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GUTE-NACHT/3590: Der kleine Nachtwächter erntet Pferdeäpfel (SB)

Der kleine Nachtwächter erntet Pferdeäpfel

Gute Nacht - Geschichten vom kleinen Nachtwächter

Geräusche im Hof der Burg. Wie Hufgetrappel dringt es hinauf in die Schlafkammer. Rebell spitzt die Ohren. Der kleine Nachtwächter hat es ebenfalls vernommen. Längst ist er wach, denn seine Arbeit ruft. Er tritt zum Fenster hinüber.

Wirklich, da reitet ein Mann auf einem Pferd über den Hof. "Habe ich das Burgtor heute morgen nicht verschlossen?", fragt sich der kleine Nachtwächter, nimmt seine Laterne und die Taschenlampe, die er beide noch nicht zu entzünden braucht, und geht in den Burghof hinunter.

Rebell folgt ihm, bleibt aber immer ein bißchen hinter seinem Herrchen. Wenn Rebell auch sonst sehr vorwitzig ist, bei Pferden geht er in Deckung.

"Nun, werter Reiter, was führt euch zu mir?", fragt der kleine Nachtwächter höflich. "Ich benötige einen Stall für den Winter. So sehe ich hier nach, ob eine Unterbringung auf der Burg möglich ist."

"Wir haben keine Pferde auf der Burg", entgegnet der kleine Nachtwächter. Mit einem Blick auf Rebell, der sich ein wenig im Abseits hält, fügt er in Gedanken hinzu: "Und das soll auch so bleiben."

"Aber ihr habt Platz, wie ich sehe. Der Stall da drüben steht doch leer." - "Das ist eine Garage", meint der kleine Nachtwächter. "Nunja, aber ich sehe kein Auto. Wäre es nicht eine Überlegung wert, mir den Stall zu vermieten?"

"Nein", entgegnet der kleine Nachtwächter und blickt auf seinen verängstigten Hund, "denn mir gehört die Burg nicht." In der Hoffnung, daß dies nie geschehen wird, fügt er hinzu: "Dafür ist der Bügermeister zuständig, ihn habt ihr zu befragen."

Als habe das Pferd den Ärger seines Reiters bemerkt und wolle dessen Mißmut unterstreichen, schabt es mit den Hufen über das Pflaster, hebt den Schweif und äppelt auf den Hof. Der Fremde nimmt davon keine Notiz. Er wendet das Pferd und meint nur: "Wir sehen uns wieder." Dann trabt er davon.

Sogleich gesellt sich Rebell wieder zu seinem Herrchen. Er hebt sogar zum Bellen an. Doch der kleine Nachtwächter gebietet ihm Einhalt: "Ist schon gut. Laß uns einfach den Haufen beiseite schieben, sonst treten wir heute Nacht womöglich noch hinein."

Der kleine Nachtwächter geht zum Stall, holt Schaufel und Besen und kehrt schon zurück. Rebell ist ihm nicht gefolgt, sondern hat sich inzwischen über den Pferdehaufen her gemacht. Die dunklen Pferdeäpfel scheinen ihm zu munden.

"Pfui Teufel!", schimpft der kleine Nachtwächter. Aber Rebell läßt sich nicht beirren. Er nimmt gleich den nächsten ins Maul und kaut darauf herum. "Laß das Rebell!", dieser Befehl dringt nur vage an des Hundes Ohr. Erst als der kleine Nachtwächter den Besen nimmt und Rebell damit von dem Haufen fortschiebt, läßt der Hund davon ab. Er hat wohl fürs erste genug abbekommen.

"Eigentlich haben wir jetzt gar keine Zeit mehr, um hinter Roß und Reiter herzuräumen. Außerdem kommen wir erst zurück, wenn die Sonne bereits wieder aufgestanden ist. Da werden wir schon nicht in den Haufen treten. Räumen wir ihn also morgen früh weg."

Damit verlassen die beiden die Burg und nehmen den nächtlichen Rundgang auf. Auch unterwegs stoßen sie auf mehrere Haufen, die das Pferd wohl hinterlassen hat und weichen ihnen geschickt aus.

Die Nacht ist dunkel, aber sternenklar. Der kleine Nachtwächter betrachtet den funkelnden Himmel und ordnet die Sterne ihren einzelnen Sternbildern zu. Rebell hingegen geht einer Beschäftigung am Boden nach. Seine Nase nimmt die vielseitigsten Gerüche wahr und läßt ihn auf so viele Spuren stoßen, daß er gar nicht weiß, welche er zuerst verfolgen möchte. Der Ärger mit dem Reiter ist längst vergessen.

Erst am frühen Morgen, als die beiden zur Burg zurückkehren, begrüßt sie der Haufen im Burghof. Er hat eine andere Farbe angenommen und ist jetzt tiefschwarz. Gerade fliegen zwei Krähen heran und stürzen sich auf den Haufen. Während ihres Anfluges erkennt der kleine Nachtwächter den Grund für dessen Farbveränderung. Hunderte von Fliegen haben sich bereits auf ihm niedergelassen und stieben jetzt erschreckt auf. Sie wollen nicht als Frühstück im Magen der Krähen landen.

"Keiner hat sich seiner erbarmt und ihn fortgeschafft", stöhnt der kleine Nachtwächter. Dann aber stutzt er: "Oder doch? Der Pferdehaufen sieht so zerrupft aus. Das war aber nicht Rebell." Der kleine Nachtwächter bleibt stehen und überlegt.

Erst jetzt erkennt er, was die Krähen bei dem Pferdemist wollen. Sie zerpfücken ihn in alle Richtungen auseinander. Es ist nicht der erste Anflug der Krähen. Das erkennt der kleine Nachtwächter am Zustand der Pferdeäpfel. Sie sind schon gänzlich auseinander gerissen. Als Rebell die beiden Krähen entdeckt, läuft er flugs auf sie zu und verschreckt sie. Einen Teil der Beute nehmen die in ihrem Schnabel mit.

Der kleine Nachtwächter bläst die Laterne aus und stellt sie auf einem großen Stein ab. Die Taschenlampe steckt bereits in der Jackentasche. Er nimmt den Besen und kehrt gerade die erste Schaufel voll, da entdeckt er die nächsten Tiere, die sich über den Pferdemist freuen - Regenwürmer. Der kleine Nachtwächter schüttelt nur mit dem Kopf. Dann sagt er: "Ich kenne noch jemanden, der sich über einen Pferdeapfel freuen wird." Wer das wohl ist?

Gute Nacht

zum 14. August 2012