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MEMORIAL/077: Italien Juni 1968 - Warum Oberst Rocca erschossen wurde (Gerhard Feldbauer)


Warum Oberst Rocca erschossen wurde

von Gerhard Feldbauer, 28. Juni 2013



Am 27. Juni 1968 wurde der Oberst des italienischen Militärischen Geheimdienstes Servicio Informazione Forze Armate (SIFAR) Renzo Rocca in seinem Büro in der Via Barbarini in Rom angeblich von unbekannten Tätern erschossen. Als 1991 in Italien die geheime NATO-Armee stay behind aufgedeckt wurde, kam auch ans Licht, warum der Oberst umgebracht wurde. Die Geheimdienstexperten Giovanni Bellu und Giuseppe Avanzo haben in ihrer Recherche "Die Tage von Gladio" (Rom 1991) das verbrecherische Treiben dieser verfassungswidrigen Truppe, die in Italien Gladio (Kurzschwert) hieß, enthüllt.


Leitete den Aufbau von Gladio

Der Oberst leitete seit Mitte der 1960er Jahre im Auftrag der CIA den Aufbau dieser Untergrundarmee. Anlass, Gladio in Italien als einem der ersten Paktstaaten forciert zu formieren, war die von dem linken Führer der Democrazia Cristiana (DC) Aldo Moro eingeleitete Apertura a Sinistra, die Öffnung gegenüber der Sozialistischen Partei (ISP), mit der er 1963 erstmals eine Regierung bildete. Schon im Vorfeld dieser Öffnung planten Pentagon und CIA eine solche Regierung mit einem Militärputsch zu Fall zu bringen. In den Umsturz sollten die in der Mussolininachfolgerpartei Movimento Sociale Italiano (MSI) und in zahlreichen Terrorbanden organisierten Faschisten einbezogen werden.


Vernon Walters - ein Schwergewicht der Geheimdienste

Der US-Botschafter in Rom, Frederick Reinhardt, bildete einen Krisenstab, um "die Linie des Eingreifens im Falle einer Öffnung nach links zu erörtern". Die militärische Leitung vor Ort übernahm der Militärattaché, Oberst Vernon Walter. Mit ihm nahm sich ein Schwergewicht der Geheimdienste der Sache an. Walters stieg nach seinem Italieneinsatz zu einer Schlüsselfigur der Defense Intelligence Agency (Militärische Aufklärung) auf und wurde später im Generalsrang stellvertretender CIA-Direktor. U. a. entwarf er das Szenarium für den Putsch gegen Chiles sozialistischen Präsidenten Salvadore Allende (Centauroplan). Er galt als ein Meister der Geheimdiplomatie, den die Medien "The lone Wolf" nannten. Die USA-Intervention in Vietnam, bei der drei Millionen Menschen umgebracht wurden, nannte er in seinen Memoiren Silent Missions einen "der nobelsten und selbstlosesten Kriege" der Vereinigten Staaten. Walter beendete seine Geheimdienstkarriere 1990/91 in Bonn, wo er als Botschafter das Kommando übernahm, um, wie er formulierte, "die letzte Ölung zu geben, bevor der Patient (die DDR) stirbt", oder anders ausgedrückt, "dem sowjetischen Sicherheitssystem das Herz herauszureißen".


USA - Intervention gefordert

In Rom forderte Walter, dass "die Vereinigten Staaten ohne zu zögern das Land militärisch besetzen müssten". Unter Leitung der CIA arbeitete der faschistisch orientierte SIFAR-Chef, General Giovanni De Lorenzo, einen Staatsstreichplan aus. Nach Walters Order organisierte er - wie man heute im Geheimdienstjargon formuliert - einen "Lauschangriff" auf zahlreiche hohe und höchste Persönlichkeiten des Staates, der Parteien - beileibe nicht nur der Kommunisten und Sozialisten. De Lorenzos rechte Hand wurde Oberst Rocca, der für führende Politiker, die einer "harten Unterdrückungspolitik" gegenüber den Gewerkschaften und den Linken Vorbehalte hegten, Berichte fabrizierte, die "ein so schweres Bild vor Augen führten, dass man jede Gewaltaktion rechtfertigen" konnte. Er erfand Informationen über "gefährliche Aktivitäten" der Kommunisten und der Gewerkschaften, darunter über eine "Sitzung der kommunistischen Führer", auf welcher "der Krieg gegen die Regierung", die Vorbereitung der "Revolution und die Machtübernahme in den Regionen und im ganzen Land" beraten worden sei. Details aus solchen "Berichten" wurden an verschiedene Zeitungen lanciert, in denen von der CIA bezahlte Redakteure sie unterbrachten.


157.000 Personen sollten in KZs gesperrt werden

Für den geplanten Staatsstreich legte Rocca "schwarze Listen" von "verdächtigen" Funktionären der linken Parteien, Gewerkschaftsführern, Antifaschisten und Politikern bürgerlicher Parteien an. Unter der unglaublichen Zahl von 157.000 Personen befanden sich der Vorsitzende der Sozialdemokratie, Giuseppe Saragat, Minister, hohe Regierungsbeamte und als "unzuverlässig" eingestufte Offiziere. Sie sollten im Falles des Staatstreiches verhaftet und auf zwei Sardinien vorgelagerten Inseln in Konzentrationslager gesperrt, manche, wie die Publizisten Antonio und Gianni Cipriano in ihrer Studie "Storia dell Eversione atlantica in Italia" (Rom 1991) enthüllten, auch gleich umgebracht werden.

Staatspräsident Antonio Segni (DC) stimmte zu, "eine Söldnertruppe für Umsturzaktionen" aufzustellen, deren Rekrutierung Oberst Rocca übernahm. Unter diesem Deckmantel entstand eine Gladio-Division, die auf rund 12.000 Mann anwuchs. Ihren Grundstock bildeten laut Bellu/Avanzo "etwa 2.000 Mann aus paramilitärischen Formationen der extremen Rechten", vorwiegend Militärs aus der Mussoliniarmee. Die gesamte Finanzierung übernahm die CIA. Durch antifaschistische Enthüllungen in der Öffentlichkeit musste die CIA den Plan zurückstellen. Dazu trug bei, dass es Moro noch zu Lebzeiten von US-Präsident John F. Kennedy gelang, sich bei ihm eine bestimmte Unterstützung zu sichern. Er verdeutlichte, dass sich die PSI von der PCI getrennt hatte und von einem bevorstehenden Machtantritt der Kommunisten keine Rede sein konnte.


Die gefährlichsten Mitwisser umgebracht

Als Details der Putschpläne bekannt wurden, musste sich eine Parlamentskommission damit befassen. Während der Untersuchung fanden ein halbes Dutzend hochrangiger Militärs und Geheimdienstleute, von denen man befürchtete, sie würden sich zu den Vorgängen äußern, den Tod, darunter die Carabinieri-Generäle Giorgio Manes und Carlo Ciglieri und als gefährlichster Mitwisser der Rolle von Gladio in den Staatsstreichplänen Oberst Rocca. Ciglieri kam bei einem mysteriösen Autounfall ums Leben, bei dem seine Aktentasche mit geheimen Unterlagen verschwand. Manes erlitt auf dem Weg zur Vernehmung in der Abgeordnetenkammer, nachdem er einen Kaffee getrunken hatte, einen Herzinfarkt, an dem er verstarb.


Oberst Rocca hatte Skrupel bekommen

Bei Oberst Rocca kam hinzu, dass er als Gladio-Insider detailliert Bescheid wusste, dass CIA und NATO einen neuen Putsch auslösen wollten, der den früheren Mussolini-Kommodore, den wegen 800fachen Mordes an Partisanen verurteilten aber begnadigten Kriegsverbrecher Valerio Borghese, Ehrenvorsitzender der MSI, an die Spitze eines faschistischen Regimes hieven sollte (Der Versuch wurde 1970 gestartet). Rocca hatte Kenntnis, dass, sollten Gladio-Truppen nicht "Herr der Lage" werden, die Kommandeure von drei Panzerverbänden bereit standen, einzugreifen. Vor allem aber hatte Rocca Bedenken geäußert, dass im Rahmen der von der CIA inszenierten Spannungsstrategie bei Attentaten wie das dann von Faschisten im Dezember 1969 auf der Piazza Fontana in der Landwirtschaftsbank von Mailand durchgeführte (bei dem 16 Menschen getötet und über 100 verletzt wurden), skrupellos Opfer aus der Zivilbevölkerung einkalkuliert wurden.

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Quelle:
© 2013 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Juni 2013