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MEMORIAL/059: Johannes XXIII. rettete unzählige Juden vor dem Hitlerregime (Gerhard Feldbauer)


Johannes XXIII. rettete unzählige Juden vor dem Schafott des Hitlerregimes

von Gerhard Feldbauer, 28. September 2012



Vor 50 Jahren, am 11. Oktober 1962, eröffnete Johannes XXIII. in Rom das Zweite Vatikanische Konzil. Es war die herausragende Leistung, die dieser Papst in der nur fünf Jahre währenden Zeit seines Pontifikats vollbrachte und die ihn, wie der US-amerikanische Schriftsteller und Vatikankenner Lawrence Elliott(1) schrieb, zu "einem der großen Päpste" werden ließ. Mit diesem Beitrag soll ein Aspekt des Wirkens dieses Papstes vorangestellt werden, der einen Bruch der Tradition des Bündnisses der Kurie mit Reaktion und Faschismus vollzog.

Mit Angelo Giuseppe Roncali kam am 28. Oktober 1958 der Sohn eines armen Vier-Hektar-Bauern aus der Po-Ebene auf den Stuhl Petri. Sich Priester aus den ärmsten Schichten des Volkes heranzuziehen, ist nicht ungewöhnlich in der katholischen Kirche. Erwartet man doch von ihnen besonders zuverlässige Dienste. Bei Giovanni Ventitre, wie sich Roncali als Papst nannte, verlief das keineswegs zur Zufriedenheit der Kurie. Zur Charakterisierung soll auf seine Haltung zum Faschismus in Deutschland und Italien, der in beiden Ländern mit entscheidender Hilfe auch Pius XI. an die Macht kam, eingegangen werden. Sein Nachfolger, Pius XII., der sein Pontifikat am 2. März 1939 antrat, setzte diesen Kurs fort. Während in Spanien nach Francos Sieg die Mordkommandos wüteten, gratulierte er dem Caudillo in einer Botschaft: "Die von Gott als wichtigster Diener der Evangelisation der Neuen Welt und als uneinnehmbares Bollwerk des katholischen Glaubens auserwählte Nation hat soeben den Anhängern des materialistischen Atheismus unseres Jahrhunderts den erhabensten Beweis dafür geliefert, dass über allen Dingen die ewigen Werte der Religion und des Geistes stehen." Ein weiteres Glückwunschtelegramm erhielt Hitler, dem der Papst "mit besten Wünschen den Segen des Himmels und des allmächtigen Gottes" übermittelte.(2)


Er informierte Pius XII. über die Gräuel in Auschwitz

Roncali, während des Zweiten Weltkrieges Erzbischof und Nuntius in Istanbul, machte Pius XII. auf "die Gräuel in Auschwitz" aufmerksam. In Istanbul unterhielt er Kontakte zu dem Emissär der Jewish Agency, Haim Barlas, von dem er umfangreiche Informationen über die in Auschwitz begangenen Verbrechen erhielt. Sie stammten von zwei Juden, die im April 1944 aus Auschwitz fliehen konnten, und wurden später als "Protokolle von Auschwitz" bekannt. Aus ihnen ging eindeutig der Zweck der Lager in Auschwitz hervor - die massenhafte Vernichtung der Juden. Roncali schickte unverzüglich eine Zusammenfassung des Berichts per Telegramm nach Rom. Er wird in einem Briefwechsel erwähnt, den der Nuntius mit Barlas führte, der in dessen privatem Nachlass in Israel gefunden wurde. Unter der Überschrift "Ein ignoriertes Telegramm" berichtete 2007 die spanische Geschichtszeitschrift "Historia y Vida" darüber. Sie hielt fest, dass die bis heute verbreitete Version des Vatikans, er habe "erst im Oktober 1944" über genauere Details über Auschwitz verfügt, eine Lüge ist. Mit der lakonischen Begründung, die in den vatikanischen Archiven gelagerte Korrespondenz Roncalis sei (man beachte, nach über einem halben Jahrhundert) noch nicht "deklassifiziert" worden, habe es der Vatikan abgelehnt, zu seinem damaligen Verschweigen der Information Stellung zu nehmen.(3)


Öffentlicher Protest gegen Judendeportationen

Roncali beließ es nicht bei seinen Berichten nach Rom. Er protestierte zum Beispiel gegen die Judendeportationen offiziell beim slowakischen Präsidenten des katholischen Marionettenregimes, Joseph Tiso. Zur Rettung von Juden in Griechenland und Ungarn ließ er diesen Taufscheine ausstellen, wodurch viele gerettet werden konnten. Er hat "ohne mit der Wimper zu zucken alle falschen Taufscheine, um die man ihn bittet", unterschrieben.(4) "Ihm sei es gleich, ob die Juden wirklich das Sakrament empfingen oder ob sie, wenn der Krieg vorbei war, wieder aus der Kirche austreten wollten. Ihm gehe es nur um die Rettung von Menschenleben", zitiert ihn Elliott. "Kardinal Roncali ist ein Mann, der das Volk der Bibel wirklich liebt", sagte der damalige Oberrabiner von Jerusalem, Isaac Herzog, später, "und mit seiner Hilfe wurden Tausende von Juden gerettet." (5)


Sein Name steht auf der Gedenkmauer von Yad Vashem

Haim Barlas schrieb: "Zu den wenigen heldenmütigen Taten, die unternommen wurden, um Juden zu retten, gehört die Tätigkeit des Apostolischen Delegaten, Monsignore Roncali, der sich unermüdlich für sie einsetzte."(6) Dafür wird Johannes XXIII. in Jerusalem auf der Gedenkmauer von Yad Vashem gedacht. Es ist eine Ehrung, die Pius XII., obwohl es ein öffentlich bekanntes Anliegen des Vatikans ist, verwehrt wird.


Anmerkungen:

(1) Johannes XXIII. Das Leben eines großen Papstes, Herder 1974.

(2) Dietmar Stübler: Geschichte Italiens. 1789 bis zur Gegenwart. Berlin, 1987, S. 156.

(3) "Historia y Vida", Nr. 467/2007 ; Netzeitung, 18. Okt. 2008.

(4) Jean Mathieu-Rosay: Die Päpste im 20. Jahrhundert. Darmstadt 2005, S. 120 f.

(5) Hans Kühner zitiert den Kirchenhistoriker Hubert Jedin, der schrieb, Johannes XXIII: sei in Israel als "Retter von wohl hunderttausend Juden während der Hitlerdiktatur unvergesslich geblieben". Hans Kühner: Lexikon der Päpste, Wiesbaden 1977, S. 383.

(6) Elliott, S. 160 ff.

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Quelle:
© 2012 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. September 2012