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GUTE-NACHT/3645: Im Gewächshaus - Dackelpferd (SB)

Gute-Nacht-Geschichten

Im Gewächshaus - Dackelpferd

Bereits seit mehreren Tagen lebt Enna wie eine Barbiepuppe in ihrem eigenen Puppenhaus. Das Puppenhaus steht im Schatten des großen Vogelkäfigs, der auch Voliere genannt wird. Bisher hat niemand darauf geachtet. Doch Enna hofft inständig, wenn Mama das nächste Mal den großen Vogelkäfig putzt und das Puppenhaus entdeckt, daß sie dann irgendetwas daran an ihre große Tochter erinnert, und Enna dadurch wieder ihre ursprüngliche Gestalt zurück erhält. Bisher ist jedoch kein an die Tochter erinnerndes Wort über die Lippen ihrer Mutter gekommen. Auch Oma und ihre kleine Schwester erinnern sich nicht mehr an sie. Die Familie nimmt die kleine Gestalt nicht einmal wahr, obwohl sie doch gar nicht unsichtbar ist. Wenn Enna in den Spiegel des Puppenschrankes blickt, sieht sie sich ganz deutlich.

"Ich hätte nie gedacht, daß ich je so traurig sein würde, wenn meine Familie mich einmal in Ruhe läßt", denkt Enna. Sie stützt ihre Ellbogen auf den kleinen Plastiktisch in der Puppenküche und seufzt. "Auch in die Schule zu gehen, wäre jetzt immer noch besser als hier wie ein Kobold gefangen zu sein", geht es Enna durch den Kopf. Wieso denkt sie jetzt gerade an einen Kobold? Ach ja, vielleicht wegen des steinernen Kerls, den Mama zu Weihnachten bekommen hat und dem sie gleich am nächsten Tag einen schönen Platz im Gewächshaus suchte. "Vielleicht sollte ich ihn mal aufsuchen, dann wäre ich nicht so allein." Auch wenn der Kobold aus Stein ist, findet Enna den Gedanken tröstlich, sich neben ihn zu setzen.

Doch plötzlich bekommt sie ganz andere Sorgen. Einer der Gäste, der Mamas Gartencafé besucht, hat einen Dackel mitgebracht und diesen nicht angeleint. Der Dackel liegt zuerst friedlich zu den Füßen seines Herrn. Dann aber beginnt er zu schnüffeln und steht unbemerkt auf. Die Richtung, die er einschlägt, führt eindeutig zum Vogelkäfig hin. Die große Voliere reicht vom Boden bis zur Decke. Da kann der Dackel sehr wohl hineinblicken und die Zwerghühner erschrecken.

In der Nähe des Käfigs aber scheint der Dackel, eine verlockendere Spur gefunden zu haben. So steuert er direkt auf das Gebüsch zu, dorthin, wo das Puppenhaus steht. Durch die offene Seitenwand des Puppenhauses kann Enna das Ungetüm auf sich zukommen sehen. "Wohin sich retten?", ist die Frage. Das Plastikbett bietet keinen wirklichen Schutz vor diesem Dackelpferd. Sicher wird der überdimensionierte Hund sie packen und womöglich zubeißen. Enna will sofort weg von hier.

Da fällt ihr der Fahrstuhl ein, den Opa für die Barbies an der Seite des Hauses angebaut hat. "Hoffentlich sind die Batterien noch in Ordnung", wünscht sich Enna. Die Batterien sind nicht das Problem. Der kleine Schalter, den Enna schon so oft hoch- und runtergekippt hat, damit sich der Fahrstuhl in Bewegung setzt, ist das Problem. Enna überlegt, wie sie ihn bewältigen kann und hängt sich kurzerhand einfach an ihn dran, was diesen nach unten bewegt und den Fahrstuhl nach oben.

Dort rastet der Korb ein und Enna kann im ersten Stock die Treppe zum Dachboden hinauf nehmen. Unter dem Dach kann sie sich gut verstecken. Denn Opa hat hier nicht die vordere Front offen gelassen. In das Dach kann man erst hineinschauen, wenn man die Vorderseite hochklappt. Durch die kleine Luke im Dach spät Enna hinaus und sieht den Schwanz des Hundes herumwedeln. "Er steckt also tatsächlich im Ergeschoß", stellt Enna fest. Dort scheint er einiges umzustoßen, denn es scheppert. Das ärgert den Hund und er bellt.

Das Bellen bringt endlich den Hundebesitzer auf Trapp. Nach wenigen Minuten ist auch er bei dem Vogelkäfig aufgetaucht. Die Unruhe hat die Vögel im Käfig erschreckt. Sie flattern auf und ab und schimpfen in ihrer eigenen Sprache. Hinter dem Gast taucht zu guter Letzt auch Mama auf. Sie wundert sich, warum hier ein Barbiehaus steht. Sie erinnert nicht, daß die Familie ein solches besessen hat. Kopfschüttelnd kehrt sie mit dem Gast und seinem Hund wieder zu ihrem Tresen um.

Enna bleibt traurig zurück. Sie erkennt, daß es viel mehr bedarf, Mama an ihre große Tochter zu erinnern als das Puppenhaus, ihr geliebtes Spielzeug.

"Gute Nacht!"

zum 4. Februar 2014