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GUTE-NACHT/3484: Der kleine Nachtwächter im Morgenrock (SB)


Gute Nacht Geschichten vom kleinen Nachtwächter

Der kleine Nachtwächter im Morgenrock



Am späten Nachmittag pocht es an dem Burgtor. Irgendjemand schlägt mit dem eisernen Ring, der an dem Tor angebracht ist, auf den ebenfalls dort befestigten Eisenknauf ein und kündigt sich damit an. Rebell bellt. Dieses Pochen gehört nicht zu den täglichen Geräuschen, die in der Burg immer wieder zu hören sind. Denn kaum jemand besucht die Burg und ihre neuen Bewohner.

Durch das Bellen erwacht der kleine Nachtwächter. Dann erst nimmt er auch das beständige Klopfen am Tor wahr. Er springt freudig aus dem Bett und ruft: "Ich komme schon!" Schnell schlüpft er in seine Pantoffeln und wirft sich den Morgenrock über. "Das ist bestimmt schon Anton!", strahlt der kleine Nachtwächter über das ganze Gesicht.

Doch dann ist die Enttäuschung auf der einen Seite und das Entsetzen auf der anderen groß. Der kleine Nachtwächter steht nämlich nach dem Öffnen des Tores nicht vor Anton, sondern der Bürgermeister steht mit entsetztem Gesicht vor ihm. Erst da merkt er, wie ungebührlich er dem Bürgermeister in Morgenmantel und Puschen gegenüber getreten ist.

Der Bürgermeister faßt sich zuerst wieder und fragt: "Kleiner Nachtwächter, bist du krank? Das würde einiges erklären."

"Krank? Ich? Ach so, mein Morgenmantel. Aber nein, ich schlafe doch den ganzen Tag, damit ich in der Nacht Wache halten kann", erklärt der kleine Nachtwächter seinen Aufzug.

"Soso, aber wenn du Wache hälst sehen wir immer deine angezündete Laterne die Mauer entlang gleiten. In den vergangenen Nächten habe ich aber kein einziges Mal die Laterne gesehen. Da habe ich mir Sorgen gemacht, um die Burg ... "

Ein Knurren von Rebell läßt den Bürgermeister seinen angefangenen Satz anders beenden als eigentlich gewollt: " ... und natürlich auch um euch beide!"

"Nun", entgegnet der kleine Nachtwächter, "ja in den letzten Tagen und Nächten war ich erkältet und habe das Bett gehütet. Aber heute bin ich wieder fit."

"Na, dann zieh dich mal schnell an, bevor du dich erneut erkältest."

"Das mache ich", ist der kleine Nachtwächter vollständig seiner Meinung. Denn bei diesem kalten Wetter kriecht ihm bereits eine Gänsehaut die Beine empor.

Der Bürgermeister verabschiedet sich, dreht sich dann aber noch einmal um und hat einen Vorschlag zu unterbreiten: "Wenn es Probleme gibt hier in der Burg oder bei dir persönlich, dann solltest du vielleicht eine Fahne hissen, am besten eine rote. Von meinem Rathausfenster aus kann ich direkt auf die Burg schauen. Und wenn ich dann eine rote Fahne entdecke, schicke ich sofort jemanden vorbei oder komme selbst, wenn es meine Geschäfte zulassen."

"Das ist aber sehr liebenswürdig", unterstreicht der kleine Nachtwächter die neue Idee. Doch bevor ihm einfällt, daß er ja gar keine rote Fahne bei sich hat und auch nicht weiß, ob es in der Burg eine gibt, ist der Bürgermeister bereits wieder abgefahren.

"Er hätte doch auch mal fragen können, ob ich sonst noch etwas benötige, nicht wahr Rebell!" Rebell wufft und es ist ihm anzusehen, daß die Abfahrt des Bürgermeisters ihn sehr zufrieden stellt. Nicht einmal einen Knochen oder sonst etwas hatte der merkwürdig riechende Herr mitgebracht.

"Na gut", schlottert der kleine Nachtwächter, "zuerst ziehe ich mich an, und dann wird es auch schon wieder recht dunkel sein. Zeit für unseren Rundgang. Eine rote Fahne beschaffen wir morgen. Die sieht heute Nacht sowieso niemand mehr."

Laterne leuchtet im Turmfenster - Buntstiftzeichnung: © 2011 by Schattenblick

zum 18. Oktober 2011