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NEUZEIT/162: Zweifelnde Fragen zu Srebrenica (guernica)


guernica Nr. 3/2008, Juni/Juli 2008
Zeitung für Frieden & Solidarität, Neutralität und EU-Opposition

Zweifelnde Fragen zu Srebrenica

Im Falle Srebrenica kennt man meist nur das Ende der Geschichte, nicht aber die Ereignisse, die dazu geführt haben. Kurt Köpruner stellt zweifelnde Fragen zu Srebrenica.


Was verbindet sich bei unseren Zeitgenossen mit Srebrenica? Es ist der Name einer ost-bosnischen Kleinstadt, der zum Symbol des brutalsten Verbrechens in Europa seit Ende des 2. Weltkrieges geworden ist: Auf Befehl des allgemein so bezeichneten Massenmörders Slobodan Milosevic, ausgeführt von blutrünstigen Tschetniks, die ihr Großserbien erzwingen wollten; Srebrenica als Synonym für einen Genozid an Muslimen mit Tausenden Opfern.

Aber: Im Falle Srebrenica kennt man meist nur das Ende der Geschichte, nicht aber die Ereignisse, die dazu geführt haben. Im Juli 1995 war es zum sog. Massaker von Srebrenica gekommen, das sicher den unmenschlichen Tiefstpunkt einer fatalen Fehlentwicklung des Vielvölkerstaats Jugoslawien in den frühen 90er Jahren markiert hat. In zahllosen Büchern und Artikeln ist diese Entwicklung so beschrieben worden: Ein großer Teil der Jugoslawen - insbesondere Slowenen, Kroaten und Albaner, später auch die bosnischen Muslime - hätten sich vom Zentralstaat Jugoslawien trennen und unabhängige Staaten gründen wollen. Das aber, so der Medien-Tenor speziell im deutschsprachigen Raum, habe den Serben missfallen, die in Jugoslawien (angeblich) das Sagen hatten und alle Privilegien genossen. Als die Serben erkannt hätten, dass das Freiheitsstreben der von ihnen jahrzehntelang unterdrückten Völker so angewachsen und dass Jugoslawien nicht zu halten war, seien sie mit brutalster militärischer Gewalt darangegangen zu retten, was zu retten war: Sie hätten versucht, aus Kroatien und Bosnien große Teile herauszureißen, um ihr schon lange ersehntes Groß-Serbien zu errichten, was den Tod Hunderttausender bedeutet und Millionen Unschuldige zur Flucht gezwungen habe.


Schwächen der offiziellen Argumentation

Die eindeutige Zuordnung der Rollen von Tätern und Opfern, von Gut und Böse, war bald unhinterfragbar geworden. Schon auf den ersten Blick zeigt sich aber, dass in der Argumentation wichtige Fakten ignoriert werden: Sind nicht auch mehr als eine Million Serben geflohen? Vor wem? War nicht der erste Tote im Bosnienkrieg ein Serbe? Wurde nicht das erste Massaker im März 1992, also bereits Wochen vor Kriegsbeginn, in Sijekovac von bosnischen Muslimen an Serben verübt? Hat nicht gerade der vom Westen lange hofierte Ultranationalist Franjo Tudjman behauptet, Bosnien sei historisch Teil Kroatiens, und die Bosnier seien eigentlich Kroaten? Und waren es nicht die USA und Deutschland, die Tudjman unter Missachtung des UNO-Waffenembargos aufgerüstet und ihm dadurch erst die größte ethnische Säuberungsaktion in Ex-Jugoslawien ermöglicht haben? Nur schon das ehrliche Antworten auf so lapidare Fragen, deren Zahl sich beliebig vermehren ließe, müsste die gängige Vorstellung von Gut und Böse in diesem Kontext nachhaltig erschüttern.


Mord-Trophäen

Dringt man noch tiefer in die Materie, wird es noch komplizierter. Im Januar 1994, eineinhalb Jahre vor dem Massaker in Srebrenica, hatte der muslimische Militärkommandant der Stadt, Naser Oric, zwei Journalisten in sein komfortables Appartement eingeladen: John Pomfret von der Washington Post und Bill Schiller vom Toronto Star. Oric brüstete sich vor seinen Gästen buchstäblich, ein Massenmörder zu sein, und zeigte ihnen stolz seine Mord-Trophäen. Am 16. Februar 1994 berichtete John Pomfret in der Washington Post: "Naser Oric's Kriegstrophäen ... sind auf Video zu sehen: niedergebrannte serbische Häuser und geköpfte serbische Männer, ihre Körper daneben auf jämmerlichen Haufen. In der Nacht mussten wir es mit kalten Waffen machen, erläutert Oric Szenen mit toten Männern, die mit Messern zerstückelt worden waren. Gemütlich auf seiner Couch zurückgelehnt, mit einem Sticker der US-Armee auf der Brust, bietet er ganz das Bild eines Löwen in seiner Höhle. Kein Zweifel: Dieser Muslim-Kommandant ist der zäheste Kerl in der vom UN-Sicherheitsrat zur UN-Schutzzone erklärten Stadt. Solange ich in Srebrenica bin, erklärt Oric, wird es niemals serbisch sein."

Und Bill Schiller schrieb am 16. Juli 1995 - kurz nach dem Massaker - im Toronto Star: "Oric ist ein fürchterlicher Mann, und er ist stolz darauf ... An einem kalten und verschneiten Tag im Januar 1994 saß ich in seinem Heim im von den Serbien eingeschlossenen Srebrenica und betrachtete die schockierende Videoversion von dem, was man als Naser Oric's größte Hits bezeichnen könnte. Man sah brennende Häuser, tote Körper, abgetrennte Köpfe und flüchtende Menschen. Oric grinste die ganze Zeit voller Bewunderung für sein Werk. 'Wir erwischten sie in einem Hinterhalt', erklärte er, als eine Anzahl toter Serben auf dem Bildschirm erschienen. Die nächste Einstellung zeigte von Sprengstoff zerfetzte Leichen. 'Wir haben diese Burschen auf den Mond geschossen!', prahlte er. Als eine zerschossene Geisterstadt zu sehen war aber keine Leichen, verkündete Oric eilig: 'Dort haben wir 114 Serben getötet!' Danach sah man auf dem Video Sänger; die ein Loblied auf ihn anstimmten."

Im April 1993 übergab die serbische Staatskommission für Kriegsverbrechen dem UNO-Sicherheitsrat ein 132 Seiten langes Memorandum über Kriegsverbrechen und Genozid in Ostbosnien, begangen an der serbischen Bevölkerung in den Ortschaften Bratunac, Skelani und Srebrenica von April 1992 bis April 1993. Darin ist eine penible Aufstellung über moslemische Massaker in den genannten Gemeinden enthalten, ergänzt durch eine Liste mit den Namen von ca. 3.000 serbischen Opfern. Zahlreiche Zeugenaussagen und Namen muslimischer Täter. Der Sicherheitsrat akzeptierte das Memorandum als offizielles UNO-Dokument. In den Medien jedoch wurde so gut wie nie darüber berichtet - und die UNO unternahm nichts. Passte das Dokument nicht ins offizielle Bild von Tätern und Opfern?

Dass es sich bei diesem Memorandum nicht um serbische Propaganda handelt, wird durch zahllose Fakten und neutrale Beobachter bestätigt. So beschreibt der erste Oberkommandant der UNO-Friedenstruppe in Bosnien, der kanadische Generalmajor Lewis McKenzie, die moslemischen Verbrechen im Gebiet Srebrenica wie folgt: "Mit Hilfe von Außen begannen sie (die bosnischen Muslime) den sicheren Hafen (die UNO-Schutzzone Srebrenica) mit Tausenden von Kämpfern und Waffen zu infiltrieren. Als die bosnischen muslimischen Kämpfer besser ausgerüstet und trainiert waren, wagten sie sich aus Srebrenica hinaus und begannen, serbische Dörfer niederzubrennen und die Bewohner zu töten, um sich dann schnell wieder zurückzuziehen: in die sicheren Häfen der UNO. Diese Angriffe erreichten 1994 ihren Höhepunkt und dauerten auch Anfang 1995 noch an, nachdem die kanadische Infanteriekompanie nach einem Jahr durch ein größeres holländisches Kontingent ersetzt worden war."

Und der französische General Philippe Morillon, McKenzies Nachfolger als Chef der UNO-Friedenstruppe in Bosnien, sagte am 12. Februar 2004 vor dem Haager Tribunal gegen Slobodan Milosevic aus: "Nasir Oric überfiel und zerstörte während der Weihnachtstage orthodoxe Dörfer und massakrierte alle Einwohner. Das führte zu außerordentlichem Hass in der Region."


Massaker in Srebrenica: serbische Rache für bosnische Massaker?

Warum ist das serbische Massaker von Srebrenica weltweit bekannt, kaum aber die von Muslimen an Serben begangenen Massaker? Zumal diese ja dem serbischen Srebrenica-Massaker vorangegangen sind, sich über drei Jahre fortsetzten (April 1992 bis Frühjahr 1995) und das serbische Massaker als Racheakt erscheinen lassen. Natürlich bleibt auch ein aus Rache begangener Mord ein Mord, aber er stellt sich doch in anderem Licht dar als ein völlig kaltblütiger Mord.

Man könnte nun einwenden, die hohe Zahl der UNO-amtlich bestätigten 7000-8000 beim serbischen Massaker Getöteten mache den Unterschied aus: Doch auch hier ist Vorsicht geboten. Das Neederlands Instituut voor Oorlog(Kriegs-)documentatie (NIOD) hat im April 2002 den Bericht "Srebrenica - Een veilig gebied" (Ein sicheres Gebiet) veröffentlicht, das Resultat jahrelanger Recherchen sozusagen aus erster Hand: Denn damals befanden sich niederländische Blauhelme in Srebrenica. Das Institut hielt sich mit Angaben zur Zahl der Opfer zurück, was Kritik sogar Protestdemonstrationen der Bosnier und ein bis heute währendes Misstrauen auslöste. In und um Srebrenica wurden im Auftrag des Haager Tribunals im Zuge einer jahrelangen Suchaktion mit Satellitenunterstützung knapp über 2.000 Leichen geborgen. Doch konnte nicht geklärt werden, wie viele davon Massaker-Tote und wie viele andere Kriegstote - und wie viele darunter ermordete Serben waren; das alles relativiert natürlich die Zahl 2.000.

Verwunderlich ist auch eine merkwürdige Veränderung von Zahlen: während die amtlich ermittelte Zahl der Kriegstoten in Bosnien in der internationalen Publizistik von Jahr zu Jahr sinkt (von anfänglich 300.000 auf nunmehr rund 100.000), steigt die Zahl der Toten von Srebrenica in Artikeln und Berichten laufend: zuletzt 11.000. Solche statistischen Manipulationen sind ein gefährliches Spiel, da sie leicht als bewusste Übertreibung von Leid und Unglück erscheinen und die Glaubwürdigkeit der Kriegsberichterstattung insgesamt erschüttern.

Fazit: Vom 13. zum 17. Juli 1995 haben die serbischen Eroberer von Srebrenica eine große Anzahl Muslime ermordet. Die Bezeichnung "Massaker von Srebrenica" ist fraglos berechtigt. Daran ändert sich auch dadurch nichts, dass vor dem Massaker alle Frauen und Kinder unverletzt in Bussen fortgeschickt worden sind. Und es ändert sich auch nichts daran, wenn man festhält, dass die am häufigsten genannte Zahl (7.000 bis 8.000 Getötete) vermutlich um die Hälfte überhöht ist.


"Staatsräson"

Weitere Fragen zu Srebrenica stellen sich: etwa die, warum Naser Oric, der oben erwähnte muslimische Verteidiger von Srebrenica, nach kurzer Haft in Den Haag, wo er für ganze sieben Morde angeklagt wurde, heute ein freier Man ist. Oder die, warum es den serbischen Verbänden im Juli 1995 so plötzlich gelang, die Stadt praktisch kampflos einzunehmen. Drei Jahre lang hatten sie Srebrenica vergeblich belagert - und konnten es nun praktisch ohne Gegenwehr im Handstreich einnehmen. Was umso mehr verwundert, da die bosnisch-serbischen Truppen bekanntlich im Sommer 1995 faktisch am Ende ihrer Kräfte waren und sich fast überall auf dem Rückzug befanden.

Die Antwort ist kein Geheimnis: Naser Oric hatte sich mit seinen Kämpfern über Nacht aus der Stadt zurückgezogen und die muslimische Bevölkerung schutzlos zurückgelassen. Er (und jeder andere im Ort) wusste, dass sich wegen der vorangegangenen Massaker der Muslime in den serbischen Belagerern eine ungeheuere Wut aufgestaut hatte. Der Abzug der Oric-Truppe aus Srebrenica bedeutete praktisch grünes Licht für die vorhersehbare Rache und sollte möglicherweise die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit gezielt auf serbische Untaten lenken.

Der französische General Morillon meinte Jahre später zu dieser fürchterlichen Vermutung vor dem französischen Parlament: "Mladic (der bosnisch-serbische Kommandant) war in Srebrenica in einen Hinterhalt, ja in eine Falle geraten. Er rechnete mit Widerstand, aber es gab keinen. Dass es ein Massaker geben würde, erwartete er sicher nicht. Aber er hatte das Ausmaß des aufgestauten Hasses völlig unterschätzt. Ich glaube nicht, dass er die Massaker angeordnet hat, aber ich weiß es nicht. ... Ich war überzeugt, dass die Menschen in Srebrenica Opfer eines höheren Interesses, einer Staatsräson waren... Dieses Drama ist letztlich Alija Izetbegovic (dem muslimischen Präsidenten Bosniens) zuzuschreiben. Nasir Oric gehorchte der Präsidentschaft in Sarajevo."

Diese Aussage Morillons wurde am 12. Februar 2004 in die Akten des Haager Tibunals aufgenommen. Aber ein solches Ausmaß an Menschenverachtung übersteigt wohl das Vorstellungsvermögen der meisten Menschen.


Kurt Köpruner ist Unternehmer aus Österreich, leitet seit Jahren eine Maschinenfabrik in Bosnien. Autor des in mehreren Sprachen übersetzen Buches "Reisen in das Land der Kriege. Erlebnisse eines Fremden in Jugoslawien." Erstveröffentlichung dieses Beitrags in der Schweizerischen Kirchenzeitschrift "Glaube in der zweiten Welt" "G2W", 1/2008


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NATO-Intervention ab 5.000 Massakierten

Im Srebrenica-Untersuchungsbericht der französischen Nationalversammlung vom November 2001 findet sich ein brisanter Hinweis auf eine lange geplante Provozierung oder Inszenierung der Ereignisse in Srebrenica. Demnach hat UNO-Generalsekretär Kofi Annan am 15. November 1999 "ein internes Treffen der bosniakischen (muslimischen) Führung vom 28. und 29. November 1993 erwähnt, auf dem Präsident Izetbegovic erklärt habe, er habe in Erfahrung gebracht, dass eine Intervention der NATO in Bosnien-Herzegowina möglich sei, aber nur stattfinden könne, wenn die Serben gewaltsam in Srebrenica eindrängen und dort mindestens 5.000 Personen massakrierten."

(zitiert nach Balkans-Info, Paris, Nr. 63)


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Quelle:
guernica Nr. 3/2008, Juni/Juli 2008, Seite 10
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. September 2008