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KALENDERGESCHICHTEN/078: 06-2017 - Der kleine Dschinn - eine zu kurze Begegnung ... (SB)


Zwei kleine Schweinchen liegen dicht aneinander gekuschelt im Stroh - Buntstiftzeichnung © 2017 by Schattenblick

Obwohl der kleine Dschinn den großen stattlichen Fuchs sehr gern hatte und ihm bis in seinen Fuchsbau gefolgt war, verließ er ihn wieder, weil ihm das Leben als Fuchs doch viel zu gefährlich erschien. Außerdem war ihm ein klitzekleiner Verwandlungsfehler unterlaufen. Zwar hatte er, wie gewünscht, die Gestalt eines Fuchsbabys angenommen, doch leider war er dabei viel zu groß geraten, größer als der alte Fuchs und riesig im Vergleich zu den richtigen Fuchsbabys im Fuchsbau. Also wollte er nicht länger bleiben und lenkte seine Schritte ohne wirkliches Ziel in den Wald hinein.

Immer geradeaus im leichten Lauf setzte er seinen Weg ins Ungewisse fort, bis er auf eine Lichtung gelangte, die mit ihrem saftigen Gras zum Ausruhen einlud. Er ließ sich eine Weile die Sonne auf den Bauch scheinen, hörte die Bienen summen und die Vögel zwitschern. Aber allmählich erfasste ihn eine Sehnsucht nach Dunkelheit. Er wünschte sich einen Ort, der ihn wenigstens ein wenig an sein Dschinn-Zuhause erinnern würde. Leider hatte er keine Ahnung, wo er einen solchen Platz finden könnte. Über diese Gedanken und dieses Wünschen schlief er irgendwann ein. Als er seine Augen aufschlug erschrak er - wo war der Wald, das Gras, wo waren die Bienen und die Vögel? Aufgeregt blickte er um sich und es war ihm nicht möglich irgendetwas zu erkennen. Langsam gewöhnten sich seine Augen aber an das Dunkel und er konnte Heu und Stroh erkennen und vor allem riechen. Auch einige Holzbalken und ein Tor, durch dessen Ritzen grelles Sonnenlicht das Innere in Dämmerlicht versetzte, war nun deutlich zu erkennen. Der kleine Dschinn schlich sich zu eben diesem Tor und lugte durch die Ritzen nach draußen.

Dort im Schatten eines großen Baumes, sulten sich sechs kleine Schweine im Matsch und quiekten vor Vergnügen. Dieses gemeinsame Herumtollen rührte sein Herz und er zögerte keinen Augenblick, sich in ein solches Schwein zu verwandeln. Diesmal hatte er alles richtig gemacht, seine Verwandlung war gelungen. "Kein Wunder", dachte der kleine Dschinn, "bei so schönen Vorbildern fällt das Gestaltwandeln leicht." Mutig öffnete er das etwas wackelige Tor und gesellte sich zu den anderen.

Drei kleine Schweinchen rutschen fröhlich auf einer Schlammbahn hinunter - Buntstiftzeichnung © 2017 by Schattenblick

Buntstiftzeichnung: © 2017 by Schattenblick

"Darf ich mitspielen? Das sieht lustig aus!", fragte er. "Klar doch, Matsch und Schlamm gibt es genug", rief ihm ein Schweinchen zu, das von einer kleinen Anhöhe gerade eine Rutschpartie hinab startete. Mit einem Satz schlidderte und glitschte es im Matsch hinunter, dass es nur so spritzte. Der kleine Dschinn rannte flugs zu der erhöhten Stelle, tat es dem Schweinchen gleich, hopste in den dunkel erdigen Schlamm und rutschte und rutschte, immer schneller und schneller. Leider war er gar nicht geübt im Schlammtoben. Scharfe Gräser, kleine Zweige, die sich vom Rand her über die Bahn streckten, streiften ihn. Plötzlich erhob sich zu seinem großen Schrecken ein Baumstumpf aus dem Sumpf. "Hey, du musst steuern, daran vorbei steuern", versuchte das Schweinchen ihn zu warnen, "los benutze deine Füße, sonst ...", weiter kam es nicht und konnte nur noch zusehen, wie der kleine Dschinn bäuchlings in gerader Fahrt auf das Hindernis zuglitschte und mit seiner Hinterbacke fest dagegen stieß.

"Aua, aua, das tut weh!", jammerte und fluchte er laut. Aber wenigstens wurde seine wilde Rutschpartie auf diese unsanfte Weise gestoppt. Der kleine Dschinn krabbelte an den Rand und legte sich erschöpft und verärgert ins Gras. "Hast du dir doll wehgetan?", erkundigte sich das Schweinchen, das sich neben ihn gesetzt hatte. "Hmm, ja, ziemlich, meine Hinterbacke schmerzt ganz heftig." - "Oh je, das wird eine prima Beule geben", sagte das Schweinchen voraus und es schien fast, als würde es sich ein bisschen freuen, denn es lachte fröhlich. "Machst du dich über mich lustig?", wollte der kleine Dschinn wissen. "Nee, bestimmt nicht, hab' selber genug Beulen abbekommen, als ich das noch nicht so gut hinbekommen habe, das mit dem Steuern um Hindernisse."

Gerade wollte sich der kleine Dschinn darüber beschweren, dass er sich immer ungeschickt anstellte, wenn er sich in eine neue Gestalt verwandelte, nichts wirklich wußte oder Fehler machte. Aber er besann sich noch rechtzeitig, denn er wollte sein Geheimnis nicht preisgeben - noch nicht. "Sag' mal, wer bist du überhaupt, ich kenne dich gar nicht, hab' dich hier noch nie gesehen? Wo kommst du her, wie heißt du?", überhäufte das Schweinchen ihn mit Fragen. Nun musste der kleine Dschinn sich rasch etwas einfallen lassen. "Ich komme von ganz, ganz weit her, so weit, das kannst du kaum glauben", begann er und sprach mit lauter, fester Stimme. "Oh, ah, ja, nun denn", beeindruckt nickte das Schweinchen. "Und ich heiße, ich heiße ... ?", so rasch fiel dem kleinen Dschinn kein Name ein, aber dann verkündete er, "ja, man nennt mich Frerk, Frerk Ferkel, ganz genau, ja so heiße ich." Er war sehr zufrieden mit seiner Namenswahl und ein wenig Stolz tönte durch seine Bekanntmachung.

"Na, fein, Frerk, willst du mit in den Schuppen kommen und dich ein wenig ausruhen? Dort gibt es einen Trog mit kaltem Wasser. Wenn 's keiner sieht, kannst' deine Hinterbacke da hinein halten. Kühlen hilft, also mir jedenfalls tat 's immer gut." Damit war der kleine Dschinn einverstanden, und er nickte dem Schweinchen freundlich zu: "Und wie wirst du gerufen?" - "Tina. Ganz einfach zu merken, oder?" - "Hmm, ja. Tina, leben all die anderen Schweine auch hier im Schuppen?" - "Ja, klar, was denkst du? Und noch viel mehr wohnen hier in anderen Schuppen. Sieh' dort drüben und dort und da oben und da hinten", zeigte Tina ihm die einzelnen Holzschuppen. "Und was macht ihr hier so den ganzen Tag?", wollte der kleine Dschinn wissen. "Wir raufen, tollen, essen und trinken, schlafen und dösen in der Sonne und nehmen gerne mal eine Matschdusche, wie du ja gesehen hast."

"Das hört sich toll an, hier lässt es sich sicher gut leben!" - "Ach ja, für eine Weile ist das recht angenehm. Aber dann passiert immer etwas, was ich noch nicht ganz verstanden habe", seufzte Tina. Dann stupste sie ihn in die Seite und drängte ihn sanft in Richtung Wassertrog. Artig hielt der kleine Dschinn seine Schweinebacke an das kühle Nass. Das war eine Wohltat. "Und was geschieht hier, was du nicht begreifen kannst?" - "Ach, das ist furchtbar, manchmal fehlt einer von uns am nächsten Morgen und keiner weiß wohin er gegangen ist", stöhnte Tina leise. "Ohje, das hört sich aber gruselig an", dachte der kleine Dschinn, sagte aber lieber nichts.

Dann sprach sie weiter. "Also, ich hab' natürlich schon mal so nachgedacht. Hier kommen ziemlich oft Leute her und die bestaunen uns. Ihre Kinder jauchzen so was wie, 'oh wie niedlich, wie putzig. So eines möchte ich zuhause haben. Das ist doch ganz klein, das geht doch, oder?' So oder ähnlich fragen die Kleinen dann die Erwachsenen und dann verschwinden sie wieder. Alle von uns denken, dass zum Glück nichts passiert ist und leben weiter wie immer. Doch dann, wie gesagt, fehlt in diesem oder jenem Schuppen einer von uns." Tina holte tief Luft, um mit ihrer Vermutung fortzufahren. "Also, weißt du, was ich denke, wir verschwinden genau dorthin zu den Menschen, weil wir so niedlich sind."

"Ha, jetzt weiß ich es", sprang der kleine Dschinn aus dem Trog und vergaß seine Schmerzen, "und deswegen badet ihr im Schlamm, damit ihr ganz schmutzig werdet und gar nicht mehr niedlich ausseht!" - "Ach, Quatsch, das machen wir, weil es uns Spaß macht und sauber!", erklärte Tina. "Sauber?", staunte der kleine Dschinn. "Na, wenn der Matsch auf unserem Fell getrocknet ist, schubbern wir uns an einem Baumstamm und der trockene Matsch rieselt nur so runter. Dann sind wir erst richtig sauber und fühlen uns pudelwohl."

Tina war froh über diese Ablenkung, denn sie erinnerte sich nicht gern an das Verschwinden ihrer Freunde. Stattdessen erkundigte sie sich nach seinem Befinden und schlug ihm vor, dass sie es sich an dem Schuppentor doch so recht gemütlich machen könnten.

Ein wenig dösen und schlummern würde ihm bestimmt gut tun. Dankend nahm der kleine Dschinn den Vorschlag an. Sie legten sich dicht beieinander geschmiegt, und er fühlte sich so richtig wohl. Wenn er es so recht überlegte, wäre es doch schön, Tina zu fragen, ob sie ihn lieb hätte und mit ihm kommen möchte. "Das ist gut für mich, weil ich dann endlich wieder in mein Dschinn-Zuhause gelange und für sie wäre das auch gut, weil sie dann nicht dem Verschwinden anheim fallen würde." Mit diesen Gedanken und mit frohem Herzen, fasste er den Entschluss, Tina sogleich zu fragen, ob sie ihn lieb habe und mit ihm kommen möchte. Sie war wirklich gerührt, sein Vorschlag gefiel ihr gut und ja sie konnte ihn auch wirklich gut leiden. Kurzerhand willigte sie ein und so schliefen beide voller Hoffnung ein. Gleich morgen wollten sie ihre Flucht planen und sich auf den Weg machen.

Doch schon wieder kam alles anders. Der Morgen dämmerte und der kleine Dschinn wollte sich gerade wieder etwas an Tina kuscheln, als er mit einem Riesenschrecken bemerkte, dass sie nicht mehr neben ihm lag. Er sprang auf und brüllte aus Leibeskräften: "Tina, Tina, wo bist du?" Immer wieder rief er nach ihr so laut, dass bald alle anderen Schweinchen wach wurden - nur Tina tauchte nicht mehr auf. So traurig war der kleine Dschinn noch nie gewesen. Er weinte bitterlich und verkroch sich in die hinterste Ecke des Schuppens. Sofort musste er an Tinas Vermutung denken. Ist sie auch zu irgendwelchen Menschen gebracht worden? Der einzige Trost, den er sich selbst spenden konnte, war die Hoffnung, dass es ihr dort gut ergehen möge, und dass die Menschen sich gut um sie kümmerten. Für ihn aber war es mal wieder an der Zeit, seine Suche woanders fortzusetzen.

Weitere Abenteuer des kleinen Dschinn folgen ...


zum 1. Juni 2017


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