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DILJA/068: Südafrika - Statthalterstaat des Imperiums - Teil 7 (SB)


Statthalter westlicher Hegemonialmächte auf dem schwarzen Kontinent - Südafrika vor, während und nach der Apartheid


Teil 7: Das Regime schlägt zu - 1976 wird der Schüleraufstand von Soweto zusammengeschossen, 1977 Steve Biko ermordet. Doch mit dem Zorn wächst der Widerstand

"Afrikaans", so weiß es jeder Duden in der westlichen Hemisphäre, ist in Südafrika die Sprache der Buren bzw. der im Land geborenen Weißen. Der Begriff der "Apartheid" (Trennung) ist dieser auch Kapholländisch genannten Sprache entnommen, und nach mehreren Jahrhunderten europäischer - zunächst niederländischer, dann britischer, dann britisch-niederländischer - Besatzung schien im Südafrika der 1970er Jahre niemand mehr die Frage zu stellen, was die Kolonialherren und ihre Nachfahren nach so langer Zeit noch immer in der von ihnen ohne Berücksichtigung der Lebensformen, Stammesgebiete und Königreiche der ursprünglichen Bewohner konstituierten Republik zu suchen haben. In einer Zeit, in der die meisten Staaten Afrikas längst - zumindest formal - unabhängig geworden waren und bereits vor den immensen Problemen einer neokolonialen Fortsetzung ihrer vermeintlich abgestreiften Kolonialketten standen, befand sich die schwarze Bevölkerungsmehrheit Südafrikas in der bizarren Situation, noch immer eine Art Sklaven-Dasein führen zu müssen.

Neben der ordnungspolitischen Funktion der Republik Südafrika als Vorposten und militärisches Standbein der kapitalistischen Welt stellte die nicht-weiße Bevölkerung für das Apartheidregime und die hinter ihm stehenden westlichen Kräfte eine Verfügungsmasse sowie ein Arbeitskräftereservoir dar. Die wirtschaftliche Ausbeutung ließ sich im Kapstaat bestens organisieren unter Ausnutzung der klaffenden sozialen Gegensätze, die sich allem Anschein nach an der durch die Hautfarbe begründeten, gegensätzlichen Klassenzugehörigkeit festmachen ließen. Tatsächlich unterscheidet sich ein Regime, in dem eine elitäre Minderheit in der Lage ist, die überwiegende Bevölkerungsmehrheit in Not und Elend zu halten, um auf dieser Basis die eigene Privilegienordnung durch ein hochentwickeltes und zu jeder Grausamkeit fähiges Repressionssystem aufrechtzuerhalten, nicht fundamental von den Verhältnissen in der übrigen kapitalistischen Welt.

Die Sonderrolle Südafrikas, die der Republik schon in der Frühzeit der Kolonialgeschichte des gesamten Kontinents zugeschrieben wurde, trat in den 1970er und 1980er Jahren immer krasser und deutlicher zutage, und so kamen die führenden westlichen Staaten schließlich nicht umhin, sich um der eigenen Glaubwürdigkeit willen vom Apartheidregime zu distanzieren. Am 4. November 1977, keine zwei Monate nach der Ermordung des Mitbegründers der Black-Consciousness-Bewegung, Steve Biko, verhängten die Vereinten Nationen ein Waffenembargo gegen die Republik Südafrika. Daß die internationale Gemeinschaft vom Regime in Pretoria offiziell abrückte, war das Ergebnis eines taktischen Kalküls, weil die führende westliche Welt andernfalls von den Schwarzen Südafrikas, aber auch vielen anderen Menschen in den ehemals kolonialisierten Kontinenten, als Aggressoren und Okkupanten wahrgenommen worden wären.

Der Widerstand gegen das Gewaltregime Südafrikas gewann im Land selbst ungeachtet oder trotz der massiven Repression jener Zeit an Stärke. Dies nicht etwa, weil es den schwarzen Apartheidgegnern etwas genützt hätte, daß sich die internationale weiße Welt nun einer vornehmen Zurückhaltung gegenüber Pretoria befleißigte. Umgekehrt wird eher ein Schuh draus: Die vage in Aussicht gestellte Möglichkeit, die internationale Gemeinschaft würde "Druck" auf den Apartheidstaat ausüben, war geeignet, diesbezügliche Hoffnungen unter den Schwarzen zu schüren und somit die Entschlossenheit zum Widerstand zu schwächen. Zugleich hielt die weiße oder vielmehr kapitalistische Welt einen Plan B bereit, um, sollte es wider Erwarten doch zu einem von ihr unkontrollierten Sturz des Apartheidregimes kommen, aus dem Scherbenhaufen ein neues, nicht minder pro-westliches System zu kreieren. Auch den verbohrtesten Apartheidanhängern und mehr noch ihren stillen Freunden in Übersee muß schließlich irgendwann klargeworden sein, daß die rund 20 Millionen schwarzen Menschen Südafrikas sich nicht ewig auf so drastische und gewalttätige Weise unterdrücken lassen würden.

Der Zorn der schwarzen Massen - im Apartheidstaat durften nur Weiße überhaupt wählen - richtete sich auch gegen die Sprache Afrikaans, die keineswegs erst in dieser Zeit als die Sprache der Unterdrücker verhaßt war. Dies war sie von Anbeginn der Jahrhunderte langen Fremdherrschaft, doch nach der weitestgehenden Entkolonialisierung Afrikas ging auch in Südafrika der auferzwungene Glaube, als Schwarzer sich in einer gottgewollten oder naturbedingten Ordnung in ein von Weißen beherrschtes Regime fügen zu müssen, sukzessive, aber unaufhaltsam verloren. Dabei ist die Frage, ob die zu Beginn der 1970er Jahre von Steve Biko mitbegründete Black-Consciousness-Bewegung diese Entwicklung maßgeblich initiiert hat oder ob ihre Entstehung bereits Ausdruck und Folge eines solchen Bewußtseinswandels unter Menschen ist, die seit Generationen nichts anderes als eine gewaltsame Unterdrückung als Schwarze erlebt haben, unerheblich.

Die Tatsache, daß das Regime in dieser Zeit mit äußerster Brutalität gegen die durch das Verbot und die Kriminalisierung der kommunistischen Partei SACP sowie des ANC und des PAC bereits niedergerungene Opposition vorging, deutet darauf hin, daß die Regierung in Pretoria sich schon nicht mehr anders als durch eine weitere Verschärfung der Repression zu helfen wußte. Einen besonderen Stellenwert nehmen in diesem Zusammenhang die Schüleraufstände von 1976 in Soweto ein, bei denen über 250 Kinder und Jugendliche getötet wurden. Die Proteste der schwarzen Jugend hatten sich gegen Afrikaans als Unterrichtssprache gerichtet, wogegen Zehntausende Schüler und Schülerinnen lautstark aufbegehrten. Die Polizei Südafrikas ging mit Schußwaffen gegen die Jugendlichen vor und richtete ein Massaker unter ihnen an. So wurden allein am 16. Juni 1976 in Soweto 176 Schüler und Schülerinnen erschossen.

Der aufkeimende Widerstand konnte dadurch jedoch nicht erstickt werden. Im Gegenteil. Immer mehr junge Menschen schlossen sich in den folgenden Jahren dem illegalisierten ANC an. Die militärischen Angriffe, die dessen militärischer Arm Umkhonto we Sizwe in dieser Zeit durchzuführen imstande war, blieben nicht ohne Wirkung. Die Angreifbarkeit des Regimes galt nun als erwiesen. Nach und nach kehrten immer mehr militärisch ausgebildete Kämpfer aus den Nachbarstaaten, aus Mozambique, Swasiland und Lesotho, aus den Wüsten Namibias und der Kalahari, nach Südafrika zurück. Der ANC erfuhr eine praktische Unterstützung auch durch Angola und Uganda, wo es ihm erlaubt wurde, Militärcamps zu unterhalten. Pretoria sah sich gezwungen, mehr und mehr einen offenen Krieg gegen die schwarze Befreiungsbewegung zu führen, was nicht ohne Konsequenzen auch für die weiße Bevölkerung Südafrikas bleiben sollte.

Deren Privilegien konnten nicht mehr in dem gewohnten Maße aufrechterhalten werden. Das Regime sah sich zu für Weiße unpopulären massiven Steuererhöhungen genötigt; auch mußte für Weiße eine Wehrpflicht eingeführt werden, um die erheblich ausgebauten Repressionsorgane personell ausrüsten zu können. Nach und nach mußte die gesamte, rund fünf Millionen Menschen umfassende weiße Bevölkerung in die Aufstandsbekämpfung mit eingebunden werden, was nicht eben zur Reputation des international ohnehin in die (Pseudo-) Kritik geratenen Regimes beitrug. Der Lebensstandard der weißen, arbeitenden Bevölkerung begann zu sinken, und so konnte es nicht ausbleiben, daß der ANC seine Mitstreiter auch unter Menschen weißer Hautfarbe rekrutieren konnte.

Zwei von ihnen, Tim Jenkin und Stephen Lee, sorgten international für Furore. Sie stammten aus der Elitenschicht weißer Privilegierter, was ihnen ein Studium in Europa ermöglichte. Dort zu Apartheidgegnern gewandelt, nahmen sie Kontakt zum ANC auf und kehrten 1975 nach Südafrika zurück, um eine normale, berufliche Identität anzunehmen und unter dieser Legende für den ANC propagandistisch tätig zu sein. Bis zu ihrer Verhaftung im Jahre 1978 sollten sie zigtausende Flugschriften des ANC verbreiten. Ihre Spezialität waren "Flugblatt-Bomben", mit denen sie für eine große Verbreitung des Materials sorgten. Sie verschickten Flugblätter auch per Post und brachten ANC-Parolen an Hochhauswänden an - all dies zu einer Zeit, in der das Regime jede Unterstützungshandlung für den als "terroristisch" geführten ANC mit bis zu zehn Jahren Gefängnis bestrafte. Jenkin und Lee wurden schließlich zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt und in ein eigens für weiße politische Gefangene eingerichtetes Gefängnis verbracht. Die Apartheidgesetze wurden auch gegen ANC-Mitglieder unterschiedlicher Hautfarbe durchgesetzt.

Unter Mithilfe ihres Mitgefangenen Denis Goldberg, einem Gründungsmitglied Umkhonto we Sizwes, der 1964 im Rivonia-Prozeß zusammen mit Nelson Mandela und der übrigen Parteiführung des ANC zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden war und erst 1985 auf internationale Proteste hin freigelassen werden sollte, gelang Jenkin und Lee sowie einem weiteren Gefangenen, Alex Moumbaris, am 12. November 1979 die Flucht. Sie konnten aus dem weißen politischen Gefangenen vorbehaltenen Hochsicherheitsgefängnis in Pretoria fliehen, ohne daß eine gewaltsame Befreiung vorgenommen wurde oder sie selbst zu gewaltsamen Maßnahmen gegriffen hätten. Für das Regime stellte diese Flucht einen enormen Prestigeverlust dar, der Nimbus weißer Unbesiegbarkeit war bis an die Grenze der Lächerlichkeit entlarvt worden. Gefängnisleitung wie Staatsführung ließen ihre Wut an den im Gefängnis verbliebenen übrigen Häftlingen aus. Die gesamte Station wurde in einen Todestrakt verlegt, um sie - mehrere Male pro Woche - die Hinrichtungen anderer Gefangener miterleben oder vielmehr durchleiden zu lassen.

Das europäische Ausland, aus dem die Kolonialherren Südafrikas einst gekommen waren, reagierte auf diese Entwicklung mit der vollständigen Perfidie ihrer formal zwar aufgegebenen, auf modifizierte Weise jedoch fortgesetzten (neo)kolonialen Position. Die Ermordung Steve Bikos, dessen Organisationen sich bemüht hatten, vollkommen legal zu operieren und dem Regime durch etwaige militante Aktionen keinen Vorwand zur Verfolgung oder Verbannung zu liefern, hatte in den westlichen Führungsstaaten zu einer erheblichen Verstimmung geführt, während die 1964 erfolgte Aburteilung des später so sehr hofierten Nelson Mandela sowie der gesamten ANC-Führung kein Wimpernzucken hervorgerufen hatte.

Die stillen Freunde Pretorias schienen der Auffassung zu sein, daß Proteste gegen das Apartheidregime gut, richtig und wichtig seien und ihrer Unterstützung wert, jedoch nur unter der Voraussetzung, daß die Protestierenden nicht die Konsequenz aus ihrer bisher vergeblichen Arbeit ziehen und eine direkte Gegenwehr gegen das Regime zu organisieren beginnen. Dies schien eine rote Linie gewesen zu sein nicht unter den Befreiungsorganisationen Südafrikas, die sich in dieser Frage nicht spalten ließen, wohl aber im westlichen Ausland, das an eben dieser Spaltung ein großes Interesse hatte. So ergab sich die bizarre Situation, daß die Ermordung Bikos Pretoria erheblich schadete ungeachtet der Vielzahl an Menschen, die als politische Gefangene schon zuvor zu Tode gefoltert oder zum Tode verurteilt und hingerichtet worden waren. Der angeblich so menschenrechtsbewußte Westen konnte in seinem Fall die Position Pretorias, nämlich daß ein Apartheidgegner als Staatsfeind am besten ums Leben gebracht wird, nicht teilen, ohne sich selbst bloßzustellen.

Wohlwissend um diese Problematik hatte das Regime in Pretoria sich schon vor Bikos Tod nach Kräften bemüht, ihn in einem Gerichtsprozeß wenn nicht selbst als "Terroristen", so doch als einen geistigen Brandstifter dastehen zu lassen. Immer wieder versuchten westliche Meinungsmultiplikatoren, ihm den politischen Katechismus abzufragen, was im Kern stets auf die Frage hinauslief, wie er bzw. die Black-Consciousness-Bewegung es denn "mit der Gewalt" halte. In der von Donald Woods, einem südafrikanischen Journalisten und Freund Bikos, verfaßten Biographie gibt dieser ein Gespräch, das Biko am 2. August 1976 mit John Burns, dem Südafrika-Korrespondenten der New York Times, geführt haben soll, folgendermaßen wieder:

Mr. Biko sagte, daß es innerhalb der Black-Consciousness-Bewegung Meinungsunterschiede gäbe in bezug auf den Gebrauch von Gewalt zu politischen Zwecken. "Das Spektrum geht von friedlich bis vollkommen gewalttätig", sagte er. Wie auch immer, sagte er, die Organisation sei im Augenblick nicht auf Gewalt eingestellt. "Momentan haben wir keinen Flügel, der sich mit bewaffnetem Kampf beschäftigt", sagte er. "Wir werden uns nicht auf den bewaffneten Kampf einlassen. Das überlassen wir dem PAC und dem ANC. Wir operieren in der Annahme, daß wir die Weißen durch eine Konfrontation mit unseren überwältigenden Forderungen zur Vernunft bringen können."

Dann fügte er hinzu: "Wir haben bis jetzt noch nicht über die Gewalt diskutiert. Eben deshalb, weil wir offen und legal operieren, sind wir darauf angewiesen, gewaltfrei zu operieren. Das heißt nicht, daß wir die Gewalt ausschließen. Aber es gibt andere Methoden, mit denen wir unsere Befreiung vorantreiben können, wie das Lahmlegen der Wirtschaft."

(aus: "Steve Biko - Stimme der Menschlichkeit" von Donald Woods, S. 71 - Die Biographie ist 1978 im Wilhelm Goldmann Verlag als deutsche Erstveröffentlichung der unter dem Titel "Biko" herausgegebenen englischen Originalausgabe erschienen)

Dabei ist die Frage, ob die Befreiung des schwarzen Volkes Südafrikas unmittelbar durch militärische Aktionen und/oder einen Generalstreik der arbeitenden Schwarzen herbeigeführt werden könne, unerheblich angesichts des massiven Interesses der Machthaber in Pretoria, mit allen Mitteln gegen ihre Gegner vorzugehen. Als Steve Biko 1976 als Zeuge in einem gegen neun andere Mitglieder der Black-Consciousness- Organisationen angestrengten Prozeß aussagen mußte, wurde er gefragt, ob er glaube, daß die Schwarzen in der Lage wären, den Staat zu stürzen. Biko verneinte dies ebenso wie die Frage, ob er einen Umsturz überhaupt für durchführbar hielte.

Ein Militärexperte hatte in diesem Verfahren seine Einschätzung der politischen Lage zur vermeintlichen Wahrheitsfindung beigetragen, derzufolge Südafrika militärisch zu stark sei und jeden Angriff seiner Einwohner zurückschlagen könne. Deshalb sei das geeignetste Terrain für Schwarze, um einen politischen Wandel herbeizuführen, das der schwarzen Arbeiter. Mit dieser Art Fragen hatte Staatsanwalt Attwell mehr über den Zustand des Regimes preisgegeben, als ihm hätte lieb sein können. Offenbar waren sie dem Zweck geschuldet, Biko zu einer Aussage zu verleiten, die es dem Gericht ermöglicht hätte, die beabsichtigte Aburteilung der Aktivisten in eine auch für das europäische Ausland vertretbare juristische Form zu gießen.

Dabei ist nicht nur vorstellbar, sondern hochwahrscheinlich, daß Biko von den verdeckt agierenden westlichen Freunden des Apartheidregimes auf eine Weise instrumentalisiert wurde, die besonders zynisch deshalb anmutet, weil er sich dieser Vereinnahmung posthum nicht mehr erwehren konnte. In Bikos Interesse wird es nicht gelegen haben, daß er einem Märtyrer gleich als Opfer des Apartheidregimes bedauert und geehrt wurde, während viele andere namhafte wie international namenlose Befreiungskämpfer auf nicht minder bestialische Weise ums Leben kamen, ohne daß dies im Westen besondere, über die allgemeine Verbal- Ablehnung des Kapstaats hinausgehende Reaktionen hervorgerufen hätte. In den 80er Jahren widmete der britische Rockmusiker Peter Gabriel Biko einen Song, der sehr erfolgreich wurde; der Regisseur Sir Richard Attenborough trug zur Legendenbildung "Biko" einen eigenen Film bei.

Teile und herrsche lautete auch hier die Maxime, um eine gemeinsame Front aller Apartheidgegner in Südafrika zu be- und wenn irgendmöglich zu verhindern. Einer der Folterer Bikos, Major H. Snyman von der für ihre Folterungen schon zuvor berüchtigten Sicherheitspolizei in Port Elizabeth, behauptete im November 1977 im Zuge einer gerichtlichen Untersuchung zum Tode Bikos, dieser sei ein "gewalttätiger Revolutionär" gewesen. Snyman erklärte vor Gericht, Biko sei in den Büros der Special Branch "durchgedreht", als ihm klar geworden sei, daß er und seine Pläne von seinen Freunden verraten worden wären. Zu diesen Plänen habe, so Snyman, die Bildung einer vereinten Revolutionären Front zwischen der von Biko mitbegründeten Black People's Convention (BPC) und den seit 1960 verbotenen Organisationen ANC und PAC gehört, auch seien ausgebildete Kämpfer in das Land bereits eingeschleust worden für einen bewaffneten Umsturz der Regierung.

Snymann war der Leiter eines aus fünf Männern speziell für die "Vernehmung" von Aktivisten der schwarzen Widerstandsorganisationen gebildeten Folterteams gewesen. Als er vor Gericht gefragt wurde, wie er auf die Nachricht vom Tode Bikos reagiert habe, antwortete er: "Das tat mir leid. Lebend wäre er für uns mehr wert gewesen." Eine solche Bemerkung spricht natürlich Bände, bekundet Snyman damit neben der Brutalität und dem Zynismus des gesamten Apparates auch, daß der Tod Bikos für die Regierung oder den sogenannten Sicherheitsapparat einen Wert besessen habe. Dieser läßt sich leicht nachzeichnen, galt doch gerade Steve Biko als ein charismatischer Führer, überzeugender Redner, Analyst und Vordenker der Black-Consciousness-Bewegung.

Daß sein Tod gleichwohl von einem der polizeilichen Handlanger des Regimes öffentlich "bedauert" wird, weil ein lebender Biko "mehr wert" gewesen wäre, könnte allerdings auch dahingehend gedeutet werden, daß im Falle Bikos nun nicht mehr die Möglichkeit bestand, ihn in einer langen Haftzeit - womöglich mit den in den USA und Europa bereits bestens erforschten Mitteln der Isolationsfolter - zu brechen und "umzudrehen". Ein Oppositionsführer, der öffentlich abschwört und den Kampf für beendet erklärt, noch bevor dieser gewonnen werden konnte, ist für ein solches Regime tausendmal mehr "wert" als ein getöteter, zumal ein solcher Mord den Zorn seiner Anhänger nur noch weiter entfachen würde.

Zur Beerdigung Bikos kamen noch einmal rund 20.000 Menschen zusammen. Danach trat diese strikt legal und gewaltfrei operierende Bewegung, deren Kernanliegen (zunächst) darin bestanden hatte, die Schwarzen zu ermutigen, sich dem Rassistenregime nicht länger zu unterwerfen und ihre Minderwertigkeitsgefühle als Bestandteil ihrer Unterdrückung zu erkennen und abzulegen, öffentlich kaum noch in Erscheinung. Vorstellbar wäre durchaus, daß die Behauptung Snymans, Biko sei unterwegs gewesen, um an der Bildung einer gemeinsamen revolutionären Front zwischen den (noch) legalen Bewegungen wie der BPC und den illegalisierten Organisationen ANC und PAC mitzuwirken, einen realen Kern gehabt haben könnte. Sicherlich könnte sie vor Gericht nur geäußert worden sein, um Biko und mit ihm die BPC als ebenfalls "terroristisch" zu diffamieren, um auf diese Weise seine Ermordung zwar nicht formaljuristisch, so doch in einem politischen Sinne, der von den westlichen Eliten sehr wohl verstanden worden sein wird, zu rechtfertigen.

Biko selbst hatte sich in seinen Äußerungen - auch als Zeuge vor Gericht - niemals vom ANC und vom PAC distanziert. Wenige Monate vor seinem Tod, im Juli 1977, soll Biko gegenüber Bernard Zylstra vom "Canadian Institute for Christian Studies" erklärt haben:

Während die BPC die Gewalt ablehnt, darf man nicht vergessen, daß wir Teil einer Bewegung sind, die mit neuen Situationen konfrontiert sein wird, die andere Strategien benötigen könnten.

(aus: "Steve Biko - Stimme der Menschlichkeit", S. 62)

Daß die schwarze Bewußtseins-Bewegung nach Bikos Tod nicht mehr in nennenswerter Weise in Erscheinung trat, muß keineswegs bedeuten, daß die Aktivisten ihren Kampf aufgegeben und angesichts der Ermordung ihres charismatischen Anführers kapituliert hätten. Diese Deutung würde das Regime in Pretoria sicherlich bevorzugen, und auch im westlichen Ausland wurde mit großer Selbstverständlichkeit damit fortgefahren, die Schwarzenorganisationen Südafrikas in gute und schlechte, gewaltfreie und terroristische zu unterscheiden und zu trennen - was nur möglich ist, wenn die Problematik, einen über Bittschriften hinausgehenden Widerstand unter den denkbar schärfsten Repressionsbedingungen, für die der Apartheidstaat schließlich weltweit berüchtigt war, zu organisieren, von vornherein und mit sicherem Instinkt ausgeklammert wird. Steve Biko könnte sich nicht zuletzt deshalb für ihn todbringende Feinde geschaffen haben, weil er solchen Spaltungsversuchen stets entgegentrat und ihnen nie Vorschub leistete, auch wenn der Westen ihn als einen der "Guten" aufzubauen begonnen hatte mit der Folge, daß sein Tod weitaus mehr Empörung und Trauer hervorrief als die Folterungen und Tötungen der vielen anderen, international "namenlosen" Regimekritiker.

Die gerichtliche Untersuchung zum Tode Bikos führte zu einem Ergebnis, das unter den Schwarzen Südafrikas kaum noch für eine böse Überraschung gesorgt haben kann. Als das Gericht seine Akten schloß, gab es als Ermittlungsergebnis bekannt, daß die Todesursache eine Gehirnverletzung gewesen sei, die zu Nierenversagen und anderen Komplikationen geführt habe. Die Kopfverletzungen habe Biko wahrscheinlich am 7. September 1977 "während eines Handgemenges in den Büros der Sicherheitspolizei von Port Elizabeth" erlitten; angesichts des zur Verfügung stehenden Beweismaterials sei der Tod Bikos "auf keine kriminelle Tat und kein kriminelles Versäumnis irgendeiner Person zurückzuführen" gewesen. Es ist anzunehmen, daß diese Untersuchung, bei der alle Beteiligten ausführlich Gelegenheit erhalten hatten, ihre Sicht der Dinge vor einem juristischen Forum darzulegen, ohnehin nicht den Zweck erfüllen sollte, die schwarze Bevölkerungsmehrheit davon zu überzeugen, Biko sei bei einem Handgemenge sozusagen unabsichtlich tödlich verletzt worden - das hätte im Land der Apartheid kein Mensch dunkler Hautfarbe geglaubt.

Der juristische Aufwand einer akribisch anmutenden Untersuchung mochte vielmehr dem Zweck dienen, das Ansehen des Regimes nicht noch mehr als ohnehin schon zu strapazieren. Da Steve Biko über ein nicht unerhebliches internationales Renommee verfügt hatte, weshalb seine Freunde und Weggefährten nach seiner Verhaftung zunächst noch geglaubt hatten, das Regime würde es nicht wagen, ihm etwas anzutun, mußte eine ins Ausland abstrahlende "Lösung" dieses Glaubwürdigkeitsproblems gefunden werden. Das soll mitnichten heißen, daß die westlichen Staaten dem Apartheidstaat ihre stützenden Hände entzogen hätten; schließlich haben sie von Anfang an gewußt, mit welchen Mitteln sich das neokoloniale Regime in Südafrika am Leben erhält. Das Glaubwürdigkeitsproblem, wenn es denn tatsächlich eines gegeben haben sollte, bestand vielmehr in dem Bestreben der internationalen Gemeinschaft, vor der Weltöffentlichkeit und ihren eigenen Bevölkerungen ihre tiefe Kumpanei mit dem vermeintlichen Pariastaat Südafrika so gut es eben geht zu verbergen.

(Fortsetzung folgt)

15. November 2007