsache, dass mit den Wittelsbachern als Pfalzgrafen bei Rhein und den Luxemburgern als Königen von Böhmen seine unmittelbaren (Rang-)Konkurrenten zu den privilegierten Kurfürsten zählten, setzten Rudolf unter Druck.

Seine Reaktion erfolgte 1358/59: Mit der Anfertigung eines der berühmtesten Fälschungskomplexe des Mittelalters, des "Privilegium maius" und seiner Begleitdokumente. In diesen wurde unter anderem den österreichischen Herzögen der Titel eines Pfalzerzherzogs, ein Sitzplatz auf feierlichen Hoftagen direkt nach den Kurfürsten sowie das Recht auf das Tragen eines kronenartigen Fürstenhuts zugeschrieben. Darüber hinaus adaptierte Rudolf das Amt eines Erzjägermeisters und den Titel eines Herzogs von Schwaben und des Elsass. Dies waren allesamt Versuche, sich mit den Kurfürsten zu vergesellschaften, von denen jeder Träger eines Erzamts war und die auf den Hoftagen von den anderen Fürsten getrennt saßen.

Die hier zutage tretende zentrale Rolle der Zeichenhaftigkeit von Rang wird durch die Reaktion Karls IV. unterstrichen. Er war, wie unsere drei Texte eindrücklich zeigen, von Rudolfs Verhalten wenig begeistert. Rudolf, so lesen wir im ersten Text, musste Karl im September 1360 versprechen, die sich zugelegten Titel abzulegen und die entsprechenden Siegel zu brechen.

Der zweite Text beinhaltet einen gegenüber Karl geleisteten Eid Rudolfs, "daz ich weder mit keiserlichen oder kuniglichen bogen crucze cronen sceptir swerte noch in anderen sachen mich nicht anzihen wil". Dieser Eid wurde wahrscheinlich im November 1360 anlässlich eines Treffens zwischen Rudolf und Karl in Nürnberg geleistet. Von diesem Treffen stammt auf jeden Fall der dritte Text, ein Rechtsgutachten Karls zu den Fälschungen Rudolfs, die dieser dem Kaiser in der Hoffnung vorgelegt hatte, sie bestätigt zu bekommen.

Wie dem Gutachten zu entnehmen ist, verweigerte Karl seine Zustimmung in einer Vielzahl von Punkten. Zum eingeforderten Sitzplatz formulierte er lediglich diplomatisch, dass in Anwesenheit des Kaisers dem Herzog von Österreich ein ehrenhafter Platz unter den vornehmen Herzögen des Reiches gebühre. Karl nutzte hier seine kaiserlich-richterliche Funktion, um aus einer Position der Stärke und Autorität heraus in einer öffentlichen Verhandlung die Rangansprüche Rudolfs abzulehnen und damit die eigene Position zu verteidigen. Der Versuch Rudolfs hingegen, über den Kaiser seinen Rang zu bessern, war gescheitert.

Rudolf zeigte sich zunächst jedoch uneinsichtig und trat im Januar 1361 in fürstlicher Kleidung eines Herzogs von Schwaben auf. Dies provozierte die hier diskutierte Einladung Karls zum Hoftag. Doch Rudolf erschien nicht. Ein gefährliches Verhalten. Denn die wiederholte Kontumaz - die Weigerung, einer kaiserlichen Vorladung Folge zu leisten - konnte den Entzug der Lehen, in Rudolfs Falle also vor allem des Herzogtums Österreich, nach sich ziehen. Das Risiko, seinen Rang gänzlich zu verlieren, war Rudolf denn doch zu groß. Im Juni 1361 reiste er zu Karl nach Budweis und versprach, in Zukunft die Vereinbarungen einzuhalten. Der Konflikt war beigelegt.

Die drei behandelten Schriftstücke demonstrieren jeweils für sich wichtige Elemente des Rangwettstreits der Fürsten: Sie zeigen als gemeinsame Beilage zu Karls Einladungsschreiben vor allem die große Bedeutung, die Karl der Steuerung der politischen Öffentlichkeit beimaß. Wenn Rudolfs Fall auf dem Hoftag verhandelt werden würde, dann wollte er keine böse Überraschung erleben.

Der Überlieferungskontext ist aber auch noch in einer anderen Richtung instruktiv. Er verweist auf einen zweiten Großen, den neben dem Luxemburger Karl die Ansprüche Rudolfs besonders tangierten: Pfalzgraf Ruprecht. Er hatte sich gerade selbst erst in den 1350er Jahren als Chef der rheinischen Wittelsbacher durchgesetzt und seinen kurfürstlichen Rang errungen.

Die Ansprüche Rudolfs auf den Titel eines Erzherzogs und eines Herzogs von Schwaben und Elsass berührten sowohl titulare wie territoriale Interessen Ruprechts erheblich. Wie aufmerksam der Pfalzgraf diese Angelegenheit verfolgte, macht der Aufbewahrungsort der drei besprochenen Texte deutlich. Ruprecht ließ die kaiserliche Post sehr zeitnah in sein Kopialbuch im Anschluss an die Register der Jahre 1359 bis 1362 eintragen. Damit erhielten die Dokumente zwar nicht den Status von Privilegien, die in einem anderen Buch verzeichnet wurden, rückte sie aber in deren Nähe. Die schriftliche Fixierung der Ablehnung der Rangansprüche Dritter war offensichtlich fast soviel wert wie selbst erhaltene Vorrechte. Rang war und ist eben relativ.


Dr. Jörg Peltzer kam nach der Promotion an der Universität Oxford und Stationen in London, Paris und Cambridge im Jahr 2004 nach Heidelberg an das "Institut für Fränkisch-Pfälzische Geschichte und Landeskunde". Seit 2007 leitet er die Forschungsgruppe "Rang und Ordnung/RANK", die im Rahmen des Emmy Noether-Programms der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Starting Grants des European Research Council gefördert wird. Während des akademischen Jahres 2009/2010 ist er Senior Research Associate, Peterhouse, Universität Cambridge.
Kontakt: joerg.peltzer@zegk.uni-heidelberg.de


*


Quelle:
Ruperto Carola 3/2009, Seite 41-43
Forschungsmagazin der Universität Heidelberg
Herausgeber: Der Rektor der Universität Heidelberg
im Zusammenwirken mit der Stiftung Universität Heidelberg
Redaktion: Pressestelle der Universität Heidelberg
Postfach 10 57 60, 69047 Heidelberg
Telefon: 06221/54 23-10, -11, Telefax: 06221/54 23-17
E-Mail: presse@rektorat.uni-heidelberg.de
Internet: www.uni-heidelberg.de/presse/ruca/

Förderabonnement 30 Euro für vier Ausgaben


veröffentlicht im Schattenblick zum 11. März 2010