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MEMORIAL/144: Der faulende, parasitäre Imperialismus - ein Beispiel aus der jüngeren Geschichte Italiens (Gerhard Feldbauer)


Der faulende, parasitäre Imperialismus

Ein Beispiel aus der jüngeren Geschichte Italiens

von Gerhard Feldbauer, 23. März 2016


Als ich dieser Tage in der italienischen Geschichtschronik auf das Ende eines der größten Finanzmagnaten Italiens und weltweit, Michele Sindona, am 22. März 1986 stieß, fiel mir Lenins Charakterisierung des Imperialismus als "faulender, parasitärer" Kapitalismus ein. Ein treffendes Beispiel, das ich hier kurz skizzieren will.

Besagter Sindona begann sein Geschäftsleben 1943 nach der Landung der Amerikaner auf Sizilien, indem er Zigaretten und andere Waren aus Beständen der US-Army auf dem schwarzen Markt verhökerte. Später stieg er in Grundstücksspekulationen ein. 1950 war der damals 33jährige bereits Millionär. Binnen weniger Jahre wurde er einer der Großen der internationalen Finanzwelt und begründete ein Riesenimperium, das in das Geflecht der faschistischen Putschloge P2, der Mafia und der Vatikanbank IOR eingebunden war. Es entstand, schrieben die Publizisten Paolo Panerai und Maurizio De Luca in ihrem Buch "Der Zusammenbruch" (Mailand 1977), in Europa und in den USA ein Imperium ohnegleichen, mit Tausenden Verzweigungen in allen Wirtschaftsbereichen, von Banken über Finanzgesellschaften, Immobilienunternehmen und Elektronikkonzernen bis zu Textilbetrieben und großen Hotels, darunter das berüchtigte Watergate in Washington. "Sindona war Vertrauensmann des Vatikans und Teilhaber großer englischer und amerikanischer Banken (so der Hambros Bank von London und der Continental Illinois Bank von Chicago) und Beherrscher der italienischen Börse". Er beriet Richard Nixon in Geschäftsangelegenheiten und unterhielt beste Kontakte zum Weißen Haus, pflegte gute Beziehungen zur CIA und ins Pentagon.

In Italien gehörte Sindona bereits in der Zeit, da die CIA einen Putsch gegen die von dem linken Christdemokraten Aldo Moro 1963 mit den Sozialisten gebildete Regierung vorbereitete, dem Kreis der Hintermänner aus Wirtschaft und Diplomatie, CIA und Pentagon an. Zu seinen engsten Freunden zählten der Geheimdienstchef General Miceli, MSI-Führer Almirante und später P2-Chef Gelli, der ihn in die Loge aufnahm. Von Sindona selbst und über ihn flossen der faschistischen Bewegung und den putschbereiten Generälen stets große Geldbeträge zu. Noch ein Jahr vor seinem Bankrott gab Giulio Andreotti als Premier für Sindona im Dezember 1973 im New Yorker Hotel Waldorf Astoria ein prunkvolles Bankett, auf dem er ihn als "Retter der Lira" feierte. Der Club of Rom, der die Repräsentanten der Geschäftswelt aus 25 Ländern vereinte, verlieh ihm den Titel "Unternehmer 1973" und nannte ihn den hervorragendsten Vertreter des "freien Unternehmertums". USA-Botschafter John Volpe zeichnete ihn noch als "Mann des Jahres 1973" aus, der "einen wesentlichen Beitrag zur Festigung der Freundschaft und der Wirtschafsbeziehungen zwischen Italien und den USA" geleistet habe.

Die Sucht nach immer größeren Profiten und neuen Unternehmen, die Spekulationen mit schwindelerregenden Summen brachten dem so gefeierten Finanzmagnaten, der natürlich auch mächtige Widersacher hatte, 1974 den Zusammenbruch. Eine Rolle spielte dabei, dass Sindona zunehmend Mittelsmann und Interessenvertreter amerikanischer Kapitalkreise wurde, denen er behilflich war, die italienische Wirtschaft unter ihre Kontrolle zu bringen. So wollte er sich 1971 mit ausländischen Banken im Rücken in den Besitz der Finanzholding Bastogi, eines Kernstücks des italienischen Staatskapitals, bringen. Mit massiver Intervention, aber auch beträchtlichen finanziellen Verlusten, wehrte Italien diesen Angriff ab. Im Ergebnis der sich verschärfenden Konfrontation verschiedener Interessengruppen blieb Sindona schließlich auf der Strecke. Sein Sturz wurde im Herbst 1974 mit dem Bankrott von vier Großbanken, die ihm gehörten oder an denen er die maßgeblichen Anteile hielt, darunter die Franklin National Bank von New York, besiegelt.

Sindona floh in die USA, wo er später angeklagt und im Juni 1980 zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt, anschließend nach Italien ausgeliefert wurde. Hier wurde er u. a. wegen diverser Bilanzfälschungen, des Heroinhandels zwischen Italien und den USA in Höhe von 600 Millionen Dollar jährlich und der Anstiftung zum Mord angeklagt.

Hohe Vertreter der Politik (Ministerpräsident Andreotti), der Wirtschaft (Staatsbankpräsident Carli), und des Vatikans (Erzbischof und Chef der Vatikanbank Marcinkus) versuchten vergebens, ihn zu retten. Als Sindona drohte, "klingende Namen" zu nennen, wenn der Prozess gegen ihn nicht eingestellt werde, schlug die Mafia zu. Vier Tage nach der Verkündung der lebenslangen Haftstrafe am 18. März 1986 starb er in seiner Zelle an einer Überdosis Zyankali.

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Quelle:
© 2016 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 24. März 2016

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