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NEUZEIT/172: Am 1. November 1968 mußten die USA ein Fiasko in Vietnam eingestehen (jW)


junge Welt - Die Tageszeitung - Ausgabe vom 1. November 2008

Am 1. November 1968 mußten die USA ein Fiasko in Vietnam eingestehen

Von Gerhard Feldbauer


Den Luftkrieg hatten die USA am 5. August 1964 unter Bruch der Haager Landkriegsordnung ohne Kriegserklärung und damit völkerrechtswidrig begonnen. 64 Jagdbomber griffen Kriegsschiffe der Demokratische Republik Vietnam (DRV), Ortschaften im Golf von Tongking und zivile wie militärische Objekte in Nordvietnam an. Die Luftaggression wurde in den folgenden Monaten auf das gesamte Gebiet der DRV zu einem mörderischen Bombenkrieg ausgeweitet. Im Sommer 1965 flogen bereits 4000 Flugzeuge monatlich 12000 bis 15000 Angriffe. Es handelte sich um Vergeltungsaktionen für die Niederlagen, welche die Befreiungskämpfer den USA in Südvietnam zugefügt hatten. Strategisches Ziel war es, den Krieg von Südvietnam zunächst mittels der Luftangriffe auf Nordvietnam auszudehnen und das ganze Land der neokolonialen Herrschaft Washingtons zu unterwerfen.

Mit meiner Frau und Fotoreporterin Irene arbeitete ich seit Juli 1967 als Korrespondent in Nordvietnam. Unzählige Male wurden wir Augenzeugen dieses barbarischen Luftkrieges, der Zerstörung von Wohnvierteln, Krankenhäusern, Schulen und Betrieben, Kirchen und Pagoden, Straßen und Brücken, Bewässerungsanlagen der Reisfelder. 30 Städte Nordvietnams wurden buchstäblich dem Erdboden gleichgemacht. Wir sahen blutbefleckte Kleider, zerfetzte Schulbücher, Krankenbetten, die aus Trümmern ragten, verstümmelte Menschen, unzählige Tote, Opfer der Zivilbevölkerung, vor allem immer wieder Frauen, Kinder, alte Menschen. Ein Leid, das man kaum beschreiben konnte.


McCain vom Himmel geholt

Als Vorwand der Luftaggression diente den USA der von Präsident Lyndon B. Johnson persönlich inszenierte »Zwischenfall von Tongking«. Gemäß diesem Szenario okkupierten Einheiten der Saigoner Marionettenarmee am 30. Juli die zur DRV gehörenden Inseln Hon Me und Hon Nieu im Golf von Tongking. Zur Absicherung des Aggressionsaktes drangen der US-Zerstörer »Maddox« und später die »Turner Joy« bis in die Hoheitsgewässer der DRV ein, wo es zum Zusammenstoß mit nordvietnamesischen Torpedobooten kam. Als ein Untersuchungsbericht des US-Senats im Januar 1968 die ungeheuerliche Provokation enthüllte, wurde das zu einem Faktor, der Präsident Johnson zur Einstellung des Luftkrieges gegen die DRV zwang.

Ein weiterer Aspekt war die katastrophale militärische Niederlage, welche die USA im Luftkrieg erlitten. Nach Beginn der Aggression rüstete die Sowjetunion die Volksarmee der DRV mit den zu dieser Zeit modernsten Luftabwehrsystemen, darunter Raketen und radargesteuerte Rohrflak, sowie MiG-Jägern aus. Bis zum 1. November 1968 konnten so über der DRV 3243 Düsenbomber des Aggressors abgeschossen werden. Allein im Gebiet von Hanoi holte die Luftabwehr 256 Flugzeuge vom Himmel, darunter übrigens am 26. Oktober 1967 den heutigen republikanischen Präsidentschaftskandidaten, Kapitän John Sydney McCain, in seiner A-4 »Skyhawk«. Der am 16. September 1965 abgeschossene Oberst Robinson Risner, ein Flieger-As aus dem Koreakrieg, gab an, daß bei einem Angriff seines Geschwaders von 18 »Thunderchief« fünf getroffen wurden. Im Herbst 1967 erklärte Oberst Robin Olds, der über der DRV im Einsatz war, vor der Presse in Washington, die Luftabwehr Nordvietnams habe sich »enorm verstärkt, sowohl durch Flakfeuer als auch MiGs und Boden-Luft-Raketen«. Zu letzteren gestand er ausdrücklich ein, »es sind furchterregende Raketen, wenn Sie es wissen wollen«. Bereits am 3. April 1965 kam es, wie die Nachrichtenagentur AP schrieb, über der legendären Ham-Rong-Brücke bei Than Hoa 150 Kilometer südlich von Hanoi »zur ersten Feindberührung mit der nordvietnamesischen Luftwaffe, bei der die Amerikaner eine Schlappe erlitten«. Die in der UdSSR ausgebildeten Piloten in den MiG 21, so hieß es in weiteren Presseberichten, griffen mit hohem taktischen Geschick unerschrocken an und schossen zwölf Jagdbomber ab. Zuletzt litt die US-amerikanische Luftwaffe sogar unter Pilotenmangel.


Ertrotzte Friedensgespräche

Am 1. Februar 1968 begannen die Kampfhandlungen der wochenlang anhaltenden Tet-Offensive der Befreiungskämpfer in Südvietnam, welche die über eine halbe Million Mann starken Bodentruppen der USA und ihre 700000 Soldaten zählende Saigoner Marionettenarmee in 20 US-Stützpunkten, über 40 Provinz- und Kreisstädten und Hunderten Ortschaften angriffen und ihnen schwere Verluste zufügten. Westliche Presseberichte räumten ein, daß Kampfhandlungen dieses Ausmaßes nur mit Unterstützung der Bevölkerung möglich waren (siehe junge Welt vom 2./3.2.2008). Die Mondneujahrsoffensive offenbarte, daß es durch den mörderischen Luftkrieg gegen die DRV nicht gelungen war, die Unterstützung aus dem Norden für den seit über zehn Jahren im Süden gegen die USA geführten Befreiungskampf zu brechen.

Ein weiterer Faktor war der wachsende Druck der weltweiten Friedensbewegung und der Öffentlichkeit auf Washington, seinen völkerrechtswidrigen Luftkrieg einzustellen und einer Friedenslösung in Vietnam zuzustimmen. Selbst NATO-Mitglied Frankreich spielte unter Präsident Charles de Gaule eine beträchtliche Rolle in den internationalen Bemühungen zur Beendigung des US-Krieges. Unter diesem Druck mußte Washington am 13. Mai 1968 der Aufnahme von Friedensgesprächen in Paris zustimmen, die zunächst zwischen Vertretern der USA und Nordvietnams begannen. Die DRV stellte als Bedingung, die Luftangriffe auf Nordvietnam einzustellen und die gleichberechtigte Teilnahme der FNL, der Befreiungsbewegung. Im Gegenzug akzeptierte sie die Saigoner Regierung am Verhandlungstisch. Gleichzeitig wies Hanoi die US-Forderungen nach Einstellung der Unterstützung des südvietnamesischen Befreiungskampfs zurück und forderte, alle US- und Satellitentruppen aus Südvietnam abzuziehen und die Bevölkerung Südvietnams ihre eigenen Angelegenheiten ohne fremde Einmischung selbst regeln zu lassen. Nachdem Präsident Johnson zunächst nur die Einstellung der Luftangriffe nördlich des 19. Breitengrades, der Demarkationslinie zwischen Süd- und Nordvietnam, erklärt hatte, mußte er am 1. November 1968 die Beendigung des Luftkrieges gegen ganz Nordvietnam bekanntgeben.

Der Befreiungskampf ging weiter. Die USA sabotierten die 1973 in Paris geschlossenen Friedensvereinbarungen. Im April 1975 scheiterte der US-Imperialismus aber auch in Südvietnam. Sozialismus und nationale Befreiungsbewegung fügten ihm die bis dahin schwerste Niederlage bei.


Literatur:
Irene und Gerhard Feldbauer: Sieg in Saigon - Erinnerungen an Vietnam.
Pahl Rugenstein, Köln 2005, 237 Seiten, 19,90 Euro


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Quelle:
junge Welt vom 01.11.2008
mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Redaktion
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. November 2008