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MEMORIAL/201: Italien 1944 - Weichenstellung für Sieg über den Faschismus (Gerhard Feldbauer)


Vor 75 Jahren in Italien
Mit der "Wende von Salerno" wurden die Weichen für den Sieg über den Faschismus gestellt

Wäre eine solche Bündniskonstellation heute gegen die von der faschistischen Lega Salvinis dominierte Regierung möglich?

von Gerhard Feldbauer, 23. April 2019


Vor 75 Jahren wurden mit der "Wende von Salerno", dem Eintritt der Kommunisten (IKP) und der Sozialisten (ISP) in die Regierung des früheren Mussolini-Marschalls Pietro Badoglio im April 1944 die Weichen für den Sieg über das Besatzungsregime der Hitlerwehrmacht und ihre italienischen Vasallen gestellt. Unter welchen Bedingungen kam diese damals historisch einmalige Bündniskonstellation zustande?

Ein Jahr vorher, im Juli 1943, war angesichts eines drohenden antifaschistischen Volksaufstandes in einer von führenden Kreisen des Kapitals inszenierten Palastrevolte von Militärs und der Monarchie der "Duce" gestürzt worden. König Vittorio Emanuele III. hatte Badoglio beauftragt, eine Militärregierung zu bilden. Am 13. Oktober erklärte Italien Hitlerdeutschland den Krieg. Das Königshaus und die Regierung Badoglio bezogen jedoch keine antifaschistischen Positionen und strebten, unterstützt vom Vatikan, danach, ihre Machtpositionen für die Zeit nach Kriegsende zu konservieren. Die führenden Industriekreise, die den Sturz Mussolinis mitgetragen hatten, standen den Repräsentanten der Palastrevolte zur Seite.

Typisch dafür war die Haltung Giovanni Agnellis. Während der FIAT-Besitzer nach der Palastrevolte zu den im Süden gelandeten Amerikanern ging, schickte er seinen Generaldirektor Vittorio Valletta in das von der Wehrmacht besetzte Norditalien zur Konzernzentrale nach Turin. Dort hielt dieser für Hitlerdeutschland die Kriegsproduktion aufrecht, unterdrückte den Widerstand der Arbeiter dagegen und sorgte bis Kriegsende für höchstmögliche Profite. [1] Das hatte zur Folge, dass das Nationale Befreiungskomitee (CLN) Valletta auf die Liste der faschistischen Kriegsverbrecher setzte. Vor der Festnahme durch ein Kommando der Partisanenarmee retteten ihn im April 1945 amerikanische Offiziere.


Kommunisten und Sozialisten traten in die Regierung des früheren Mussolini-Marschalls Badoglio ein

Nach einer von IKP-Generalsekretär Palmiro Togliatti vorgelegten Konzeption traten am 24. April 1944 auf einer Kabinettssitzung in Salerno [2] die antifaschistischen Oppositionsparteien (Kommunisten, Sozialisten, Aktionisten, Christdemokraten und Liberale) in die Regierung Badoglio ein, die in dieser Zusammensetzung den Charakter einer "Regierung der nationalen Einheit" annahm und ein Bekenntnis zum Antifaschismus ablegte. Das Ereignis ging als "Wende von Salerno" in die Geschichte ein. Damit setzte Togliatti Antonio Gramscis antifaschistische Bündniskonzeption vom Bloco storico (Historischer Block) in die Praxis um. [3] Togliattis Konzeption stieß zunächst auf Widerspruch nicht nur bei den Sozialisten und Aktionisten, sondern auch in Teilen der IKP, die ein Bündnis mit der Monarchie ablehnten, die Mussolini nicht nur mit zur Macht verholfen, sondern auch über 20 Jahre zu den Trägern der faschistischen Diktatur gehört hatte. Ihre Zustimmung zu Togliattis Konzeption banden diese Kräfte schließlich an die Bedingung des sofortigen Rücktritts des Königs, der einen Verzicht auf die Monarchie und die Anerkennung der Republik einschließen sollte.

Luigi Longo begründete den Regierungseintritt wie folgt: "Wir haben Badoglio als antideutsche Kraft anerkannt, aber daraus keine politischen und organisatorischen Schlussfolgerungen gezogen. (...) Darüber hinaus haben wir ihn nur nach dem beurteilt, was er politisch und gesellschaftlich repräsentiert, nicht aber überlegt, was er an mobilisierenden Kräften vertritt (auch wenn sie noch nicht mobilisiert sind). Wir haben nur die politischen Unannehmlichkeiten einer Zusammenarbeit mit Badoglio gesehen, nicht aber die Schwäche eines nationalen Befreiungskrieges ohne die von ihm kontrollierten und beeinflussten Kräfte."

Die Republikaner, die im Herbst 1943 bereits einen Beitritt zum CLN abgelehnt hatten, traten nach der "Wende von Salerno" auch der Regierung der nationalen Einheit nicht bei. Sie begründeten das mit ihrer entschiedenen antimonarchistischen Haltung. Sie beteiligten sich jedoch am bewaffneten Kampf und stellten für die Partisanenarmee mehrere Brigaden auf.


UdSSR schuf günstige Bedingungen

Außenpolitisch war die "Wende von Salerno" durch die UdSSR begünstigt worden, die in einem Alleingang unter den Alliierten die Badoglio-Regierung am 13. März 1944 diplomatisch anerkannt hatte. Es war ein Schritt, der die italienische Regierung aufwertete und die Ziele der Alliierten, sie als besetztes Land zu behandeln und ihr den Status eines gleichberechtigten Mitglieds der Antihitlerkoalition zu verwehren, durchkreuzte.

Der zweite Schritt der "Wende von Salerno" erfolgte nach der Einnahme der Hauptstadt durch die Alliierten am 4. Juni 1944. Einer Forderung des CLN entsprechend musste der König abdanken. Als neuer Kompromiss wurde, auch das wiederum auf Initiative der IKP, die Ernennung von Kronprinz Umberto zum Statthalter vereinbart und die Entscheidung über die Staatsfrage durch ein Referendum nach Kriegsende vertagt. Gleichzeitig betonte die IKP ihren grundsätzlich antifaschistischen Standpunkt, nach dem die Nachkriegsordnung "die Liquidierung all dessen beinhalten" müsse, "was an reaktionären und faschistischen Kräften verbleibt". [4] Der späteren Haltung des Königshauses, es habe sich um keine Abdankung gehandelt und Umberto habe die Thronfolge angetreten, trat der renommierte Staatsrechtlers Enrico De Nicola, erster Präsident der Republik, entgegen: Es habe sich wohl um eine Abdankung gehandelt und die Statthalterschaft sei keine Inthronisierung des Kronprinzen gewesen. [5]

Zusammen mit der Abdankung des Königs wurde Badoglio zum Rücktritt gezwungen und der Liberale Ivanhoe Bonomi zum Ministerpräsidenten berufen. Seine Ernennung erfolgte durch das CLN, womit die bisherigen Rechte des Königs, darunter auch die generelle Funktion des Staatsoberhaupts, dem Statthalter verwehrt wurden. Die Alliierten akzeptierten diese erstmals geübte Praxis, nach der auch weiterhin verfahren wurde. Sie stimmten ebenso der Entscheidung der Regierung Bonomi zu, das CLN in Norditalien (CLNAI) in den noch besetzten Gebieten als Organ mit Regierungsvollmachten einzusetzen. Am 7. Dezember 1944 unterzeichneten General Maitland Wilson als Vertreter der Alliierten und Ferrucio Parri (PdA) und Giancarlo Pajetta (IKP) als Vertreter des CLN ein "Römisches Protokoll" über die Herstellung offizieller Beziehungen zwischen der Partisanenarmee und dem angloamerikanischen Kommando. Die Durchsetzung der Konzeption Togliattis führte insgesamt dazu, dass die IKP zur mehrheitlich anerkannten führenden Kraft der Resistenza und ihres Führungsorgans, des CLN wurde. [6]

Am 3. Juni 1944 entstand der einheitliche Gewerkschaftsbund Confederazione Generale Italiana del Lavoro (CGIL), in dem Kommunisten und Sozialisten die entscheidenden Positionen einnahmen. Damit scheiterte der Versuch der Angloamerikaner, die faschistischen Gewerkschaften in "Freie Gewerkschaften" umzuwandeln. Die CGIL leistete besonders in den besetzten Gebieten in der illegalen Betriebsarbeit einen wichtigen Beitrag zur Sabotage der Kriegsproduktion und im Frühjahr 1945 bei der Vorbereitung des Generalstreiks zum bewaffneten Aufstand.


Gestützt auf die Partisanenarmee

Bereits Anfang 1944 führten die Partisanen in den besetzten Gebieten Operationen durch, die 15 Divisionen der Wehrmacht banden. In den Westalpen und den Nordapenninen entstanden im Frühjahr 1944 zwei Partisanenrepubliken und danach zeitweise 15 befreite Gebiete, in denen die örtlichen Befreiungskomitees überwiegend mit Kommunisten und Sozialisten an der Spitze die Macht ausübten und antifaschistisch-demokratische Umgestaltungen einleiteten. Mit der "Wende von Salerno" erhielt der antifaschistische Widerstand den Charakter eines nationalen Befreiungskrieges gegen die deutschen Okkupanten. Die Partisanenarmee wuchs bis zum Ende des Kriegs auf 256.000 reguläre Kämpfer an. Die IKP stellte mit ihren Garibaldi-Brigaden davon 155.000 Mann und brachte mit 42.000 von insgesamt 70.000 Gefallenen auch die meisten Opfer. Mit den Kampfhandlungen, die sie in der Endphase des Krieges in ganz Norditalien führte, bewies sie ihre Fähigkeit zum Handeln als eine reguläre Armee, welche die Hauptkraft der Resistenza bildete. [7]


Heute völlig unterschiedliche Bedingungen

Wenn heute unter Mitte-Links erörtert wird, ob man an den Erfahrungen der "Wende von Salerno" bei der Formierung eines Bündnisses gegen die von der faschistischen Lega Salvinis dominierte Regierung anknüpfen könnte, dann werden die damals grundsätzlich unterschiedlichen Bedingungen übersehen. Werfen wir einen Blick auf die wesentlichsten Aspekte. Zunächst war das Bündnis von Salerno eine ausschließlich gegen die ausländische Besatzungsmacht und ihre Mussolini-Vasallen gerichtete Allianz. Dann gibt es heute - abgesehen von der in der Textil- und Modebranche (5.000 Filialen) angesiedelten Benetton Gruppe, die La Repubblica, Sprachrohr der Demokratischen Partei (PD), herausgibt - keine nennenswerten Vertreter des Kapitals, die gegen diese Regierung sind.

Dann waren die führende Kraft der antifaschistischen Massenbewegung die Kommunisten (IKP), die im Aktionseinheitsbündnis mit den Sozialisten (ISP) die Einheitsregierung dominierten. Ihre entscheidende Basis war die Partisanenarmee, in der sie die Mehrheit der Kämpfer stellten. Kaum zu erwähnen, dass die Kommunisten heute - nachdem die Reformisten 1989/90 die IKP beseitigt haben - in der Bedeutungslosigkeit versunken und obendrein in drei kleine Parteien gespalten sind. Nicht viel besser geht es der ebenso zersplitterten und zerstrittenen Linken bis hin zur Mitte, die zu den anstehenden EU-Wahlen am 26. Mai noch nicht einmal eine gemeinsame Liste zustande bringt.

Den einzigen Hoffnungsschimmer sieht die PD darin, dass es gelingt, nach den EU-Wahlen das Bündnis der Lega mit der rechten Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) aufzubrechen und die M5S oder wenigstens Teile von ihr in die Opposition zu ziehen. Die Folge dürfte sein, dass Lega-Chef Salvini, wenn seine Partei die stärkste Italiens wird, mit den Faschisten der Forza Italia (FI) Berlusconis und denen der Brüder Italiens (FdI) eine Regierung bildet. Eine antifaschistische Allianz dagegen ist derzeit nicht in Sicht.


Fußnoten:

[1] Marcella e Maurizio Ferrera: Cronache di Vita Italiana 1944-1958, Rom, S. 125.

[2] Salerno war bis zur Einnahme von Rom Sitz der Badoglio-Regierung.

[3] Problemi di Storia del Partito Comunista Italiano, Rom 1971, S. 29.

[4] "La Nostra Lotta", 5/6, März 1944.

[5] Giorgio Candeloro: Storia del Italia moderno, Mailand 1995, Bd. 10, S. 234 ff.

[6] Pietro Secchia/Filippo Frassati: Storia della Resistenza, Rom 1965, S. 860 ff.

[7] Secchia/Frassati, passim.

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Quelle:
© 2019 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 24. April 2019

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