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GUTE-NACHT/2870: Der Geist in Pantoffeln und die Ratte (SB)


Gute Nacht Geschichten



Eigentlich wollte Großmutter gleich nach dem Frühstück nach den Rattenfallen im Flur des alten Hauses schauen. Doch erst am Nachmittag kommt sie dazu. Eine Ratte scheint in die Falle gegangen zu sein. Doch irgendwie ist die Falle nicht zugeschnappt. Nun ist der Köder nicht mehr in der Falle, aber auch der Geköderte sitzt nicht drin. Eigentlich ist Großmutter ganz froh, daß sie keiner Ratte begegnet. Dennoch, im Haus will sie diese Tiere auch nicht haben. Vorhin beim Mittagessen kam die Sprache auf diese Tiere. Das verdarb Großmutter fast den Appetit.

Paddy erzählte, daß ein Klassenkamerad gleich zwei Ratten zuhause habe. Er halte sie in einem Käfig und füttere sie. "Das ist doch abartig", fand Großmutter. "Nicht ganz", erklärte Mutter, "für viele Kinder sind Ratten geliebte Haustiere."

Da erzählte Großmutter folgende Geschichte: "Na, mir reicht meine Erfahrung aus meiner Kindheit. Es war Abend und dunkel, aber die Straßenlaternen brannten. Ich weiß noch genau, wie alle Leute aus unserer Gegend auf die Straße hinausliefen. Die Väter waren bewaffnet mit Stöcken und Schaufeln. Die Frauen waren auch neugierig, aber blieben im Hintergrund und hielten die Kinder zurück. Sie erzählten Schauergeschichten, wie Ratten Menschen anfallen können und warnten uns davor, die gesichtete Ratte könnte uns ins Bein beißen. Ich stand vorne an unserem Hoftor. Gegenüber auf der anderen Seite wurde die Ratte vorbeigejagt. Dort war ein Zaun, der unten in einem Betonsockel befestigt war. So konnte die Ratte dort nur entlanglaufen, aber nicht unter dem Zaun hindurch entwischen. Also lief sie die ganze Zeit an der Betonschranke entlang.
Hinter ihr her liefen die Männer mit den Schaufeln und Knüppeln, mit denen sie versuchten die Ratte zu erwischen. Alle schrien. Die Ratte war so riesengroß, ich glaube einen halben Meter und ganz fett. Dazu hatte sie noch einen genauso langen und breiten Schwanz.
Meine Mutter rief mich ins Haus. Ich weiß nicht, was weiter mit der Ratte geschehen ist. Sie tat mir sehr leid. Aber ich hatte auch eine höllische Angst vor ihr, weil ich immer dachte, daß sie mich anfallen und beißen könnte."

"Du hast mir nie von so einer großen Ratte erzählt", staunte Mutter. Großmutter zuckte mit den Schultern: "Ich muß sie wohl in meinen Erinnerungen ganz verdrängt haben." Mutter überlegte kurz und fand dann: "So wie du das Tier beschreibst, ist es vielleicht gar keiine Ratte gewesen?" Ob Ratte oder nicht, Nachtisch wollte an diesem Mittag keiner mehr. Paddy ging nach draußen zum Spielen und sah sich die ganze Zeit um, ob nicht irgendwo so eine Riesenratte lauerte. Mutter war ebenfalls auf dem Hof beschäftigt. Großmutter legte sich eine halbe Stunde hin ...

... und jetzt kümmert sie sich um die Rattenfallen im alten Teil des Hauses. Sie geht auch ins Zimmer des Erhängten. Dort zieht sie die Gardinen auf, wie es Mutters Wunsch ist. Dann öffnet sie die Fenster und ruft nach Paddy. "Wo steckt deine Mutter?" fragt Großmutter. "Sie füttert gerade die Hühner", sagt Paddy.

Großmutter weiß, daß von dem Hühnerstall aus, ihre Tochter nicht zum Fenster des Erhängten hinaufsehen kann. Diesen Augenblick nutzt Großmutter, um sich ein weißes Tuch über den Kopf zu ziehen und wie ein Gespenst hinter dem Fenster zu geistern. Da Großmutter nichts gesagt hat, bekommt Paddy, als sie sich noch einmal zum Fenster umdreht, einen riesigen Schreck. Doch dann zieht sich Großmutter das Tuch vom Kopf und Paddy ist beruhigt.


Am Abend kommt Großmutter noch einmal zu Paddy ins Zimmer. "He, du Geist, erschreck mich ja nicht wieder!" befiehlt Paddy. "Wo ist ein Geist?" fragt Mutter, die auch noch ins Zimmer kommt, um Paddy "Gute Nacht" zu sagen. "Keiner mehr da", sagt Großmutter mit einem geheimen Unterton, den nur Paddy versteht. Mutter schaut sie mit großen Augen an und erwartet eine Erklärung. Doch da klingelt das Telefon und Mutter läuft hin. "Nun wir sollten doch etwas vorsichtiger sein, sonst bekommt deine Mutter ihre Geburtstagsüberraschung noch viel zu früh mit." Paddy nickt.

28. Februar 2009

Gute Nacht