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KALENDERGESCHICHTEN/082: 10-2017 - Der kleine Dschinn - was das wohl wird ... (SB)



Der kleine Dschinn-Kater sieht hinab zur winzigkleinen Kellerassel. Sein Kopf erscheint riesengroß im Bild - Buntstiftzeichnung © 2017 by Schattenblick

Aus irgendeinem Grund - er wusste selbst nicht genau warum - war der kleine Dschinn in Gestalt des Gestiefelten Katers der eigenartigen Frau in ihre alte Villa gefolgt. Dort lebten viele, viele Katzen. Sowohl die alte Frau als auch die Katzen waren ihm nicht geheuer. Dennoch wollte er versuchen, sich mit einer von ihnen anzufreunden.

Nach einigem Zögern folgte der kleine Dschinn - nun als prächtiger, aber ganz gewöhnlicher Kater - der Katzengesellschaft nach draußen. Ein köstlicher Duft umschmeichelte seine Katzennase und ließ ihm das Wasser im Munde zusammenlaufen. Die alte Frau hatte hier im Garten ein üppiges Buffet aufgebaut. In vielen verschiedenen Näpfen befanden sich allerlei Leckereien. Genüsslich machten sich die Katzen darüber her und ließen es sich schmecken. Er tat es ihnen gleich, doch mangelte es ihm an jener Vornehmheit, die die Katzendamen an den Tag legten.

Nach anfänglicher Zurückhaltung fraß er bis er pappsatt war. Bei all den aufregenden Abenteuern hatte er gar nicht bemerkt wie hungrig er war. Der kleine Dschinn sah sich nach einem gemütlichen Plätzchen zum Ausruhen um. Dabei bemerkte er, dass eine rotbraun-getigerte Katze ihn beobachtete. Wieder fühlte er sich unbehaglich. War vielleicht alles zu schön, um wahr zu sein? Gab es hier irgendwo ein schreckliches Geheimnis oder war die Frau einfach nur herzensgut und kümmerte sich um die Tiere, wie um eigene Kinder?

Er wusste es nicht und blieb misstrauisch. Die Rotgetigerte erhob sich graziös und schritt mit majestätischer Eleganz auf ihn zu. Sein kleines Katerherz fing heftig an zu klopfen. Ihr leises Schnurren wurde kräftiger und lauter und dann säuselte sie: "Hallo, welch Freude ein neues Gesicht in unserer Gemeinde begrüßen zu dürfen. Darf ich freundlichst bitten, dass du dich vorstellst?"

Der kleine Dschinn schluckte kaum merklich, straffte sich und antwortete möglichst würdevoll: "Aber gewiss doch, ich heiße Felix Schnurrhaar und freue mich gleichfalls deine Bekanntschaft zu machen." So schnell war ihm kein besserer Name eingefallen. Die Katze fing an zu lachen, was er irgendwie beleidigend fand. Sie hielt sich ihre Pfote vor ihr Mäulchen und giggelte mit leicht 0gesenktem Kopf noch weiter.

"Das reicht jetzt", dachte der kleine Dschinn, sträubte sein Fell, machte einen beeindruckenden Katzenbuckel und fauchte: "Was gibt 's denn da zu kichern?"

"Oh, entschuldige bitte, aber dein Name ist wirklich zu komisch. Nochmals bitte, entschuldige mein ungebührliches Benehmen", sagte sie in aller Aufrichtigkeit und prustete erneut los. Sie sah dabei so albern aus, in dem Bemühen sich zusammenzunehmen, was ihr einfach nicht gelingen wollte. Plötzlich musste auch er lachen und schließlich saßen sie beide dicht nebeneinander und beruhigten sich wieder. "Ich heiße übrigens Gina", verriet sie ihm etwas außer Atem.

"Schön, Gina, ein hübscher Name. Darf ich dich was fragen?" - "Sicher doch, nur zu." - "Die alte Dame, die mich hierher eingeladen hat, was ist mit ihr? Ich weiß auch nicht, aber ich bin ihr einfach gefolgt und wusste nicht genau warum ich das tat. Sie ist mir nicht ganz geheuer." - "Ach, du kannst ganz beruhigt sein. Sie ist zwar etwas merkwürdig, aber zu uns Katzen ist sie einfach nur gut. Sie sorgt für uns und dafür, dass es uns an nichts mangelt."

"Wie lange lebst du schon bei ihr", wollte der Kater-Dschinn wissen. "Schon immer. Hier kam ich als Baby auf die Welt und mich trieb es keineswegs irgendwo anders hin." - "Du wolltest nie andere Welten entdecken?", staunte der kleine Dschinn. "Welten?", stutzte Gina, "nein, das war wahrlich nicht mein Wunsch. Ich hörte schlimme Geschichten darüber, wie es Katzen ergehen kann, wenn sie nicht unter dem Schutz eines Menschen leben, sondern frei in den Straßen der Städte, in Feldern oder Wäldern. Besonders gefährlich scheint es in einer Stadt zu sein. Ich erfuhr von Katzenentführungen, von Katzenfängern, die die ahnungslosen Katzen überraschten, von der Stelle wegschnappten und in ein Auto verfrachteten. Mir ist auch bekannt, dass die armen eingefangenen Kreaturen nie wieder gesehen wurden. Ich mag mir gar nicht ausmalen, was ihnen widerfahren sein könnte. Tja, da bin ich doch lieber in Sicherheit bei dieser lieben Frau!" Sie hob ihren Kopf und blickte mit entschlossener Mine zum Kater hin, wohl auch um sich selbst zu versichern, dass ihr Leben in den richtigen Bahnen verlief.

Eine Weile saßen sie schweigend da und blickten ohne bestimmtes Ziel in die Gegend. Dann wandte Gina sich ihm zu: "Was ist mit dir, du hast doch bestimmt schon viel erlebt. Wo kommst du her und bist du denn schon in vielen Welten gewesen?" Mit so einer Frage hatte der kleine Dschinn nicht gerechnet. Bisher hatte sich noch niemand für sein Leben interessiert und er wusste auch nicht recht, ob der überhaupt über sein Geheimnis, also über sein Dschinn-Dasein, reden durfte. Es war ja noch überhaupt nicht sicher, ob diese Katze ihn jemals begleiten würde. Vielleicht würde sie ihm nicht glauben und ihn nur auslachen? Er überlegte kurz, "wenn sie mir nicht glaubt, dann ist das nicht schlimm, ich habe dann nichts verraten, sie glaubt ja nicht, dass ich die Wahrheit spreche."

Dann fasste er sich ein Herz und flüsterte: "In der Tat, ich bin schon weit gereist und habe viel erlebt. Ich kann mich hinwünschen wo immer ich hin möchte, eigentlich kann ich mir alles wünschen und mich sogar verwandeln, denn ich bin ein Dschinn." Die Rotgetigerte war sprachlos und im Zweifel. Zu gern hätte sie ihm geglaubt, aber seine Geschichte klang einfach zu märchenhaft. Die nachdenkliche Stimmung zwischen den beiden wurde jäh unterbrochen. Eine graue, magere und wenig hübsche Katze setzte zu einem weiten Sprung an und landete direkt vor ihnen: "Oh, was höre ich denn da, ein Dschinn bist du, wie wunderbar."

"Was erlaubst du dir, einfach unser Gespräch zu belauschen?", empörte sich Gina. "Na, na, ich kann nichts für meine ausgezeichnet guten Ohren. Aber lassen wir das. Ich heiße Cleopatra und ich liebe Leute, die sich alles wünschen können, wirklich. Ganz gleich ob Katze, Mensch oder Dschinn." - "Wirklich?", staunte der Kater-Dschinn und schon keimte Hoffnung in ihm auf, sie würde ihn vielleicht ins Dschinnreich begleiten, weil sie ihn wirklich lieb hätte.

"Sag mal, könntest du mich in eine wunderschöne Katze verzaubern? Vielleicht noch etwas schöner als Gina? Das wäre dir doch sicher möglich", schmeichelte sie ihm. "Oh, ja, wenn du es möchtest, das ist nicht besonders schwer. Warte nur ab." Der kleine Dschinn verwandelte die graue Katze in eine wahre Schönheit mit glänzendem Fell und leuchtenden Farben, bemerkenswert grünen Augen, wohlgenährt und einfach perfekt in ihrer ganzen Erscheinung. Katze Cleopatra war begeistert, als sie ihren neuen Körper betrachtete.

Gina saß still daneben und schüttelte den Kopf. Sie kannte Cleopatra nur zu gut. Sie war neidisch auf jeden und alles, war nie zufrieden und wollte von allem immer mehr. Man könnte sagen, sie war unersättlich in ihrer Gier. Statt sich beim Kater-Dschinn zu bedanken, forderte sie ihn gleich noch einmal auf, ihr einen Wunsch zu erfüllen. "Kannst du mir auch das beste, größte, das köstlichste Stückchen Fleisch in einer edel verzierten Schüssel herbei wünschen?" Ein Wort wie 'bitte' schien sie nicht zu kennen. Der kleine Dschinn erfüllte ihren Wunsch und dachte: "Nun wird sie mich bestimmt so lieb haben, dass sie mit mir kommt." Doch Katze Cleopatra wurde immer unverschämter. Sie fragte ihn gar nicht mehr, sondern verlangte noch dieses und jenes.

Gina konnte all das nicht mit ansehen. Zwar wusste sie nun, dass der Kater tatsächlich die Wahrheit gesprochen hatte, doch war sie sehr enttäuscht darüber, dass er so einfältig war und tat, was Cleopatra von ihm verlangte. Sie ging zurück ins Haus. Doch ganz so dumm war der kleine Dschinn nun doch nicht. "Du magst mich gar nicht, stimmt 's? Du liebst nur meine Zauberkunst? Du liebst es, dass dir alle Wünsche erfüllt werden. Ja, jetzt durchschaue ich es." Kater Dschinn wartete nicht auf eine Antwort, drehte sich um und ließ eine ganz gewöhnliche graue, magere und wenig hübsche Katze zurück. Hinter sich hörte er ein boshaftes, hässliches Fauchen und Fluchen.

Er hatte all die Enttäuschungen auf seinem Weg zurück ins Dschinnreich satt. Was war das bloß für eine merkwürdige Welt, in die er so sorglos hinein gelangt war. Inzwischen war er auch richtig böse auf die alten Dschinn, weil sie ihm eine so schwierige Aufgabe gestellt hatten und ihm nicht erlaubten zurückzukehren, bevor er sie nicht erfüllt hatte. Wütend und schon nahe daran aufzugeben schlich er sich durch den verwilderten Garten an der alten Villa vorbei und suchte das Weite. Unter einer dicken, hohen Buche, die ihm mit ihrem dichten Blätterdach reichlich Schatten spendete, schlief er vor Erschöpfung ein.

Als er nach einer Weile genau dort auch wieder aufwachte, hörte er ein leises Stimmchen: "Hallo, hallo, kannst du mir bitte mal helfen, ich stecke fest?" Der kleine Dschinn, immer noch in Gestalt des Katers, schaute sich um und konnte niemanden entdecken. "Wer ruft denn da, ich kann niemanden sehen!", rief er.

"Hier unten, sieh nur, unter diesem morschen Holzstück. Ich bin ganz klein, vielleicht liegt 's daran. Bitte heb' doch das Hölzchen auf." Kater-Dschinn tat es und eine Kellerassel reckte sich zu voller Größe auf, was allerdings immer noch sehr, sehr klein war. "Oh je, bist du riesig", stellte die Kellerassel fest, aber macht nichts, ich danke dir jedenfalls herzlich."

"Moment", ganz leise sprach er, damit der armen Kleinen nicht die Ohren abfielen, "ich komme zu dir." Er war so froh, dass er jemanden getroffen hatte, der ihn um etwas ganz einfaches bat und dazu noch freundlich war. Im Nu stand er, winzig klein genau wie sie, neben der Kellerassel, die nun doch etwas erschrocken dreinblickte. "D...d...das v...v... verstehe ich n...nun überhaupt nicht." Erst jetzt bemerkte der kleine Dschinn, dass er vielleicht etwas zu voreilig war, in dem er vor den Augen eines noch ganz Fremden seine Verwandlungsfähigkeit gezeigt hatte. Aber vielleicht war es auch kein Fehler.

Die Abenteuer des Kleinen Dschinn gehen weiter.


26. September 2017


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