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MELDUNG/072: Sind Einhörner real? (idw)


Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn - 03.05.2016

Sind Einhörner real?


Das Internationale Zentrum für Philosophie der Universität Bonn und die Philosophen der Sorbonne in Paris vertiefen ihre Kooperation. Grundlage ist ein Feodor Lynen-Forschungsstipendium der Alexander von Humboldt-Stiftung, mit dem Prof. Dr. Markus Gabriel von der Bonner Almer Mater demnächst zu mehreren Gastaufenthalten zu seinem Kollegen Prof. Dr. Jocelyn Benoist an die Sorbonne nach Paris kommt. Beide Wissenschaftler pflegen einen intensiven Austausch und gehen gemeinsam der kontroversen Frage nach, ob fiktive Figuren - wie zum Beispiel Einhörner - als real angesehen werden können oder nicht.


Prof. Dr. Markus Gabriel, Professor für Erkenntnistheorie, Philosophie der Neuzeit und Gegenwart an der Universität Bonn, absolviert mit einem Feodor Lynen-Forschungsstipendium für erfahrene Wissenschaftler der Alexander von Humboldt-Stiftung in den nächsten zwei Jahren mehrere Forschungsaufenthalte an der Sorbonne in Paris. Dort arbeitet er intensiv mit Prof. Dr. Jocelyn Benoist zusammen, der mit einem Humboldt-Forschungspreis bereits mehrfach am Internationalen Zentrum für Philosophie der Universität Bonn zu Gast war. "Die von der Humboldt-Stiftung geförderten Gastaufenthalte von Herrn Prof. Benoist und mir sind die Basis für eine Vertiefung unserer Kooperation", sagt Prof. Gabriel. So soll auch ein Austausch von Studierenden und angehenden Philosophen zwischen Paris und Bonn stattfinden.

Deutsch-Französisches Tandem

Prof. Gabriel arbeitet gemeinsam mit Prof. Benoist an einem Forschungsprojekt zum "Neuen Realismus". Dabei geht es um die Frage, ob Figuren wie Faust, Macbeth oder Einhörner nur fiktiv in der Literatur, Filmen oder Träumen vorkommen oder tatsächlich unabhängig vom menschlichen Bewusstsein existent sind. "Wenn verschiedene Personen von diesen Figuren eine sehr einheitliche Vorstellung haben, zum Beispiel dass ein Einhorn einem Pferd ähnelt und das Horn immer auf der Stirn trägt, wie kann man dann meinen, dass sie nicht existieren?", fragt Prof. Gabriel. Sein französischer Kollege Prof. Benoist vertritt hingegen die Auffassung, dass eine gemeinsame Vorstellung von etwas als Nachweis für seine Existenz nicht ausreicht. "Ein angemessenes kontextuelles Vermögen, dasjenige, was existiert, von dem zu unterscheiden, was nicht existiert, ist eine fundamentale Voraussetzung des Realismus", erwidert darauf Prof. Benoist.

Sind Vorstellungswelten des menschlichen Gehirns reine Fiktion?

Die Tragweite dieser philosophischen Fragestellung reicht über Fiktionen in der Kunst weit hinaus. "Der menschliche Geist schafft Vorstellungswelten von verschiedenen Begriffen, die sich auf ihre reale Existenz hinterfragen lassen", sagt Prof. Gabriel. Es geht um Wirklichkeiten, die sich nicht naturwissenschaftliche belegen lassen und die wir dennoch in einem bestimmten Sinn für real halten und wissenschaftlich - etwa literaturwissenschaftlich oder soziologisch - objektiv untersuchen.

Ein Beispiel: Existiert Europa? Diese Frage lasse sich nur vordergründig anhand geografischer Grenzen festmachen. "Letztendlich geht es doch auch bei diesem Gebilde um Ideale und Normen, die in gemeinsamen Vorstellungen vorherrschen und deshalb eine reale Grundlage bilden", führt der Philosoph der Universität Bonn aus. Der Neue Realismus als philosophische Position untersuche, inwieweit sich diese Gedankenbilder an realen Existenzen festmachen lassen.

Prof. Benoist und Prof. Gabriel vertreten hierzu gegensätzliche Ansichten. "Die Auseinandersetzung mit diesen konträren Positionen ist der Humus für neue Ansätze in der Philosophie", sind beide Philosophen überzeugt. Demnächst wird das deutsch-französische Tandem auf einem Philosophie-Kongress in Paris seine unterschiedlichen Thesen präsentieren.

Feodor Lynen-Forschungsstipendium

Die Alexander von Humboldt-Stiftung ermöglicht sowohl Postdoktoranden als auch erfahrenen Wissenschaftlern mit einem Feodor Lynen-Forschungsstipendium einen Gastaufenthalt im Ausland. Der Gastgeber muss dem Humboldt-Netzwerk angehören oder mit einem ausgewählten internationalen Wissenschaftspreis ausgezeichnet worden sein. Für das Stipendium kommen nur Bewerber mit herausragenden wissenschaftlichen Leistungen zum Zug.

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution123

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Johannes Seiler, 03.05.2016
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Mai 2016

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