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DILJA/059: OSZE, scharfes Schwert kalter Krieger - Rußland im Visier (SB)


OSZE - scharfes Schwert kalter Krieger (Teil 6)


Die OSZE läßt die Hüllen fallen und nimmt Rußland direkt ins Visier

Anläßlich des 30jährigen Bestehens der OSZE, die mit der am 1. August 1975 in Helsinki unterzeichneten Schlußakte der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) ihren Anfang genommen hatte, feierte die Organisation sich ausgiebig selbst. Sie konnte in Hinsicht auf ihre unausgesprochenen Ziele, nämlich im Kalten Krieg die friedliche Koexistenz der beiden antagonistischen Systeme zu versprechen und zugleich auf die innere und äußere Zersetzung des "realsozialistischen" Lagers hinzuarbeiten, beachtliche Erfolge aufweisen. Die Sowjetunion war vergleichsweise geräuschlos von der Weltbühne abgetreten. Mit ihr hatten die mit ihr assoziierten oder von ihr protegierten Staaten ihre "Schutzmacht" verloren mit der zumeist höchst fragwürdigen Freiheit, sich nun in ein womöglich weit nachteiligeres Abhängigkeitsverhältnis begeben zu müssen.

Die OSZE hat gewiß ihren Teil zu dieser Entwicklung beigetragen, und so kam auch auf der Berliner Festveranstaltung zu ihrem 30jährigen Bestehen im Sommer 2005 die Lobhudelei nicht zu kurz. Gleichwohl stand auch hier unverkennbar im Vordergrund, die bisherigen, durchaus erfolgreich abgeschlossenen Strategien der politischen Einflußnahme und Interessendurchsetzung nicht ad acta zu legen, sondern noch weiter zuzuspitzen. Der deutsche FDP- Politiker und damalige Außenministerkandidat, Wolfgang Gerhardt, nahm kein Blatt vor den Mund und verkündete als Festredner recht offenherzig, daß die OSZE nicht nur zum letzten großen Schlag gegen Rußland auszuholen, sondern den Geltungs- und Anwendungsbereich ihrer Umsturzstrategien weltweit auszudehnen im Begriff steht.

Dabei schien Gerhardt gänzlich entfallen zu sein, daß die Einmischung in innere Angelegenheiten völkerrechtlich verboten ist, erhob er doch gerade dies zum ehernen Prinzip der OSZE. So rief Gerhardt zur "unwiderruflichen" Einmischung in die inneren Angelegenheiten Rußlands und anderer OSZE-Staaten auf, was einer offenen Ankündigung westlicher Putschabsichten und -bestrebungen schon sehr nahe kommt. Es versteht sich von selbst, daß die europäischen Kernstaaten und die USA, die selbstverständlich auch die OSZE dominieren, nicht ihre eigenen inneren Angelegenheiten meinen, in die sie sich "unwiderruflich" einmischen wollen.

Die OSZE läßt sich als ein Instrument - unter anderen - bezeichnen, um das einst als Absolutum konzipierte und im Völkerrecht zur Friedenswahrung verankerte Verbot der Einmischung in innere Angelegenheiten aufzuweichen und schließlich gänzlich aufzuheben. Theoretisch sollte das völkerrechtliche Verbot auch die Mitgliedsstaaten internationaler Organisationen schützen, doch de facto "schützt" "das Völkerrecht" ohnehin nichts und niemanden, da es in jedem Fall ein Instrument in der Hand weniger Staaten ist, die es für die Durchsetzung ihrer Interessen einsetzen oder eben nicht. Und so laufen Staaten, die ihre Souveränitätsrechte formal zwar nicht abgetreten, durch den Beitritt zu einer Organisation wie der OSZE jedoch de facto in das Belieben der diese Organisation beherrschenden Staatengruppe gestellt haben, eben doch Gefahr, einem solchen Druck aus dem Ausland nachgeben zu müssen.

Wie "demokratisch" das dann eigentlich wäre, wenn Regierungen sich mehr oder minder genötigt sehen, dem von internationalen Organisationen ausgeübten politischen, oft auch wirtschaftlichen oder vielleicht letztendlich sogar militärischen Druck nachzugeben, weil sie sich in einer weitaus schwächeren Position befinden, ist eine Frage, die diejenigen, die die Definitionsgewalt über Werte wie "Demokratie" und "Freiheit" für sich mit Bindekraft für andere beanspruchen, mit gutem Grund gar nicht erst stellen. Mögen Wahlergebnisse in Rußland oder den osteuropäischen und zentralasiatischen Mitgliedsstaaten der OSZE nach welchen Kriterien auch immer fragwürdig und beanstandenswert sein, bliebe es doch um der Durchsetzung demokratischer Verhältnisse willen allein Angelegenheit der jeweiligen Bevölkerung, sich im Konflikt mit ihrer Regierung die von ihr mehrheitlich bevorzugte Gesellschaftsform zu erstreiten.

Eine von außen eingeleitete, aufoktroyierte oder auch nur unterstützte "Demokratisierung" ist ein unauflösbarer Widerspruch in sich, weil der Akt einer solchen Einflußnahme seinerseits nicht im mindestens durch das Wahlvolk des betreffenden Landes legitimiert ist und von daher nicht "demokratisch" sein kann. Ein solches Demokratieverständnis geht den die OSZE dominierenden westlichen Politikern jedoch völlig ab. Warum soll, was in der Peripherie der früheren Sowjetunion schon so gut geklappt hat, nämlich sogenannte "Oppositionsbewegungen" zu unterstützen, zu finanzieren oder gar überhaupt erst ins Leben zu rufen, die dann die inneren Spannungen des jeweiligen Landes verstärken solange, bis ein Umsturz durchgeführt werden kann, nicht auch überall sonst zur Anwendung gebracht werden?

OSZE-Festredner Gerhardt nennt dies "out of area"-Einsätze und betont die Bedeutung weltweiter Umsturzbewegungen, die es "auch in etlichen afrikanischen Staaten" zu unterstützen gelte. Die begriffliche Nähe zum Vokabular der NATO ("out of area") ist dabei gewiß nicht zufällig entstanden, soll doch die OSZE, so Gerhardt, als "supplementäre" Organisation im Vorfeld der EU und der NATO tätig werden. Der FDP-Politiker hielt mit seiner Begeisterung für die "Revolutionen", wie die vom Ausland unterstützten Umstürze in der Ukraine und Georgien von ihren Protagonisten genannt werden, nicht hinterm Berg, obwohl er damit das vermeintliche Anliegen der OSZE, deeskalierend, insofern konfliktlösend und damit friedensbefördernd in Aktion zu treten, vollkommen diskreditiert. Die OSZE ist längst "Partei" in einem Konflikt, in dem sie eine moralische Überposition beansprucht zur Durchsetzung höchst konkreter Eigeninteressen ihrer westlichen Führungsstaaten.

"Die OSZE mischt sich eben grundsätzlich ein, sonst hätte sie in ihrer Arbeit keinen Erfolg", so Gerhardt in seiner Festrede, in der er das OSZE-Gründungsmitglied Rußland direkt ins Visier nimmt. Er kündigte an, die OSZE werde ihre Maßnahmen "unwiderruflich" auch gegen "große" Mitgliedsstaaten richten. Da die USA als Objekt westeuropäischer Umsturzbemühungen nicht in Betracht kommt, kann sich diese Bemerkung oder vielmehr Ankündigung feindseliger Akte nur gegen Rußland richten. Moskau allerdings kehrte der OSZE keineswegs den Rücken, sondern wartete mit Reformvorschlägen auf. Vizeaußenminister Tschischow forderte die westlichen OSZE-Mitglieder auf, innerhalb der Organisation die operative "Dominanz der Menschenrechtsproblematik" zu überdenken, stieß damit allerdings auf taube Ohren.

Verwunderlich ist dies nicht, denn da die Absichten der die OSZE dominierenden westlichen Staaten darin zu bestehen scheinen, in Rußland einen Umsturz zu bewirken, um ein für den Westen vollkommen kompatibles, das heiß willfähriges Regime zu errichten, werden sie sich nicht des dafür in Stellung gebrachten Instrumentariums entledigen. Insbesondere der Begriff "Menschenrechte", der von vielen synonym gesetzt wird mit einer Streitposition gegen Folter, staatlichen Terror, das berüchtigte "Verschwindenlassen" von politisch unliebsamen Menschen etc., wurde instrumentalisiert, um die staatlichen Souveränitätsrechte und damit das Verbot der Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines Landes gezielt und mit spezifischen Absichten außer Kraft zu setzen.

So behauptete der FDP-Politiker Gerhardt in seiner Festtagsrede in Hinsicht auf die historische Bedeutung der KSZE bzw. OSZE, daß Begriffe wie "Selbstbestimmung" und "Menschenrechte" legale Interventionen ermöglicht hätten. Die Schlußakte von Helsinki hätte "den Dissidenten, den mutigen Oppositionellen (...), die die friedlichen Revolutionen sozusagen im Schutze der sowjetischen Perestrojka durchführen konnten" gehört. Wenn das Gründungsmitglied Rußland nun versucht, von der OSZE unterstützt zu werden bei dem, was die Regierung Putin die Bekämpfung des anti-russischen Separatismus nennt, wird diese nicht gewährt, auch wenn Rußland sich derselben Terminologie vom Krieg gegen den Terror bedient wie die westlichen Führungsstaaten. Mit ihnen sucht die russische Regierung durchaus den Schulterschluß zu vollziehen nach dem Motto: Euer Krieg in Afghanistan und dem Irak ist unser Krieg in Tschetschenien.

Die OSZE allerdings akzeptiert keineswegs, daß die russische Regierung diesen als Terrorismusbekämpfung verstanden wissen will mit den durch eine solche Etikettierung von den westlichen Staaten ihrerseits an anderen Stellen so selbstherrlich freigesetzten und völkerrechtliche Bestimmungen ignorierenden Sondervollmachten. Das russische Ansinnen auf Hilfe der OSZE bei der Bekämpfung des "antirussischen Separatismus" wurde nicht nur nicht beantwortet, sondern in sein Gegenteil verkehrt. Moskau müsse, so wurde verlautbart, den Tschetschenien-Konflikt unter dem Gesichtspunkt des völkischen "Selbstbestimmungsrechtes" sehen und deshalb Zugeständnisse machen. Diese Argumentation wäre für sich genommen stichhaltig. Aus dem Munde der OSZE-Oberen jedoch, die in ihrem eigenen Einflußbereich das völkische "Selbstbestimmungsrecht" nicht im mindesten gelten lassen, so es von Basken oder Kurden eingefordert wird, stellt dies nichts anderes als einen politischen Schachzug dar.

Nach Ansicht der führenden westlichen Staaten darf Rußland eben nicht die "Terrorismus"-Karte ziehen, so wie sie selbst es mit großer Selbstverständlichkeit für sich in Anspruch nehmen. Das führt zu zum Teil grotesk anmutenden Phänomenen, die mit der von russischer und anderer Seite wiederholt vorgebrachten Kritik, die OSZE handele mit doppelten Standards, nur unzureichend gekennzeichnet wird. Wer die "doppelten" Standards kritisiert, ohne zu realisieren, daß auch der "eine" Standard ein Brecheisen ist, über das der Stärkste sich ermächtigt, Schwächere zu ziehen, macht lediglich sein Interesse deutlich, in die vorderste Riege derer aufzusteigen, die in militärischer und sonstiger Hinsicht stark genug sind, um all diese Dinge für sich in Stellung zu bringen.

Die kaum verhohlene Ankündigung der OSZE vom Sommer 2005, die sattsam bewährten Mittel für politische Umstürze gegen irgendwie mißliebige Regierungen nun auch gegen Rußland in Stellung zu bringen, ist weder eine Entgleisung noch eine einmalige Verbalattacke. Vielmehr läßt sie sich in eine ganze Reihe von Ereignissen einbetten, die annehmen lassen, daß die OSZE längst dabei ist, Nadelstich für Nadelstich die russische Führung zu diskreditieren und zu demontieren.

So kritisierte die OSZE am 8. Dezember 2003 die Parlamentswahlen in Rußland und bezeichnete sie als "Rückschritt für die Demokratisierung des Landes". Da die OSZE keine Anhaltspunkte finden konnte, um den Verdacht zu äußern, es seien Wahlmanipulationen vorgenommen worden, stützte OSZE-Sprecher George seine Kritik auf den "massiven Gebrauch des Staatsapparats" zur Unterstützung der Kreml-treuen Partei "Geeintes Rußland". Dieser Vorteil habe, so behauptete George, der somit den vermeintlich tatsächlichen Wählenwillen genauestens zu kennen vorgibt, zu "Verzerrungen" geführt. Als ein Vierteljahr später, am 15. März 2004, Präsident Putin mit 71,2 Prozent für eine zweite Amtszeit wiedergewählt wurde, konnte die nächste von der OSZE erhobene Kritik nicht ausbleiben. Die Präsidentschaftswahl hielte "demokratischen Kriterien" nicht stand, hieß es in verdächtig allgemein gehaltener Form.

Das russische Parlament, nach Befinden der OSZE durch in Sachen Demokratie rückschrittige Wahlen zustandegekommen, war just zu jener Zeit auf einem kritischen Kurs gegenüber der NATO. In einer am 1. April 2004 mit großer Mehrheit verabschiedeten Resolution wurde die Regierung Putin von den Abgeordneten der Staatsduma aufgefordert, die russische Verteidigungspolitik und Truppenstationierungen neu zu überdenken, sollte die NATO auch weiterhin die Interessen Rußlands mißachten. Den Duma- Abgeordneten war schon damals die sogenannte Osterweiterung der NATO ein Dorn im Auge. Sie forderten in der Resolution die NATO- Staaten auf, den längst überfälligen Vertrag über die Begrenzung konventioneller Streitkräfte zu ratifizieren.

Im Sommer 2004 wurden in Rußland mehrere Anschläge verübt. Präsident Putin sprach in der Diktion westlicher Antiterrorkrieger vom "internationalen Terrorismus", den zu bekämpfen Rußland nun auch mit präventiven Maßnahmen gelobte. Am 24. August stürzten, vermutlich durch Bomben verursacht, zwei Passagiermaschinen ab, am 31. August wurde auf dem Moskauer Bahnhof ein Bombenanschlag verübt und am 1. September wurden, mit tödlichem Ausgang, Kinder einer Schule in der nordossetischen Stadt Beslan als Geiseln genommen. Über 500 Menschen - Zivilisten, unter ihnen sehr viele Kinder - kamen in Folge dieser vier Anschläge ums Leben, ohne daß dies international zu einer mit den Septemberereignissen von 2001 in den USA vergleichbaren Reaktion geführt hätte.

Der russischen Regierung wurde zwar Hilfe angeboten, so von der Bundesrepublik Deutschland, die umgehend zur medizinischen Versorgung der Verletzten von Beslan ein fliegendes Lazarett der Bundeswehr bereitstellte, ohne daß Moskau sich dies erbeten hätte. In den westlichen Konzernmedien herrschte neben dem Entsetzen über die vielen Toten der Tenor vor, daß die Opfer eigentlich der gewaltsamen Aufstandsbekämpfung der russischen Armee gegen den tschetschenischen Widerstand geschuldet seien. Die Kritik am Vorgehen der russischen Sicherheitskräfte ist allemal angebracht, so in Beslan später ruchbar wurde, daß viele Geiseln nicht unmittelbar durch die Geiselnehmer, sondern das Gas getötet wurden, das von der russischen Armee eingesetzt worden war, um die Geiselnehmer auszuschalten. In westlichen Ländern allerdings würde bei Geiselnahmen, auch wenn dies niemand gern zugeben würde, nicht unbedingt anders gehandelt werden.

Es ist allerdings wenig wahrscheinlich, daß sich die Geiseltragödie von Beslan tatsächlich als "Ableger" des blutigen Konfliktes in Tschetschenien im angrenzenden Nord-Ossetien darstellen läßt. So sollen sich unter den mit nur einer Ausnahme getöteten Geiselnehmern nicht nur Tschetschenen und Inguschen, sondern auch Russen und Ukrainer befunden haben, was die Annahme, hier habe es sich eher um eine womöglich von welchem Geheimdienst auch immer organisierte Söldneraktion als um eine Verzweiflungstat tschetschenischer Freiheitskämpfer gehandelt, stützt.

Der einzig überlebende Geiselnehmer erklärte vor dem Strafgericht im südrussischen Wladikawkas, daß der Überfall auf die Schule von Beslan, bei dem rund drei Dutzend Bewaffnete etwa 1.300 Kinder und Erwachsene als Geiseln genommen hatten, von denen nach mehrtägiger Geiselhaft und anschließenden schweren Gefechten 344 ums Leben gekommen waren, von dem tschetschenischen Kommandeur Schamil Bassajew, der sich am 17. September selbst zu dem Anschlag bekannt haben soll, und dem früheren tschetschenischen Präsidenten Aslan Maschadow angeordnet worden war. Bassajew und Maschadow wurden inzwischen von russischen Sondereinheiten getötet. Gegen sie, obwohl sie dem Vernehmen nach für die gewaltsame Geiselnahme von weit über eintausend unbeteiligten Kindern und Erwachsenen verantwortlich zeichnen, wird in der westlichen Welt nicht polemisiert. Sie gelten im westlichen Sprachgebrauch auch nicht als "Terroristen".

Erinnert sei in diesem Zusammenhang auch daran, daß - mit Unterstützung des Westens und so auch der OSZE - in der an Nordossetien angrenzenden ehemaligen Sowjetrepublik Georgien nach dem Putsch vom November 2003 ein gegenüber den westlichen Diktaten extrem anpassungsbereiter Präsident Michail Saakaschwili, der die Türen Georgiens gen Westen weit öffnete, am 26. Januar 2004 ins Amt gekommen war. Zu seiner "Wahl" drei Wochen zuvor hatten Europa und USA Millionenbeträge beigesteuert, allein aus Deutschland waren zu diesem Zweck 750.000 Euro in die verarmte Kaukasusrepublik geflossen. Seit Saakaschwilis Amtsantritt trägt die Administration Georgiens eine deutlich "deutsche" Handschrift. Deutschland leistete dem neuen Regime Finanz- und Fachhilfen und entsendete Experten zum Aufbau eines Zollwesens sowie zur Ausbildung von Diplomaten.

US-amerikanische Militärausbilder hingegen sind schon länger auch in Georgien tätig. Sie waren nach 11/9 eingerückt unter einer Maßgabe, der sich die damalige Regierung Schewardnadse nicht entziehen konnte oder wollte - diente doch die US-amerikanische Militärpräsenz im Kaukasus angeblich einzig dem Zweck, dem "internationalen Terrorismus" entgegenzutreten, wo auch immer er in Erscheinung treten möge. Zur näheren Begründung war ursprünglich angeführt worden, daß sich tschetschenische Rebellen, die noch dazu mit Al Kaida in Verbindung stünden, in das in Georgien liegende Pankisi-Tal zurückgezogen hätten.

Allein, kein US-Soldat hat je das Pankisi-Tal betreten, um diesen mit Sicherheit antirussischen Kämpfern das Handwerk zu legen, was wiederum nur den aus russischer Sicht folgerichtigen und stichhaltigen Schluß zuläßt, daß die USA tschetschenischen "Terroristen" Unterschlupf gewähren. Und so wurde nach der Tragödie von Beslan in Rußland laut der Verdacht geäußert, der Westen könnte auf verschlungenen Wegen an der Geiselnahme in der Schule Nummer Eins beteiligt gewesen sein, zumal die Geiselnehmer im georgischen Pankisi-Tal ihre Operationsbasis gehabt haben sollen.

Die OSZE brachte sich kurz nach der Geiseltragödie von Beslan ins Spiel und kritisierte - wen auch sonst? - die russische Regierung. Armee und Staatsführung hatten in Moskau wenige Tage zuvor, am 8. September 2004, weltweite "Präventivschläge gegen Terroristen" angekündigt und für die "Neutralisierung" des tschetschenischen Kommandeurs Schamil Bassajew sowie des früheren tschetschenischen Präsidenten Aslan Maschadow eine Belohnung von 8,5 Millionen Euro ausgesetzt. Kein westlicher Staat, und die USA schon gar nicht, hätten in einer vergleichbaren Situation milder oder mit mehr Verständnis für die eigentlichen Anliegen der als "Terroristen" titulierten Geiselnehmer reagiert.

Gleichwohl erntete Moskau verhaltene bis deutliche Kritik. So appellierte der damalige UN-Generalsekretär Kofi Annan am 9. September 2004 an die russische Regierung, bei der Bekämpfung des Terrorismus internationales Recht zu achten und die Bürgerrechte nicht außer Kraft zu setzen. Die US-amerikanische Regierung und ihre westlichen Verbündeten sparte Annan aus, obgleich deren "Antiterrorkrieg" bereits zu diesem Zeitpunkt eine ungleich blutigere Spur in den von ihnen mit Krieg überzogenen und besetzten Ländern hinter sich hergezogen hatten, um von dem Abbau der Bürgerrechte auch in den USA gar nicht erst zu reden.

Aus Washington wurde verlautbart, daß sich die US-amerikanische Regierung russischen Militäraktionen gegen den "internationalen Terrorismus" nicht entgegenstellen würde - aus welchen Gründen auch immer. Sei es, daß es Washington nur recht sein kann, wenn (auch) Rußland sich durch extralegale Hinrichtungen ins Unrecht setzt; sei es, daß Washington auf eine Schwächung der militärischen Schlagkraft Rußlands hofft und spekuliert und deshalb militärische Operationen Moskaus in den Nachbarregionen des russischen Territoriums durchaus unterstützt. Unbestritten dürfte sein, daß der Westen den Tschetschenienkonflikt zumindest in einem gewissen Umfang für seine antirussischen Ambitionen instrumentalisiert hat.

Schon wenige Tage nach der Tragödie von Beslan, am 8. September 2004, vertrat John Laughland von der unabhängigen "British Helsinki Human Rights Group" in einem in der britischen Tageszeitung "The Guardian" veröffentlichten Artikel den Standpunkt, daß sich die US-amerikanischen Neokonservativen den tschetschenischen Unabhängigkeitskampf zu eigen gemacht hätten. Er wies darauf hin, daß wenige Tage zuvor in die internationalen Medien Meldungen lanciert worden waren, denen zufolge der russische Präsident Wladimir Putin irgendwie der Hauptverantwortliche für die Tragödie in Beslan gewesen sei.

Zudem seien Fernseh- und Radiokorrespondenten in Beslan gedrängt worden, bei ihrer Berichterstattung den Eindruck zu erwecken, daß die nordossetische Bevölkerung der russischen Regierung nicht minder die Schuld geben würde als den Terroristen. Maßgebliche westliche Medien, so beispielsweise die britische "Sunday Times", hätten in ihren Kommentaren darauf insistiert, man solle sich doch mit den "eigentlichen Ursachen" des "tschetschenischen Terrorismus" auseinandersetzen, womit der Autoritarismus Rußlands gemeint war. Die Geiselnehmer wiederum, also Leute, die auf Kinder geschossen hatten, wurden zumeist als "Rebellen" bezeichnet.

Laughland wies dann nach, daß die zunehmende Kritik, die auch innerhalb Rußlands an der Regierung Putin laut geworden war, in einer Fraktion des politischen Spektrums zu verorten ist, die in enger Kooperation zu "amerikanischen Freunden" steht, so etwa die Putin-Kritiker Boris Nemtsow und Wladimir Rutzkow, die bei den von Boris Jelzin einst losgetretenen neoliberalen Marktreformen Rußlands eine maßgebliche Rolle spielen. Die US-amerikanische Carnegie-Stiftung unterhält, von ihrem Hauptquartier in New York finanziert, eine Zweigstelle in Moskau, von wo aus Putin wiederholt für die Toten von Beslan verantwortlich gemacht wurde. Die Carnegie-Stiftung steht in enger Verbindung zu der RAND- Corporation, einer US-Denkfabrik im militärisch-politischen Bereich, die Strategiepapiere über die Neustrukturierung des "Größeren Mittleren Ostens" erstellt.

Der Angriff auf die Schule in Beslan, der folgenschwerste einer ganze Reihe "terroristischer" Anschläge in Rußland, wurde von bestimmten Kräften im Westen nicht nur genutzt, um die Regierung Putin direkt verantwortlich zu machen, sondern auch, um die generell undemokratischen Verhältnisse in Rußland einmal mehr anzuprangern. Die BBC und andere westliche Medien ließen in ihre Beslan-Berichterstattung einfließen, daß das russische Fernsehen die Tragödie heruntergespielt und nur westliche Sender live berichtet hätten. John Laughland widersprach diesem Eindruck und erklärte, seine Medienrecherchen hätten das genau umgekehrte Bild ergeben - nämlich daß die russischen Sender weitaus präzisere Informationen und Bilder geliefert hätten als ihre westlichen Gegenspieler.

Die OSZE bezog in dieser offenen Kontroverse eindeutig Stellung und machte sich den westlichen Standpunkt zu eigen. So erklärte ein Sprecher am 16. September 2004 in Wien, die Berichterstattung über Beslan sei durch die russischen Behörden behindert worden, was ein "schwerer Rückschlag für die Demokratie" Rußlands sei. Journalisten seien durch Sicherheitskräfte eingeschüchtert und auch festgenommen worden, zudem sei Filmmaterial mehrerer Fernsehteams beschlagnahmt worden, lauteten die Vorwürfe. Die OSZE monierte ein generell "feindseliges Klima" gegenüber den Medienvertretern. In Beslan selbst sollen Einwohner vermutet haben, daß die Reporter, die kurz nach Beginn der Geiselnahme in der Stadt eingetroffen waren, Kontakt zu den Tätern gehabt und deshalb wohl gewußt hätten, was passieren würde.

Eine weitere Konsequenz Rußlands aus den Anschlägen bestand im Herbst 2004 in einer Reformpolitik, die auf eine Stärkung des Gesamtstaates und damit einhergehende Schwächung der Autonomierechte der einzelnen Republiken abzielte. Mit einer stärkeren Kontrolle der Zentralmacht über die einzelnen Regionen sollte "der Terror besser bekämpft" werden können, so die unter demokratischen Gesichtspunkten sehr wohl kritikwürdigen Maßnahmen Rußlands. Wenn die USA jedoch, die mit Hilfe der angeblich von islamistischen Terroristen durchgeführten Angriffe vom 11. September 2001 demokratische Freiheiten und Schutzrechte in den USA selbst gleich paketweise abschafften und einschränkten, die russischen Pläne als "Rücknahme einiger demokratischer Reformen" kritisierten, ist dies schlicht unglaubwürdig. US-Präsident George Bush, der selbst im Begriff stand, das präsidiale politische System der USA in eine auf ihn zugeschnittene De-facto- Kriegsdiktatur zu verwandeln, scheute sich nicht davor zu warnen, daß die russischen Maßnahmen die Demokratie untergraben könnten.

In einer Stellungnahme des Weißen Hauses zu Beslan waren die Geiselnehmer zwar verurteilt worden. Im übrigen insistierte die US-Regierung jedoch darauf, daß der Tschetschenien-Konflikt nicht militärisch zu lösen sei und forderte Moskau auf, eine politische Lösung zu suchen, sprich zu verhandeln. Diese ungewöhnliche Einstellung derer, die sich weltweiter als oberste, wenn nicht alleinige (Anti-) Terrorkrieger präsentieren, läßt sich leicht aufschlüsseln durch die Tatsache, daß namhafte US-Neokonservative wie Richard Perle und der ehemalige CIA-Direktor R. James Woolsey im "American Committee for Peace in Chechnya" (ACPC) zu finden sind, einer US-Institution, die sich den Befreiungskampf der Tschetschenen auf ihre Fahnen geschrieben hat. Schließlich birgt dieser innerrussische Konflikt im letzten Schritt auch die Option in sich, die Russische Föderation zu Fall zu bringen - so wie der vom Westen durch die Finanzierung islamistischer Kämpfer massiv unterstützte Afghanistankrieg als ursächlich für den späteren Zerfall der Sowjetunion angesehen werden kann.

Führungspersönlichkeiten des tschetschenischen Kampfes um eine vollständige Loslösung von Rußland sind im Westen nicht nur wohlgelitten, sondern scheinen hier auch über eine mehr oder minder tatkräftige Unterstützung zu verfügen. Die vielbeschworene internationale Gemeinsamkeit im Antiterrorkampf wird vom Westen gern in Anspruch genommen, um die eigenen Einflußbereiche auszudehnen, doch gegenüber Rußland wird diese verweigert. So wirft Moskau dem russischen Oligarchen Boris Beresowski, der seit langem in London lebt und dort politisches Asyl erhielt, vor, die tschetschenischen Rebellen zu finanzieren. Der tschetschenische Feldkommandant Schamil Bassajew, der am 9. Juli 2006 von einer Sondereinheit der russischen Armee in Inguschetien getötet wurde, galt in Rußland lange Zeit als Staatsfeind Nr. 1. Ihm wurden nicht nur der Überfall auf die Schule von Beslan 2004, sondern auch die Angriffe tschetschenischer Kämpfer auf ein Krankenhaus in Budjonnowsk im Juni 1995 sowie die Geiselnahmen im Moskauer Musical-Theater "Nordost" im Oktober 2002 zur Last gelegt. Verschiedenen Quellen zufolge erhielt Bassajew von Putin-Gegnern wie dem von London offen protegierten Oligarchen Beresowski finanzielle Zuwendungen, wenn nicht gar direkte Anweisungen.

Die Spannungen zwischen den OSZE-Mitgliedsländern USA und Rußland nahmen und nehmen kontinuierlich zu. So sprachen China und Rußland in einer am 1. Juli 2005 verfaßten gemeinsamen politischen Deklaration zur Weltordnung des 21. Jahrhunderts einem einzelnen Staat das Recht ab, als Welthegemon aufzutreten - eine klare Absage an das von den USA verkündete "amerikanische Jahrhundert". Wenig später forderte die in der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SCO) verbündeten asiatischen Staaten (Kasachstan, Kirgisien, Usbekistan, Tadschikistan, Rußland und China) die USA auf, einen Zeitplan für den Abzug aller US-amerikanischer Soldaten aus Usbekistan und Kirgisien vorzulegen.

Am ersten Jahrestag des Geiseldramas von Beslan, am 2. September 2005, hielt der russische Präsident Putin eine Rede, in der er darauf hinwies, bei der Suche nach den Verantwortlichen nicht nur an Moslems zu denken. Bestimmte westliche Kreise wollten Rußland schwächen, so Putin. Dieser "Terrorismus" werde mehr oder minder offen von ausländischen Kräften unterstützt, um Rußland insgesamt zu schwächen. Insbesondere der Separatismus im Kaukasus werde propagiert, um die gesamte Region in ein Aufmarschgebiet für antirussische Aktivitäten zu verwandeln. Der russische Tschetschenien-Beauftragte Aslambek Aslachanow berichtete gegenüber der jungen Welt, er habe in direkten Telefonaten mit den Geiselnehmern festgestellt, daß diese nicht tschetschenisch sprachen und Befehle aus dem Ausland erhielten. Aslachanow sprach von einem Werk "unserer Freunde", die seit über einem Jahrzehnt große Anstrengungen unternähmen, Rußland zu zerstückeln.

Ob zu diesen "Freunden" auch deutsche Dienststellen zu zählen sind, läßt sich weder bestätigen noch ausschließen. Immerhin hatte auf der OSZE-Festveranstaltung in Berlin im Sommer 2005 der damalige OSZE-Vorsitzende und slowenische Außenminister Dimitrij Rupel Deutschland als ein "OSZE-Schwergewicht" bezeichnet. Und ein deutscher Politiker, der Vorsitzende der FDP- Bundestagsfraktion, Wolfgang Gerhardt, hatte auf eben dieser Veranstaltung im Namen der OSZE Rußland recht offen den Kampf angesagt und eine "unwiderrufliche" Einmischung angekündigt. Daß diesen Worten Taten folgten bzw. auch zuvor schon erfolgt sind, ist insofern eine naheliegende Schlußfolgerung.

Daß Gerhardt nicht Außenminister geworden ist, läßt keineswegs den Rückschluß zu, daß die in seiner OSZE-Festtagsrede vom Sommer 2005 artikulierten deutschen bzw. westlichen Großmachtsvisionen nicht gleichwohl Gegenstand der bundesdeutschen wie auch generell der westlichen Außenpolitik wären. Es gelte, so Gerhardt, die anvisierte Einflußnahme in Asien bis an das Japanische Meer und in die Nähe Chinas auszudehnen, um eine "eurasische Dimension" zu realisieren, deren "Raum von Vancouver bis Wladiwostok" (!) reiche. Daß zwischen "Vancouver und Wladiwostok" Menschen leben, die weder die OSZE noch die EU oder die NATO, weder die USA oder die Bundesrepublik noch irgendeinen anderen westlichen Staat gebeten, beauftragt oder ermächtigt haben, ihr Land zu beeinflussen oder irgendwie mit Beschlag zu belegen, ist für Politiker vom Schlage Gerhardts selbstverständlich kein Thema.

Doch zurück zum tschetschenischen Feldkommandeur Bassajew, der in einer am 17. Oktober 2005 in einer im Internet verbreiteten Erklärung bekannte, den Überfall auf die Stadt Nalschik in der südrussischen Kaukasusrepublik Kalbadino-Kalkarien am 14. Oktober 2005, bei dem bei Gefechten mit Sicherheitskräften nach offiziellen Angaben 139 Menschen ums Leben gekommen waren, befehligt zu haben. Die politische Verantwortung für diesen Anschlag übernahm Achmed Sakajew, der in London lebende "Bevollmächtigte" des "tschetschenischen Staates", der den Überfall als vollen Erfolg im Kampf um ein unabhängiges Tschetschenien und als Beginn einer neuen Offensive begrüßte. Sakajew, dem die russischen Behörden eine Verstrickung in zahlreiche Anschläge zum Vorwurf machen, genießt in Britannien seit November 2003 politisches Asyl, eine Auslieferung nach Moskau wurde mehrfach verweigert.

Informationen von german-foreign-policy zufolge gewährte die Führungsakademie der Bundeswehr zu dieser Zeit einem hochrangigen Beauftragten des tschetschenischen Untergrundes, Said-Khassan Abumuslimov, sicheren Unterschlupf. Er gilt als "Minister" einer "Republik Tschetschenien", an deren Entstehung die Bundeswehr offensichtlich stark interessiert ist. Dieses Interesse währt womöglich schon länger. Bei den Geiselnahmen im Moskauer Musical- Theater "Nordost" im Oktober 2002 sollen die beiden Hauptdrahtzieher Kontakte auch zu deutschen Geheimdiensten unterhalten haben. Nach Informationen des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB konnte der Tschetschene Arbi Daudov trotz mehrfacher Warnungen ungehindert nach Deutschland einreisen. Von Dresden aus soll er mehrere Telefonate mit einer konspirativen Wohnung in Moskau geführt haben, von der aus der Anschlag auf das Theater vorbereitet worden war. Fragen danach, wieso Daudov mit deutschen Visa ausgestattet eine intensive Reisetätigkeit aufnehmen konnte, ließ die rotgrüne Bundesregierung unbeantwortet mit dem Verweis auf einen "nachrichtendienstlichen Hintergrund".

Diesen "Hintergrund" aufzuklären, wäre das Gebot der Stunde, um die Absichten der deutschen Bundesregierung, aber auch der OSZE im Verhältnis zu Rußland offenzulegen. Die russische Regierung wartet unterdessen nicht ab, ob das von der OSZE protegierte Konzept "bunter Revolutionen" auch in Rußland erfolgreich zur Anwendung gebracht werden kann. Am 16. November 2005 erließ der Kreml ein Gesetz, das Nichtregierungsorganisationen zwingt, sich registrieren zu lassen. Auf diese Weise soll die Finanzierung politischer Tätigkeiten durch das Ausland unterbunden werden als Reaktion auf Erkenntnisse des FSB vom Sommer 2005, denenzufolge russische Bürger für ausländische Geheimdienste arbeiten, um in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion bunte Revolutionen zu organisieren oder zu spionieren. Am 20. Oktober 2006 mußten 96 Nichtregierungsorganisationen, unter ihnen auch amnesty international und Human Rights Watch, ihre Arbeit in Rußland zumindest vorläufig einstellen.

Selbstverständlich wurde dieser Schritt im Westen als Versuch, die Kritiker mundtot zu machen, ebenfalls kritisiert ganz so, als ob westliche Staaten in ihren eigenen Ländern zivile Organisationen, die im wesentlichen durch ihnen mehr oder minder offen feindselig gegenüberstehende Staaten finanziert werden, unkontrolliert tolerieren würden. Zwei Tage später, am 22. Oktober 2006, kam die US-Außenministerin Rice nach Moskau - angeblich, um mit Putin über das (vermeintliche) iranische Atomprogramm zu sprechen. Analysten sprachen von einem deutlich verschlechterten Verhältnis zwischen den USA und Rußland, was in militärischer Hinsicht schon seinen Niederschlag gefunden hatte.

Ein gemeinsames russisch-amerikanisches Manöver, das zwischen dem 21. September und dem 8. Oktober 2006 an der Wolga hätte stattfinden sollen, war am 7. September wegen der antirussischen Politik der USA abgesagt worden. Ein Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums begründete die Entscheidung nach Informationen der russischen Tageszeitung "Kommersant" mit den Worten: "Unsere transatlantischen Partner unterstützen in letzter Zeit aktiv Staaten, die, gelinde gesagt, beim Krisenmanagement im Kaukasus und in Transnistrien antirussisch eingestellt sind."

Damit spielte der Sprecher unter anderem auf die Krise in Georgien im August vergangenen Jahres an. Georgische Truppen waren - mit dem Wissen und Wollen ihrer Schutzmacht USA, wie anzunehmen ist - in das zur Provinz Abchasien gehörende Kodori- Tal einmarschiert. Abchasien ist eine georgische Provinz, die sich 1992 von Georgien losgesagt hat, ohne daß dies international anerkannt worden wäre. Abchasien steht wie auch die abtrünnige georgische Provinz Südossetien unter dem militärischen Schutz Rußlands und unterstützt die russische Politik. Der Einmarsch georgischer und wegen des großen militärischen Einflusses der USA insofern "westlicher" Soldaten in das Kodori-Tal stellte eine gezielte Provokation Rußlands dar, was Moskau nicht unbeantwortet ließ.

Der russische Außenamtssprecher Michail Kamynin erklärte, dadurch sei "die unmittelbare Sicherheit Rußlands berührt" und forderte einen Gewaltverzicht. In dieser hochbrisanten Situation stellte sich die OSZE als Organisation auf die Seite ihrer westlichen Mitglieder und unterstützte die US-Forderung nach einer Stationierung einer "internationalen Polizeitruppe" in das Kodori- Tal, so als ob dies nicht eine noch größere Provokation Rußlands wäre. Die US-Vertretung der OSZE in Wien begründete die vermeintliche Notwendigkeit einer solchen Maßnahme mit der Entsendung russischer Offiziere in die Region sowie ganz allgemein mit der dortigen Kriminalität.

In Transnistrien, einer prorussischen Republik, die sich 1992 von Moldawien losgesagt hatte, führte die Politik der NATO-Staaten im vergangenen Herbst ebenfalls zu einer weiteren Verschlechterung des Verhältnisses zwischen der NATO und Rußland. In offener Verletzung der Verpflichtung Moldawiens zur Neutralität führte die NATO in dem Land Manöver durch. Die amerikanische Außenpolitik, so erklärte der russische Außenminister Sergej Lawrow bei dieser Gelegenheit, führe zu einer "Ausweitung der Konfliktzonen weltweit". Im September 2006 hielt das US-Militär zudem zusammen mit britischen und kasachischen Soldaten ein erstes gemeinsames Manöver in der ehemaligen Sowjetrepublik Kasachstan durch mit der Bezeichnung "Steppenwolf 2006".

Ein Manöver mit einer unmißverständlichen Symbolik, stellt es doch aufgrund der großen Nähe zum russischen Kernland eine offene und mit Sicherheit auch beabsichtigte Brüskierung, wenn nicht militärische Herausforderung Moskaus dar. Wäre die OSZE tatsächlich, was sie behauptet zu sein, nämlich eine internationale Organisation, die zwischenstaatliche Konflikte auf der Basis der Bereitschaft, auch den politischen Kontrahenten in seiner Existenz zu akzeptieren, hätte sie längst in Aktion treten müssen, um der Eskalations- und Interventionsstrategie der führenden westlichen Staaten entgegenzutreten. Von der OSZE, dem nach wie vor scharfen Schwert kalter Krieger, etwas Derartiges zu erwarten hieße jedoch, ihren Entstehungszusammenhang, ihre bisherige Geschichte sowie ihre offene Ankündigung einer gegen Rußland gerichteten politischen Offensive ebenso vollständig wie absichtlich zu ignorieren.

Erstveröffentlichung am 19. Januar 2007

22. Januar 2007