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KALENDERGESCHICHTEN/065: 05-2016   Verständigung ... (SB)



Ein trauriges Löwenbaby tapst im Gras, weiter hinten liegen und stehen Löwinnen und ein großer Löwe liegt auf einem Felsen - Buntstiftzeichnung: © 2016 by Schattenblick

"Aufwachen, aufwachen, Papa, Mama, los aufwachen, bitte!", drängelte Jan seine Eltern und wurde von seiner kleinen Schwester Maike lautstark unterstützt: "Mama, heute ist Sonntag, wir wollen in den Zoo gehen. Mama, Papa, bitte. Ich möchte die Elefanten sehen, die Giraffen und die Bären. Moni hat erzählt, dass gerade Bärenbabys und kleine Löwen zu sehen sind!"

An Vater und Mutter wurde gerüttelt und gezupft, bis die beiden Kinder zu ihnen in das große Bett hüpften und die Eltern schließlich aufstöhnten: "Was ist denn los? Es ist doch noch mitten in der Nacht?" Jan und Maike lachten: "Nein, sieh doch, die Sonne scheint!"

"So ein Blödsinn, das muss der Mond sein", scherzte ihre Mutter, drehte sich auf die Seite und begann laut zu schnarchen. Jan und Maike zogen die Bettdecke fort und kitzelten ihre Mutter durch, bis sie laut quietschend aus dem Bett sprang. "Ich ergebe mich! - Aber erst wird gefrühstückt!"

Am frühen Nachmittag machten sie sich auf den Weg zum Zoo, der nicht weit von ihrer Wohnung lag, so dass sie ihn bequem zu Fuß erreichen konnten. Es war ein warmer Sommertag. Jan hatte Zeichenblock und Stifte mitgenommen. Heute wollte er das Löwenbaby malen. Er hatte ein Bild von der Löwenmutter und dem Kleinen in der Zeitung gesehen, aber keine Lust gehabt, auch den Bericht zu lesen. Maike fand es langweilig, neben Jan zu hocken, bis er mit dem Bild fertig war. Ein Trost für sie war, dass sie währenddessen ein großes Eis verspeisen konnte. Versonnen schleckte sie die kühle Köstlichkeit und schaute dem kleinen Tier zu. Irgendwie machte das Löwenbaby einen etwas traurigen Eindruck auf sie - und wo in aller Welt war überhaupt die Löwin?

"Du, Jan, siehst du die Löwenmutter irgendwo?" - "Nö", brummte ihr Bruder, sah dabei aber nicht von seiner Zeichnung auf. "Hey, Jan, ich glaube der kleine Löwe hat Kummer, sieh doch mal", beharrte Maike.

"Ich schaue mir den kleinen Kerl doch die ganze Zeit an und verdammt, er tapert leider immer hin und her und ich bekomme es einfach nicht hin, seine Pfoten zu zeichnen!", maulte Jan. "Und jetzt lass mich in Ruhe. Woher soll ich denn wissen, wo die Löwenmutter steckt?" Hätte Jan nicht nur das Bild der Löwen in der Zeitung betrachtet, sondern auch den Artikel dazu gelesen, wüsste er längst, warum der kleine Kerl allein, weit entfernt von den anderen Löwen, am Rand des Geheges unruhig hin und her lief.

Es hatte sich vor ein paar Tagen zugetragen. Dem Löwenbaby mit Namen Kunja, kam es allerdings vor als wäre alles schon eine Ewigkeit her:

Die Sonne schien und es versprach ein warmer Sommertag zu werden. Kunja schlug die Augen auf. Sein knurrender Magen hatte ihn geweckt. Er hob den Kopf und wollte sich enger an seine Mutter schmiegen, um sich langsam bis zu ihrem Bauch vorzutasten und von ihrer köstlichen Milch zu trinken. Er drehte sich und ... Moment mal, wo war der warme Mamabauch? Kunja kullerte haltlos auf die Seite. Erschrocken rappelte der kleine Löwe sich auf seine vier Pfoten und blickte sich suchend um. Wo war seine Mutter? Er tapste ein paar Schritte vor und da konnte er sie sehen. Neben ihr standen zwei Tierpfleger und redeten sanft auf sie ein. Dann geschah das Schreckliche. Sie stöhnte laut auf und fiel um. Alles Leben schien aus ihr gewichen. Hastig rannte Kunja auf sie zu, warf sich in ihre Halsbeuge und stupste sie an. Doch seine Mutter bewegte sich nicht - aber sie war nicht tot. Das wusste er. Leise und gleichmäßig atmete sie warm durch ihre große Nase. Aber was war passiert? Noch bevor er wirklich darüber nachdenken konnte, packten ihn zwei große Hände unter den Achseln und hoben ihn hoch, weg von seiner Mutter! Er wurde dicht an einen warmen Körper gedrückt und eine Hand streichelte ihm über den Rücken. Kunja blickte sich um und erkannte den Tierpfleger, der gerade noch auf seine Mutter eingeredet hatte. Sein Herz klopfte wie wild und er zitterte. "Fall ich jetzt auch um?", schoss ihm ein Gedanke durch den Kopf.

Wie gelähmt wartete er auf das was da kommen sollte. Doch das geschah nicht. Er war immer noch wach. Stattdessen wurde weiter sein Rücken gekrault und langsam beruhigte Kunja sich. Der Tierpfleger brachte ihn zu den anderen großen Löwen, alles Tanten von ihm und sein Vater war auch dort. Die Löwen lagen in der Sonne und schienen zu faulenzen, hoben aber ihre Köpfe, als sie auf den Kleinen aufmerksam wurden. Nur Vater Löwe bewegte sich nicht. Vermutlich schlief er. Kunja war entsetzt und völlig verängstigt. Hier wollte er ohne seine Mutter nicht bleiben. Kaum hatte der Tierpfleger ihn auf dem Boden abgesetzt, stratzte er eilig in Richtung der Stelle im Gehege, an der seine Mutter eben noch gelegen hatte. Nun war sie fort. Sofort versuchte er ihre Spur zu verfolgen, aber es gab keine. Es schien als sei sie einfach so ohne zu laufen vom Erdboden verschwunden! Kunja wurde sehr traurig, aber er wollte genau an diesem Ort auf ihre Rückkehr warten. Sie musste einfach wieder zu ihm kommen. Und so harrte er nun schon seit drei Tagen hier aus! Natürlich wurde für ihn gesorgt. Er bekam Milch zu trinken oder jedenfalls hielt er es für Milch. Allerdings musste er sie aus einer Flasche saugen, durch einen merkwürdig nach irgendetwas ihm Unbekanntem riechenden und schmeckenden Schlauch. Ein Pfleger packte ihn mit seiner kräftigen Hand im Nackenfell, so wie es seine Mutter tat. Nur bei ihr spürte er ihre Zähne, ihre Zunge und ihren Atem und es fühlte sich feucht und warm an, wenn sie ihn sicher und vorsichtig packte. Die Menschenhand aber tat nur einen festen Griff. Kunja mochte das nicht und zappelte. Nachts wurde er ins Löwenhaus gebracht und schlief tatsächlich irgendwann ein. Am nächsten Morgen suchte er wieder seinen Platz auf, um auf seine Mutter zu warten.

Heute wurde der kleine Löwe allerdings abgelenkt. Neugierig blickte er auf die Menschen vor dem Löwengehege. Es waren nicht besonders viele, aber ein Junge starrte ihn an, ließ ihn nicht aus den Augen, egal wohin er sich auch bewegte. Er probierte alles aus. Lief hin und her, doch der Junge sah ihn noch immer an. Kunja fühlte sich gar nicht wohl dabei. Aber dann erweckte ein kleines Mädchen, das gerade an einem Eis schleckte, seine Aufmerksamkeit. Als sich ihre Blicke trafen, fühlte er sich seltsamerweise wohl, irgendwie ganz ruhig. Für einen Moment hatte der kleine Löwe seinen Kummer vergessen und war ganz damit beschäftigt das Mädchen anzusehen. Plötzlich vernahm er ein seltsames Geräusch. Erst ganz leise, dann etwas lauter summte das Mädchen eine Melodie. Kunja lauschte und setzte sich langsam hin, legte den Kopf schief und blinzelte.

"Hallo Löwe, du siehst so traurig aus, hast du Kummer?", wollte das Mädchen wissen. "Ich heiße Maike, du kannst mir ruhig alles erzählen." Kunja wunderte sich, denn sie war der erste Mensch, der wirklich zu ihm sprach. Er fasste sich ein Herz und antwortete: "Meine Mutter kommt nicht wieder. Sie ist schon sooo lange fort und ich warte hier auf sie. Ich weiß gar nicht was mit ihr ist." - "Das ist schlimm. Soll ich mal versuchen rauszukriegen, was mit ihr geschehen ist?" - "Kannst du das? Das wäre toll, wirklich", freute sich das Löwenbaby. "Sag mal wie heißt du denn?" - "Kunja", antwortete er stolz, weil er einen so schönen Namen hatte. "Okay, Kunja, ich mach mich sofort auf den Weg. Ich denke, es wird einen Moment dauern, aber ich komme bestimmt wieder!", rief sie ihm zu.

"Maike, was redest du denn da?", wollte ihr Bruder wissen, "siehst du Gespenster? Mama hat doch gesagt, du sollst nicht so dicht an den Zaun gehen!" - "Ja, ja, bin ja schon weg!" Sie hüpfte zu ihm und blieb kurz stehen. "Sieh mal Maike, gerade hatte der kleine Löwe ganz still gehalten und so habe ich es endlich geschafft seine Pfoten zu malen - hier!" Stolz zeigte Jan seiner Schwester das gelungene Werk.

"Hmm, ganz schön gut. Aber ich muss jetzt ganz dringend etwas herausfinden!" Maike lief zu ihren Eltern hinüber, die sich mit Bekannten unterhielten. "Mama, Mama", sie zupfte an Mutters Umhängetasche, "wir müssen dem kleinen Löwen helfen!"

"Augenblick mal bitte!" Sie redete noch ein paar Sätze weiter, dann beugte sie sich zu Maike hinunter und ließ sich die ganze Geschichte erzählen. "Und das alles hat der kleine Löwe da drüben dir gesagt und du konntest das hören und verstehen?" Ihre Mutter schüttelte den Kopf. "Maike, ich bitte dich, fang nicht an zu spinnen!"

"Mama bitte, ich spinne doch gar nicht! Kunja ist so traurig, bitte, er weiß doch gar nicht was los ist und er vermisst seine Mutter", flehte Maike. "Wer ist denn Kunja?" - "Na, der Löwe, so heißt er, hat er mir jedenfalls gesagt", erklärte Maike ungehalten. Ungläubig musterte sie ihre Tochter. "Nun gut, lassen wir es dabei. Aber wie stellst du dir das vor, was sollen wir unternehmen?", wollte sie schließlich wissen.

"Du kannst doch zum Zoodirektor gehen und ihn fragen, was mit der Löwenmutter los ist, bitte Mama, frag ihn das!", bettelte Maike. Die Mutter zögerte. Maike wusste, dass sie jetzt nichts mehr sagen durfte. Ihre Mutter sah aus, als suchte sie nach einer Lösung. Ungeduldig wartete sie und fragte sich: "Warum brauchen die Erwachsenen immer so lange, bis sie sich entscheiden?"

Endlich hatte ihre Mutter einen Entschluss gefasst. "Komm", sie griff nach Maikes Hand und steuerte auf das Büro des Zoodirektors zu. Dort erfuhren sie, dass die Löwin nach der Geburt des Löwenbabys eine Infektion hatte und ein paar Tage im Zookrankenhaus bleiben musste, bis sie wieder bei Kräften ist. Schon Morgen kann sie wieder ins Löwengehege zurückgebracht werden, erklärte der Zoodirektor. Dann meinte er noch, dass es auch dringend nötig sei, da das kleine Löwenkind ihnen Sorgen machte. Es schien so traurig zu sein, dass es sich von allen anderen absonderte. Das wäre nicht normal bei Löwen. Als sie wieder hinaus ins helle Sonnenlicht traten, rief Maike: "Siehst du Mama, ich hab 's doch gesagt, er ist traurig, weil er nicht weiß, was los ist. Ich muss ihm sofort Bescheid sagen. Darf ich schon vor rennen?" - "Na, lauf schon, aber pass auf, geh nicht zu nah an das Geländer, hörst du!", rief sie Maike nach.


Das kleine Mädchen hockt auf allen vieren und schaut über die Mauer zum Löwenbaby, um ihm die gute Nachricht mitzuteilen - Buntstiftzeichnung: © 2016 by Schattenblick

Buntstiftzeichnung: © 2016 by Schattenblick

Etwas aus der Puste ließ das Mädchen sich auf Knie und Hände fallen um auf gleicher Höhe mit dem Löwen zu sein. "Hey, Kunja, hörst du mich?" - "Hmmm, ja." - "Also, du brauchst dir keine Sorgen mehr zu machen. Morgen früh wird deine Mama wieder bei dir sein. Sie war krank, aber morgen ist sie wieder ganz gesund!"

"Oh!", der kleine Löwe war sprachlos vor Freunde. Er jauchzte und ihm gelang sogar ein leises Löwenbrüllen. Maike lachte und dann drehte Kunja sich um und sprang auf wackeligen Beinen zu seinen Tanten und seinem Vater hinüber. Maike konnte gerade noch hören wie er rief: "Meine Mutter kommt wieder!" Maike setzte sich neben ihren Bruder und nun betrachtete sie sein Bild genauer.

"Mann, Jan, das ist aber wirklich toll geworden, schenkst du es mir?" Jan war etwas verlegen, weil er so viel ehrliche Bewunderung von seiner Schwester gar nicht erwartet hatte, nickte und reichte ihr die Zeichnung. "Schreibst du bitte noch "Kunja" darunter? - Echt tolle Pfoten hat er!" Ihre Eltern hatten das Gespräch mit den Bekannten beendet und setzten sich auf eine Bank vor dem Löwengehege. Als die Kinder sie sahen, stürmten sie auf sie zu. "Siehst du Mama, jetzt ist Kunja froh und ist sogar zu den anderen Löwen hinüber gegangen! Gut, dass er mir seinen Kummer erzählt hat und gut dass du geholfen hast."

Ende


zum 1. Mai 2016


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