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NEUZEIT/156: Südkorea 1950 - Washingtons O.K. zum Massenmord (jW)


junge Welt - Die Tageszeitung - Ausgabe vom 07.07.2008

Washingtons O.K. zum Massenmord
Mindestens hunderttausend gefangene Kommunisten
und Sympathisanten 1950 in Südkorea erschossen

Von Rainer Rupp


Zuerst sei der US-amerikanische Oberst Rollins S. Emmerich "aufgewühlt" gewesen und habe versucht, die Aktion hinauszuzögern. Dann aber habe er seinen südkoreanischen Offizierskollegen "die Erlaubnis gegeben", 3500 politische Gefangene mit Maschinengewehren niederzumähen, damit die vorrückenden Truppen des kommunistischen Nordkoreas sie nicht befreien könnten. Das geht aus jüngst entdeckten US-Dokumenten in den einst geheimen Archiven Washingtons hervor, berichtete die Nachrichtenagentur AP am Wochenende. "In nur wenigen Wochen im Sommer 1950 haben amerikanische Offiziere Massenexekutionen, die von ihren südkoreanischen Verbündeten durchgeführt wurden, beobachtet, fotografiert und vertraulich kommentiert. Bei diesen Massenmorden sind 100000 oder mehr politisch linksgerichtete Menschen und verdächtige Sympathisanten ohne Anklage oder Richterspruch umgebracht worden", so AP weiter.

Nach der 1947 durch die USA erzwungenen Teilung des Landes und der Einsetzung des Marionettenregimes unter Diktator Syngman Rhee hatte es in der Bevölkerung des Südens starke Sympathien für das sich im Aufbau befindende sozialistische Projekt im Norden gegeben. Mit US-amerikanischem O.K. ging das Regime mit großer Brutalität gegen alle Linken im Land vor. Die Repression fand ihren Höhepunkt unmittelbar nach Kriegsbeginn 1950 und die Gefängnisse und Lager füllten sich mit Hunderttausenden von Linken, von denen vor dem Hintergrund der vorrückenden nordkoreanerischen Soldaten viele ermordet wurden. Im Dezember 2005 wurde nach südafrikanischem Vorbild eine Wahrheits- und Versöhnungskommission eingesetzt, die verbrecherische Taten in der Vergangenheit des Landes aufklären soll. Allerdings durchkämmen derzeit auch Historiker im Auftrag von AP die US-Archive, und sie sind offensichtlich fündig geworden, insbesondere was die amerikanische Mitschuld an den Verbrechen betrifft.

Noch Mitte Mai hatte AP in einer ersten Veröffentlichung so getan, als seien die US-Amerikaner nur widerwillige Zuschauer dieser Massaker gewesen. Washington habe nichts davon gewußt, und die USA hätten sich wegen der Souveränität Südkoreas ohnehin nicht in die "inneren Angelegenheiten" des Landes einmischen können (jW vom 22.5.2007). Aber der jetzt aufgefundene, von Oberst Emmerich geschriebene Bericht beweist das Gegenteil, daß nämlich die US-Berater ihren südkoreanischen Marionetten in der Regel grünes Licht für die Massaker gegeben haben, bzw., daß diese ohne US-Zustimmung gar nicht hätten stattfinden können.

"Das Wichtigste ist, daß sie (die Amerikaner) die Exekutionen nicht gestoppt haben. Sie waren am Ort der Verbrechen, machten Fotos und schrieben Berichte", hält denn auch der koreanische Historiker Jung Byung-joon fest, der u.a. das Massaker von Daejeon im Juli 1950 untersucht. Vor den Toren dieser Stadt hatten südkoreanisches Militär und Polizei bis zu 7000 ihrer Mitbürger erschossen. Die 57 Jahre alte Koh Chung-ryol, deren Vater damals bei Daejeon ermordet wurde, macht als Vertreterin der Hinterbliebenen auch die Amerikaner für diese Verbrechen verantwortlich. Zu Recht, denn laut AP zeigen die Dokumente, daß "die höchsten Stellen in Pentagon und Außenministerium in Washington" über die Massenexekutionen informiert waren, aber nichts taten, um sie zu stoppen. Statt dessen habe man die Berichte mit dem Vermerk "streng geheim" in den Archiven verschwinden lassen.


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Quelle:
junge Welt vom 07.07.2008
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Juli 2008