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MEMORIAL/009: Vor 30 Jahren - Faschistische Putschistenloge P2 in Italien enttarnt (Gerhard Feldbauer)


Vor 30 Jahren enttarnt, aber nicht unschädlich gemacht:
Die faschistische Putschistenloge P2 in Italien

Sie hievte den heutigen Regierungschef Silvio Berlusconi an die Macht

Von Gerhard Feldbauer, Februar 2011


Von der berüchtigten faschistischen Putschloge Propaganda due (P2) ist im Italien der Gegenwart kaum noch die Rede. Allenfalls Historiker und ein paar Politologen befassen sich damit. Und doch reicht ihr Wirken bis in die Gegenwart, ist Basis der seit zwei Jahrzehnten unter den Regierungen des Mediendiktators Silvio Berlusconi vor sich gehenden schleichenden Faschisierung der politischen Macht und entsprechender Bereiche der Gesellschaft. Denn besagter Berlusconi war Mitglied des Dreierdirektorium der P2, die ihn an die Macht hievte. Neben ihm saß der Sozialistenchef Bettino Craxi in diesem Dreigestirn. Er hatte sich mit Hilfe der P2 1976 in der sogenannten "Midas-Verschwörung" (genannt nach dem luxuriösen Hotel Midas in Rom, in dem die Parteiführung tagte) an die Spitze der Sozialistischen Partei geputscht. Die P2 hielt ihn in den 1980er Jahren als einen "neuen Duce" in Reserve. Dieser Plan scheiterte, als er Anfang der 1990er Jahre wegen Korruption zu 26 Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Seine Stelle nahm danach Berlusconi ein.

Die P2 wurde von einem Altfaschisten Namens Licio Gelli im Auftrag der CIA und von NATO-Mililitärs gegründet. Gelli konnte als Agent des Geheimdienstes Mussolinis nach der Niederlage des Faschismus 1945 unerkannt auf der berüchtigten "Rattenlinie" nach Argentinien flüchten. Anfang der 1970er Jahre nach Italien zurückgekehrt, baute ihn die CIA als einen großen Politiker auf, der eine Beteiligung der Kommunisten an der Regierung verhindern und dagegen ein rechtsextremes Regime an die Macht bringen und gegebenenfalls sogar selbst anführen sollte. Nachdem 1964, 1970 und 1974 offen faschistische Putschversuche gescheitert waren, wollte die CIA mittels eines "Colpo bianco", eines kalten Staatsstreiches, einen als "demokratische Umgestaltung" getarnten Umsturz herbeiführen. An die Stelle bis dahin offen faschistisch-militärischer Führungszentralen trat die P2, die ihre Leute in allen Bereichen der Gesellschaft unterbrachte. Auch unter der Regie der Loge blieb der Sicherheitsapparat das herausragende Instrument, den sie über den hohen Anteil an Militärs und Geheimdienstlern unter ihren Mitgliedern zum großen Teil kontrollierte und beeinflusste. Die Initiative für den Aufbau der Putschloge ging 1969 von dem damaligen NATO-Oberbefehlshaber General Alexander Haig und Außenminister Henry Kissinger aus. Haig stellte Gelli für die Anwerbung eine Liste mit den Namen von 400 hohen italienischen NATO-Offizieren zur Verfügung.

Als die P2 am 17. März 1981 mehr zufällig (die Finanzaufsicht ermittelte gegen Gelli wegen Steuerhinterziehung) aufgedeckt wurde, musste eine Untersuchungskommission des Parlaments sich mit ihr befassen. Es kam ans Licht, dass die Geheimloge weit über 2.500 eingeschriebene Mitglieder zählte und "ein Machtzentrum innerhalb der staatlichen Einrichtungen, in den Lebensadern des Landes" bildete. Da nur ein Teil der Mitgliederlisten gefunden wurde, blieben viele der Logenbrüder unerkannt. Das Mitglied der Untersuchungskommission Sergio Flamigni (PCI, später Linkspartei) führte in dem Buch "Trame atlantice. Storia della Loggia Massonica secreta P2" an: 47 Großindustrielle, 119 Bankiers und Leute der Hochfinanz, 30 Universitätsprofessoren, 43 Generäle, darunter die gesamte Führungsspitze der Geheimdienste der letzten 30 Jahre, der komplette Generalstab des Heeres, etwa 400 hohe Offiziere, drei Minister der amtierenden Regierung, drei Staatssekretäre, 18 hohe Regierungsvertreter, 22 Spitzenjournalisten, darunter ein Chefredakteur der staatlichen RAI und einer des Mailänder "Corriere della Séra", 38 Parlamentarier aus den Regierungsparteien, weitere aus der faschistischen MSI-Partei (der späteren Alleanza Nazionale). Im Rahmen der Kollaboration mit der Mafia waren auch eine große Zahl Chefs der "Ehrenwerten Gesellschaft" in die Loge eingetreten. Darunter die ganze Führungsspitze der Cosa Nostra (Flamini, S. 365, 425 ff,). Über den P2-Finanzier Robert Calvi, der als Präsident der Ambrosianobank vorstand war der Vatikan in dass Netz der Putschistenloge eingebunden. Denn Calvi, war gleichzeitig Finanzmanager des Vatikans, genannt der "Bankier Gottes". Vor allem aber war die P2 Instrument der geheimen NATO-Truppe stay behind, die in Italien Gladio hieß und 12.000 Mann zählte, von denen die meisten aus faschistischen Schlägerbanden kamen. In den 1960er Jahren war sie unter der Obhut des späteren mehrmaligen Ministerpräsidenten Giulio Andreotti, zu dieser Zeit Verteidigungsminister, aufgebaut worden. Als die Existenz von Gladio im Oktober 1990 aufflog, wurde bekannt, dass von der CIA-Truppe über die P2 das Komplott zur Ermordung des christdemokratischen Parteiführers Aldo Moro, der ein Regierungsbündnis mit den Kommunisten geschlossen hatte, eingefädelt worden war. Andreotti wurde u. a. wegen Komplizenschaft mit der Mafia und der Mitwisserschaft bei der Ermordung eines Zeugen angeklagt, wegen Mangels an Beweisen freigesprochen.

Die entscheidende Rolle der P2 beim Weg Berlusconis an die Macht haben die Publizisten Giovanni Ruggeri und Mario Guarino in ihrem Buch "Berlusconi - Showmaster der Macht" (Berlin 1994) beweiskräftig enthüllt. Die Logenbrüder verschafften ihm "Unterstützung und Finanzierungshilfen, die weit über jede Kreditwürdigkeit" hinausgingen, lenkten seine Karriere vor allem in den Bereich der Massenmedien, in deren Händen Gelli "die wahre Macht" sah und planten auch die Gründung seiner autoritären Führerpartei Forza Italia, heute Partei der Freiheit des Volkes, (S. 82 ff.). Als Modell diente die faschistische Sammlungsbewegung "Uomo Qualunque", aus der 1946 die Mussolininachfolgerpartei MSI hervorging.

Obwohl der damalige sozialistische Staatspräsident Sandro Pertini die P2 als "eine kriminelle Vereinigung" einschätzte, blieben Versuche, sie entsprechend zu verurteilen und ihre Mitgliedschaft unter Strafe zu stellen, erfolglos. Sicher nicht zuletzt deshalb, weil die P2 auch Teile der Justiz durchdrungen hatte. Der bekannte Politologe Giorgio Galli, der zum Thema u. a. das Buch "Staatsgeschäfte, Affären, Skandale, Verschwörungen" (Hamburg 1994) schrieb, äußerte wiederholt, dass die P2 weiter im politischen Leben Italiens präsent sei. Als Berlusconi im Frühjahr 1994 mit den MSI-Faschisten und Lega-Rassisten seine erste Regierung bildete , gehörten ihr nachweisbar drei Minister aus der P2 an, darunter Verteidigungsminister Cesare Previti.


Ausf. siehe das Buch unseres Autors: Agenten, Terror, Staatskomplott. Der Mord an Aldo Moro, Rote Brigaden und CIA. Papyrossa, Köln 2000.


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Quelle:
© 2011 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 19. März 2011