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MEMORIAL/152: Vor 135 Jahren wurde der Grundstein für die "Partei der italienischen Arbeiter" gelegt (Gerhard Feldbauer)


Vor 135 Jahren wurde der Grundstein für die PSI gelegt

Darauf nahm Friedrich Engels persönlich Einfluss

Von Gerhard Feldbauer, 30. August 2016


Vor 135 Jahren (am 18. August 1881) wurde die revolutionäre Sozialistische Partei der Romagna gegründet. Im Mai 1882 entstand dann die Arbeiterpartei der Lombardei. Das waren die Marksteine, die 1892 zur Bildung der einheitlichen "Partei der italienischen Arbeiter" führten, die dann 1893 den Namen Partito Socialista Italiano (PSI) annahm.

Auf diesen Prozess hatten die Führer der Revolution von 1848/49, deren Anhänger in beträchtlicher Zahl zur Arbeiterbewegung stießen bzw. mit ihr sympathisierten, unterschiedlichen Einfluss genommen. Während Giuseppe Garibaldi, der General der Revolution, Marx' Inauguraladresse begrüßte und der Pariser Kommune öffentlich seine Sympathie bekundete, lehnte Mazzini die Internationale Arbeiterassoziation (IAA) ebenso wie die Kommune ab und trat für die Klassenzusammenarbeit der Arbeiterbewegung mit der Bourgeoisie ein. Gegen den "gott- und vaterlandslosen" Generalrat führte er einen unerbittlichen politischen Feldzug.

Dann hatte der russische Revolutionär und spätere Anarchist Michail Bakunin, der im Mai 1849 während des Dresdner Aufstandes der militärischer Führer war, zwischen 1867 und 1872 mit der Gründung von über 100 Sektionen der IAA mit 26.000 Mitgliedern die organisatorischen Grundlagen der italienischen Arbeiterbewegung gelegt. Der Bakunismus blieb auch nach dem Tod Bakunins am 1. Juli 1876 noch längere Zeit die politisch und organisatorisch vorherrschende Strömung in der italienischen Arbeiterbewegung. In ihr wie auch in Spanien beherrschten die Anhänger Bakunins "eine Zeit lang tatsächlich die Arbeiterbewegung", schrieb Engels, was die Verbreitung des Marxismus außerordentlich erschwerte (MEW, Bd. 19, S. 122). Auf die Auseinandersetzung mit dem Bakunismus wie mit dem Reformismus nahm Friedrich Engels, der seit 1871 die Funktion des Korrespondierenden Sekretärs des Generalrates für Italien wahrnahm, persönlich Einfluss, was eine Wende bewirkte.

Eine bedeutende Rolle bei der Wegbereitung der PSI spielten Antonio Labriola und Filippo Turati mit seiner Frau, der russischen Emigrantin Anna Kuliscioff (eigentlich Anna Rosenberg). Sie gaben die theoretische Zeitschrift "Critica Sociale" heraus. In der zweiten Hälfte der 80er Jahre erschienen in Italien dann Standartwerke des Marxismus wie "Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft" (1883), "Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates" (1885), der Erste Band des "Kapital" (1886) und das "Manifest der Kommunistischen Partei" (1889).

Das Parteiprogramm der PSI, das die Inbesitznahme der Produktionsmittel (Arbeitsmittel) durch die Arbeiter als Voraussetzung ihrer Befreiung forderte, trug grundsätzlich marxistischen Charakter. Turati ignorierte jedoch die Kritik von Marx am Gothaer Programm der deutschen Sozialdemokratie, was dazu führte, dass der Weg zur politischen Machtergreifung ausgeklammert wurde. Eine weitere Gefahrenquelle bildete das völlige Fehlen der Bündnisfrage. Unter der "herrschenden Klasse" wurde nur die Bourgeoisie verstanden; die Latifundisten mit keinem Wort erwähnt. Es fehlten ebenso spezifische Hinweise auf die unterdrückten Klassen und Schichten auf dem Lande. Engels hielt fest, dass die während der "nationalen Emanzipation" zur Macht gekommene Bourgeoisie ihren Sieg nicht vollendete und die "Reste der Feudalität" nicht vernichtete. Er sprach vom "arbeitenden Volk", zählte dazu ausdrücklich "Bauern, Handwerker, Land- und Industriearbeiter" und betonte, sie stünden "unter schwerem Druck, einerseits infolge überalterter Missstände, Hinterlassenschaften nicht nur der Feudalzeit, sondern sogar noch der Antike (Mezzadria, die Latifundien des Südens, wo das Vieh den Menschen verdrängt), andererseits infolge des raffgierigsten Steuersystems, das jemals ein Bourgeoisiesystem erdacht hat" (MEW, Bd. 22, S. 439 ff.). Die Fragen blieben bis Anfang der 20er Jahre ungelöst. Erst Antonio Gramsci gab in seiner Konzeption zur Lösung "der süditalienischen Frage" darauf eine Antwort.

Die Schwächen des Programms führten dazu, dass sich in der Partei ein linker revolutionärer Flügel und ein reformistischer herausbildeten. Auf dem Parteitag 1900 besetzten die Reformisten unter Turati mehrheitlich die Parteiführung. Nachdem von 1904 bis 1908 die Anarcho-Syndikalisten die Mehrheit im Parteivorstand innehatten, gelangten danach wieder die Reformisten an die Spitze. Die anarcho-syndikalistische Strömung fühlte sich mit ihren Führern Enrico Ferri und Arturo Labriola (nicht zu verwechseln mit Antonio Labriola) jedoch dem linken Flügel zugehörig. Nach Gramsci "bildete sie den instinktiven, elementaren, primitiven, aber gesunden Ausdruck des Widerstandes der Arbeiter gegen den Block mit der Bourgeoisie und für den Block mit den Bauern, in erster Linie mit den Bauern des Südens". Die Anarcho-Syndikalisten forderten den Generalstreik als politische Kampfform, verabsolutierten indessen seine Anwendung und verlangten, die Produktionsmittel den Gewerkschaften zu übergeben. Obwohl zur Partei gehörend, lehnten sie sowohl deren Funktion als Führer des Proletariats als auch dessen politische Machtergreifung ab. Ihr Ausschluss auf dem Parteitag 1908 in Florenz war unter den Linken umstritten. Eine Minderheit kehrte später in die PSI zurück.

Anfang des 20. Jahrhunderts rund 250.000 Mitglieder zählend, stieg die PSI 1906 zur drittstärksten Arbeiterpartei Europas auf. Bauernaufstände 1894 auf Sizilien und Barrikadenkämpfe in Mailand 1898 vermittelten lehrreiche Erfahrungen und stärkten die Kampfkraft. 1900 setzte die Partei im Ergebnis eines Generalstreiks in der Industrie- und Hafenstadt Genua das Streikrecht durch. 1906 entstand der Allgemeine Italienische Gewerkschaftsbund (Confederazione Generale del Lavoro), in dem sich rund 700 Einzelorganisationen mit 250.000 Mitgliedern zusammenschlossen.

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Quelle:
© 2016 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 31. August 2016

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