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GUTE-NACHT/3245: Der kleine Nachtwächter blickt in dunkle Knopfaugen (SB)


Gute Nacht Geschichten

Vergnügt pfeift der kleine Nachtwächter bei seinem Rundgang oben auf der Stadtmauer ein Lied. Dabei schwingt er seine Laterne im Takt. Plötzlich sieht er etwas vor sich dicht an die Mauer gedrängt dahin huschen. Der kleine Nachtwächter bleibt stehen und hält die Laterne ruhig.

"Was war das?", fragt er sich. Da wendet dieses etwas die Richtung, dreht sich zu dem kleinen Nachtwächter um und starrt ihn mit dunklen Knopfaugen an. Da dieses Wesen nicht sonderlich groß ist, erschrickt der kleine Nachtwächter nicht. Er hat schon viele kleine Tiere in der Stadt bei Nacht gesehen. Die meisten verschwinden sogleich, wenn er naht, und verstecken sich. Keines macht ihm wirklich Angst hier in der Stadt. Draußen in Wald und Feld wäre das schon etwas anderes. Dort leben auch größere Tiere.

Der kleine Nachtwächter starrt noch immer in die dunklen Knopfaugen. "Eine Ratte bist du nicht. Dafür bist du zu klein. Doch ein Mäuschen bist du auch nicht, denn dafür bist du zu groß geraten?", flüstert er. "Was bist du also!", kommt es aus dem Mund des kleinen Nachtwächters ein wenig lauter. Das Nicht-Ratte-Nicht-Maus-Wesen plaziert sich auf seinen Hinterbeinchen und macht Männchen. Dabei bläht es noch seine Backen auf, als würden sie gleich zerplatzen. Die Luft entweicht und ein Stimmchen wird hörbar: "Kennst du nur Mäuse und Ratten und keine anderen Tiere? Ich bin ein Hamster!"

"Guten Abend, Hamster, was treibt dich in unsere Stadt?", bemüht sich der kleine Nachtwächter um eine Erklärung. "Ich habe auf dem Feld gelebt. Mir Körner von Getreide und die Samen von Gräsern gesammelt oder ein paar Insektenlarven gefuttert. Doch dann wurde mein Bau zerstört und ich eingefangen. Man steckte mich in einen kleinen Kasten. Zuerst wußte ich nicht, wie ich mich je wieder daraus befreien könnte. Doch dann bot sich mir eine Gelegenheit und ich habe sie beim Schopf gefaßt. Aber nun irre ich hier durch die Stadt und finde nicht zu meinem Heim. Auch wenn es verwüstet ist, möchte ich dennoch zurück."

Der kleine Nachtwächter findet die Erlebnisse des Hamsters traurig und so beschließt er, ihm zu helfen. Einen Moment überlegt er. Dann hat er eine Idee: "Ich bringe dich hinunter zum Stadttor. Dort brauchst du nur unter den Gitterstäben hindurch zu schlüpfen und hinüber zu den Feldern zu laufen. Erst einmal außerhalb der Stadt, wirst du sicher deinen Weg findet." - "Das wäre wunderbar, wenn du mir hilfst, aus diesem Stadtkäfig heraus zu kommen."

"Es wäre einfacher für uns beide, wenn ich dich zum Tor hin tragen könnte", schlägt der kleine Nachtwächter vor. Zuerst zögert der Hamster, dann aber willigt er ein. Er will so schnell es geht, die Stadt verlassen.

"Hier sind wir!", sagt der kleine Nachtwächter und holt den Hamster aus seiner Jackentasche hervor. Dorthinein hatte sich der Hamster nämlich verzogen. Auf dem Boden direkt am Stadttor setzt der kleine Nachtwächter das Fellbündel ab. Zum Abschied blickt er dem Hamster noch einmal in seine dunklen Knopfaugen. Dann ist der winzige Kerl auch schon auf und davon. "Er wird es schon zum Feld schaffen und sich dort ein neues, unterirdisches Nest bauen. Da bin ich mir ganz sicher", denkt der kleine Nachwächter, dreht sich um und begibt sich wieder auf die Stadtmauer.


20. August 2010

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