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FRAGEN/016: Die politische Philosophie von Avishai Margalit (idw)


Forschungsinstitut für Philosophie Hannover - 12.09.2012

Interview: Die politische Philosophie von Avishai Margalit

Avishai Margalit erhält den Philosophischen Buchpreis 2012 des Forschungsinstituts für Philosophie Hannover. In einem Interview spricht er über seine politische Philosophie und sein neues Buch "Über Kompromisse und faule Kompromisse".



Am Freitag, den 28. September 2012, wird der bekannte US-amerikanische Philosoph Avishai Margalit (Princeton) den diesjährigen Philosophischen Buchpreis des Forschungsinstituts für Philosophie Hannover (FIPH) erhalten. Prämiert wurde sein Buch "Über Kompromisse und faule Kompromisse" (Suhrkamp Verlag, Berlin 2011).

Anlässlich der Preisverleihung haben Eike Bohlken und Jürgen Manemann ein Interview über seine politische Philosophie und sein neues Buch mit Avishai Margalit geführt.

Fiph: Sehr geehrter Herr Margalit! Mit Ihren beiden Büchern "Politik der Würde" und "Über Kompromisse und faule Kompromisse" sind Sie in Deutschland über die Fachphilosophie hinaus bekannt geworden. Beide Bücher zeichnen sich dadurch aus, dass sie nicht aus einer distanzierten Position geschrieben sind. Ihre scharfsinnigen Analysen sind durchwebt und unterbrochen mit Geschichte und Geschichten. Sind narrative Elemente ein wichtiger Teil Ihres Philosophierens?

Avishai Margalit: Ich unterscheide zwischen zwei Arten von Philosophen: zwischen Erklärern und Erhellern, zwischen denjenigen, die sich auf Definitionen berufen, und denjenigen, die auf Beispiele verweisen, zwischen das-heißt-Philosophen und zum-Beispiel-Philosophen. Ich zähle mich selbst zum zweiten Typ. Das ist eher eine Frage des Temperaments als der Lehrmeinung. Ich bin ein Geschichtenerzähler und kein Systembaumeister. Ich habe eine starke Vorliebe für historische Beispiele gegenüber stilisierten fiktionalen Beispielen, aber ich stelle fest, dass ich selbst beide Arten verwende.

Fiph: In ihren Arbeiten drückt sich eine Unzufriedenheit mit den philosophischen Gerechtigkeitsdiskursen aus. Sie schreiben nicht über die "gerechte", sondern über die "anständige Gesellschaft", nicht über gerechten Krieg oder Frieden, sondern über "Kompromisse und faule Kompromisse". Was werfen Sie den Debatten über Gerechtigkeit vor?

Avishai Margalit: Ich unterscheide zwischen dem Normativen und dem Präskriptiven, dazwischen das Beste zu tun oder es besser zu machen; zwischen einer normativen, idealen Theorie, die uns sagt, was das Beste ist, z.B. eine gerechte Gesellschaft, und einer präskriptiven Theorie, die uns sagt, wie wir es besser machen können, z.B. eine anständige Gesellschaft. Wir benötigen beide Zugänge. Aber auch hier optiere ich, eher aufgrund des Temperaments denn aufgrund einer Lehre, für eine Perspektive, eine zweitbeste Lösung, anstatt für eine normative ideale Theorie.

Fiph: Was unterscheidet einen faulen von einem moralisch oder politisch tragfähigen Kompromiss?

Avishai Margalit: Ein fauler politischer Kompromiss ist ein Verhandlungsergebnis, das dazu beiträgt, ein inhumanes Regime zu etablieren oder aufrechtzuerhalten: ein Regime, das grausam und erniedrigend ist. Einen derartigen Kompromiss sollten wir aus moralischen Gründen um jeden Preis vermeiden. Andere Arten von Kompromissen sollten nach ihrer Leistung beurteilt werden. Schon in der Idee des Kompromisses als solcher liegt ein großes Verdienst.

Fiph: Sie weisen darauf hin, dass es ein Fehler ist, nur nach den Bedingungen des gerechten Krieges und nicht nach den Bedingungen des gerechten Friedens zu fragen, äußern aber auch Zweifel an der Idee eines gerechten Friedens. Was ist problematisch an dieser Konzeption?

Avishai Margalit: Ich bin nicht gegen den gerechten Frieden. Ich bin gegen die Vorstellung, dass Frieden in und an sich gerecht ist. Der Frieden zwischen Schweden und Nazi-Deutschland im Zweiten Weltkrieg etwa scheint mir diesen Namen nicht wirklich zu verdienen; man kann Schweden für diesen Frieden entschuldigen, aber er kann nicht gerechtfertigt werden.

Fiph: Sind Religionen eher Motor oder Bedrohung für eine Politik des Kompromisses?

Avishai Margalit: Das ist eine empirische Frage, weshalb ich Ihnen keine allgemeine Antwort geben kann. Es gibt manche Elemente in den historischen Religionen, die sie nicht allzu offen für Kompromisse erscheinen lassen: Die absolute Vorstellung des Heiligen ist per definitionem der Punkt an dem die Religion keine Kompromisse machen kann. Aber die Frage sollte nicht auf apriorischer Ebene beantwortet werden, sondern empirisch: Wir brauchen Statistiker dafür und keine Weisen.

Fiph: Wie sollte Ihres Erachtens eine zukünftige politische Philosophie aussehen?

Avishai Margalit: Die politische Einheit, die bisher das Zentrum der modernen politischen Philosophie ausgemacht hat, ist der Nationalstaat. Ich bin mir ziemlich sicher, dass diese Fokussierung im Zuge der Globalisierung immer problematischer werden wird. Ich glaube allerdings, dass die Welt in vorhersehbarer Zukunft eine internationale (eine Welt von Nationalstaaten) sein wird und nicht eine kosmopolitische. Aber die Rolle von Organisationen 'ohne Grenzen' wird immer wichtiger werden. Die politische Philosophie sollte das berücksichtigen.


Das Interview führten Eike Bohlken und Jürgen Manemann vom Forschungsinstitut für Philosophie Hannover.

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Forschungsinstitut für Philosophie Hannover, PD Dr. Eike Bohlken,
12.09.2012
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 14. September 2012