Schattenblick →INFOPOOL →GEISTESWISSENSCHAFTEN → MEINUNGEN

DILJA/067: Südafrika - Statthalterstaat des Imperiums - Teil 6 (SB)


Statthalter westlicher Hegemonialmächte auf dem schwarzen Kontinent - Südafrika vor, während und nach der Apartheid


Teil 6: Der Westen ächtet das Apartheidregime - und gewährt ihm klammheimlich Unterstützung. Im Südafrika der 1970er Jahre formiert sich das Black Consciousness Movement mit Steve Biko

Apartheid. Scheinbar weiß jeder Mensch ganz genau, was darunter zu verstehen ist, und ebenso einhellig scheint - Betonung auf scheint - die politisch-moralische Ablehnung eines solchen, in Südafrika aufs Gewaltsamste umgesetzten Rassentrennungsregimes in der westlichen Welt schon in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts gewesen zu sein. Das Massaker von Sharpeville vom 21. März 1960, bei dem bei einer friedlichen Demonstration des wenig später verbotenen Panafrikanischen Kongresses (PAC) gegen die rassistischen Paßgesetze Südafrikas das Feuer auf die unbewaffneten Demonstranten eröffnet und 69 Menschen getötet worden waren, wurde 1966 von den Vereinten Nationen zum Anlaß genommen, den 21. März zum "Internationalen Tag gegen den Rassismus" zu erklären.

So hätte leicht der Eindruck entstehen können - und wohl auch sollen -, das südafrikanische Regime befände sich in weltweiter Isolation aufgrund seiner scheinbar allseits verurteilten Rassentrennungspolitik. Tatsächlich jedoch wurde ihm nicht nur freie Hand gewährt, die eigene Bevölkerungsmehrheit gewaltsam zu unterdrücken. Die westliche Welt ließ es auch zu, daß Südafrika das Nachbarland Namibia, das bis 1966 UN-Mandatsgebiet gewesen war, widerrechtlich besetzte und sich wie eine weitere eigene Provinz einverleibte. Gemessen an ihren Taten läßt sich unschwer nachzeichnen, daß die westliche Welt zu Lasten der (schwarzen) Bevölkerungsmehrheit Südafrikas (und Namibias) ein doppeltes Spiel spielte, wie es zynischer, heimtückischer und grausamer kaum hätte sein können. Hätte es nicht einen stillschweigenden Konsens zwischen den westlichen Führungsstaaten und Pretoria gegeben, hätten erstere die gegen den Afrikanischen Nationalkongreß (ANC) und den Panafrikanischen Kongreß (PAC) 1960 verhängten Verbote kritisieren und ignorieren und beide Verbände als legitime Befreiungsorganisationen anerkennen und - auf welche Weise auch immer - unterstützen müssen. Doch nichts dergleichen geschah. Im Gegenteil, der Westen schlug sich auf die Seite des Regimes und übernahm dessen Bewertung des ANC als einer "terroristischen" Organisation.

Daß der 21. März 1966 von den UN zum internationalen Tag gegen den Rassismus erklärt worden war, hatte für die durch das Apartheidregime drangsalierte Bevölkerungsmehrheit Südafrikas, der die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben verwehrt wurde (nur Weiße durften wählen) keinen konkreten Nutzen. Die damit geschürten Hoffnungen, es gäbe womöglich eine handfeste Unterstützung nicht nur von sozialistischen, sondern auch von kapitalistischen Staaten sowie den UN-Organisationen, konnten sich nur als trügerisch erweisen, da sie von vornherein dem Zweck geschuldet war, die tatsächliche Interessenübereinkunft zwischen der westlichen Welt und dem Apartheidstaat zu verschleiern.

Die kapitalistische Staatenwelt war zu keinem Zeitpunkt - und zur Zeit des Kalten Krieges, in den die sogenannte "Entkolonialisierung" Afrikas eingebettet war, schon gar nicht - so etwas wie ein neutraler und womöglich sogar wohlmeinender und hilfsbereiter Beobachter vermeintlicher "Entwicklungsprozesse" in den ehemals kolonialisierten Kontinenten. Hätten die Kolonialmächte sich völlig ungeschminkt als die Ausplünderer, Blutsauger und Besatzer zu erkennen gegeben, als die sie die Länder Afrikas einst überfallen und eingenommen hatten, hätten sie ihre Herrschaftsordnung nicht aufrechterhalten können. Sie wären, so darf spekuliert werden, da eine millionenfache Bevölkerung nicht dauerhaft mit rein militärischen Mitteln beherrscht und unterdrückt werden kann, sondern zur politischen Teilhaberschaft gebracht werden muß, im hohen Bogen herausgeflogen, wäre es ihnen nicht gelungen, "Kreide zu fressen".

Da mit der Sowjetunion, aber auch blockfreien sozialistischen Staaten wie Kuba tatkräftige Unterstützer afrikanischer Unabhängigkeitskämpfe in Erscheinung traten, die ganz unabhängig davon, daß deren Absichten von afrikanischen Aktivisten durchaus kontrovers eingeschätzt wurden, noch nicht als äußerst gewalttätige und rücksichtslose Eroberer erlebt worden und damit per se glaubwürdiger waren als der Westen, stellte sich die Lage für die kapitalistische Welt in den 1960er und -70er Jahren als durchaus prekär dar. "Unabhängig" durften die afrikanischen Staaten - was die meisten von ihnen um 1960 herum dann auch geworden waren - nach Ansicht des Westens durchaus werden, aber eben nicht "rot". Der koloniale Griff und Zugriff wurde mitnichten gelöst, sondern lediglich gelockert, damit die inzwischen längst gegen die Fremdherrschaft aufbegehrenden Kolonialisierten ihre Ketten nicht mehr spürten.

Der zutiefst räuberische Griff auf den nächsten Nachbarkontinent des "alten Europas" hatte seiner Natur nach nicht das geringste mit der Hautfarbe der dort lebenden Menschen zu tun. Hätten diese allesamt weiße Haut gehabt, wäre ihnen das ihnen auferzwungene Kolonialschicksal nicht im mindesten erspart geblieben. Da die mit der Vereinnahmung der sogenannten Dritte-Welt-Länder, die die "entwickelten" Raubstaaten unter sich aufgeteilt hatten, in all diesen Kontinenten verankerte Gesellschafts- und Eigentumsordnung westlichen Zuschnitts zu keinem Zeitpunkt aufgehoben oder auch nur zur Disposition gestellt wurde, kann von einer tatsächlichen Beendigung der Kolonialzeit in den Jahren der Unabhängigkeitserklärungen nicht die Rede sein. Südafrika nun nimmt in diesem Kontext eine Sonderrolle ein, denn keineswegs konnten diese Abläufe aus Sicht des Westens zufriedenstellend abgewickelt werden.

Mit anderen Worten: Der Einfluß der Gegenseite im Kalten Krieg war viel zu groß. Unmittelbare militärische Interventionen, etwa um die durch die Befreiungskämpfe "gefährdeten" europäischen "Besitzungen" zu "retten", bargen unkalkulierbare Risiken in sich. Sie hätten mit Leichtigkeit in einen heißen neuen Weltkrieg münden können, so die Sowjetunion von den jungen afrikanischen Staaten als militärische Schutzmacht in Anspruch genommen wurde. Die Auseinandersetzung mußte unterhalb der Schwelle einer direkten militärischen Konfrontation der beiden "Blöcke" geführt werden, was in jener Zeit zu keineswegs kalten Kriegen in Asien (Korea, Vietnam) führte, denen Millionen Menschen zum Opfer fielen. In Afrika, zumindest im südlichen Afrika, übernahm die Republik Südafrika die Rolle eines militärischen Statthalters westlicher Hegemonialpolitik. Der Kapstaat bot sich dazu geradezu an, denn in ihm ließ sich der alte Konflikt zwischen den britischen Kolonialherren und den Buren ausbauen zu einer "Böser-Cop-guter- Cop"-Scharade.

Die Nachfahren der Buren - Afrikaaner - übernahmen dabei in Gestalt der Nationalpartei, die in den sogenannten Apartheidjahren die Regierung stellte, gegenüber der liberaleren, gemäßigt-britischen Linie die Rolle der besonders bösen Herrscher. Der Unterschied in der Hautfarbe zwischen den Kolonialisierten und den Kolonialisten ließ sich hervorragend instrumentalisieren für ein Erklärungsmuster äußerst gewaltsamer Herrschaftsverhältnisse, das eben diesem, wenn man so will, biologischen Kriterium eine kausaldeterminierende Funktion zuordnete. Dabei steht völlig außer Frage, daß die schwarzen Menschen Südafrikas vom Regime systematisch und in völliger Verletzung all der Menschenrechte, die die Vereinten Nationen längst als allgemeingültig proklamiert hatten, unterdrückt und ihrer gesellschaftlichen Entfaltungsmöglichkeiten beraubt wurden. Nur wurden sie dies nicht, weil sie eine nicht-weiße Hautfarbe hatten. Die westlichen Okkupatoren der späteren Republik Südafrika hatten sich diesen Unterschied gleichwohl zunutze gemacht, indem sie die Kolonialisierten glauben machten, die Herrschaft der Weißen sei eine mit Gott oder sonstwie zu begründende höhere Ordnung, der sich die Schwarzen als naturgegeben minderwertige Menschen zu unterwerfen hätten.

Es ist das Verdienst des Black Consciousness Movements (BCM, Schwarze Bewußtseinsbewegung), in Südafrika zu Zeiten schärfster Repression im Kampf um die Befreiung der Schwarzen an diesem Punkt angesetzt zu haben. Der Bantu Steve Biko, der das BCM mitbegründet hatte und auch international als der wohl populärste Repräsentant dieser Bewegung galt, soll in einem Gespräch mit Bernard Zylstra vom "Canadian Institute for Christian Studies" im Juli 1977 auf die Frage, was Black Consciousness genau bedeute, Zylstras von Donald Woods in dessen Biko-Biographie veröffentlichten Aufzeichnungen zufolge folgendes geantwortet haben:

Black Consciousness bedeutet das kulturelle und politische Wiedererwachen eines unterdrückten Volkes. Das muß in Zusammenhang gebracht werden mit der Emanzipation des gesamten afrikanischen Kontinents seit dem Zweiten Weltkrieg. Afrika hat den Tod der weißen Unbesiegbarkeit erlebt. Zuvor waren wir uns hauptsächlich zweier Klassen von Menschen bewußt, der weißen Eroberer und der schwarzen Eroberten. Die Schwarzen in Afrika wissen, daß die Weißen nicht auf immer und ewig Eroberer sein werden. Ich muß die kulturelle Tiefe der Black Consciousness betonen. Schwarze erkennen den Tod der weißen Unbesiegbarkeit und fragen sich: "Wer bin ich? Wer sind wir?" Und die grundlegende Antwort, die wir ihnen geben, ist diese: "Menschen sind Menschen!" Also sagt Black Consciousness: "Die Farbe ist unwichtig!" Aber die Realität, der wir vor zehn oder fünfzehn Jahren gegenüberstanden, erlaubte uns nicht, dies zu artikulieren. Schließlich befand sich der Erdteil in einer Periode rapider Entkolonialisierung, was eine Herausforderung an das schwarze Minderwertigkeitsgefühl in ganz Afrika bedeutete. Diese Herausforderung wurde von den weißen Liberalen geteilt. Also agierten die weißen Liberalen lange Zeit als Sprachrohr der Schwarzen. Aber dann fingen einige von uns an, sich zu fragen: "Können unsere liberalen Fürsprecher unseren Platz einnehmen?" Wir hatten eine doppelte Antwort darauf: "Nein! Das können sie nicht." (S. 57)

(*) Dieses Zitat wurde dem Buch "Steve Biko - Stimme der Menschlichkeit" von Donald Woods (1978 im Wilhelm Goldmann Verlag als deutsche Erstveröffentlichung der unter dem Titel "Biko" herausgegebenen englischen Originalausgabe erschienen) entnommen.

Biko, der am 18. Dezember 1946 geboren wurde, politisierte sich in den 1960er Jahren und erlebte ein Südafrika, in dem der von der schwarzen Befreiungsbewegung geführte Kampf gegen das Apartheidregime schwerste Rückschläge hatte hinnehmen müssen. ANC und PAC waren 1960 verboten worden. Ihre Aktivisten befanden sich - wie Nelson Mandela und die gesamte erste Führungsspitze des bewaffneten Arms des ANC, Umkhonto we Sizwe - in Haft, im Untergrund, im Exil oder waren bereits getötet worden. Wer in den 1960er Jahren in Südafrika beschuldigt wurde, auf den gewaltsamen Sturz der Regierung hingearbeitet zu haben, mußte mit der Todesstrafe rechnen; für die bloße Unterstützung oder Förderung des illegalisierten ANC wurden zehnjährige Haftstrafen verhängt. Da der Repressionsapparat des Regimes von dessen klammheimlichen Freunden im Westen bestens ausgerüstet wurde, konnte es diesem gelingen, den Widerstand der vielen zornigen Schwarzen weitestgehend zu zerschlagen und den ANC sowie den PAC zu neutralisieren. Steve Biko erläuterte im Gespräch mit Zylstra den Entstehungszusammenhang der 1968 von ihm mitbegründeten "South African Students Organization" (SASO) folgendermaßen:

In den sechziger Jahren waren der African National Congress und der Pan-African Congress verboten worden, also waren die hauptsächlichen Realitäten, denen wir gegenüberstanden, die Macht der Polizei und linksgerichtete Gesten der weißen Liberalen. Diesen Tatsachen gegenübergestellt, mußten wir die Frage beantworten, wie dem Volk ein neues Bewußtsein gegeben werden konnte. Die Regierung kontrollierte die Schulen. Was Black Consciousness anging, waren die Schulen nur zaghaft engagiert. Wir wußten, daß wir uns bei den Intellektuellen nach Mitarbeitern umschauen mußten. Wir wußten aber auch, daß die Intellektuellen dazu tendieren, die Massen als Werkzeug anzusehen, das sie manipulieren können, also konzentrierte sich der Bewußtseinswandel, den wir bei den Absolventen der schwarzen Universitäten anstrebten, auf eine Identifizierung der Intellektuellen mit den Bedürfnissen der schwarzen Gemeinschaft. Hier liegen die Wurzeln der SASO - der South African Student Organization.


(aus: "Steve Biko - Stimme der Menschlichkeit", S. 59)

Die SASO wie auch das "Black Consciousness Movement" insgesamt - 1972 hatte sich als Dachverband von 70 schwarzen Organisationen unter Bikos Mithilfe die "Black People Convention" (BPC) konstituiert - hatte peinlich genau darauf geachtet, völlig legal und gewaltfrei zu agieren, um dem Regime keinen Vorwand zur Inhaftierung oder Verbannung seiner Aktivisten zu geben. Im damaligen Südafrika stellte jedoch jeglicher Versuch, die Befreiung der schwarzen Menschen vom Joch der Apartheid anzustreben, ein strafwürdiges Vergehen dar, und so konnte es nicht ausbleiben, daß Steve Biko verbannt, das heißt mit einem Verbot zu publizieren, einen bestimmten Distrikt zu verlassen und sich mit mehr als einer Person zu treffen, belegt wurde. Allein die Kompromißlosigkeit, mit der Biko der Vorherrschaft der Weißen den Gehorsam aufgekündigt hatte, mußte in Pretoria zu der Einschätzung geführt haben, in ihm einen zu eliminierenden Feind zu sehen. In dem Journal "Student Perspectives on South Africa" hatte Biko 1972 geschrieben:

Uns ist bewußt, daß der weiße Mann an unserem Tisch sitzt. Wir wissen, daß er kein Recht hat, dort zu sein. Wir möchten ihn von unserem Tisch entfernen und alle Gegenstände abräumen, die er dort hingestellt hat. Dann decken wir den Tisch in einem 'wahrlich afrikanischen Stil', lassen uns nieder und fragen ihn, ob er sich zu uns setzen möchte - aber zu unseren Bedingungen.

Um ihn und mit ihm auch das "Black Consciousness Movement" zu diffamieren und zu diskreditieren, war gegen Biko der Vorwurf eines gegen Weiße gerichteten "Rassismus" erhoben worden. Dabei hätte sich "der weiße Mann" angesichts der Geschichte und Gegenwart, die er auf diesem Kontinent zu verantworten hat, über eine solche freundliche Einladung nach Beendigung kolonialer Verhältnisse noch freuen können. Die Kompromißlosigkeit des BCM, das bis zu Bikos Ermordung durchaus eine Massenbewegung geworden war, bezieht sich auf die Ablehnung kolonialer wie neokolonialer Herrschaftsverhältnisse und hat eben nicht eine bestimmte, in diesem Fall weiße Hautfarbe zum Inhalt. Steve Biko sollte sich als äußerst unliebsamer Oppositioneller erweisen, da er Positionen formulierte, die von sehr vielen Menschen verstanden und geteilt wurden, weil er jedwede Vereinnahmug durch ausländische Kräfte ablehnte. So hatte er im Juli 1977 gegenüber Zylstra den Begriff des schwarzen Kommunalismus erklärt:

Die Black-Consciousness-Bewegung möchte das Dilemma Kapitalismus gegen Kommunismus nicht akzeptieren. Sie bevorzugt eine sozialistische Lösung, die ein authentischer Ausdruck des schwarzen Kommunalismus ist. Im augenblicklichen Stadium unseres Kampfes ist es nicht leicht, diese Alternative im Detail darzulegen; aber ihr liegt die Einsicht zugrunde, daß eine Änderung in der Farbe des Besetzers nicht unbedingt eine Änderung des Systems zur Folge hat. Von unserer Suche nach einem gerechten System wissen wir, daß die Debatte über Wirtschaftspolitik nicht im luftleeren Raum, von existierenden Systemen vollkommen getrennt stattfinden kann. In unseren Schriften ist manchmal von kollektiven Unternehmen die Rede, weil wir individualistische, kapitalistische Unternehmen von uns weisen. Aber wir übernehmen auch nicht die russischen Modelle. Ich muß betonen, daß wir auf unserer Suche nach neuen Vorbildern gezwungenermaßen davon beeinflußt sind, wo wir uns heute befinden. Aus diesem Grunde ist es auch unmöglich, detailliert die Übergangsphase zu beschreiben, die der Auflösung der weißen Herrschaft folgen wird. Dafür ist es noch viel zu früh.

(aus: "Steve Biko - Stimme der Menschlichkeit", S. 65)

Die Black-Consciousness-Bewegung agierte in der Legalität, konnte dem Verfolgungsdruck des Apartheidregimes dennoch nicht entgehen. Steve Biko hatte sich vier Jahre vor seiner Ermordung im Oktober 1997 auf King William's Town in der Verbannung befunden. Eine der wenigen Gelegenheiten, sich in dieser Zeit noch öffentlich zu äußern, war der 1976 gegen neun junge Schwarze angestrengte Prozeß, in dem diese der Subversion angeklagt und am Ende zu je fünf Jahren Haft auf der Gefängnisinsel Robben Island verurteilt wurden, weil sie die Positionen des SASO bzw. der BPC vertreten hatten. Genaugenommen sollte (und wurde) dieser (gewaltfreie) Befreiungskampf abgeurteilt werden. Steve Biko wurde aus der Verbannung in den Gerichtssaal geholt, um ihn ausführlich als Zeugen - nicht als Angeklagten - zu vernehmen. Dies diente allein dem Zweck, ihm als Wortführer und Verfasser wesentlicher Schriften Äußerungen abzuringen, die eine Verurteilung der Aktivisten und damit auch der Organisationen begünstigen sollten.

Die Fragetechnik des Staatsanwalts K. Attwell, der erklärtermaßen in diesem Verfahren nachweisen wollte, daß SASO und BPC "revolutionäre" Organisationen seien, war während der mehrstündigen Vernehmung Bikos nicht eben schwierig zu durchschauen. So versuchte er, Steve Biko zu einer Stellungnahme gegenüber dem ANC und dem PAC zu verleiten, die dem Gericht dabei helfen sollte, auch die hier angeklagten Organisationen und die von ihren Aktivisten vertretenen Positionen als "terroristisch" zu bezeichnen und zu kriminalisieren. So entspann sich vor Gericht folgender, von Donald Woods in seiner Biko-Biographie ebenfalls wiedergegebener Wortwechsel:

Attwell: Welches Image verbreitet die BPC von ANC und PAC?

Biko: Wir bezeichnen sie als Organisationen, die in der Geschichte des schwarzen Volkes existieren.

Attwell: Billigend oder mißbilligend?

Biko: Ich glaube, Sie müssen eins verstehen, Mr. Attwell: Der Kampf um Selbstbefreiung, der Befreiung von allem, was einen bedroht, geht durch die ganze Geschichte. Zu verschiedenen Zeiten wird er von verschiedenen Menschen mit verschiedenen Methoden aufgegriffen. Okay. Aber der Kampf ist das, an was wir uns klammern. Wir müssen anerkennen, daß der ANC und der PAC an diesem Kampf beteiligt waren, und zwar nicht aus selbstsüchtigen Gründen, sondern für die Schwarzen und für deren Befreiung. Vielleicht billigen wir ihre Methoden, vielleicht auch nicht, aber Tatsache ist, daß sie in der Geschichte existieren, weil sie den Kampf vorangebracht haben.

Attwell: Aber sind wir einer Meinung, daß das eine Billigung ist?

Biko: Ich fälle kein Urteil. Ich anerkenne bloß Tatsachen, das, was in der Geschichte geschehen ist. Eine Billigung bedeutet, das, was vorgefallen ist, einer systematischen Analyse zu unterziehen, um zu einem gutheißenden oder tadelnden Urteil zu gelangen. In diesem Fall nehme ich lediglich auf eine bestimmte Phase in unserer Geschichte als Schwarze Bezug.

Attwell: Und wenn in den Schriften der BPC oder der SASO die Rede ist von "unseren wahren Führern, die geächtet und auf Robben Island eingesperrt worden sind"?

Biko: Das ist richtig.

Attwell: Auf wen wird da besonders angespielt?

Biko: Es geht um Leute wie Mandela, um Leute wie Sobukwe, um Leute wie Govan Mbeki.

[Anm. d. Red.: Robert Sobukwe war der geächtete Führer des PAC, Govan Mbeki, der Vater des heutigen Thabo Mbeki, gehörte wie Mandela zu den 1964 im Rivonia-Prozeß zu lebenslänglich verurteilten ANC-Führungsmitgliedern]

Attwell: Was verbindet diese Leute?

Biko: Ihre Gemeinsamkeit liegt darin, daß sie Leute sind, die selbstlos den Kampf für den schwarzen Mann vorangetrieben haben.

Attwell: Einschließlich der Führer des ANC?

Biko: Ja.

(aus: "Steve Biko - Stimme der Menschlichkeit", S. 139)

Somit läßt sich feststellen: Steve Biko war nicht bereit, sich vom ANC und vom PAC zu distanzieren und damit der Herrschaftsstrategie des Teilens und Herrschens Vorschub zu leisten. Er war ebensowenig bereit, die Unterdrückung der Schwarzen unter welchen Bedingungen auch immer zu akzeptieren. Er war allerdings bereit, mit dem Apartheidregime zu verhandeln und tat dies auch kund. So beispielsweise in einem Gespräch, das er am 2. August 1976 mit John Burns von der New York Times geführt hatte. In Hinsicht auf den gegen SASO und BPC geführten Prozeß soll Biko in dieser Frage, wie der Biographie Woods ebenfalls zu entnehmen ist, Burns gegenüber folgendermaßen Stellung genommen haben:

Unsere Position bei diesem Prozeß ist, daß wir verhandeln müssen, also eine politische Lösung zwischen Schwarz und Weiß ausarbeiten müssen. Wir befürworten einen Vorgang des Handelns, des Feilschens, aber zweifelsohne werden alle anderen Aspekte des Wandels in Erwägung gezogen und zunehmenden Beifall finden, je nachdem, wie unnachgiebig die Regierung gegenüber dem Wandel bleibt.

(aus: "Steve Biko - Stimme der Menschlichkeit", S. 71)

Die Regierung blieb, um bei diesen Worten zu bleiben, "dem Wandel gegenüber" vollkommen "unnachgiebig". Und nicht nur das. Sie entledigte sich ihres wohl prominentesten und international renommiertesten Gegensprechers auf denkbar brutalste Weise. Am 18. August 1977 war Steve Biko verhaftet und, anders als bei seinen vorherigen Festnahmen, zu der berüchtigten Sicherheitspolizei unter Oberst Pieter Goossen in Port Elizabeth verbracht worden. Dort fiel er am 11. September desselben Jahres ins Koma. In diesem Zustand wurde er 1.200 Kilometer in einem Landrover nach Pretoria transportiert, wo er am darauffolgenden Tag, nackt auf dem Boden einer Polizeizelle liegend, in Folge der ihm zugefügten Folterungen an Hirnblutungen starb.

An seiner Beerdigung nahmen rund 20.000 Menschen teil. Dies sollte zugleich das letzte große Ereignis sein, an dem das Black Consciousness Movement in Erscheinung trat. Es folgten Verhaftungswellen, zahlreiche weitere Organisationen der schwarzen Widerstandsbewegung wurden 1977 verboten. Ntsiki Biko, die Witwe des Ermordeten, hatte kurz, nachdem sie vom Tod ihres Mannes erfahren hatte, erklärt: "Steve mag tot sein. Aber sein Kampf geht weiter." Die Geschichte, sofern sie nicht als Wissenschaft in Erscheinung tritt, die der Rechtfertigung und Begründung von Herrschaftsverhältnissen zweckdienlich sein möchte, hätte ihr Recht gegeben.

(Fortsetzung folgt)

9. November 2007