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GUTE-NACHT/3650: Im Advent - Das arme Schaf (SB)



Am späten Nachmittag, wenn es bereits zu dunkeln beginnt, wollen Olga und Mama auf den Weihnachtsmarkt gehen. Beide sind schon sehr gespannt, weil der Markt in diesem Jahr an einer anderen Stelle in der Stadt aufgebaut steht. Dieses Mal soll es mehr Buden und Karussels vor Ort geben.

Draußen ist es kalt. Mama stellt fest: "Bestimmt gibt es bald Schnee. Es liegt etwas in der Luft. Zieh dich warm an." Olga legt außer ihrer Jacke auch Mütze und Schal an. "Ich nehme Molly mit", sagt Olga. "Willst du dein Schaf nicht lieber zuhause lassen? Vielleicht fährst du ja Schlittschuhe." - "Dann soll Molly sich mit mir drehen. Molly ist noch nie Schlittschuhe gelaufen. Das ist das erste Mal!" - "Na gut, aber du mußt auf Molly acht geben." So ziehen die Drei los.

Die Schlittschuhbahn bildet das Herz des Weihnachtsmarktes. Darum herum verläuft ein Weg, an dem die Buden und Karussels aufgebaut sind. Ganz an der Seite gibt es noch den Märchenpark. Zu allererst will Olga sich stärken und bleibt vor dem Crêpe-Stand stehen. Es gibt verschiedene Sorten, Crêpe mit Schokolade, Honig oder Marmelade, aber auch mit Käse und Schinken. Olga will einen mit Apfelmus und Zimt. Auch diese Sorte ist zu haben. Den weihnachtlichen Zimtgeruch mag Olga sehr. Molly anscheinend auch. Denn das kleine Schaf schnuppert in die Luft.

Nach dieser Stärkung möchte Mama Bienenwachskerzen am Stand nebenan kaufen. Hier gibt es auch Schmuck und Tücher. Olga interessiert sich für alles, was Mama schön findet. Bald aber drängt sie Mama zum Gehen. Jetzt will sie endlich Schlittschuh laufen. Mama leiht zwei Paar Schlittschuhe aus. "Hast du auch welche für Molly?", fragt Olga. Mama lacht: "So kleine Schlittschuhe gab es nicht. Für Molly hätte ich auch gleich zwei Paar nehmen müssen." Olga schmunzelt.

Dann geht es los, immer im Kreis herum. Mama hält Olga an einer Hand fest. Olga hält Molly mit der anderen. Recht gut steht Olga auf den Beinen. Es ist nicht das erste Mal, daß sie mit Schlittschuhen fährt. Dennoch heißt es aufgepaßt, denn manch Rüpel versucht die Kinder durch schnelles Vorbeisausen zu erschrecken.

Zur Musik fahren Mama und Olga im Kreis. Ab und an ruhen sie einen Moment am Rand der Bahn aus, dann reihen sie sich wieder in den Kreis der Läufer ein. Nach einer halben Stunde verlassen sie die Bahn. In der Umkleide tauschen sie die Schlittschuhe wieder gegen ihre eigenen Schuhe ein.

"Jetzt einen heißen Kakao? Was hältst du davon?", fragt Mama. Olga ist einverstanden." So gehen sie noch einmal zu dem Crêpe-Stand zurück. Dort gibt es Kakao mit Sahne. Das heiße Getränk wärmt gut von innen. "Molly ist auch kalt", meint Olga. "Dann setzen wir sie hier oben in meine Tasche und lassen sie über den Rand schauen." Olga ist einverstanden. Molly gefällt das weiche Nest inmitten der Tücher und Tüten.

"Oh", durchfährt es Mama, "ich habe ja ganz vergessen, den Brief einzuwerfen, laß uns zum Postkasten gehen, der ist gleich da drüben." Das ist die Gelegenheit. Olga wartet schon die ganze Zeit auf einen günstigen Augenblick, an dem ihre Mutter nicht bei ihr ist. Denn sie möchte ihr von dem Kerzenstand etwas von ihrem Taschengeld zu Weihnachten kaufen. "Mama, du kannst ja allein zum Briefkasten gehen, ich bleibe hier und trinke meinen Kakao aus. Der ist einfach noch zu heiß."

"Ok, aber nicht weggehen und vor allem mit niemand fremden mitgehen." Mama beeilt sich. Am Briefkasten angelangt, sucht sie in ihrer Tasche nach dem Brief. "Wo steckst du denn nur? Soll ich etwa die ganze Tasche ausräumen bis ich dich finde?" Mama nimmt Molly als erstes aus der Tasche und setzt sie oben auf den Postkasten. Molly soll schließlich nicht schmutzig werden. Dann legt sie noch die anderen Tüten heraus und sucht nach dem Brief. Ganz zu unterst findet sie ihn. Zum Glück ist er nicht allzu sehr verknickt. Da kommt auch schon der Postbote mit seinem Sack, um den Postkasten zu leeren. "Ach bitte, nehmen Sie meinen Brief doch auch noch mit." - "Wird erledigt, junge Frau!" Mama sieht verlegen aus. Dann schnappt sie sich ihre Tüten, steckt alles wieder in ihre Tasche und läuft zu Olga, die am vereinbarten Platz wartet. Olgas Vorhaben, Mama ein Geschenk zu kaufen, ist gelungen. Das freut sie sehr.

"Jetzt wird es wirklich Zeit, daß wir nach Hause fahren", meint Mama, "wir müssen uns beeilen, denn der Bus fährt gleich ab." Es ist der letzte, mit dem sie heute noch nach Hause kommen können. Denn auf das Land hinaus fahren nicht so viele Busse und vor allem nicht mehr so spät am Abend. Bald stehen sie am Bus und steigen ein, da fragt Olga: "Mußt du für Molly auch eine Fahrkarte kaufen?" - "Ach nein, Molly sitzt doch in meiner Tasche und fährt schwarz mit", flüstert Mama verschmitzt. Olga blickt Mama verständnislos an. "Schwarz fahren?", denkt sie, "was ist denn das?"

Doch schwarz, also ohne Fahrschein und damit ohne für die Fahrt Geld bezahlt zu haben, fährt an diesem Abend keiner im Bus mit. Denn Molly ist überhaupt nicht an Bord. Mama hat das kleine Stofftier auf dem Postkasten vergessen. Aber das werden Mama und Olga erst zuhause bemerken, wenn sie die Tasche auspacken und den vermeintlichen Schwarzfahrer befreien wollen. Arme Molly, armes Schaf.

Gute Nacht!

1. Dezember 2018


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