Schattenblick →INFOPOOL →KINDERBLICK → GESCHICHTEN

KALENDERGESCHICHTEN/030: 06-2013   Ein stürmisches Wiedersehen (SB)



Buntstiftzeichnung: © 2013 by Schattenblick

Jonathan, Rupert und Käpt'n Carlo

Ein stürmisches Wiedersehen

Rupert war mit einem gewaltigen Satz über den Gartenzaun gesprungen und rannte quer über den Rasen in Nachbars Garten. Sein Herrchen hatte ihn zwar gerufen, um ihn mit ins Haus zu nehmen, aber Rupert wollte unbedingt den Papagei und Jonathan suchen. Er ahnte Schreckliches.

Herr Becker ärgerte sich kurz über den Ungehorsam seines Hundes, ging dann aber ins Haus, um wie geplant mit Telses Mutter zu telefonieren. "Ja, hallo, guten Tag, hier spricht Herr Becker. Ich wollte mich erkundigen, ob mit ihrer Tochter Telse alles in Ordnung ist?"

"Ja, alles prima. Warum fragen Sie?"

"Nun, gestern, am späten Nachmittag war sie bei mir im Garten. Rupert, Sie wissen ja, mein Hund, der bellte so laut und aufgeregt, dass ich hinaus lief und dort Ihre Tochter vor ihm stehen sah."

"Was wollte sie denn in Ihrem Garten?", wunderte sich Telses Mutter.

"Das weiß ich nicht, vielleicht haben die Kinder Verstecken oder Fangen gespielt, das ist doch in Ordnung. Aber, was viel schlimmer ist, mein Hund hat sich etwas von der Wurst gemopst, die Telse in der Hand hielt. Glauben Sie mir, eigentlich ist das überhaupt nicht seine Art", bemühte sich Herr Becker seinen Hund ein wenig zu entschuldigen.

"Ja, merkwürdig."

"Ich hatte ihr dann ein Ersatzwürstchen angeboten oder ein Eis als Wiedergutmachung, verstehen Sie? Telse nahm das Eis und zog von dannen", berichtete er die Geschehnisse des Vortages.

"Also, Herr Becker, sehr freundlich von Ihnen, dass Sie angerufen haben. Sie ist zwar sehr spät nach Hause gekommen, aber es sind ja noch Ferien ..."

"Ja, aber der eigentliche Grund, weswegen ich mich dazu entschlossen habe, Sie anzurufen, ist folgender: ich fand neben einem Busch ein kleines Stückchen Stoff, das von einem T-Shirt stammen könnte und ein angebissenes Brötchen, das Telse ebenfalls gestern in der Hand hielt ...", erklärte Herr Becker.

"Oh, nein, bitte bleiben Sie einen Moment am Apparat ...", aufgeregt unterbrach Telses Mutter das Gespräch, legte das Telefon auf den Tisch und lief ins Bad, fischte aus der Wäsche Telses T-Shirt und entdeckte an der unteren Seite eine zerrissene Stelle. Sie behielt das Shirt in der Hand, eilte zum Telefon zurück: "Herr Becker, sind Sie noch dran?"

"Ja, ich höre."

"Also, Telses T-Shirt ist tatsächlich zerrissen. Deswegen wollte sie es unbedingt selbst in die Schmutzwäsche bringen, jetzt verstehe ich. Und sie ist sofort, nachdem sie gegessen hatte, noch einmal in den Schuppen gegangen, was ich sehr merkwürdig fand. Als ich sie fragte, was sie dort so spät noch vorhat, behauptete sie, sie hätte ein Blümchen auf dem Gepäckträger ihres Fahrrades liegen gelassen. Das wollte sie ins Wasser stellen. Sie pflückt öfter Gräser oder abgeknickte Blümchen, um sie zu retten. Da habe ich mir dann nichts weiter dabei gedacht."

"Und wo ist Ihre Tochter jetzt?", wollte Herr Becker wissen.

"Sie sagte, sie wolle in den Schuppen gehen, um ihr Fahrrad zu putzen. Aber jetzt, wo Sie so nachfragen, kommt es mir doch seltsam vor. Sie ist nicht so der Fahrrad-Putz-Typ, wissen Sie. Ich werde gleich mal hinübergehen und nachsehen, was sie dort treibt. Auf Wiederhören!"

Dann legte sie auf und machte sich auf den Weg zum Schuppen. Kurz bevor sie die Tür erreicht hatte, hörte sie ihre Tochter mit jemandem sprechen. "Merkwürdig, ich wusste gar nicht, dass schon so früh am Morgen Freunde von Telse hier sind."

Neugierig lugte sie durch das Schuppenfenster, konnte aber nur ihre Tochter hocken sehen, die weiter auf jemanden einzureden schien. Aber von diesem Jemand konnte Frau Sörensen nichts erblicken.

"Na, das sehe ich mir mal näher an", entschloss sie sich und wandte sich der Tür zu. Doch in diesem Moment schellte es laut und hektisch an der Haustür. "Da hat 's aber einer eilig. Wer mag das sein, ich erwarte niemanden", wunderte sie sich im Stillen und schlug die Richtung zum Haus ein.


Unterdessen im Schuppen

"Wo kommst du bloß her? Bestimmt bist du von ganz, ganz weit hergeflogen. So einen wie dich habe ich noch nie gesehen. Die Vögel im Garten sehen anders aus und sind viel, viel kleiner. Aber du bis total schwer und riesig."

"Einbrecher, Einbrecher, Piraten, Klabautermann", krakeelte Käpt'n Carlo. Er fühlte sich überhaupt nicht wohl in seiner Haut.

"Du bist aber lustig, du kannst sprechen, toll", freute Telse sich.

Käpt'n Carlo aber war ganz unglücklich. Hier im schummerigen Licht fand er es überhaupt nicht angenehm. Und so fragte der Papagei sich, wie konnte er sich gestern Abend nur so überrumpeln lassen? Nachdem Telse ihr Eis verspeist hatte, ist sie noch einmal in den Garten von Herrn Becker geschlichen. Irgendetwas stimmte nicht mit dem Busch, unter dem der Hund hervor gekrochen war, da war sie ganz sicher. Dieses Geheimnis wollte sie lüften. Also setzte sie ganz vorsichtig einen Fuß vor den anderen, hockte sich vor besagten Busch und schob ein paar Zweige beiseite. Telse staunte nicht schlecht, als sie einen großen, roten Vogel entdeckte. Kurzentschlossen packte sie zu, umfasste den Papagei mit beiden Armen und drückte ihn eng an ihren Bauch. Ihr Brötchen ließ sie fallen.

Verzweifelt versuchte Käpt'n Carlo sich zu befreien. Mit seinen Krallen blieb er in dem T-Shirt des Mädchens hängen und zerriss es bei dem Versuch, sich aus ihren Armen zu lösen, was ihm jedoch nicht gelang.

Der Griff des Mädchens war fest, und sie war erstaunlich stark. Jetzt hockte er hier in einem dunklen Schuppen und wusste einfach nicht, wie er aus diesem Gefängnis wieder entfliehen konnte. Das Allerschlimmste aber war, dass Jonathan verschwunden war. Der Papagei fühlte sich elend wie nie zuvor in seinem langen Leben. Er dachte nach und rief sich das Geschehene in Erinnerung: Es war ihm gerade noch gelungen, den Mäuserich unter einem seiner Flügel zu verstecken. Zum Glück war Jonathan schon eine Weile wach, so dass er geistesgegenwärtig genug war, um sich gut festzuhalten. Irgendwo auf dem Weg in diesen verfluchten Schuppen war Jonathan dann aber verloren gegangen.

So in Gedanken versunken, ließ Käpt'n Carlo den Kopf hängen und sah ganz traurig aus. Das bemerkte sogar das kleine Mädchen: "Hey, roter Vogel, was hast du denn? Bist du traurig?" Vorsichtig streichelte sie mit ihrer kleinen Hand über seine Flügelfedern, und dann kraulte sie ihn zart unter seinem Schnabel. Käpt'n Carlo hob den Kopf und krächzte leise. "Oh je, Vogel, hab' ich dir weh getan?"

Der Papagei legte den Kopf schief. Am liebsten hätte er sich weiter kraulen lassen, aber er musste nachdenken. 'Wo könnte Jonathan geblieben sein? Was konnte er in seiner jetzigen Lage unternehmen?' Käpt'n Carlo breitete seine Flügel aus und schwang sie vor und zurück, so dass sie beinahe das Gesicht des Mädchen gestreift hätten.

Erschrocken wich es zurück: "Was soll das denn? Bist du mir böse, weil ich dich mitgenommen habe? Möchtest du lieber wieder draußen herum fliegen? Der Papagei nickte eifrig, gerade so wie er es vor langer, langer Zeit bei dem alten Kapitän, in dessen Kajüte er einst wohnte, gesehen hatte.

"Ah, ja, verstehe. Das ist aber schade, weil ich doch so gern einen Vogel in meinem Zimmer haben möchte. Du könntest auch auf meinem Bett schlafen, wenn du möchtest", schlug sie ihm vor. Da der Papagei aber gar nichts dazu sagte und sich auch nicht regte, beschloss sie: "Einen traurigen Vogel möchte ich auch nicht." Und sie stand auf. "Gut, Vogel, ich werde dich wieder fliegen lassen. Ich wünsche mir zum Geburtstag eben einen so schönen, roten Vogel wie dich. Hoffentlich freut der sich dann, wenn er bei mir wohnt. Aber erst muss ich nachsehen, ob die Luft rein ist, verstehst du?" Vorsichtig öffnete sie die Schuppentür, steckte ihren Kopf hinaus und lugte in die eine, dann in die andere Richtung. "Ist gut, Vogel, dann komm schon, du darfst hinaus."


Rupert auf Käpt'n Carlos Spur

Rupert hatte schon eine ganze Weile damit zugebracht, nach Käpt'n Carlo und Jonathan zu suchen. Sein Herrchen hatte ihm ein Stückchen Stoff vor die Nase gehalten, das von dem T-Shirt des Mädchens stammte. Mit diesem Geruch in der Nase hatte er die Gegend erschnüffelt. Die Spur führte ihn in den Garten von Frau Sörensen. Hier irgendwo musste der Papagei sein, denn Rupert war sicher, dass das Mädchen seine Freunde entführt haben musste. Gerade als Telse die Tür für Käpt'n Carlo geöffnet hatte, stürmte Rupert über den Rasen geradewegs auf den Schuppen zu.

Buntstiftzeichnung: © 2013 by Schattenblick


Käpt'n Carlo nahm drinnen Anlauf, hüpfte nach draußen und schwang seine Flügel im Laufen auf und ab. Padautz! Hund und Papagei stießen zusammen, trudelten, taumelten und trullerten über den Rasen.

Telse schrie laut auf: "Verdammt, schon wieder dieser doofe Hund. Blöder Köter, hau ab, lass den Vogel in Ruhe!" Sie hob einen kleinen Klumpen Erde auf und warf damit nach Rupert. Doch der hatte, nachdem er wieder sicher auf seinen vier Pfoten stand, kein Ohr für das Mädchen. Er freute sich so sehr, Käpt'n Carlo wiederzusehen.

"Endlich, ich habe dich überall gesucht. Geht es dir gut? Was machst du hier?", er hätte noch immer weiter fragen können, doch der Papagei stoppte ihn. "Halt ein, lieber Freund. Auch ich bin über die Maßen erfreut, dich zu treffen. Es war mir leider nicht möglich, unseren Zusammenstoß zu verhindern, da ich schon zu viel Fahrt aufgenommen hatte. Hoffentlich hast du dich nicht verletzt", sorgte sich der Käpt'n.

"Nein, nein, alles gut." Rupert setzte sich vor Käpt'n Carlo hin, der sodann damit begann, seine Federn zu ordnen. "Bei dir auch alles heil geblieben, ich meine, außer dein zerzaustes Federkleid?"

"Ja, danke der Nachfrage. Aber lass uns gemeinsam überlegen, wo Jonathan geblieben sein könnte. Ich mache mir schreckliche Sorgen, dass ihm etwas zugestoßen sein könnte."

"Oh je, ich dachte, er wäre bei dir - in Sicherheit?!"

"Das war er. Dann aber überschlugen sich die Ereignisse ...", begann der Papagei in aller Kürze - was bei ihm natürlich immer etwas länger dauerte - zu berichten, wie er von dem Mädchen in den Schuppen gebracht wurde, und wie er auf dem Weg dorthin Jonathan verloren hatte.

Telse schimpfte weiter auf Rupert, der sich völlig unbeeindruckt zeigte, da er sich im Gespräch mit dem Käpt'n befand.

"Telse, mein Schatz, was schimpfst du denn so? Was ist los?", rief ihre Mutter, Frau Sörensen, ganz aufgeregt. Sie hatte nichts von dem Geschehen mitbekommen, da sie an die Haustür gegangen war, um den wilden Klingler einzulassen, der sich als Herr Becker entpuppte.

Einige Schritte hinter Frau Sörensen trat er ins Blickfeld. "Rupert, Rupert, sofort hierher! Was soll das denn nun schon wieder? Was ist mit dir los? Was hast du dem armen Vogel angetan?"

Rupert drehte sich um und bellte. "Na klar, ich, weil ich nun mal ein Hund bin, trage an allem die Schuld, typisch Mensch! Nur jetzt nicht aufregen", sagte er zu sich selbst.

"Wir sollten den Menschen zeigen, dass wir uns kennen und uns freundlich gesonnen sind", schlug Käpt'n Carlo vor.

"Und wie das?", quengelte Rupert ungeduldig.

"Na, so vielleicht?", krächzte der Papagei und trippelte ein paar Schritte auf Rupert zu, schmiegte sich dicht an ihn. Rupert wedelte mit dem Schwanz und stupste Käpt'n Carlo ganz sanft in die Seite. Als Käpt'n Carlo dann auch noch auf Ruperts Rücken hüpfte, ertönte erleichtertes Lachen der umstehenden Zuschauer.

"Was macht der denn da, wie die Stadtmusikanten ...", jauchzte Telse und lehnte sich an ihre Mutter.

"Hat man so was schon gesehen?" staunte Herr Becker und war abermals höchst verwundert über das Verhalten seines Hundes.

Der Käpt'n flatterte wieder hinunter auf den Rasen und schlug ein-, zweimal mit den Flügeln und krächzte laut: "Piraten, Einbrecher, Klabautermann!" Dabei plusterte er sich auf.

Telse quietschte vor Vergnügen: "Oh, Mama, ich möchte den Vogel so gern behalten, darf ich? Ich pass bestimmt gut auf ihn auf, füttere ihn und er darf auch auf meinem Bett wohnen!"

"Oh, mein Schatz, meinst du nicht, dass er etwas zu groß ist und außerdem gehört er doch bestimmt zu jemandem. Das sollten wir zuerst einmal herausfinden", meinte Frau Sörensen und beugte sich zu ihrer Tochter herunter.

"Das ist der Papagei von Herrn Svenson. Er ist bei mir in Pflege. Herr Svenson ist nämlich zur Hochzeit seiner Tochter nach Süddeutschland gefahren und kommt erst in drei Tagen wieder", erklärte Herr Becker die Situation.

"Da, siehst du, der Vogel hat ein Zuhause!"

"Ja, Mama, schade, nein, ich mein, für ihn ist das gut. Dann freut er sich bestimmt, bald wieder daheim zu sein. Aber trotzdem wünsche ich mir so einen Vogel zum Geburtstag, genauso einen, bitte, Mama, bitte, bitte", bettelte Telse.

Ihre Mutter sagte nichts, nahm sie aber in den Arm und blickte sich um. "Und nun, wie geht 's jetzt weiter?", überlegte sie laut.

"Tja, ich werde mir jetzt den Papagei schnappen und ihn zu mir bringen, nachsehen, ob er sich was getan hat auf seinem Ausflug, ihn füttern und so weiter. Ich bin so froh, dass er wieder da ist. Ich glaube Herr Svenson hängt sehr an dem Tier. Er wäre erschüttert, wenn sein Vogel nicht mehr da wäre."

Ganz vorsichtig näherte sich Herr Becker dem Vogel, nahm ihn behutsam auf und streichelte ihn sanft am Hals. "Komm, Rupert, wir gehen nach Hause," rief er dabei seinen Hund.

"Warten Sie, Herr Becker, kommen Sie doch noch auf eine Tasse Kaffee hinein. Vogel und Hund können mit reinkommen", lud Frau Sörensen ihn ein.

"Da sag ich doch nicht nein, also, vielen Dank", freute er sich und ging mit ihr, Telse, Käpt'n Carlo und Rupert ins Haus.

Drinnen setzten sich alle ins Wohnzimmer, die Menschen an den Tisch, Rupert und der Käpt'n auf den Teppich. Herr Becker streichelte seinen Hund und klopfte ihn freundschaftlich: "Na, mein Lieber, ich glaube, ich versteh' dich einfach manchmal nicht, aber du bist ein feiner Kerl."

"Wuff", machte Rupert und schleckte Herrn Beckers Hand.

Dann kochte Frau Sörensen Kaffee, und bald waren die Menschen mit sich und dem Kaffeetrinken beschäftigt.

So konnten Käpt'n Carlo und Rupert sich endlich wieder ungestört unterhalten.

Und wo blieb Jonathan?

"Na endlich, jetzt haben wir erst einmal Ruhe. Aber wir müssen uns schnell etwas einfallen lassen. Also, wo und wann hast du Jonathan zuletzt gesehen?" nahm Rupert die Nachforschungen auf.

"Als das Mädchen, das, wie wir inzwischen zur Kenntnis nehmen konnten, Telse heißt, uns - oder vielleicht auch nur mich - in dem Busch entdeckt hatte und mir bedrohlich nahe kam, hob ich Jonathan, der zum Glück mittlerweile wieder wach und bei Sinnen war, mit meinem Flügel auf. Geschwind verkroch er sich darunter."

"Könntest du dich vielleicht etwas kürzer fassen?", unterbrach Rupert ihn.

"Nun denn, ich werde mir Mühe geben", setzte er seine Rede fort. "Dann rief ich noch: 'Halte dich gut fest, es kann turbulent zugehen!' Ja. Das war das letzte Wort, welches ich an ihn richtete. Telse packte mich und trug mich in den Schuppen. Als ich den Versuch unternahm, mich zu befreien, ist Jonathan dabei möglicherweise heruntergefallen." Damit endete Käpt'n Carlo seinen Bericht.

"Hmm, äh, nun, ich fasse zusammen: Jonathan ist fort und wir haben keine Ahnung, wo er sein kann. Richtig?" brummte Rupert.

"Dem habe ich nichts hinzuzufügen", gestand der Käpt'n traurig. Beide waren ratlos. Keiner sagte ein Wort. Sie grübelten jeder für sich darüber, wie es ihnen gelingen könnte, Jonathan wiederzufinden.

"Hiiilfe, iiih, hiilfeeee, Mäuse", kreischte Frau Sörensen laut auf und zog ihre Füße hoch auf den Sessel, auf dem sie saß und wurde ganz kurzatmig und blass.

"Beruhigen Sie sich, bitte", sprach Herr Becker mit ruhiger, tiefer Stimme. "Scheint fast so, als hätten wir eine Mäuseplage. Bei mir im Haus war auch eine. Die hat mein Hund, der gute Rupert, aber gefressen, die sind wir los!"

Dann drehte er sich um, schaute auf seinen Hund und drängte: "Na los, Rupert, Mäusefangen kannst du doch. Fang sie! Los! Na, lauf schon!"

Telse stellte sich neben ihre Mutter und umarmte sie: "Mama, das sind doch nur ganz kleine Mäuse, die können dir doch nichts tun ..."

Rupert sah Käpt'n Carlo an: "War die eine Maus nicht Jonathan?"

"Ich bin mir ziemlich sicher, sie hatte erstaunliche Ähnlichkeit mit ihm. Am besten scheint es mir, du rennst den beiden unverzüglich hinterher. Ich folge dir nach", schlug der Papagei vor.

Rupert nahm die Verfolgung auf, zwängte sich unter dem Couchtisch hindurch, schnüffelte an der Kommode, folgte der Spur hinaus auf den Flur, hastete quer über die Fliesen hinein in die Küche, sprang auf die Spüle und durch das dort offen stehende Fenster hinaus auf den Hof. Mit einigem Abstand folgte Käpt'n Carlo, halb fliegend, halb flatternd, bis auch er durchs Fenster hinaus flog. Beinahe wäre es abermals zu einem Zusammenstoß gekommen, denn der Käpt'n verfehlte nur um Haaresbreite Ruperts Rücken.

Als Jonathan die beiden erblickte, stürmte er auf sie zu und rief: "Wurde aber auch Zeit, Jungs, dachte schon, ihr habt mich ganz vergessen. Juhuu, verflucht, ist das toll, euch zu sehen!" Dabei drehte er sich um sich selbst und schwang seinen Besen in die Luft und im Kreis. Rupert wollte ihn anstupsen, damit der Mäuserich sich beruhigte, beugte sich also vor und erhielt einen kräftigen Schlag mit dem Besen auf seine Nase. Er hopste einen Schritt zurück: "Aua, pass doch auf!", lachte er, "beruhige dich, wir freuen uns auch, aber wir können nicht hier bleiben!"

Am Rande des Geschehens entdeckte Käpt'n Carlo noch eine Maus. Sie sah sehr hübsch aus und war, genau wie Jonathan, ziemlich groß. Verlegen blickte sie den Papagei an. Angst hatte sie keine, denn Jonathan hatte ihr natürlich schon längst von ihm und Rupert erzählt.

Jetzt sah auch Rupert sie und tapste ein paar Schritte auf sie zu: "Hallo, wer bist denn du?"

"Ich, ich bin ..."

"Sie ist meine Freundin, heißt Majon und sie ist supertoll, ganz prima Kumpel, nur ein wenig schüchtern", stellte Jonathan sie vor. Dann drehte er sich zu Majon und sagte: "Das sind meine Gefährten, von denen ich dir schon erzählt habe. Der da ist Rupert und der große Rote ist Käpt'n Carlo."

"Hallo, guten Tag", murmelte sie höflich.

"Sehr erfreut", wollte der Papagei gerade seine Begrüßungsrede beginnen, als die Tür hinter ihnen aufflog und Telse in den Garten gestürmt kam, gefolgt von ihrer Mutter und Herrn Becker. "Was ist denn hier los?", kreischte sie laut.

Jonathan ergriff seinen Besen und es sah ganz danach aus, als wolle er wieder einen Zauber sprechen. Rupert wurde ganz mulmig bei dem Gedanken an Jonathans langen Schlaf nach einem Zauber und er wusste auch nicht so recht, wo er ihn und seine Freundin denn so schnell verstecken sollte. Also sprang er auf ihn zu: "Halt, nein, nicht, tu das nicht, besser ihr beiden lauft so schnell ihr könnt, verschwindet, schnell! Carlo und ich lenken die Menschen ab!"

"Alles klar, bis bald. Ich bleib mit Majon zusammen, wir kommen auf jeden Fall wieder zu dir, Rupert, und dir, Käpt'n Carlo ..."

Jonathan packte Majon bei der Hand und zog sie hinter sich her. "Wir finden heraus, wo du wohnst, dann kommen wir alle zu dir. Bis bald ...!" Zwei Mäuse rannten blitzgeschwind über den Rasen durch die Hecke am Schuppen vorbei und waren nicht mehr zu sehen.

Buntstiftzeichnung: © 2013 by Schattenblick


Rupert und Käpt'n Carlo veranstalteten noch ein Vogel-Hund-Theater, in dem sie auf und nieder hüpften, sich im Kreise drehten, der Papagei wieder auf Ruperts Rücken sprang und mächtig mit den Flügeln schlug, hinunter flatterte und laut krakelte: "Piraten, Klabautermann, Einbrecher, Einbrecher ...!"

Herr Becker, Frau Sörensen und Telse schüttelten erstaunt und gleichzeitig ihre Köpfe, was urkomisch aussah. Sie lachten. Rupert war sich nicht ganz sicher, aber er glaubte, die Menschen hätten die Mäuse gar nicht gesehen. Ruhig und gemächlich ging er nach dieser wilden Aufführung wieder zu seinem Herrchen. Der klopfte ihn und kraulte ihn am Ohr: "Du bist ein verrückter Hund, ich werde einfach nicht schlau aus dir. Aber du bist und bleibst mein Allerbester." Dann hockte er sich vor Rupert hin und herzte ihn. "Der Papagei ist ja nicht weniger verrückt, wenn ich es so recht bedenke", flüsterte er seinem Hund zu, "vielleicht versteht ihr euch deshalb so gut?"

Herr Becker lachte, nahm Käpt'n Carlo vorsichtig auf seinen Arm, verabschiedete sich von Frau Sörensen und Telse und rief: "Rupert, komm, ab nach Hause!"

Fortsetzung folgt ...

Juni 2013