Schattenblick →INFOPOOL →KINDERBLICK → GESCHICHTEN

GUTE-NACHT/3571: Der kleine Nachtwächter unterm Mandelbaum (SB)


Gute Nacht Geschichten vom kleinen Nachtwächter

Der kleine Nachtwächter unterm Mandelbaum

Oben auf dem Hügel in der alten Burg lebt der kleine Nachtwächter mit seinem Hund Rebell. Die beiden bewachen die Burg rund um die Uhr. Längst sind die Tage wieder länger geworden und die Nächte kürzer. "Wie schnell das Jahr vergeht", denkt sich der kleine Nachtwächter, "noch vor kurzem habe ich mit Tannenzapfen für das Weihnachtsfest gebastelt und schon stand Ostern vor der Tür. Und jetzt ist auch dieses Fest schon seit einer Woche wieder vorbei."

Es dämmert in der Burgküche. Der kleine Nachtwächter weiß, was das bedeutet. Er zündet seine Laterne an und steckt auch die Taschenlampe ein. "Komm, Rebell, es wird Zeit, unsere Runde zu drehen!" Der kleine Nachtwächter braucht seinen Hund nicht lange zu bitten. Der steht schon schwanzwedelnd an der Küchentür. Schon als der kleine Nachtwächter nach der Laterne und den Streichhölzern griff, hatte Rebell verstanden, daß es jetzt gleich losgeht.

Zuerst durchstreifen die beiden die Räume der Burg, danach geht es hinunter auf den Burghof und von dort in die leeren Stallungen. Ja, außer dem kleinen Nachtwächter und Rebell, lebt auf der Burg niemand mehr. Niemand? Nunja, zumindest denken die Leute aus dem Dorf so. Der kleine Nachtwächter wurde inzwischen eines anderen belehrt. Er hat schon so einige Burgbewohner kennengelernt, die hier im Verborgenen leben.

"Nichts los heute, Rebell! Laß uns noch im Burggarten nachsehen." Dort auf der Bank unter dem Mandelbaum läßt sich der kleine Nachtwächter nieder und holt sein Stückchen Brot aus der Jackentasche. Das teilt er sich partnerschaftlich mit seinem Hund. Einen Augenblick hält der kleine Nachtwächter inne. Dann will er gerade in seine Schnitte beißen, da fällt etwas vom Baum herunter und legt sich auf sein Brot obenauf. Ein Blütenblatt des Mandelbaums hat sich auf das Abendbrot des kleinen Nachtwächters niedergelegt.

"Mhm", überlegt der kleine Nachtwächter, "ist das jetzt ein Geschenk?" Dabei blickt er hinauf in die Baumkrone, die er noch in diesem Abenddämmerlicht sehen kann. "Kaum eine Woche hast du so kräftig rosa geblüht, und jetzt wirst du die Blüten schon wieder los und an ihre Stelle treten frühlinggrüne Blätter."

"Ach, was mach ich hier bloß. Ich unterhalte mich schon mit einem Baum", stöhnt der kleine Nachtwächter auf und kostet das Blütenblatt auf seinem Brot. Da vermeint er plötzlich eine Stimme zu hören. "Ist es denn so schlimm, sich mit einem Baum zu unterhalten?"

Fast hätte sich der kleine Nachtwächter verschluckt. Er blickt zu Rebell, der vor ihm sitzt und darauf wartet, daß sein Herrchen im noch ein bißchen mehr von dem Brot abgibt. Sein Hund sieht dabei nicht so aus, als habe er etwas Absonderliches gehört.

Von Rebell schweift der Blick des kleinen Nachtwächters wieder in die Baumkrone hinauf. "Nun sag schon", hört er es da oben rauschen, "kann ein Baum kein Freund sein?"

Der kleine Nachtwächter steht auf, reicht Rebell sein Stückchen Brot, nimmt seine Laterne und geht los. Dabei brummelt er etwas vor sich hin: "Hier auf der Burg sind wir wirklich mächtig einsam. Ich brauche wieder ein bißchen Leben um mich. Ab morgen werden wir beide nicht nur die Burg bewachen, sondern auch die Menschen da unten im Dorf." Dann dreht er sich noch einmal zu dem Mandelbaum um und wünscht ihm eine:

"Gute Nacht!"

Laterne - Buntstiftzeichnung: © 2011 by Schattenblick



zum 16. April 2012