Schattenblick →INFOPOOL →KINDERBLICK → GESCHICHTEN

ADVENT - ERZÄHLT/003: Der Friedensbaum - Mahlzeit ... Teil 2 (SB)




Der Friedensbaum - Mahlzeit ...

Teil 2

Bruno und Herrn Tiger war die Flucht aus dem Zoo geglückt. Zunächst versteckten sie sich hinter einer Hecke, um von dort aus nach Brunos Zuhause zu gelangen.

Kleiner grüner Tannenzweig - Buntstiftzeichnung: © 2014 by Schattenblick

Buntstiftzeichnung: © 2014 by Schattenblick

Wie besprochen trabte Bruno voraus. Wenn alles in Ordnung und überschaubar war, blieb er stehen, drehte sich in Richtung des Tigers und gab diesem damit das Zeichen, dass er auch kommen könne.

Nach einer ganzen Weile, in der sie sich auf diese Weise fortbewegten, erreichten sie das Haus, in dem Bruno wohnte. Bruno gab Herrn Tiger zu verstehen, dass er noch warten möge. Dann rannte er auf den Hofplatz und glaubte seinen Augen nicht zu trauen. Was war das? Er stand vor einer verschlossenen Garage. Wo sollten sie sich denn jetzt verstecken, wenn sie nicht in die Garage gelangen konnten? Bruno schüttelte sich und plumpste auf sein Hinterteil. "Oh, das ist ja eine schöne Bescherung, so ein Mist aber auch!"

Er hatte es wohl etwas zu laut ausgerufen, denn einen Moment später stand Herr Tiger neben ihm: "Ich dachte, dir wäre ein Unglück widerfahren. Kann ich dir helfen?"

"Ach, Herr Tiger, sieh nur, das Garagentor ist hinunter gelassen worden. Wir können dort nicht mehr hinein, um uns zu verstecken! - Moment mal, hörst du, was ich höre?", wollte Bruno vom Tiger wissen. "Du meinst die Polizeisirene, dieses überaus grässliche Geräusch?"

"Ja, genau das meine ich. Jetzt wird es höchste Zeit, dass uns etwas einfällt. Hier draußen können wir nicht bleiben", drängte Bruno. Dann sprang er auf seine vier Pfoten und rannte um das Haus herum. "Warte hier", rief er Herrn Tiger noch zu und schon war er verschwunden.

Bruno wollte das Kellerfenster ausfindig machen. Er erinnerte sich daran, dass es manchmal nur angelehnt war. Es roch von dort unten dann so lecker nach Schinken und allerlei anderen schmackhaften Dingen. Bruno schnüffelte und schnüffelte und beinahe hätte er laut gebellt. Aber gerade rechtzeitig fiel ihm die Polizeisirene ein. Also hielt der inne, wandte sich dem Kellerfenster zu und legte seine Pfote an den klitzekleinen Spalt. Mit seinen Krallen konnte er es gut fassen und nach vorne ziehen. Nun vergrößerte sich der Spalt und er konnte seinen Kopf hindurchstecken. Um einen kleinen Sprung in die Tiefe würden sie wohl nicht umhin kommen. Bruno schätzte aber, dass es nicht so tief sein würde. Also rannte er zurück zu Herrn Tiger und berichtete ihm.

"Oh, Bruno, hoffentlich passe ich durch das Fenster, ich bin ja so viel größer als du!" - "Uups, daran habe ich vor lauter Freude gar nicht gedacht", mußte Bruno zugeben. "Aber laß uns erst mal zum Kellerfenster gehen. Dann sehen wir weiter!" Die beiden schlichen um Haus, und es verhielt sich so, wie Herr Tiger es befürchtet hatte. Da war nichts zu machen. Der Tiger war einfach zu riesig.

Bruno und der große Tiger hocken vor dem kleinen Kellerfenster - Buntstiftzeichnung: © 2014 by Schattenblick

Buntstiftzeichnung: © 2014 by Schattenblick

"Was nun? Ich werde hier draußen bleiben müssen. Wie schade. Ich will mich ja nicht beklagen, aber es ist doch ganz schön kalt und ziemlich nass." Herr Tiger war traurig und hätte man ganz genau hingesehen, wären einem die Tränen in Tigers Augen aufgefallen.

Bruno fühlte auch ohne hinzusehen Mitleid mit Herrn Tiger. Mit kräftiger Stimme verkündete er: "Lieber Herr Tiger, nicht gleich aufgeben. Du hast nämlich Glück, dass du mit dem weltbesten Türenaufmacher befreundet bist. Ja, mit nicht wenig Stolz darf ich behaupten, jede Tür früher oder später öffnen zu können." Bruno verschwieg allerdings, dass dies nur für Türen galt, die nicht mit einem Schlüssel abgeschlossen worden waren.

"Also, ich schlage vor: ich klettere durch das Kellerfenster und springe hinunter. Vom Keller aus werde ich die Treppe hinaufgehen, die Tür zum Hausflur öffnen und ins Wohnzimmer schleichen. Die Terrassentür ist meine Spezialität. Sie ist von innen einfach zu öffnen, das ist keine große Sache. Wenn alles gut geklappt hat, belle ich und du kommst zur Terrasse. Von dort schmuggle ich dich ins Haus."

"Du bist wirklich ein kluger und einfallsreicher Hund, Bruno. Ich bin beeindruckt", meinte Herr Tiger und fügte hinzu: "Ja, wir richten uns nach deinem Plan. Ich bin sicher, er wird genauso gut gelingen, wie dein Fluchtplan aus dem Zoo."

Der Tiger blieb am Kellerfenster sitzen und schaute Bruno nach, wie er dadurch verschwand. Plötzlich rumpelte es, etwas war umgefallen, dann schepperten Blechteile aufeinander und Porzellan oder Gläser klirrten. Besorgt beugte der Tiger sich ans Fenster und rief: "Bruno, bist du unverletzt?"

"Ja, alles gut, Herr Tiger, hier stand nur so ein blöder Karton mit Krimskrams - nun steht er nicht mehr hier," antwortete Bruno leise flüsternd. Er wusste nicht sicher, ob sein Herrchen ihn im Zoo einfach nur vergessen hatte und längst schon wieder zu Hause war. Sicher hätte er das Gepolter gehört und wäre hinunter gekommen, um nachzusehen, was diesen Lärm verursacht hat. Bruno spitzte die Ohren und lauschte. Nichts war zu hören - gar nichts. Das Haus schien wirklich ganz verlassen zu sein. Bruno drehte sich um und rief: "Herr Tiger, ich werde jetzt die Treppe hinaufgehen. Wenn alles gut geht, sehen wir uns gleich an der Terrassentür!"

Herr Tiger nahm dicht neben der Hauswand platz und wartete. Bruno erreichte den Hausflur, schnupperte hier und dort, doch fand er keine frische Spur von seinem Herrchen. Er tapste eilig ins Wohnzimmer und steuerte geradewegs auf die Terrassentür zu.

"So ein Mist", murrte Bruno vor sich hin, "warum muss diese doofe Tür gerade jetzt abgeschlossen sein?" Der große Hebel an der Seite der Tür war nach oben geklappt. Bruno wusste, dass dieser Hebel nach unten gehörte. Einen kleinen Moment überlegte er, da er nicht so einfach mit seinen Pfoten dort hinreichte. Aber er hatte schon eine Idee. In einer Ecke des Wohnzimmers befand sich ein Schreibtisch mit einem Stuhl davor. Dieser stand auf Rollen - also ein richtiger Büro-Chefsessel. Bruno legte seine beiden Vorderpfoten auf die Sitzfläche und lief mit den Hinterbeinen los. Auf diese Weise rollte er den Stuhl in Richtung Terrassentür. Das war gar nicht so einfach. Leider befand sich auf der Strecke dorthin eine Bodenvase. Bruno schaffte es nicht an ihr vorbei zu schieben, und die Vase bewegte sich auch nicht einen Millimeter von der Stelle.

Hund Bruno rollt mit dem Schreibtischstuhl direkt auf eine große Vase zu - Buntstiftzeichnung: © 2014 by Schattenblick

Buntstiftzeichnung: © 2014 by Schattenblick

"Selbst Schuld, Vase, hättest ja auch ein bißchen aufpassen können," beschwerte sich Bruno, als er die vielen Scherben auf dem Boden betrachtete. Er hatte es aber eilig, schob also weiter und schließlich stand der Stuhl unter dem Hebel. Nun nahm Bruno Anlauf, um auf die Sitzfläche zu springen und dann von dort aus den Hebel umzulegen. Jetzt ging alles ganz schnell und holterdipolter. Mit seiner Pfote fasste er den Hebel und ließ sich fallen. Dabei rollte der Stuhl gegen den Türrahmen - zum Glück, denn sonst wäre die Scheibe zertrümmert worden - und blieb stehen. Bruno landete auf dem Hintern, aber der Hebel zeigte nach unten. Nach einer kleinen Verschnaufpause stand Bruno auf und drückte sich gegen die Tür. Endlich, sie ließ sich öffnen. "Tiger, Herr Tiger, du kannst kommen," rief er in den Garten hinaus.

Herr Tiger antwortete ihm mit relativ leisem Gebrüll: "Ich komme schon, bin schon da!" Nach ein paar Tigersprüngen hatte er Bruno erreicht. Mit seiner Pfote zog Bruno die Tür noch etwas weiter auf, damit Herr Tiger auch wirklich hindurch gehen konnte. Dann schloss er die Tür wieder, denn draußen war es mittlerweile bitterkalt geworden. "Schön hast du es hier, schön warm und sehr gemütlich. Aber dein Herrchen, wie heißt er doch gleich ...?"

"Er heißt Herr Müller, Willi Müller", wiederholte Bruno. "Ja, irgendwie ist das sehr merkwürdig. Hat er mich wirklich im Zoo vergessen? Aber warum ist er dann nicht hier im Haus? Vielleicht ist ihm etwas passiert!"

Das war der erste Moment seit ihrer turbulenten Flucht, dass Bruno Gelegenheit hatte, sich Gedanken zu machen. "Du musst wissen, Herr Tiger, Willi Müller ist ein sehr freundlicher und gütiger Mann. Es fällt mir schwer zu glauben, dass er mich einfach vergessen hat. Aber nun komm erst mal weiter, lass uns in die Küche gehen und nachsehen, ob es etwas zu essen gibt.

Die Küche war recht geräumig und schien alles zu enthalten, was eine Küche so braucht. Einen Herd, einen Tisch und Stühle. Herr Tiger entdeckte in einer Ecke ein Bücherregal mit Kochbüchern darauf. "Oh, fantastisch, Bruno, Bücher übers Backen!" Schon hatte er sich eines herausgegriffen und aufgeschlagen. Bruno hatte in der Zwischenzeit Ausschau nach Essbarem gehalten, aber nichts Verlockendes gefunden.

"Erzähl' mir jetzt bloß nicht, dass du backen kannst. Das wäre komisch. Ein Tiger als Bäcker", lachte Bruno.

"Bitte Bruno, mache dich nicht über mich lustig. Ich weiß gar nicht, ob ich backen kann, aber ich habe oft davon geträumt, es zu können. Wenn vor meinem Käfig im Zoo die Menschen mit duftendem Kuchen oder Brötchen standen, lief mir das Wasser im Munde zusammen. Aber ich bekam nie Kuchen zu essen. Immer nur Fleisch. Menschen denken nämlich, das Tiger nur gerne Fleisch essen und sonst nichts", erklärte Herr Tiger.

"Weißt du was, Herr Tiger, was wir gleich machen werden", Bruno hüpfte vor Aufregung mit allen vier Pfoten gleichzeitig vom Boden, "wir backen. Ja, wir beide werden jetzt einen Kuchen backen. Kannst du lesen?" - "Ja, natürlich kann ich lesen!"

"Prima, prima", bellte Bruno, "dann lies bitte vor, was wir zum Backen brauchen." - "Warte, warte, ich kann zwar lesen, aber natürlich nur Indisch und leider kein Deutsch."

Bruno streckte nun alle vier Pfoten auf dem glatten Fußboden aus und platschte mit dem Bauch auf die Fliesen. Er schnaufte laut, doch einen Moment später sprang er wieder auf und meinte: "Wir fragen Susi, ob sie uns hilft. Sie wohnt im Winter in einem der oberen Zimmer und sie kann lesen."

"Gut, dann lass uns zu Susi gehen. Wer ist denn Susi?", wollte der Tiger wissen. "Sie ist ein großes Kaninchen, etwas schüchtern, aber sehr hilfsbereit. Warte am besten hier unten auf uns", schlug Bruno vor und trabte die Treppe hinauf. "Susi, bist du hier oben? Susi antworte doch, wo bist du?"

"Hier bin ich, hörst du mich, hier in diesem Zimmer", rief Susi zaghaft. Ein Glück, dass Bruno so gut hören konnte. Als geübter Türenöffner legte er seine Pfote auf die Klinke und drückte sie nach unten. Schwupps und hopps, schon war Bruno im Zimmer gelandet. "Hallo Susi, hast du Lust uns zu helfen?"

"Oh verzeih' bitte, Bruno. Wobei soll ich denn helfen?", erkundigte sich das Kaninchen.

Fortsetzung folgt ...

13. Dezember 2014


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang