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DILJA/054: OSZE, scharfes Schwert kalter Krieger - Wie alles anfing (SB)


OSZE, scharfes Schwert kalter Krieger (Teil 1)


Wie alles anfing

Beim Auftakt des Ministerratstreffen der "Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa" (OSZE) kreuzten unlängst Außenpolitiker der beiden Großmächte des sogenannten Kalten Krieges, also der USA und Rußlands als Nachfolgestaat der Sowjetunion, verbal die Klingen. Der russische Außenminister Sergej Lawrow warf der OSZE vor, sich in den 56 Mitgliedsländern fast nur noch um Menschenrechte und Demokratie zu kümmern. Scharf kritisierte Rußland das "Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte" (ODIHR) der OSZE, forderte eine "Entpolitisierung" der Berichte der in osteuropäische Länder ausgesandten Wahlbeobachter und stellte die Frage, warum diese nicht auch in westlichen Ländern eingesetzt werden.

Nicholas Burns, Staatssekretär im US-Außenministerium, wies die Kritik zurück. Die Wahlbeobachter der OSZE seien seiner Meinung nach "Kronjuwelen unserer Organisation", und in offener Brüskierung der von Moskau vorgebrachten Kritik insbesondere am "Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte" forderte er zusätzliche Gelder und Unterstützung für die OSZE- Institution. Von der westlichen Presse und Öffentlichkeit wurde der diplomatische Disput der beiden ehemaligen Großmächte des nach vorherrschender Geschichtsschreibung längst beendeten, weil mit dem Niedergang der Sowjetunion angeblich gegenstandslos gewordenen Kalten Krieges kaum zur Kenntnis genommen, und schon gar nicht wurde die von der russischen Seite aufgeworfene Frage, warum die OSZE-Wahlbeobachter nur in Staaten aus dem Einflußbereich des ehemaligen Sowjetsystems, nicht jedoch in den dem Westen zuzurechnenden Ländern eingesetzt werden, auch nur des Versuchs einer Beantwortung für wert befunden.

Dabei hätte es der OSZE auf ihrem Ministerratstreffen schon allein deshalb gut zu Gesicht gestanden, die von einem ihrer Mitglieder aufgeworfene Frage ernstzunehmen und die vorgebrachte Kritik in einen offenen Diskussionsprozeß überzuleiten, in dem Anspruch und Wirklichkeit dieser Organisation auf den Prüfstand gestellt werden, weil andernfalls allzu leicht der Eindruck entstehen könnte, hier handele es sich um ein aus der Sturmzeit des Kalten Krieges stammendes Instrumentarium, das nach wie vor zu anderen Zwecken als den vorgeblichen zum Einsatz gebracht wird.

Wer heute ein Nachschlagewerk aufschlägt, um in Erfahrung zu bringen, welchen politischen und historischen Stellenwert die OSZE eigentlich einnimmt, wird mit Fakten konfrontiert, die ohne eine bewertende Einordnung in ihren weltpolitischen Kontext unbefriedigend bleiben müssen. So führt der "Fischer Weltalmanach 2006" zur "Gründung" der OSZE lediglich an, daß diese am 1. August 1975 mit der Schlußakte der "Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa" (KSZE) von Helsinki von den 35 teilnehmenden Staaten ins Leben gerufen wurde. Auf einer Folgekonferenz - 1992, ebenfalls in Helsinki - gab sich die KSZE dann Strukturen und Institutionen einer Organisation, der "Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa" (OSZE), in die sich die KSZE auf einer weiteren Konferenz 1994 in Budapest (Ungarn) mit Wirkung ab dem 1. Januar 1995 umbenannte. Als Ziele der OSZE wurden definiert: "Stabilität und Sicherheit in ganz Europa; engere Zusammenarbeit in den Bereichen Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur und Umweltschutz; Schaffung einer `europäischen Sicherheitsstruktur für das 21. Jahrhundert'" - und zwar "durch gesamteuropäische Abrüstungsmaßnahmen und Gespräche über vertrauensbildende Maßnahmen und Konfliktverhütung".

Abrüstung - Vertrauensbildende Maßnahmen - Konfliktverhütung?? Schon dieses Vokabular klingt heute antiquiert. EU-Europa befindet sich in einem Prozeß der Militarisierung wie nie zuvor. Aufrüstung ist in aller Munde, sogar im Bereich nuklearer Waffen, wie Britannien und Frankreich mit ihrer Ankündigung, ihre Atomwaffenarsenale auffrischen zu wollen, jüngst unter Beweis stellten. Keine Frage, die definierten Ziele der OSZE spiegeln noch voll und ganz den Geist des Kalten Krieges wider, wobei sie allerdings in dem Ruch stehen, mit ihrer vorgehaltenen Friedfertigkeit und signalisierten Kooperationsbereitschaft die tatsächlichen Absichten des westlichen Blockes und seines militärischen Flügels, der NATO, kaschiert zu haben - zum Zwecke einer durch eine solche Täuschung nur umso effizienter vollziehbaren Schwächung, Spaltung und schließlich auch Vereinnahmung des Gegners, zu der die OSZE dann auch maßgeblich beigetragen hat.

Als die Sowjetunion in den 50er Jahren, als der Kalte Krieg schon zu toben begonnen hatte, so als ob deren Hauptkontrahenten, die USA und die UdSSR, niemals Alliierte der Anti-Hitler-Koalition des Zweiten Weltkrieges gewesen wären, machte Moskau den Vorschlag, eine Sicherheitskonferenz einzuberufen, um die Spannungen zwischen den Blöcken besprechen und abbauen zu können. Die NATO-Staaten lehnten dieses Ansinnen strikt ab und beharrten auf ihrem Standpunkt, daß allein eine exzessive Aufrüstung ihnen Sicherheit vor den dem Gegner unterstellten Absichten bieten könne. Daß dies aus sowjetischer Sicht als mögliche Kriegsabsicht der NATO aufgefaßt werden könnte und daß den Warschauer-Pakt- Staaten kaum eine Wahl blieb, als sich dem Auf- und Wettrüsten zu stellen, scheint sehr wohl im Kalkül westlicher Strategen gelegen zu haben, und so stand die Welt in den 50er und 60er Jahren nicht selten am Rande einer abermaligen Katastrophe.

In den 70er Jahren schien sich auch bei der NATO die Auffassung durchgesetzt zu haben, daß ein militärischer Schlagabtausch mit der nicht minder atomwaffenstarrenden Sowjetunion nur um den Preis der möglichen, wenn nicht sicheren Vernichtung der eigenen Länder zu realisieren sein würde. Dies bewog die damalige Elite westlicher Entscheidungsträger in Politik und Militär jedoch keineswegs zu einer Revidierung ihrer feindlichen Absichten gegenüber dem "Systemfeind" Sowjetunion, sondern führte einzig und allein zu einer Kurskorrektur in der Wahl der Mittel. Wenn die militärische Karte (allein) nicht bzw. nur unter inakzeptablen Risiken zum Ziel würde führen können, müssen unter Aufrechterhaltung der realen militärischen Bedrohungslage Wege beschritten werden, um den Gegner von innen her in jeder nur denkbaren Weise zu schwächen.

Unter dem pazifistisch anmutenden und insbesondere von sozialdemokratischen Politikern favorisierten Slogan "Wandel durch Annäherung" wurde in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts ein Wechsel der politischen Mittel, nicht jedoch ein Politikwechsel vollzogen. Die KSZE und spätere OSZE ist wesentlicher Ausdruck wie Transportmittel dieses Strategiewechsels, denn sie versprach eine Entspannung, die mitnichten auf einer Bereitschaft zur dauerhaften Koexistenz der politisch antagonistischen Systeme beruhte. Hätten die westlichen KSZE- bzw. OSZE-Mitglieder tatsächlich gemeint, was sie zu bezwecken vorgaben, wäre es 1989/90 kaum zum "Zusammenbruch" des realsozialistischen Systems oder gar, wie es noch irreführender formuliert wird, zur "Selbstauflösung" der UdSSR gekommen, so als habe die sowjetische Führung nach so langer Zeit und schwersten Belastungen von sich aus auf einmal eingesehen, daß die Idee, eine sozialistische Gesellschaftsutopie in einer kapitalistischen Welt durchsetzen zu wollen, nur wirklich nichts tauge.

Die eingangs erwähnte Frage des russischen Ministers auf der aktuellen Ministerratssitzung der OSZE, warum denn die von der Organisation durchgeführten Wahlbeobachtungen nur in östlichen, nicht jedoch in westlichen Ländern durchgeführt wird, stößt genau in diese Problematik. Es mag einer detaillierten historischen Aufarbeitung anheimgestellt werden, nachzuzeichnen, welche Mittel der politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und militärischen Einflußnahme, welche strategischen Schachzüge unter Ausnutzung welcher Begebenheiten auf sowjetischer Seite letztlich zum Erfolg der NATO geführt haben mögen, doch die Behauptung, daß die Sowjetunion absolut freiwillig von der Weltbühne abgetreten sei, kann getrost dem Bereich fortgesetzter westlicher Propaganda zugeordnet werden.

Aus Sicht des Westens scheinen die Schachzüge, die 1989/1990 zu einem Ergebnis führten, das inzwischen als "Zeitenwende" und ähnliches glorifiziert wird, so als hätten in der Folgezeit die sich nun als alleinige Weltmacht wähnenden USA das Versprechen, nach der Blockkonfrontation und ihren blutigen Stellvertreterkriegen würde eine friedlichere Zeit hereinbrechen, nicht bereits vollends ad absurdum geführt, jedoch noch nicht zum Endsieg geführt zu haben. Schon im Sommer vergangenen Jahres wurde auf einer Festveranstaltung zum 30jährigen Bestehen der OSZE offen davon gesprochen, daß sie ihre Maßnahmen "unwiderruflich" auch gegen "große" Mitgliedsstaaten (!) richten würde, so der FDP-Politiker Wolfgang Gerhardt in Berlin. Dies stellte und stellt eine kaum verhohlene Drohung an Rußland dar, sich den "freundlichen" Übernahmeangeboten des Westens, vermittelt durch das keineswegs desaktivierte Instrument des Kalten Krieges, die OSZE, nicht länger zu entziehen.

Erstveröffentlichung am 8. Dezember 2006

21. Januar 2007