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DILJA/075: Südafrika - Statthalterstaat des Imperiums - Teil 14 (SB)


Statthalter westlicher Hegemonialmächte auf dem schwarzen Kontinent - Südafrika vor, während und nach der Apartheid


Teil 14: 1994-1999 - Die versprochene Landreform der ANC-Regierung erweist sich als ordnungspolitische Maßnahme. Die Zurichtung der Bevölkerung wird nach Maßgabe "wirtschaftlicher Zwänge" fortgesetzt

Als Nelson Mandela und mit ihm eine ANC-geführte Regierung - übrigens unter Beteiligung der Nationalpartei des Apartheidregimes sowie dessen letzten Präsidenten, Frederik de Klerk, der das Amt des Zweiten Vizepräsidenten bekleiden sollte - nach den ersten "freien" Wahlen von 1994 die Regierungsgewalt in Südafrika übernahm, hätte die Lichtgestalt des Antiapartheidkampfes wohl nur ungern an gewisse Passagen der Freiheitscharta des ANC erinnert werden mögen. Diese war ein knappes halbes Jahrhundert zuvor, 1956, auf dem in Kliptown abgehaltenen "Kongreß der Demokraten" verfaßt worden und galt seitdem als politisches Grundsatzprogramm des Afrikanischen Nationalkongresses; in ihr standen jedoch Sätze, mit denen der ANC von der eigenen Basis nun hätte in die Pflicht genommen werden können.

In der Mitte des vorigen Jahrhunderts hätte der ANC mit Minimalforderungen nach einem allgemeinen, nicht rassistischen Wahlrecht ("one-man-one-vote") schwerlich eine führende Position innerhalb des Apartheidwiderstands einnehmen können. Und so war der Freiheitscharta programmatisch zu entnehmen, daß eine vollständige Beendigung der Apartheid des Burenstaates nicht zu bewerkstelligen sei ohne eine "Nationalisierung der Minen, Banken und Monopolindustrien", weil diese, wie nachzulesen ist, "sich vollständig in den Händen einer Rasse befinden, und ohne die Nationalisierung derselben würde die Vorherrschaft einer Rasse trotz der Aufteilung der politischen Macht auch weiterhin fortbestehen." Was lag also 1994 näher als die Annahme, der ANC würde, sobald er die "politische Macht" in Händen hielte, der eigenen Programmatik folgen und nicht nur tief in die Vorherrschaft der alten (weißen) Elite einschneiden, sondern dieser ihre materiellen Grundlagen ebenso entziehen wie die Kontrolle über den gesamten Repressions- und Administrationsapparat des alten Regimes?

Weit gefehlt. Der ANC schien andere, für ihn verbindlichere Verpflichtungen eingegangen zu sein als die einer wirksamen Interessenvertretung der vom Joch der Kolonialherrschaft endlich befreiten (schwarzen) Bevölkerung Südafrikas. Dabei kommt es einer Binsenweisheit gleich zu mutmaßen, daß die tatsächlich im Kapstaat herrschenden Interessengruppen eine Übertragung der "politischen Macht" an eine ANC-geführte Drei-Parteien-Allianz niemals zugelassen hätten, wenn Nelson Mandela und mit ihm die maßgebliche Führung des ANC in dieser Hinsicht nicht überzeugende Vorleistungen erbracht hätten. Nelson Mandela selbst hatte sich schon in seinem Hochverratsprozeß von 1964 als strikter Antikommunist zu erkennen gegeben. In seiner Verteidigungsrede "Ich bin bereit zu sterben" hatte er für sich und, wenn man so will, auch im Namen des ANC eine solche Erklärung abgegeben:

In keiner Phase seiner Geschichte befürwortete der ANC revolutionäre Veränderungen des wirtschaftlichen Gefüges des Landes, und soweit ich weiß, hat er auch niemals ein Verdammungsurteil gegen die kapitalistische Gesellschaftsform ausgesprochen.

(Zit. aus: "Kap ohne Hoffnung", Herausgeber: F. Duve, Hamburg 1965)

Antirassistisch ja, antikapitalistisch nein - nach damaliger wie heutiger Ansicht Mandelas und maßgeblicher Kreise des ANC ist es demnach sinnvoll und überhaupt möglich, hier einen Unterschied zu vermuten, wenn nicht gar einen Gegensatz zu behaupten. Als dann 1994 die Stunde der Wahrheit näherrückte und viele Menschen in Südafrika im Zuge der Anti-Apartheid-Siegesfeiern geglaubt und gehofft hatten, mit dem Ende der Rassentrennungsgesetze auch einen Schlußstrich unter vierhundert Jahre kolonialer Herrschaft ziehen zu können, sah sich der ANC veranlaßt, hier für Klarstellungen zu sorgen. So erklärte Trevor Manuel, Wirtschaftsexperte des ANC, 1994 bei seinem Einstand, daß der ANC "einen rein pragmatischen Ansatz" verfolge. Und, wohl an die Adresse der inländischen, nach wie vor weißen Großgrundbesitzer sowie die gleichermaßen besorgten in- und ausländischen Konzerne gerichtet, unterstrich er, daß es "kein einziges Verstaatlichungsprojekt" gebe. Und: "Für uns sind Verstaatlichungen ein Mittel der Politik, das man sich vorbehalten muß, dessen Einsatz aber in absehbarer Zeit nicht vorgesehen ist."

Das war deutlich. Zudem startete die "neue" Regierung mit einer Arbeitsplatzgarantie für alle fast ausnahmslos weißen Staatsbediensteten des "alten" Regierungsapparates. 1994 befanden sich 90 Prozent des Landes im Besitz von Weißen, und dabei sollte es auch bleiben. Zwar gab und gibt es noch heute eine sogenannte "Landreform", doch auch sie diente in erster Linie dem Zweck, der landlosen und verarmten (schwarzen) Bevölkerungsmehrheit nicht die Illusion zu rauben, in der angeblich nun angebrochenen neuen Zeit könnten sie das ihnen und ihren Vorfahren geraubte Land zurückerlangen - um von der Idee, die riesigen Ländereien im Besitz einer kleinen Elite zugunsten der eigentumslosen Landbevölkerung zu enteignen, gar nicht erst zu reden. Spätestens nach fünf Jahren hatten sich die wohlgeschürten Hoffnungen der verarmten Massen vollständig zerschlagen. Das sogenannte Landreformprogramm war das Papier nicht wert, auf dem es gedruckt worden war. Bis Ende 1997 waren 11.000 Anträge gestellt worden, von denen im selben Zeitraum lediglich 25 zum Abschluß gebracht wurden. Zwei Jahre später, 1999, dasselbe Bild: Von nun 63.000 eingereichten Rückerstattungsanträgen waren gerade einmal 34 - in Worten: vierunddreißig - überhaupt entschieden worden.

Eine Rückgabe zuvor geraubten Landbesitzes war nur bei einer "marktgerechten Entschädigung" der Räuber, sprich der Großgrundbesitzer aus Kolonial- und Apartheid-Zeiten, überhaupt möglich. Die Budget-Grenzen des für die Entschädigungszahlungen zuständigen Landministeriums setzten dem allerdings, welch Zufall, sehr enge Grenzen. Dabei waren, zumindest theoretisch, auch Enteignungen möglich; schließlich sollte das ANC-Volk nicht (so schnell) auf die Idee kommen, es mit einer Regierung zu tun zu haben, die in dem zugrundeliegenden Kernkonflikt zwischen arm und reich, was im zweiten Schritt nach wie vor schwarz und weiß bedeutete, die Interessen der alten und neuen Herren bevorzugen, durchsetzen und verteidigen würde. Allem Anschein nach "mußte" sie dies auch tun, denn offenbar hatten die heimlichen Herrscher Südafrikas der ANC-Regierung lediglich einen Kredit eingeräumt. Nicht zuletzt im Auftrag und Interesse des alten Regimes und der hinter ihm stehenden westlichen Mächte war es nun ihre Aufgabe, die ineffizient und überaufwendig gewordenen Herrschaftsverhältnisse der Apartheid durch eine Administration abzulösen, die den Spagat zwischen geschürten Hoffnungen und vorenthaltenen tatsächlichen Reformen und Verbesserungen auch vollführen kann.

Der "Preis", den Südafrika für die formale Beendigung der Apartheid zu zahlen hatte, schien darin bestanden zu haben, die kapitalistisch strukturierte Gesellschaft der Republik festzuschreiben und mit Zähnen und Klauen zu verteidigen gegen jede auch nur irgendwie sozialistisch anmutende Entwicklungstendenz. Man kann dem ANC in dieser Phase gewiß nicht nachsagen, daß er die Erwartungen und Forderungen der inländischen Klasse des Kapitals und Großgrundbesitzes nicht ebenso willfährig erfüllen wollte, wie er sich den offenen oder auch verhaltenen Drohungen aus den Schaltzentralen westlicher Vorherrschaft zu beugen bereit war. Als ein Sprachrohr der Interessen des Westens an einem "kapitalistischen" Südafrika trat 1999 die FAZ in Erscheinung, die am 1. Juni 1999 im Vorfeld der bevorstehenden Parlamentswahlen anmerkte:

Für den Fall einer Zweidrittelmehrheit des ANC wird befürchtet, daß der populistische Parteiflügel des ANC darauf dringen könnte, die Zinspolitik zu lockern sowie die Eigentums- und Bergbaurechte durch eine Verfassungsänderung auszuhöhlen. Zudem könnte die Unabhängigkeit der Notenbank gefährdet werden.

Doch damit nicht genug, denn die spätestens ab 1996 vom ANC verfolgte neoliberale, das heißt ausschließlich an den Interessen potentieller aus- wie inländischer Investoren und Großunternehmen orientierten Sozial-, Wirtschafts- und Finanzpolitik hatte innerhalb weniger Jahre zu Verhältnissen geführt, die das Mißfallen der Eigner-Klasse erregten. So hatten sich in einer gemeinsamen Aktion im August 1996 die Handelskammern Deutschlands, Britanniens, der USA sowie Japans an die neue Regierung Südafrikas angewandt, um ein härteres Durchgreifen - es muß ja nicht gleich wieder wie zur Zeit der Apartheid sein - gegen das einzufordern, was sie als Problem Nr. 1 definieren: die "Kriminalität", die "auszurotten" sei. Hinter dem Begriff "Kriminalität" verbargen sich jedoch Menschen, die sich aus puren Überlebensnöten gezwungen sahen, zur Selbsthilfe zu greifen und damit nahezu unweigerlich in Konflikt gerieten mit einem Staatsapparat, den die ANC-Regierung inklusive all der gutbezahlten Jobs, die er für die nun überwiegend schwarzhäutige Elite in hohen Regierungsämtern bereit hielt, von ihren Apartheidvorgängern übernommen hatte.

Auf dem Land schien die Zeit auch fünf Jahre nach dem Ende der Apartheid stehengeblieben zu sein. Noch immer befanden sich 87 Prozent der landwirtschaftlich nutzbaren Fläche im Besitz der rund 65.000 weißen Farmer. Über fünf Millionen besitzlose Landarbeiter leisteten ihnen Frondienste. Ein Wandel hatte hier nicht stattgefunden, dabei war noch vor der offiziellen Regierungsübernahme durch den ANC im Jahre 1993 eine "Restitution of Land Right Bill" verabschiedet worden, um die Abwicklung konträrer Interessen in der Landfrage glimpflich zu gewährleisten. Nelson Mandela predigte als Präsident Südafrika weiteres Stillhalten auf seiten der landlosen Landarbeiter. Es dürften die "Fehler der Vergangenheit" nicht wiederholt werden, weshalb niemand - das hieß nun, die weißen Großfarmer - von seinem Grund und Boden vertrieben werden dürfe.

Angesichts der angespannten Haushaltslage mußte, wie es zur Begründung hieß, dann auch das Versprechen der Regierung, mit dem "Reconstruction and Development Program" den weißen Farmern bis zu 30 Prozent ihres Landbesitzes abzukaufen, um es an schwarze Kleinbauern zu verteilen, ergebnislos fallengelassen werden, und so mußten interessierte Neubauern unter staatlicher Bürgschaft Kredite bei Banken beantragen, was natürlich für die allerwenigsten Landlosen überhaupt in Frage kam. So wurden seitens des ANC die Eigentumsverhältnisse der Apartheid nicht nur uneingeschränkt stehengelassen, sondern unter dem Namen "Korrektur vergangenen Unrechts" nachträglich legitimiert. Und wenn es denn doch einmal zu medienwirksam inszenierten Landrückgaben kam, handelte es sich zumeist um landwirtschaftlich nicht nutzbares und insofern wertloses Land. So beschrieb die FAZ am 22. März 1999 das Land, das ein in den 1970er Jahren von seinem angestammten Siedlungsgebiet vertriebener Stamm zurückerhalten hatte, mit folgenden Worten: "Das unwegsame Gelände etwa tausend Kilometer nördlich Kapstadts besteht hauptsächlich aus roten Sanddünen."

Die weißen Farmer konnten jedoch nicht nur schlechtes Land abstoßen, sie konnten sich für die Unwägbarkeiten, die der Wechsel in der Administration von 1994 ihnen beschert haben mag, an anderen Stellen schadlos halten. Und das ist wörtlich zu verstehen. Im Mai 1996 startete die südafrikanische Landwirtschaftsentwicklungskammer (Sacada), die "Investitionen" auch in Zaire, Sambia und Angola plante, ein "Pilotprojekt" in Mosambik. Dessen Präsident Joaquim Chissano und Südafrikas Präsident Mandela unterzeichneten ein Regierungsprogramm, das den Großgrundbesitzern Südafrikas "Investitionen" in mindestens sechs Provinzen Mosambiks ermöglichte. Dazu schrieb Michel Chossudovsky im April 1997 in "Le monde diplomatique": "Für ganze 0,15 Dollar pro Hektar gingen die besten Landstriche der mosambikanischen Provinz Niassa an die Burenfarmer."

Doch nicht genug, daß die südafrikanischen "Burenfarmer" ihren Landbesitz auf diese Weise noch in für sie gewinnträchtiger Weise erweitern konnten - sie hatten gleichsam keine Scheu, die "bewährten" Methoden aus der offiziellen Zeit des Apartheid-Regimes zu exportieren. Das Sacada-Projekt beinhaltete nämlich auch, daß in den Konzessionsgebieten südafrikanischer Agrarriesen die dort lebende Bevölkerung in "ländliche townships" wie zur Zeit der Apartheid zusammengefaßt werden sollte. Da durch die Konzessionen einige Devisen in die von den Sacada-Projekten betroffenen Nachbarstaaten flossen, waren die EU sowie der IWF des Lobes voll angesichts der damit verknüpften Perspektive, daß auf diese Weise auch die Armuts- und Bürgerkriegsstaaten des südlichen Afrikas ihre Auslandsschulden würden zurückzahlen können.

Zur gleichen Zeit war in Südafrika selbst fast schon ein stiller Krieg um das Land entflammt. So wurden allein im Jahre 1996 468 Farmen überfallen mit der Absicht, die weißen Besitzer zu vertreiben. Dabei wurden 109 Menschen getötet. Die weißen Farmer rüsteten zum Krieg. Sie errichteten mit 130.000 Reservisten eine Landwehr. Zahlreiche Farmen wurden mit elektrischen Zäunen gesichert, die Farmer und ihre Frauen bewaffneten sich ebenfalls. Sie waren entschlossen, ihre bis in die Kolonialzeit zurückreichenden Privilegien und Besitzrechte zu "verteidigen", ohne je die Frage auch nur zuzulassen, wie es denn um die Rechte der landlosen, schwarzen Südafrikaner bestellt sein mag. Seit der Gründung der Südafrikanischen Union im Jahre 1910 waren etliche Gesetze erlassen worden, die bewirkten, daß das Land, von dem Schwarze von Weißen vertrieben worden waren, den neuen Herren "rechtmäßig" gehörte; und so befanden sich noch 1994 90 Prozent des Landes im Besitz weißer und lediglich 10 Prozent in der Hand schwarzer Farmer.

Der so hochgelobte friedliche Wechsel von der Apartheid zur Demokratie beinhaltete unter anderem auch die von allen beteiligten Parteien, also auch dem ANC, akzeptierte Regelung, die bestehenden Landeigentumsverhältnisse durch eine neue Verfassung, die im Dezember 1996 angenommen wurde und am 4. Februar 1997 in Kraft trat, in individuelle Besitzrechte überzuführen. Mit anderen Worten: Die lange Geschichte des Landraubes, der Vertreibungen und Versklavungen - schließlich sahen sich die besitzlosen Schwarzen zu Frondiensten in der Landwirtschaft genötigt - sollte unter der "neuen" Regierung endgültig akzeptiert und rechtlich abgesichert werden gegen etwaige Rückerstattungs- oder Ersatzansprüche, die die schwarzen Leidtragenden der "weißen" Kolonialpolitik eines Tages hätten erheben können.

Der ANC wäre allerdings nicht der ANC gewesen, wenn er nicht einige Anstrengungen unternommen hätte, um die "politische Stabilität" auch angesichts dieser Verhältnisse in der Landfrage zu erhalten. Mit anderen Worten: Es mußten Maßnahmen ergriffen werden, um das Millionenheer der unter der Apartheid enteigneten Schwarzen nun einigermaßen zufriedenzustellen. So wurde 1993 ein Regierungsprogramm zur Rückerstattung ("Restitution of Land Rights Act") aufgelegt, das es allen, die auf der Basis des rassistischen Landgesetzes vom 19. Juni 1913 enteignet worden waren, ermöglichte, die Rückgabe ihres Landeigentums oder eine finanzielle Entschädigung zu beantragen.

Nach Angaben des Leiters der Antragsstelle für diese Rückgabe, Tony Gwanya, gab es rund 3,5 Millionen Antragsberechtigte. Das Vertrauen dieser Menschen in die Stichhaltigkeit dieser ihnen offerierten Option war allerdings verschwindend gering, denn gerade einmal 80.000 Anträge wurden überhaupt eingereicht. Im Ostkap fielen zudem 2,5 Millionen Antragsberechtigte wegen eines Fehlers der Verwaltung, wie es hieß, aus dem Programm. Die Einschätzung der allermeisten Menschen, daß die ANC-Regierung nie und nimmer die in Aussicht gestellten Entschädigungen zahlen würde, traf voll ins Schwarze. So bekannte Blessing Mphela, Leiter der Rückgabebehörde von Gauteng und Nord-West, daß, sollte nur die Hälfte der 2,5 Millionen Berechtigten ihre Anträge tatsächlich einreichen, der Nationalhaushalt gesprengt werden würde.

Hinzu kommt, daß nicht selten ausländische Investoren Land in Südafrika zu Spekulationszwecken erwarben mit der Folge, daß es brach liegen blieb, während Südafrikaner nach wie vor dringend auf Land angewiesen waren, um es bestellen zu können. Desweiteren wurde durch solche Spekulationskäufe der Preis in die Höhe getrieben und damit auch die "marktgerechte Entschädigung", so daß die Regierung, so es denn tatsächlich zu Rückerstattungen nach der "Restitution of Land Rights Act Bill" kam, den weißen Farmern noch höhere Beträge zahlen mußte. Dies sollte dazu führen, wie eine Studie des Agrarministeriums vom Westkap und der Universität von Stellenbosch nachwies, daß die Rückgabe erheblich erschwert wurde. In der Boland-Region dieser Provinz beispielsweise konnten ehemals Benachteiligte 933 Hektar Land kaufen, während 2.343 Hektar ausländischen Käufern übergeben wurden.

Die ANC-Regierung konnte oder wollte diesem Treiben keinen Einhalt gebieten. Sie war nicht einmal in der Lage, in den ländlichen Regionen Südafrikas die noch immer vorherrschende Vertreibungspraxis zu unterbinden. Der gesetzliche Schutz, den sie mit dem "Extension of Security of Tenure Act" zu gewähren vorgab, war nicht mehr als ein weiteres hohles Versprechen bzw. eine ordnungspolitische Maßnahme. denn weiterhin fanden auf dem Land regelmäßig Vertreibungen statt. Dies schürte den Haß und die Wut der Vertriebenen, und nicht selten waren und sind Farm- und Landbesetzungen die Folge. Diese eigenhändig vollzogenen und nach den Gesetzen des einstigen Apartheid- und derzeitigen ANC-Staates illegalen "Rücknahmen" sollten in den darauffolgenden Jahren immer mehr zunehmen. So wurden allein im Jahr 2000 über 900 Angriffe auf weiße Farmen registriert, wobei 142 weiße Farmer getötet wurden. 2001 fanden 970 derartige Überfälle statt, abermals kamen 140 weiße Farmer ums Leben.

Diese Entwicklung - Zahlen über von weißen Farmern vertriebene und getötete Schwarze scheinen nicht vorzuliegen - veranlaßte im Januar 2002 eine Gruppe von Landeigentümern, Regierungsvertretern, Akademikern und Sicherheitsexperten zu einer Stellungnahme, in der sie dringend eine Landreform forderten. Es werde keine Sicherheit auf dem Lande ohne eine Landreform geben, lautete ihr Fazit. Um eine weitere Eskalation dieser Konfrontation zu vermeiden - man beachte die Argumentation, denn mit keiner Silbe ist hier davon die Rede, die Landbevölkerung Südafrikas endlich einmal mit Land zu versorgen - müßte schnellstens etwas geschehen. Die angemahnte Landreform oder vielmehr die geforderte Aktualisisierung des bereits 1993 gegebenen Versprechens, diente einzig und allein sicherheitspolitischen Aspekten, wie folgender Passage aus der Stellungnahme zu entnehmen ist:

Niemand wird in Frieden leben, wenn die Nachbarn in Armut dahin kümmern, erst recht nicht, wenn sie sehen, dass man selber der unmittelbare Grund für ihre Not ist. Das Muster des Landeigentums in Südafrika ist das Ergebnis einer unrühmlichen vergangenen Zuteilung, die immer noch weitgehend unangetastet ist. Sie garantiert eine wachsende Instabilität auf dem Lande, Konflikte und letztendlich einen unerklärten Krieg.

(zit. aus: "Landreform: Südafrika. Unsere Kinder werden die Konsequenzen tragen", aus: afrika süd Nr. 3, Mai/Juni 2003)

Es ist ein nutzloser Appell, weil ihm keine ausreichende Analyse der Situation zugrundeliegt. Der ANC hatte sich allem Anschein nach in dieser wie auch in jeder anderen Frage auf Gedeih und Verderb seinem 1994 ausgehandelten "Kompromiß" überantwortet. In der Landfrage wie in jedem anderen Bereich hätte er, wäre er von den tatsächlichen Konsequenzen der eigenen Politik überrascht worden, was ihm angesichts seiner geringen praktischen Regierungserfahrung womöglich noch nachzusehen gewesen wäre, spätestens 1999 die Reißleine ziehen können, wenn er dies denn nur gewollt hätte.

Die kommerziellen Farmer Südafrikas, im Klartext die "Burenfarmer", denen das Land nach den ersten fünf Jahren ANC-Regierung noch immer zu 87 Prozent gehörte, stellten jedoch einen Stabilitätsfaktor der neuen Regierung dar. Die Großfarmen produzieren in nicht geringem Umfang für den Export. Auf ihnen werden in erster Linie Produkte für den Weltmarkt - Tabak, Fleisch, Mais, Früchte und Gemüse - und nicht für die Ernährung der heimischen Bevölkerung angebaut. Exportartikel sind nach Maßgabe der ANC-Regierung generell wichtig, weil sie dem Land oder vielmehr der Staatskasse Devisen einbringen. Da sich die ANC-Regierung 1994, als sie sich bereit erklärte, das Erbe des Apartheid-Staates zu übernehmen, sogar dazu verpflichten ließ, dessen Schulden gegenüber dem Ausland zurückzuzahlen - in Devisen, versteht sich -, sind die bei der faktisch nicht vollzogenen Landreform angeführten engen Grenzen der Haushaltskasse ein fragwürdiges Argument, das immer dann angeführt wird, wenn es gilt, die unter der ANC-Regierung fortgesetzte Mangelversorgung zu rechtfertigen.

Die Versprechungen der angeblich "neuen Zeit" haben sich jedoch nicht nur bei der Landreform binnen weniger Jahre als totaler Flopp erwiesen. Auch die übrigen Verheißungen, mit denen der ANC 1994 die Wahlen hatte gewinnen können, entpuppten sich als ordnungspolitische Maßnahmen. Das Kalkül ist denkbar einfach, denn solange Menschen noch glauben, auf eine Verbesserung ihrer Lage durch die ihnen von ihrer Regierung in Aussicht gestellten Reformen hoffen zu können, werden sie in aller Regel auch stillhalten - und zwar so lange, wie die Versprechungen in die Zukunft projiziert werden können, selbst dann, wenn deren faktische Umsetzung nicht oder nur zu einem verschwindend geringen Bruchteil vollzogen wird.

So versprach der ANC 1994, eine Million "menschenwürdige" Wohnungen als Ersatz für die Ghetto-Siedlungen der Apartheid zu schaffen. Zwei Jahre später waren gerade einmal 12.000 Wohnungen gebaut worden. Bei weiteren Grundversorgungsleistungen zeichnete sich alsbald dasselbe Bild ab. So hatte der ANC 1994 angekündigt, die rund 2,5 Millionen stromlosen Hütten in den Siedlungen der Schwarzen mit Strom zu versorgen. Tatsächlich jedoch wurde die zuvor staatliche Stromversorgung privatisiert, und da ein privatisiertes Unternehmen an der Versorgung so vieler Habenichtse nicht interessiert sein kann, wurden die Elektrizierungspläne zunächst einmal auf Eis gelegt.

Die ANC-Regierung brachte sogar das Kunststück fertig, ihre 1994 noch gemachten (Wahl-) Versprechungen zwei Jahre später zurückzuschrauben und unter die Sachzwangslogik eines neoliberalen Diktats zu stellen. In geradezu klassischer Form erneuerte Nelson Mandela bei seiner Parlamentseröffnungsrede im Februar 1996 das Kernversprechen des Kapitalismus schlechthin. Er kündigte anstelle von Enteignungen eine "verstärkte Privatisierung der Staatsbetriebe" an zu dem Zweck, das "Wirtschaftswachstum" zu sichern - so als wäre die Behauptung, es würde den Menschen gut gehen, wenn es nur den Unternehmen gut gehe, je etwas anderes gewesen wäre als eine noch dazu von Dummheit nur so strotzende Propagandalüge.

(Fortsetzung folgt)

1. Februar 2008