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DILJA/053: Tschechischen Widerstand gegen Naziterror kriminalisieren? (SB)


Tschechischen Widerstand gegen Naziterror kriminalisieren?


Vor 44 Jahren starb mit Reinhard Heydrich der wohl ranghöchste Funktionär des NS-Regimes, der je dem Anschlag einer Widerstandsbewegung zum Opfer gefallen ist. Heydrich galt seit 1934 als die rechte Hand Heinrich Himmlers, des Reichsführers der SS, und zeichnet somit nicht minder verantwortlich für den Terror der Geheimen Staatspolizei (Gestapo), für Konzentrationslager, den Massenmord an Andersdenkenden und Juden. Heydrich galt als die treibende Kraft bei dem von der "Reichsführung SS" entfesselten Terror gegen jeden, den diese der Gegnerschaft zum Regime auch nur verdächtigten. Im März 1942 wurde Heydrich "Stellvertretender Reichsprotektor" im "Protektorat Böhmen und Mähren", wie die vom damaligen deutschen Reich seit dem 15. März 1939 besetzte "Rest-Tschechei" genannt wurde.

Tschechische Widerstandskämpfer verübten am 27. Mai 1942 in Prag ein Attentat auf Heydrich, dessen Folgen dieser wenig später erlag. Die SS nahm grausame Rache. Sie fiel in das kleine tschechische Dorf Lidice ein und zerstörte es. 1930 hatten in diesem Dorf 446 Menschen gelebt. Als Vergeltungsmaßnahme für das Attentat auf Heydrich wurden alle Männer von der SS erschossen, Frauen und Kinder wurden in Konzentrationslager verschleppt. Dies war allerdings keineswegs ein Einzelfall. Nach dem am 22. Juni 1941 begonnenen Überfall auf die Sowjetunion ("Operation Barbarossa") stellten sich den deutschen Angreifern mehr und mehr Partisanenverbände entgegen. Schon zwei Wochen später erließ das Oberkommando der Wehrmacht den später berüchtigten "Kommissar"- Befehl, in dem den Truppen auch die Ermordung von Zivilisten befohlen wurde:

Insbesondere ist von den politischen Kommissaren aller Art als den eigentlichen Trägern des Widerstandes, eine haßerfüllte, grausame und unmenschliche Behandlung unserer Gefangenen zu erwarten. ... Gegen diese muß daher sofort und ohne weiteres mit aller Schärfe vorgegangen werden. Sie sind daher, wenn im Kampf oder Widerstand ergriffen, grundsätzlich sofort mit der Waffe zu erledigen.

Allein in den besetzten Gebieten der Sowjetunion sollen im Frühjahr 1942 1,5 Millionen Partisanen und Helfer im Widerstand gestanden und Angriffe vorzugsweise auf Nachschub- und Transportwege der deutschen Besatzer durchgeführt haben. Ein weiterer Befehl lautete, daß für jeden getöteten Deutschen 100 "kommunistische Geiseln" umgebracht werden sollten. Dieser 100:1- Befehl wurde strikt eingehalten, Wehrmacht und SS gingen in dieser Weise gegen die Bevölkerungen in den von ihnen besetzten Ländern vor. Allein in Weißrußland sollen 350.000 Zivilisten getötet worden sein, worin die Zahl der ermordeten Juden noch nicht einmal enthalten ist.

Vor diesem historischen Hintergrund erscheint es kaum vorstellbar, daß im heutigen Deutschland namhafte, von der Mehrheitsgesellschaft durchaus tolerierte Politiker öffentlich die Forderung erheben, in der heutigen Tschechischen Republik sollten Handlungen des damaligen Widerstands gegen die Nazi- Besatzer unter Strafe gestellt werden. Eben dies ist am Pfingstsonntag auf dem diesjährigen "Sudetendeutschen Tag", dem "Nürnberger Pfingsttreffen der Sudetendeutschen Landsmannschaft", geschehen, ohne daß das offizielle Berlin oder führende Konzernmedien darüber auch nur ein kritisches Wort verloren hätten. Die deutschen Revisionistenverbände, die sich alljährlich versammeln, um die ihrer Meinung nach an den Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg verübten Verbrechen gesühnt und gewürdigt zu sehen, stellen seit eh und je ein Sammelbecken "Vertriebener" und ihrer Nachfahren dar, mit dem es sich ob ihrer zahlenmäßigen und somit wahlrelevanten Stärke - der Bund der Vertriebenen (BdV) umfaßt mit 21 Landsmannschaften, 16 Landesverbänden und vier angeschlossenen Organisationen rund zwei Millionen Mitglieder - keine der bundesdeutschen Großparteien je verscherzen wollte.

So zumindest lautet der allgemein anerkannte Begründungszusammenhang, der wohl in erster Linie dem Zweck geschuldet ist, die Interessenübereinstimmungen zwischen offiziellen Funktionsträgern der Bundesrepublik Deutschland und den "Ewiggestrigen" nicht allzu offenkundig werden zu lassen. Seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland hat nicht eine amtierende Bundesregierung den Schadenersatz- und Gebietsansprüchen der sogenannten "Sudetendeutschen" (in der Tschechoslowakei bzw. der späteren Tschechischen Republik) eine klare Absage erteilt. Nicht von ungefähr nehmen in der Tschechischen Republik, aber auch in Polen Ängste vor Deutschland und namentlich vor Forderungen aus Deutschland auf Rückgabe vermeintlich "deutschen" Bodens und Eigentums zu.

Doch damit nicht genug. Nimmt man die Tonlage, mit der auf den "Vertriebenen"-Treffen gegen die osteuropäischen Nachbarländer Deutschlands, die damals vom Deutschen Reich überfallen, besetzt, ausgeplündert und malträtiert wurden, polemisiert wird, zum Maßstab, ist in den zurückliegenden Jahren eine Verschärfung unübersehbar, die Hand in Hand zu gehen scheint mit der 1999 mit dem NATO-Krieg gegen Jugoslawien endgültig vollzogenen Rückkehr Deutschlands in die Riege kriegführender Staaten.

Der bayrische Ministerpräsident Edmund Stoiber, ohnehin eng liiert mit den Vertriebenenverbänden, vollzog diese Verschärfung als Hauptredner des diesjährigen Pfingsttreffens eindrücklich mit. An die konservativen Sieger der jüngsten Parlamentswahlen in der Tschechischen Republik gerichtet erhob er die Forderung, tschechische Widerstandskämpfer gegen die damaligen NS-Besatzer nachträglich zu bestrafen. Zu bestrafen? Wegen Widerstandshandlungen gegen Wehrmacht und SS? Also auch wegen des am 27. Mai 1942 geglückten Attentats auf Heydrich? In der Tschechoslowakei war am 8. Mai 1946 wie in vielen ehemals von Nazi-Deutschland besetzten Ländern ein Straffreistellungsgesetz erlassen worden, durch das Widerstandshandlungen gegen die NS- Besatzung von Strafe ausgenommen worden waren.

Sollte die neue tschechische Regierung dieser Forderung, die Stoiber damit zu begründen wagt, daß auch im Kampf gegen die deutschen Besatzer "Straftaten" begangen worden seien, tatsächlich nachkommen, was keineswegs gänzlich ausgeschlossen werden kann, würde mit einem Schlag der gesamte, gegen Hitler- Deutschland damals aktive tschechische Widerstand diskreditiert, ins Unrecht gesetzt und potentiell, sollte es noch Überlebende geben, sogar kriminalisiert werden. Damit würde nicht nur die tschechische Bevölkerung, so deren Regierung sich ausgerechnet auf Druck aus Deutschland hin dazu bringen ließe, den damaligen nationalen Befreiungskampf gegen die NS-Besatzung zu verunglimpfen, schwer beleidigt werden. Damit würde in einer unausweichlichen, weil logischen Folge das Nazi-Regime aufgewertet und dessen Verbrechen relativiert und bagatellisiert werden bis hin zu der den einst antifaschistischen Gründungsmythos der Bundesrepublik auflösenden Nullaussage, "Verbrechen" seien eben auf beiden Seiten verübt worden.

Bemerkenswert ist die Stoiber'sche Äußerung auch deshalb, weil der bayrische Ministerpräsident im Sommer vergangenen Jahres noch so tat, als wäre er bereit, den tschechischen Widerstandskämpfern Respekt zu zollen. Er hieß den damaligen Vorschlag des tschechischen Ministerpräsidenten, Jirí Paroubek, gut, die deutschen Antifaschisten, die gegen die deutschen Besatzer bei der Zerschlagung der Tschechoslowakei in den Jahren 1938 und 1939 Widerstand geleistet hatten, zu würdigen und symbolisch zu entschädigen. Dieser taktisch begründeten Haltung Stoibers schloß sich im vergangenen Jahr auch Bernd Posselt, der Vorsitzende des Sudetendeutschen Landsmannschaft, an. Beide mögen geglaubt haben, daß dies ein kluger Schachzug wäre, um gegen den tschechischen Staat im weiteren Verlauf doch noch Schadenersatzforderungen der sogenannten "Sudetendeutschen" durchzusetzen.

Dabei vertritt Paroubek eine Position, die Stoiber und Posselt sich ganz gewiß nicht zu eigen gemacht haben. Paroubek vertritt den auch von tschechischen Sozialisten und Kommunisten bezogenen Standpunkt, daß die im übrigen vom Potsdamer Abkommen gedeckte Aussiedlung der Sudetendeutschen nach dem Krieg aus den zuvor von Deutschland besetzten Gebieten nicht per se nach deren Nationalität, sondern nach deren faschistischer Betätigung erfolgt sei. Eben dies streiten Stoiber und Posselt vehement ab. Sie versuchen nun, die damalige Aussiedlung Deutscher als "Völkermord" hinzustellen. Auf dem diesjährigen Sudetentag in Nürnberg behauptete Posselt, die "Vertreibung" sei ein "durchkalkulierter, durchgeplanter Vorgang" gewesen und habe darauf abgezielt, einen "ethnisch homogenen Nationalstaat zu errichten". Das Treffen wurde unter das Motto "Vertreibung ist Völkermord" gestellt. Völkermord - der strafrechtlich nicht verjähren würde - deshalb, weil es der Versuch gewesen sei, "eine ethnische Gruppe" - nämlich die Sudetendeutschen - "durch Beraubung ihrer Lebensgrundlagen zu zerstören".

Dummerweise ist die von den revisionistischen Kräften aufgebaute Argumentation in sich brüchig. Wo Posselt darauf abstellt zu behaupten, die damalige Aussiedlung sei ethnisch begründet und deshalb ein Völkermord gewesen, fordert Stoiber hingegen, daß den Umgesiedelten, die damals als Profiteure und Kollaborateure der NS-Besatzer ausgebürgert worden seien, "die volle Würde als Bürger Böhmens" zurückgegeben werden müsse. Deutsche, die nicht mit den Nazis kollaboriert hatten, konnten nach dem Krieg ohne Probleme in der Tschechoslowakei bleiben und, so sie dies wollten, deren Staatsangehörigkeit annehmen. Die Behauptung, die erste Nachkriegsregierung in der Tschechoslowakei unter Präsident Benes, durch dessen Dekrete die im Potsdamer Abkommen völkerrechtlich begründete Ausweisung und Enteignung der mit dem Hitler-Regime kooperierenden Sudetendeutschen vollzogen worden war, sei nationalistisch und rassistisch gewesen, weil sie einen ethnisch reinen Staat habe errichten wollen, entbehrt jeder historischen Grundlage.

Die damalige Tschechoslowakei (CSR) war 1918 aus dem auseinanderbrechenden Österreich-Ungarn als ein Vielvölkerstaat entstanden, in dem neben 6,5 Millionen Tschechen auch 3,25 Millionen Deutsche, 3 Millionen Slawen und Angehörige weiterer Volksgruppen lebten. Vor 1938 fühlten sich die Tschechen- Deutschen keineswegs als verfolgte Minderheit, sie stellten in der Prager Regierung sogar Minister und verhielten sich im großen und ganzen loyal gegenüber dem tschechoslowakischen Staat. Die Sudetendeutsche Partei (SdP) Konrad Henleins, die eine stärke Unabhängigkeit der deutschen Volksgruppe von der Prager Zentralregierung zu fordern begann, stand ab 1935 unter massiven Einfluß der deutschen Regierung unter Hitler und wurde massiv von dieser unterstützt. Nach einer Unterredung Henleins am 28. März 1938 in Berlin mit Hitler, Ribbentrop und Heß wurde die SdP zur schlagkräftigen Waffe des deutschen Reiches.

Hitler gab Henlein für dessen Unterredung am 12. Mai 1938 in London den Rat mit auf den Weg: "Leugnen Sie ab, daß Sie auf Weisung aus Berlin handeln. Geben Sie den Briten zu verstehen, daß der Führer lediglich Gerechtigkeit für seine Volksgenossen in der CSR wünscht." Der Boden zur Annexion der Tschechoslowakei wurde mit Hilfe Henleins geebnet. Die Briten müssen schon zu jener Zeit die Absicht verfolgt haben, Hitler keine ernsthaften Schwierigkeiten zu bereiten, und ganz offensichtlich dachte auf der Insel niemand daran, die der Tschechoslowakei gegebene Garantieerklärung einzulösen. Als Hitler am 16. März 1939 in Prag das von der Wehrmacht in der Nacht zuvor besetzte Böhmen und Mähren zum "Reichsprotektorat" erklärte, sandten die vermeintlichen Garantiemächte England und Frankreich Protestnoten; im übrigen zeigte man sich in London intern sehr erleichtert darüber, daß der Staat, dessen Souveränität man zu schützen versprochen hatte, zu existieren aufgehört hatte, eben weil er von Hitler zerschlagen worden war.

Das Münchner Abkommen, das zwischen Hitler, dem damaligen britischen Premierminister Neville Chamberlain, dem französischen Präsidenten Daladier und Mussolini am 29. September 1938 angeblich zur Lösung der tschechischen Frage verabschiedet worden war, erwies sich für die Tschechoslowakei, die in München nicht einmal am Verhandlungstisch zugegen sein durfte, als totales Fiasko. Gebietsabtretungen an Deutschland waren ihr von den vier Mächten aufgezwungen worden. Im Gegenzug für die angeblich dem Erhalt des Friedens gewidmeten Winkelzüge Chamberlains, die bis heute als Appeasement-Politik schöngeredet werden, erhielt die Tschechoslowakei ein Schutzversprechen der Westmächte, das sich nicht einmal ein Jahr später als Hinhaltemanöver erwies. Hitler gab sich mit den der Tschechoslowakei aufgezwungenen Gebietsabtretungen nicht zufrieden. Die Tschechoslowakei sollte ihre Verteidigungsfähigkeit einbüßen, wie einer Anordnung Hitlers vom 21. Oktober 1938 zu entnehmen ist, in der es hieß, daß der "Tschechei selbst jede Möglichkeit planmäßiger Gegenwehr genommen wird".

Selbstverständlich stand all dies im Kontext weiterer Kriegsplanungen, wie auch die Gebietsabtretungen, durch die die CSR 80 Prozent der Braunkohle- und 66 Prozent ihrer Steinkohleförderung verloren hatte, der Aufrüstung der deutschen Wehrmacht gedient hatten. Die deutsch-freundliche Prager Regierung muß geglaubt haben, sich in dieser wenn auch massiv geschwächten Verfassung stabilisieren zu können. Doch Hitlers Pläne waren andere, das gesamte Gebiet der Tschechoslowakei wurde zum alleinigen Interessengebiet Deutschlands erklärt, in das sich niemand, auch London nicht, einzumischen habe. Die Prager Vasallenregierung verfolgte einen unterwürfigen Kurs, es kam zu einer regelrechten Faschisierung in der Tschechoslowakei, was Hitler jedoch nicht im geringsten von seinen Plänen abbrachte.

Und die sahen eine vollständige Annexion des Landes vor. Nachdem sich der Landesteil Slowakei auf deutschen Druck hin am 14. März 1939 abgespalten hatte und Hitler ungarische Truppen ermuntert hatte, die Karpatenukraine zu besetzen, bestand der einstige Vielvölkerstaat Tschechoslowakei nur noch aus den tschechischen Ländern. Die sogenannte Selbständigkeitserklärung des slowakischen Parlaments vom 14. März 1939 beruhte auf der Drohung Hitlers, die Slowakei andernfalls zwischen Ungarn und Polen aufzuteilen. Die Slowakei würde nur dann unter deutschem "Schutz" stehen, wenn sie sich gegenüber der Tschechoslowakei für unabhängig erklärte - was dann auch geschah. Die Prager Regierung erkannte die Gefahr, die in der Abspaltung und Faschisierung der Slowakei lag, doch den Truppen, die sie schließlch in diesen Landesteil entsandte, lieferten die vom Deutschen Reich beeinflußten Separatisten bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen, die dann als Vorwand ausgegeben wurden für den Einmarsch der deutschen Wehrmacht, die behauptete, die Lage befrieden zu wollen.

Nach der erfolgreich von Deutschland erzwungenen Abspaltung der Slowakei bestellte Hitler Emil Hácha, den Staatspräsidenten der geschrumpften, von Hitler als "Rest-Tschechei" bezeichneten Tschechoslowakei, zu sich und eröffnete diesem, daß die Wehrmacht um sechs Uhr früh des kommenden Tages in die Tschechei einrücken würde. Hitler forderte von Hácha die völlige Preisgabe des tschechischen Staates und erklärte, daß die Tschechen, so sie keinen Widerstand leisten würden, vielleicht "ein großzügiges Eigenleben, eine nationale Autonomie und gewisse nationale Freiheiten" erhalten würden. Hácha, ein alter, kranker Mann, verweigerte zunächst die Unterzeichnung der ihm abverlangten Kapitulationserklärung. Er wurde massiv unter Druck gesetzt, Göring drohte mit der Bombardierung Prags. Hácha erlitt einen Herzanfall und unterschrieb, nachdem ihn Hitlers Leibärzte behandelt hatten, schließlich doch das verlangte Schriftstück und forderte seine Landsleute auf, keinen Widerstand zu leisten.

Es waren dies die Worte eines schwer gezeichneten Mannes, dessen Widerstand so gewaltsam gebrochen worden war, wie es nun mit der Bevölkerung eines ganzen Landes geschehen sollte. Nach der "Beseitigung" der Rest-Tschechei - vom 15. März 1939 an nannten die deutschen Besatzer die tschechischen Länder "Protektorat Böhmen und Mähren" - setzte eine Massenverfolgung ein. Juden, Kommunisten, antifaschistische Emigranten wurden verfolgt, die Wirtschaft ausgeplündert. Schon von der nach dem Münchner Abkommen gegenüber dem Deutschen Reich absolut kooperationswilligen Regierung Rudolf Berans waren kommunistische, sozialistische und demokratische Zeitungen und Organisationen verboten worden. Anhänger Eduard Benes', der nach dem Krieg als erster Präsident der Tschechoslowakei in Erscheinung trat, waren aus der Verwaltung entlassen worden.

1938 hatten sich 98,9 Prozent der Sudetendeutschen für die Umwandlung der tschechischen Grenzgebiete in den "Reichsgau Sudetenland" entschieden, womit die Zerschlagung und Annexion der Tschechoslowakei ihren Anfang genommen hatte. Die Sudetendeutschen wurden somit - keineswegs gegen ihren mehrheitlichen Willen - Staatsbürger Hitler-Deutschlands. Nach Auffassung Stoibers und der "Vertriebenen"-Szene wurden diese Menschen nach Kriegsende Opfer eines "Völkermordes", der mittels der vom neuen Staatspräsidenten Benes unterzeichneten Dekrete, die am 28. März 1946 vom tschechoslowakischen Parlament bestätigt worden waren, enteignet und ausgebürgert worden waren. Wenn dies ein "Verbrechen" darstellen soll, was ist dann die gewaltsame Vereinnahmung und Zerschlagung eines ganzen Staates und seiner Menschen, die diesem vorausgingen?

Gegenwärtig steht allerdings zu befürchten, daß mit der Delegitimierung des tschechischen Widerstands gegen das NS- Regime, wie von Stoiber propagiert, nicht nur die Geschichte des deutschen Faschismus schöngeschrieben, sondern daß sie im Kern dem Vergessen überantwortet werden soll unter dem Banner eines Antikommunismus, der keineswegs mit der Sowjetunion und ihren Anrainerstaaten erloschen ist - ein Antikommunismus, der seine volle Virulenz gerade dann entfachen kann, wenn ihm kein nennenswerter Widerstand (mehr) entgegensteht.

In den kerneuropäischen Staaten wie Deutschland scheint der Wind mittlerweile so weit von rechts zu wehen, daß Hitler, der Zweite Weltkrieg, Holocaust und Naziterror läßliche Sünden sind, die, wie der deutsche Papst unlängst ausgerechnet in Auschwitz behauptete, nur von einigen wenigen Verbrechern zu verantworten seien, die das deutsche Volk mißbraucht hätten. Auf der anderen Seite scheint es von höchster Wichtigkeit zu sein, die Geschichte des Widerstandes gegen Gewaltherrschaft, Terror und Krieg, wie er in der Tschechoslowakei, aber auch in vielen anderen, vom damaligen Deutschen Reich okkupierten Ländern in Erscheinung getreten ist, zu diskreditieren, wenn nicht gar zu verteufeln - womöglich aus der nicht unbegründeten Angst der heute Regierenden heraus, daß ihre Form der modernen Kriegführung früher oder später auf einen nicht minder entschlossenen Widerstand betroffener und beteiligter Bevölkerungen stoßen könnte.

Erstveröffentlichung am 8. Juni 2006

20. Januar 2007