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ZWEITER WELTKRIEG/022: Ausstellung "Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg" in Kapstadt eröffnet (afrika süd)


afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 3, Mai/Juni 2017

Historische Perspektivwechsel auf zwei Kontinenten
Kölner Ausstellung "Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg" in Kapstadt eröffnet. Ein Beitrag zur aktuellen Diskussion über die "Entkolonialisierung der Bildung" in Südafrika.

von Christa Aretz


Wenn in Erzählungen über die Jagd immer die Jäger über die Löwen triumphieren, dann deshalb, weil die Jäger und nicht die Löwen die Geschichten erzählen. So lautet ein afrikanisches Sprichwort, das sich auch auf die Historiographie übertragen lässt. Auch die Geschichtsschreibung wird von denen geprägt, die über die Macht und die Mittel dazu verfügen. In kolonialen Zeiten waren dies die Kolonialherren, weshalb es in postkolonialen Gesellschaften wichtig ist, Geschichtsschreibung zu entkolonialisieren und einen Perspektivwechsel vorzunehmen.

So lautete der Tenor der Reden, als am 28. Februar 2017 die vom Kölner Verein "recherche international" erarbeitete Ausstellung "Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg" erstmals in einer englischsprachigen Version im Castle of Good Hope in Kapstadt eröffnet wurde.

Das von der Niederländischen Ostindien-Kompanie VOC 1666 erbaute und bis heute militärisch genutzte mächtige Fort ist das älteste von Weißen als Bauherrn in Auftrag gegebene Gebäude des Landes und schon deshalb ein passender Ort für die Ausstellungspräsentation, weil hier ein Teil der insgesamt 335.000 südafrikanischen Männer und Frauen für Einsätze im Zweiten Weltkrieg rekrutiert wurden. Doch ihre Kriegsdienste sind in der gängigen Geschichtsschreibung ebenso weitgehend vergessen wie die von Millionen anderen aus Afrika, Asien, Ozeanien und Südamerika.

Die nun in Kapstadt eröffnete Ausstellung, die in Deutschland und der Schweiz bereits an sechzig Orten zu sehen war, erinnert mit Zeitzeugenberichten, Text- und Bildtafeln, Hörstationen mit Originalaufnahmen und Videos an die "vergessenen Befreier" Europas und an den Preis, den sie für den Kampf gegen den Faschismus zahlen mussten: Weite Teile der Dritten Welt dienten als Schlachtfelder und blieben nach Kriegsende verwüstet und vermint zurück. Auf allen Kontinenten wurden Rohstoffe für die Rüstungsindustrien der kriegführenden Mächte ausgeplündert und allein in Afrika mussten Hunderttausende dafür Zwangsarbeit leisten. Insgesamt gab es in der Dritten Welt mehr Tote im Zweiten Weltkrieg als in Deutschland, Italien und Japan zusammen.

Die in Europa weitgehend vergessenen Folgen des Zweiten Weltkriegs sind für die Dritte Welt in den betroffenen Ländern selbst sehr präsent und teilweise bereits erstaunlich systematisch aufgearbeitet. So gibt es z.B. in nahezu jeder größeren afrikanischen Stadt ein Haus, in dem sich Veteranen aus den Kolonialarmeen treffen. In den ehemals französischen Kolonien heißen diese Treffpunkte "Maison d'anciens combattants", hier in Südafrika heißen sie "Ex-Servicemen's Clubs". Darin berichteten Zeitzeugen den Ausstellungsmachern bereitwillig von ihren Kriegserlebnissen und baten ausdrücklich darum, diese endlich auch in den Ländern, die den Krieg verschuldet und geführt haben, bekannt zu machen.

Auch einheimische Historiker aus den jeweiligen Ländern wurden zu Rate gezogen, so z.B. Joseph Ki-Zerbo aus Burkina Faso, er bezeichnete den Zweiten Weltkrieg als "größten historischen Einschnitt für Afrika seit dem Sklavenhandel". Dennoch kamen die Opfer aus in den Statistiken der Toten des Zweiten Weltkriegs nicht vor.

Am 1. September 1939 begann der Zweite Weltkrieg lediglich in Europa, in Afrika herrschte bereits seit dem italienischen Überfall auf Äthiopien im Oktober 1935 Krieg. 250.000 Soldaten Haue Selassis und 500.000 Partisanen stellten sich dem italienischen Angriff auf Äthiopien entgegen. Es war ein Krieg, in dem bis zur italienischen Kapitulation im Jahre 1941 Soldaten aus 17 Ländern und vier Kontinenten teilnahmen, der aber wohl deshalb nicht als Weltkrieg firmiert, weil er nicht in Europa stattfand, sondern in Afrika, und weil die Mehrheit der Kämpfenden Schwarze und Kolonisierte und nicht Weiße waren.

Wichtig ist auch: Etwa eine Millionen Afrikaner zogen unter französischem Kommando in den Krieg, eine weitere Million unter britischen Befehlshabern. 60.000 Südafrikaner kämpften zum Beispiel 1941 in Nordafrika gegen deutsch-italienische Truppen. Dabei kam es zu folgender, bezeichnender Begebenheit, die auf einer Ausstellungstafel dokumentiert ist:

"Am 21. November beteiligte sich die fünfte Brigade des ,Cape Corps' an einer verlustreichen Schlacht mit deutschen Panzerverbänden und Kampfflugzeugen. Dabei gerieten 3.000 Südafrikaner in deutsche Kriegsgefangenschaft und 224 kamen um.

Die Überlebenden bestatteten die Toten Seite an Seite in einem Massengrab. Aber das südafrikanische Oberkommando ließ die Leichen wenig später exhumieren und erneut begraben - nach Hautfarben getrennt. Die Apartheid wurde zwar erst 1948 zur offiziellen Staatsdoktrin in Südafrika. In den Streitkräften galt jedoch schon während des Zweiten Weltkriegs strikte "Rassentrennung".


Denis Goldbergs historische Spurensuche

Seit ANC-Veteran Denis Goldberg diese Ausstellung vor sechs Jahren erstmals in Deutschland gesehen hat, verfolgte er die Idee, sie auch in Südafrika zu präsentieren. Denn sie gebe, wie er nun in seiner Eröffnungsrede vor mehr als 100 Besuchern in Kapstadt erklärte, "Menschen in Afrika und anderswo, die für die Befreiung der Welt von Naziterror und Faschismus gekämpft haben, ihre Würde zurück." Für Denis Goldberg passt die Ausstellungspräsentation zu der an südafrikanischen Universitäten aktuell geführten Diskussion um eine "Entkolonialisierung der Bildung": "Viele reden darüber, wir präsentieren mit der Ausstellung ein Beispiel für entkolonialisierte Geschichtsschreibung."

Gerade für ein Land wie Südafrika, das erst vor zwei Jahrzehnten das rassistische Regime der Apartheid habe abschütteln können, sei es notwendig, sich der Beiträge bewusst zu werden, die Afrikaner und Afrikanerinnen zur globalen Geschichte der Menschheit beigetragen hätten. Deshalb soll die Ausstellung auch in anderen südafrikanischen Städten gezeigt werden - Anschlusstermine im Freedom Park von Pretoria (ab Juli 2017) und im Holocaust & Genocide Centre in Johannesburg (ab Januar 2018) stehen bereist fest.

Für diese Ausstellungstournee hat Denis Goldberg auch ergänzende historische Informationen über die Rolle Südafrikas im Zweiten Weltkrieg zusammengestellt. Sie erinnern u.a. an die Diskriminierung schwarzer Kriegsteilnehmer, die schlechter bezahlt und ausgerüstet wurden als weiße Soldaten, keine Waffen bedienen und lediglich Hilfsdienste etwa als Träger und Fahrer leisten durften.

Als Kampfgefährte Nelson Mandelas hat Denis Goldberg selbst Geschichte geschrieben und musste dafür 22 Jahre Haft in Pretoria ertragen, bis er 1985 endlich entlassen wurde und im Londoner Exil weiter für die Abschaffung der Apartheid kämpfen konnte. Die Anerkennung, die er dafür heute in Südafrika genießt, zeigte sich an der großen Zahl der geladenen Gäste bei der Ausstellungseröffnung in Kapstadt, die im großen Innenhof des alten Kolonialgebäudes unter freiem Himmel stattfand. So waren unter den Besuchern ehemalige Untergrundkämpfer des ANC, die inzwischen hohe Positionen in den südafrikanischen Streitkräften einnehmen, Politiker und Museumsdirektoren, diplomatische Vertreter, Künstler, Journalisten und Fotografen, die zur Zeit der Apartheid für legendäre Zeitschriften wie "Drum" gearbeitet haben.

Zum Einstieg traten Dutzende Kinder und Jugendliche der "Kronendal Music Academy" auf, einer Musikschule, die Denis Goldberg in seinem Wohnort Hout Bay mitgegründet hat. Sie boten ein jazziges Medley aus Liedern des südafrikanischen Befreiungskampfes und Beethovens "Ode an die Freude" als Ausdruck der Hoffnung auf Überwindung der rassistischen Spaltung der Gesellschaft und eine bessere Zukunft.


Perspektivwechsel von Militärchefs

Calvyn Gilfellan, Direktor des Militärmuseums im Castle of Good Hope, betonte, wie wichtig es sei, gerade an einem Ort, der "das Zeitalter des Kolonialismus und Imperialismus repräsentiere", andere Sichtweisen auf die Geschichte zu bieten. Deshalb sei auch die Einrichtung eines anti-kolonialen Dokumentationszentrums im Castle of Good Hope in der Diskussion.

Mit Colonel de Castro, Oberst der südafrikanischen Luftwaffe und Kommandant der Air Base in Kapstadt, plädierte auch ein hochrangiger Militär für ein Umdenken und einen anderen Umgang mit Geschichte. Das Militär steuerte historische Gegenstände für die südafrikanische Abteilung der Ausstellung bei, so zum Beispiel ein Armeefahrrad des Typs, mit dem Kriegsheimkehrer abgespeist wurden, denen Rentenzahlungen für ihre Kriegsdienste verwehrt blieben.

Für die Initiatoren von recherche international erklärte der aus Köln angereiste Kurator Karl Rössel, dass es eine große Auszeichnung und die Erfüllung eines lange gehegten Wunschs sei, die Ausstellung endlich auch in einem der Länder vorstellen zu können, in dem die Recherchen für dieses Projekt vor mehr als 20 Jahren begannen. Schließlich sei ein globales Geschichtsverständnis auch für die Entwicklung eines solidarischen Miteinanders in der Gegenwart von zentraler Bedeutung. Vor dem Hintergrund, dass Hunderttausende Afrikaner für die Befreiung Europas vom Faschismus gekämpft hätten, sei es "beschämend, mit welcher Hysterie das reiche Europa heutzutage auf die Ankunft afrikanischer Flüchtlinge an seinen Grenzen reagiere". Selbst die Kinder und Enkel der Afrikaner, die für Europas Freiheit ihr Leben ließen, erhielten heute kein Visum mehr, um die Gräber ihrer Vorfahren auf europäischen Friedhöfen zu besuchen. Historische Ignoranz dieser Art zu überwinden und das Bewusstsein für die Verantwortung der Industrienationen zu fördern, die ganze Kontinente durch Kolonialismus und Krieg verwüstet haben, sei deshalb ein hoch aktuelles Ziel der Ausstellungspräsentation, ob in Deutschland, Südafrika oder anderswo.

Für Tina Jerman von der EXILE-Kulturkoordination in Essen, die sich mit um Fördergelder für die englischsprachige Ausstellungsversion für Südafrika bemüht hat, ist dieses Projekt ein Beispiel für gelungenen Kulturaustausch. Denn nachdem seit der Zeit der Anti-Apartheid-Bewegung viele Ausstellungen und Gäste aus Südafrika in Deutschland vorgestellt wurden, werde nun erstmals ein Projekt nach Kapstadt vermittelt, das Aspekte der Zeitgeschichte zur Diskussion stelle, die für beide Länder von großer Bedeutung seien.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

[1] Soldaten aus Südafrika üben Einsatz unter Giftgas. Foto: Department of Defence Documentation Centre, Pretoria

[2] Musterung in Südafrika. Foto: Department of Defence Documentation Centre, Pretoria

[3] Rekrutierung von Freiwilligen für das Cape Corps, 1940. Foto: Department of Defence Documentation Centre, Pretoria

[4] Afrikanische Soldaten in der britischen Kolonialarmee. Foto: Imperial War Museum, London

[5] Ausstellungspublikum in Kapstadt. Foto: Christa Aretz / Filminitiativ Köln



Die Autorin arbeitet für FilmInitiativ Köln e.V.

www.3www2.de (Wanderausstellung Englische Version)

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Quelle:
afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
46. Jahrgang, Nr. 3, Mai/Juni 2017, S. 13-15
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Juli 2017

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