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MEMORIAL/006: Sentenzen zum 90. Jahrestag der Italienischen Kommunistischen Partei (Gerhard Feldbauer)


Wurzeln des heutigen Übels der Linken Italiens

Sentenzen zur Geschichte der vor 90 Jahren gegründeten IKP
Nach heroischen Zeiten begann mit dem Scheitern des "Historischen Kompromiss" in den 1970er Jahren ihr Weg in den Untergang.

Von Gerhard Feldbauer, Januar 2011


Die am 21. Januar 1921 in Livorno von den Linken mit Antonio Gramsci an der Spitze gegründete Italienische Kommunistische Partei[1] wurde 70 Jahre alt. Wenige Tage nach diesem Datum wurde ihr von den Revisionisten auf ihrem 20 Parteitag, der vom 31. Januar bis 2. Februar 1991 in Rimini tagte, mit der Umwandlung in eine sozialdemokratische Linkspartei (PDS) der Todesstoß versetzt.

Auf der Suche nach den Wurzeln der heutigen tiefen Krise der Linken des Landes kommt man nicht umhin, sich der wechselvollen Geschichte der IKP zuzuwenden. Dabei kommen Brüche zutage, liegen Licht und Schatten oft dicht beieinander. Bei herausragenden Erfolgen zeigt die Kehrseite der Medaille negative Begleiterscheinungen, die manchmal hinzunehmen waren, aber nicht aus den Augen verloren werden durften, was jedoch oft geschah.

Vor der Gründung wollte Antonio Gramsci die Sozialistische Partei (ISP) in eine "revolutionäre Partei des Proletariats" umwandeln. Angesichts des Fehlens einer mit Deutschland vergleichbaren Arbeiteraristokratie - eine Folge der relativ spät einsetzenden kapitalistischen Entwicklung - hatte er das - von Lenin unterstützt - für möglich gehalten.[2] Das beruhte auch auf der Antikriegshaltung, welche die Linken in der ISP 1914 bei Ausbruch des Krieges als einzige westeuropäische Sektion der II. Internationale bezogen und während des Krieges gegen die Versuche der Reformisten beibehielten. In Livorno ging es nun um den Ausschluss der Reformisten. Das Kräfteverhältnis war günstig: Die Zentristen vertraten 98.028 Mitglieder, die Linken 58.783, die Reformisten nur 14.695. Mit dem Argument, die Einheit der Partei zu wahren, lehnten die Zentristen jedoch den Ausschluss der Reformisten ab. Daraufhin verließen die Linken den Parteitag und gründeten die Kommunistische Partei.

Das Zusammenwirken mit den Sozialisten bildete ein Hauptkettenglied der Bündniskonzeption Gramscis. Die IKP lehnte die Sozialfaschismusthese der Komintern ab und betrachtete die Sozialdemokratie als Teil der Arbeiterbewegung. Das ermöglichte 1934 das Aktionseinheitsabkommen, das 1937 auf antiimperialistischen Positionen und einem Bekenntnis zum Sozialismus erweitert wurde.

Die Aktionseinheit führte jedoch auch dazu, dass in der IKP, von einer Debatte nach der Parteigründung abgesehen, eine Auseinandersetzung mit dem Opportunismus keine wesentliche Rolle spielte. Hier ist jedoch auch zu sehen, dass die Partei seit dem Machtantritt Mussolinis 1922, obwohl sie erst 1926 offiziell verboten wurde, in faktischer Illegalität arbeiten musste. Für eine Auseinandersetzung mit den Sozialisten schien auch kein grundsätzlicher Anlass zu bestehen, denn diese bezogen in vielen Fragen gemeinsam mit der IKP antifaschistische und auch antiimperialistische Positionen.


Gramsci ein herausragender Theoretiker

In Gramsci besaß nicht nur die IKP, sondern auch die kommunistische Weltbewegung einen herausragenden Theoretiker. Lange vor dem VII. Weltkongress der Komintern erarbeitete er, um nur ein Beispiel zu nennen, in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre als Erster Grundsätze einer Analyse des Faschismus und die für seinen Sturz erforderliche breite nationale Bündniskonzeption. Auf dieser Grundlage wurde die Partei führende Kraft der Arbeiterklasse und diese zur Triebkraft des Sturzes Mussolinis im Juli 1943 durch Kapitalkreise, die sich nicht in die Niederlage Hitlerdeutschlands hineinziehen lassen wollten und aus Furcht vor einem Volksaufstand sich des Diktators entledigten. Mit der "Wende von Salerno", dem Eintritt der Kommunisten und Sozialisten mit den bürgerlichen Oppositionsparteien in die Regierung des vorherigen Mussolini-Marschalls Pietro Badoglio, verwirklichte Palmiro Togliatti Gramscis Konzept eines "Historischen Blocks" und brachte eine breite nationale Kriegskoalition gegen die Besatzungsmacht der Hitlerwehrmacht und ihrer Handlanger, der Mussolinifaschisten zustande.

Den ersten Bruch markierte die nach dem Sieg über den Faschismus eingeschlagene Strategie. Die IKP ging aus der Resistenza[3] als die politisch einflussreichste Kraft hervor. Sie wuchs auf über zwei Millionen Mitglieder an und wurde eine Massenpartei. Mit dem von ihr vorbereiteten Generalstreik begann am 18. April 1945 ein allgemeiner bewaffneter Aufstand, in dessen Verlauf die Partisanen vor dem Eintreffen der alliierten Truppen in Norditalien 106 noch von der Wehrmacht besetzte Städte und Gemeinden einnahmen, darunter alle Großstädte, Mailand am 27. April, fünf Tage vor dem Eintreffen der Alliierten am 2. Mai. Über 200.000 Soldaten der Hitlerwehrmacht kapitulierten und begaben sich Gefangenschaft der Partisanen. In den befreiten Gebieten übernahmen von den Linken dominierte örtliche Organe des Nationalen Befreiungskomitees (CLN) die Macht und leiteten revolutionär-demokratische Veränderungen ein. In den Fabriken, die von den Unternehmensleitungen verlassen worden waren, bildeten Kommunisten und Sozialisten Fabrikräte, welche die Leitung der Produktion übernahmen. Mit Beginn des Aufstandes übernahm das CLN Norditaliens, das die Alliierten als Beauftragter der Nationalen Einheitsregierung anerkannt hatten, die zivilen und militärischen Nachtbefugnisse. Es erklärte den Ausnahmezustand, richtete Kriegsgerichte ein, erließ Justiz- und Verwaltungsdekrete und forderte alle italienischen Faschisten zur bedingungslosen Kapitulation auf. Im Süden hatten Landarbeiter und Halbpächter das Land der durchweg zu den Faschisten gehörenden Latifundistas besetzt. Die IKP hatte in der Einheitsregierung ein Dekret durchgesetzt, das die Inbesitznahmen legalisierte. Das Ansehen der IKP stieg insbesondere, als bekannt wurde, dass eine Abteilung ihrer 52. Garibaldi-Brigade Mussolini auf der Flucht zur Schweizer Grenze bei Como gefangen genommen und am 28. April das vom CLN gegen ihn und weitere führende Faschisten, die sich weigerten, zu kapitulieren, verhängte Todesurteil vollstreckt hatte.


Revolutionäre Situation nicht genutzt

Ende April/Anfang Mai 1945 bestand eine klassische revolutionäre Situation, die bis zum Spätherbst des Jahres anhielt: Die Positionen des Imperialismus waren ernsthaft erschüttert. Die großbourgeoisen Vertreter in der Einheitsregierung befanden sich in der Minderheit. Bei den Kommunalwahlen im März 1946 und den folgenden zur Verfassungsgebenden Versammlung im Juni erzielten IKP und ISP rund 40 Prozent der Stimmen, was von einer Massenbasis zeugte. Diese Wahlen fanden bereits im Klima der von der Konterrevolution eingeleiteten kapitalistischen Restauration statt. Im Frühjahr/Sommer 1945 dürfte der hinter den Linken stehende Bevölkerungsanteil noch größer gewesen sein. Im Juni 1945 zwangen die Linken den Liberalen Ivanhoe Bonomi zum Rücktritt und beriefen den eng mit der IKP verbundenen Ferrucio Parri von der radikaldemokratischen Aktionspartei zum Ministerpräsidenten. Es stand in gut organisierten Einheiten weit über eine halbe Million Partisanen unter Waffen. Ihnen hatten sich während des bewaffneten Aufstandes Zehntausende weitere Kämpfer angeschlossen. Alle Partisanenformationen bestanden zu 85 bis 90 Prozent aus Arbeitern und Bauern.

Die Chance, unter diesen günstigen Bedingungen mit der ISP, der Aktionspartei und im Bündnis mit bürgerlichen Schichten eine antifaschistische, antiimperialistische revolutionär-demokratische Umgestaltung einzuleiten, um die politischen und sozialökonomischen Grundlagen des Faschismus zu beseitigen, wurde jedoch nicht genutzt. Es war fraglich, ob die USA unter diesen Gesichtspunkten in Italien, wie Großbritannien 1944 in Griechenland, die offene militärische Konfrontation mit der antifaschistischen Bewegung gewagt hätten. Die Ende Dezember 1944/Anfang Januar 1945 von der Wehrmacht begonnene Ardennenoffensive hatte die amerikanisch-britischen Truppen im Westen in eine sehr kritische Lage gebracht, die Churchill am 6. Januar 1945 veranlasste, Stalin persönlich um eine Entlastungsoffensive im Osten zu bitten, die dann am 12. des Monats erfolgte.[4] Die Konferenz von Jalta hatte im Februar 1945 für Juni des Jahres zur Gründung der Vereinten Nationen nach San Francisco eingeladen. Auf der Potsdamer Konferenz im Juli/August 1945 herrschte noch der Geist der Zusammenarbeit der Antihitlerkoalition vor, den man schwerlich nach dem Tod Franklin Roosevelts am 12. April 1945, eines Vertreters und Mitbegründers dieser Koalition, so rasch hätte zu Grabe tragen können.

Der Krieg gegen Japan war noch nicht beendet. Der Abwurf der beiden Atombomben im August 1945 hatte die Kampfkraft der japanischen Landstreitkräfte nicht entscheidend geschwächt. Zum Sieg über den japanischen Achsenpartner trug vielmehr vor allem die am 9. August eröffnete sowjetische Fernostoffensive bei, in deren Verlauf die rund eine Million starke Kwantung-Armee zerschlagen wurde. Die offene Wende zum Kalten Krieg begann erst im März 1946 mit Churchills berüchtigter Rede in Fulton.

Togliatti wollte das Bündnis mit den großbürgerlichen Kräften auch auf Regierungsebene fortsetzen und antifaschistisch-demokratische Veränderungen auf parlamentarischem Weg verwirklichen. Diese Linie setzte er in der Parteiführung gegen den Widerstand einer starken, auf revolutionären Massenkampf setzenden Strömung durch. Auf dem vom 29. Dezember 1945 bis zum 6. Januar 1946 tagenden 5. Parteitag, der die nach dem Sieg über den Faschismus einzuschlagende Strategie beriet, gab es sowohl im Bericht Togliattis als auch in der angenommenen Resolution (Unter dem Banner der Demokratie) kein einziges Bekenntnis zur sozialistischen Perspektive.[5]


Schwerwiegende Zugeständnisse

Togliatti machte schwerwiegende Zugeständnisse. Er stimmte der Auflösung der Partisanenverbände zu; ebenso der Amtsenthebung der örtlichen Befreiungskomitees, die Regierungsorgane waren. Als Justizminister fügte er sich der Auflösung des "Hohen Kommissariats zur Verfolgung der Regimeverbrecher" und einer sogenannten Amnestie der "nationalen Versöhnung", die zu einer Revision bereits ergangener über 11.000 Urteile führte. Zu den freigelassenen gehörte beispielsweise der Chef der berüchtigten 10. Torpedoboot-Flotille, Fürst Valerio Borghese, der wegen wenigstens 800fachen Mordes als Kriegsverbrecher verurteilt worden war.

Die IKP stimmte zu, der Verfassunggebenden Versammlung keine Gesetzesvollmachten zu übertragen, sondern diese bei der Regierung zu belassen. Als De Gasperi Kommunisten und Sozialisten dann im Mai 1947 aus der Regierung vertrieb, konnte die Democrazia Cristiana (DC), nunmehr führende großbürgerliche Regierungspartei, mit ihren Verbündeten schalten und walten, wie sie wollte. In der Konstituante wurden die mit Mussolini geschlossenen Lateranverträge sanktioniert, was die Positionen des reaktionären Klerus und der DC-Rechten stärkte. Zum Ergebnis gehörte, dass der Vatikan der DC bei den Parlamentswahlen 1948 zu einem triumphierenden Wahlsieg von 48,5 Prozent (über ein Drittel mehr als 1946) verhalf.

Gravierende Folgen mit Langzeitwirkung hatte, dass die Partei die bereits im August 1945 in Gestalt der Jedermann-Bewegung (Uomo Qualunque) einsetzende Reorganisation des Faschismus unterschätzte.[6] Zur Wahl zur Verfassungsgebenden Versammlung zugelassen, erreichte die faschistische Organisation erschreckende 5,3 Prozent, das waren 30 Abgeordnete, welche die reaktionären und Rechtskräfte bei der Be- und Verhinderung demokratischer Veränderungen unterstützen. Aus Uomo Qualunque erfolgte im Dezember 1946 die Wiedergründung der faschistischen Partei in Gestalt des Movimento Sociale Italiano (MSI), die sich offen zum Erbe des "Duce" und den programmatischen Grundlagen des Faschismus bekannte. Parteivorsitzender wurde der bereits erwähnte Kriegsverbrecher Borghese, Nationalsekretär Giorgio Almirante, in Mussolinis Salo-Republik[7] Staatssekretär und führender Rassenideologe, der noch kurz vor Kriegsschluss einen Genickschusserlass gegen Partisanen unterzeichnet hatte. Mit der Sozialbewegung entstand eindeutig die verbotene faschistische Mussolinipartei wieder, was gegen eine Übergangsbestimmung der Verfassungsgebenden Versammlung verstieß, die lautete: "Wer die aufgelöste faschistische Partei in irgendeiner Form, sei es als Partei, Bewegung oder paramilitärische Organisation, wieder gründet und m ilitärische oder paramilitärische Gewalt als Mittel für den politischen Kampf anwendet sowie die Ziele der aufgelösten faschistischen Partei verfolgt, wird mit Gefängnis von zwei bis 20 Jahren bestraft."[8]

Toglatti räumte im Oktober 1946 ein, dass die nach dem Sieg der Resistenza vorhandene günstige Ausgangssituation "im Grunde genommen nicht genutzt" wurde. Giorgio del Bocca gab Luigi Longo wieder, der schon im Sommer 1945 intern geäußert hätte, der linke Flügel sei von Togliatti und seiner Führung "betrogen worden".[9] Pietro Secchia und Filippo Frassati sprachen von einer "fehlenden Revolution" und dem "Kontrast zwischen den Idealen der Resistenza und den verfolgten demokratischen Zielen".[10] Longo, seit 1946 Stellvertreter Togliattis, warnte mehrfach vor zu weit gehenden Kompromissen und forderte, die außerparlamentarische Kraft und die Mobilisierungsfähigkeit der Partei nicht zu vernachlässigen.[11]

Der Werdegang der IKP zeigt, dass in verschiedenen Etappen auf unterschiedliche Weise internationale, vor allem von der KPdSU ausgehende Faktoren, großen Einfluss ausübten. Das kam bereits bei der "Wende von Salerno" zum Ausdruck als auch bei den 1945 nicht genutzten Chancen der revolutionären Situation. Stalins Einfluss ist hier nicht zu übersehen. Ihm ging es zunächst um die Stärkung und dann um den Erhalt der Antihitlerkoalition, die er im westlichen Einflussbereich nicht durch einen revolutionären sozialistischen Kurs gefährdet sehen wollte.[12]

Nach 1945 wuchs die IKP zur stärksten Partei der kapitalistischen Industriestaaten an. Vom tiefen Widerhall kommunistischer Ideen und einer sozialistischen Perspektive zeugte, dass ihr in den 1970er Jahren zwölf Millionen Italiener bei Parlamentswahlen ihre Stimme gaben. Sie kämpfte unter den Bedingungen des Kalten Krieges und der Blockkonfrontation, mobilisierte die Massen in Italien für den Sturz der Monarchie, gegen die wiedererstehende faschistische Gefahr und die NATO-Gründung. Mit ihrem Kampf für demokratische Veränderungen beeinflusste sie nachhaltig das antifaschistisch geprägte Nachkriegsitalien. Einen schweren Rückschlag stellte der im März 1955 vom ISP-Vorsitzenden Pietro Nenni eingeleitete Bruch der Aktionseinheit mit der IKP dar.


Wurde Togliatti in Moskau umgebracht?

Die IKP wurde wie die kommunistische Weltbewegung insgesamt von den schwerwiegenden Auswirkungen des XX. Parteitag der KPdSU 1956 erfasst. Dass unter Stalin massenhaft Unrecht geschah und oft nicht zu rechtfertigende Gewalt angewandt wurde, musste zur Sprache gebracht und dazu eine Bilanz gezogen werden. Nikita Chruschtschow nahm das jedoch ohne jeden historischen Bezug und ohne eine generelle Einordnung in revolutionäre Prozesse und ihre Entartungen, in Sonderheit der Entwicklung seit der Oktoberrevolution, vor. In keiner Weise berücksichtigte er, dass in allen Revolutionen der Terror immer von den Verteidigern der bestehenden Ordnungen begonnen wurde und sich gegen die Revolutionäre richtete. In der KPdSU-Führung war Chruschtschows Rede weder kollektiv erörtert noch beschlossen worden. Eine Information an die Bruderparteien erfolgte vorab nicht. Es begann ein Prozess, der einen Michail Gorbatschow den Weg an die Macht ebnete. Dessen Ziel bestand - wie er nach der Niederlage des Sozialismus 1989/90 offen eingestand, darin, die sozialistischen Gesellschaftsordnungen zu liquidieren und eine kapitalistische Restauration durchzusetzen.

Togliatti begrüßte die aufgezeigten Möglichkeiten friedlicher Koexistenz zwischen Staaten unterschiedlicher Gesellschaftsordnung; ebenso die eines friedlichen, parlamentarischen Weges zum Sozialismus, die seinen 1945 eingeschlagenen Kurs bestätigten. Durch jahrzehntelange Arbeit als führender Komintern-Funktionär geprägt, bekannte er sich zwar grundsätzlich zur Vorhutrolle der KPdSU, sprach aber gleichzeitig Fragen des Nationalismus und Provinzialismus als auch der Missachtung nationaler und historischer Besonderheiten durch die sowjetische Partei an. Er kritisierte, die Ursache der Deformierungen in der KPdSU nur im Personenkult um Stalin zu sehen.[13]

Als Togliatti sich 1964 zur Vorbereitung auf eine neue kommunistische Weltkonferenz in Moskau befand, vertiefte er in einem Memorandum, das er Chruschtschow übergeben wollte, seine Positionen. Er wandte sich gegen den Bruch mit der KP Chinas und trat für "die Einheit aller sozialistischen Kräfte in einer gemeinsamen Aktion gegen die reaktionären Gruppen des Imperialismus, auch über ideologische Divergenzen hinweg" ein. Togliatti verstarb, noch bevor er Chruschtschow traf, am 21. August 1964. Sein Nachfolger wurde Luigi Longo.

Gegen den Widerstand aus Moskau veröffentlichte die IKP das Memorandum und schrieb, es bezeuge, "dass sich Genosse Togliatti bis zum letzten Augenblick mit Kraft und Klarheit der Arbeit widmete. Nichts lässt das Eintreten der schrecklichen Krankheit vorausahnen." Kurt Gossweiler, der aus der DDR bekannte Faschismus- und Revisionismus-Forscher, bezeichnete Togliattis Tod in seiner "Taubenfußchronik" als "mysteriös" und verglich ihn mit "plötzlichen und unerwarteten" Todesfällen, durch die merkwürdigerweise gerade jene kommunistischen Führer "ausgeschaltet" wurden, "die den Imperialisten, aber auch der neuen Moskauer Führung besonders im Wege standen: Gottwald 1953, Bierut 1956, Thorez 1964 und kurz danach, ebenfalls 1964 Togliatti".[14]

Togliattis hatte versucht, den Krisenerscheinungen in der kommunistischen Weltbewegung entgegenzutreten, um sie aufzuhalten und Deformierungen und Fehlentwicklungen zu korrigieren. Vieles, was er zu Theorie und Politik äußerte, dürfte heute zum positiven Erbe der internationalen Arbeiter- und kommunistischen Weltbewegung gehören und für ihren gegenwärtigen Kampf noch immer wertvolle Erfahrungen und Anregungen vermitteln.


Verhängnisvolle Regierungsbeteiligung

An der Schwelle zu den 1970er Jahren begann sich eine sozialdemokratische Strömung herauszubilden, deren ideologische Basis der sogenannte Eurokommunismus bildete. Als die DC nach den Parlamentswahlen 1972 mit 38,7 Prozent in eine schwere Regierungskrise geriet, bot ihr Enrico Berlinguer, der im März 1972 den schwerkranken Longo abgelöst hatte, den Eintritt in eine Regierungskoalition (Historischer Kompromiss) an. Durch eine "Regierung der demokratischen Wende" sollte, so Berlinguer, "die Überwindung der Klassenschranken" erreicht werden. Nach dem faschistischen Putsch Pinochets im September 1973 in Chile begründete Berlinguer diesen Schritt mit der Notwendigkeit, der wachsenden faschistischen Gefahr (1964, 1970 und 1974 Putschversuche mit NATO- und CIA-Unterstützung) wirksam entgegenzutreten. Nach dem Wahlerfolg der IKP 1976 (33,8 Prozent im Parlament) begann die konkrete Phase dieser Klassenzusammenarbeit. Longo verurteilte diesen Kurs. Er befürchtete, er werde nur dem Monopolkapitalismus und den Christdemokraten dienen.[15]

Zur Abwehr der faschistischen Gefahr in eine bürgerliche Regierung einzutreten, konnte als gerechtfertigt gelten. Es kamen jedoch keine konkreten Vereinbarungen zustande. Gegen das nie eingehaltene Versprechen, einige sozial-ökonomische Reformen einzuleiten, gab die IKP grundlegende kommunistische Positionen auf. Sie anerkannte die kapitalistische Marktwirtschaft und das bürgerliche Staatsmodell, bekannte sich zu den Bündnisverpflichtungen Italiens und gab die absurde Erklärung ab, die NATO eigne sich unter bestimmten Voraussetzungen als "Schutzschild" eines italienischen Weges zum Sozialismus. Im März 1978 trat sie in die von dem DC-Rechten Giulio Andreotti angeführte und ihrem Charakter nach rechte parlamentarische Regierungskoalition ein. Am 9. Mai wurde ihr Bündnispartner, der DC-Vorsitzende Aldo Moro, Opfer eines von der geheimen NATO-Truppe stay behind (in Italien Gladio genannt), der CIA, italienischen Geheimdienstkreisen, ihrer Putschzentrale P2 und den Neofaschisten inszenierten Mordkomplotts. In hinterhältiger Weise wurden dazu die von Geheimdienstagenten unterwanderten "Roten Brigaden" einbezogen und die IKP für deren Agieren mitverantwortlich gemacht. Der Historische Kompromiss scheiterte. Es gab keinerlei soziale Fortschritte. Die Regierungsachse verschob sich nach rechts. Die IKP verlor im Ergebnis dieser schweren politischen Niederlage in den folgenden Jahren etwa ein Drittel ihrer 2,2 Millionen Mitglieder und bis 1987 rund acht Prozent ihrer Wähler.


Die Liquidierung

Berlinguer hatte die Revisionisten noch in bestimmtem Maße gezügelt. Nach seinem plötzlichen Tod am 11. Juni 1984 durch einen Herzinfarkt, erhielten diese freie Hand. Bereits auf dem Parteitag 1986 leitete sein Nachfolger Alessandro Natta die "reformistische Wende" ein. Das widerlegt übrigens eindeutig, die verschiedentlich vertretene Auffassung, das Ende der IKP sei eine Folge der sozialistischen Niederlage in Europa. Als angeblicher Beweis wird eine Erklärung des letzten Generalsekretärs, Achille Occhetto, angeführt, der den Fall der Berliner Mauer zum Anlass nahm, die im Gang befindliche "Heimkehr zur Sozialdemokratie" breit publik zu machen. In der "Unita" sprach das damalige Politbüromitglied, ein führender Vertreter des revisionistischen Kurses, der heutige Staatspräsident Giorgio Napolitano, offen aus, dass es bei der Umwandlung der IKP in eine sozialdemokratische Linkspartei darum ging, einer "Regierungsübernahme den Weg zu ebnen".[16]

Auf dem bereits erwähnten 20. Parteitag widersetzten sich 90 Delegierte (etwa ein Viertel) der Liquidierung, wie Domenico Losurdo die Mutation zur Sozialdemokratie nannte, und beschlossen eine Neugründung, die in Gestalt des Partito della Rifondazione Comunista (PRC) am 12. Dezember 1991 erfolgte. Ihre Parteizeitung "Liberazione" legte vor zehn Jahren Folgen der Liquidierung, dar: "Wäre die IKP am Leben geblieben, hätte es in der Politik der folgenden Jahre nicht so zersetzende und verwüstende Augenblicke gegeben, nicht derartige Erscheinungen der Auflösung und geradezu der Zerstörung des gesamten zivilen Zusammenlebens."[17] Die Auseinandersetzung mit dem opportunistischen Erbe der IKP, das in den PRC eindrang, steht bis heute aus.


Zurückweichen vor dem Druck des Klassengegners

Die Wurzeln des Unterganges der IKP liegen letzten Endes im Umsichgreifen vielfältiger opportunistischer Erscheinungen und der fehlenden Auseinandersetzung mit ihnen. Herausragende historische Erfolge, wie der entscheidende Beitrag zum Sieg über den Faschismus, führten zur Überschätzung der eigenen Möglichkeiten und der Unterschätzung der des Klassengegners. Das war verbunden mit Zurückweichen vor dessen Druck, mit schwer oder auch nicht wieder zu korrigierenden Zugeständnissen, die verbunden waren mit dem Irrglauben, der Gegner werde das honorieren. Gramscis Grundsatz, die Partei müsse bei notwendigen Kompromissen mit den bürgerlichen Bündnispartnern Ausgeglichenheit wahren und Zugeständnisse dürften nicht "die entscheidende Rolle (...), die ökonomischen Aktivitäten der führenden Kraft" betreffen, was sich auf die sozialistische Perspektive bezog, gerieten mehr und mehr in Vergessenheit.[18] Vergleiche zu gegenwärtigen Entwicklungen hierzulande bieten sich an.



Anmerkungen:

[1] Sie nannte sich Kommunistische Partei Italiens, Sektion der KI (KPI) Nach Auflösung der Komintern 1943 Italienische Kommunistische Partei (IKP).

[2] "Über den Kampf in der Italienischen Sozialistischen Partei", Werke, Bd. 31, S. 373-390.

[3] Periode des nach der Okkupation Nord- und Mittelitaliens durch die Hitlerwehrmacht im September 1943 beginnenden bewaffneten nationalen Befreiungskampfes.

[4] Briefwechsel Stalins mit Churchill, Attlee, Roosevelt und Truman 1941-1945, Berlin (DDR) 1961, S. 673 f.

[5] Storia del PCI. Attraverso i Congressi, Rom 1977, S. 15 bis 73.

[6] Uòmo Qualunque war bereits im Dezember 1944 unter der amerikanischen Besatzungsherrschaft in Neapel angesichts der sich abzeichnenden Niederlage des Faschismus von dem reaktionären Bühnenautor der Salò-Republik Gugliemo Giannini als sich vom Faschismus unabhängig darstellende Organisation und Zeitung gegründet worden.

[7] Repùbblica Sociale Italiano, nach ihrem Sitz in Salo am Gardasee kurz Salo-Republik genannter, am 25. Oktober 1943 von Mussolini unter dem Besatzungsregime der Hitlerwehrmacht proklamierter faschistischer Rumpfstaat.

[8] Daniel Barbieri: Agenda nera, Trent'anni di Neofascismo in Italia, Rom 1976, 24 f.

[9] Bocca: Palmiro Togliatti, Rom-Bari 1973, S. 386.

[10] Pietro Secchia und Filippo Frassati. Storia della Resistenza, Rom 1965, Bd. I, S. XIV.

[11] Togliatti: Problemi del Movimento operaio internazionale, Rom 1962, S. 101.ff., "Rinascita", Nr. 33/1972.

[12] Siehe Beiträge des Autors "Die Wende von Salerno" und "KP macht Abstriche" im Schattenblick

Schattenblick -> INFOPOOL -> GEISTESWISSENSCHAFTEN -> GESCHICHTE
NEUZEIT/185: April 1944 - Die Wende von Salerno (Gerhard Feldbauer) - 25.4.2010
https://www.schattenblick.de/infopool/geist/history/ggneu185.html

Schattenblick -> INFOPOOL -> GEISTESWISSENSCHAFTEN -> GESCHICHTE
NEUZEIT/196: Dezember 1944 - Krise und Kompromißlösung der Einheitsregierung in Italien (jW) - 23.12.2010
https://www.schattenblick.de/infopool/geist/history/ggneu196.html

[13] Togliatti: Problemi del Movimento operaio internazionale, Rom 1962, S. 101 ff.

[14] Gossweiler, Die Taubenfuß-Chronik, Bd. II, S. 381 ff.

[15] Giuseppe Chiarante: Da Togliatti a D'Alema. Rom 1997, S. 136 ff.

[16] Massimo D'Alema: Progettare il Futuro, Mailand 1996, S. 7; "Unita", 8. Januar 1990.

[17] Ausgabe 21. Jan. und 15. Mai 2001.

[18] Quaderni del Carcere, Turin 1975, S. 1551.


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Quelle:
© 2011 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Januar 2011