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KALENDERGESCHICHTEN/094: 10-2018   Verkehrte Welt - nur nicht allein ... (SB)


Die Bauersfrau sitzt auf der Bank und schaut auf Fuchs, Maus, Marderhund, Entenküken und die Enten auf dem Teich - Buntstiftzeichnung © 2018 by Schattenblick

Nachdem der Unheimliche in dem Busch niemand anderes war als Mika, der kleine Fuchs, waren alle erleichtert und Gina freute sich ganz besonders, ihren Freund wiederzusehen. Nur Lukas verletzte Pfote schmerzte noch immer, doch nun wollten sich Henry Maus und die Enten darum kümmern.

Die Enten kehrten vom Teich zurück ans Ufer und näherten sich mit Rebecca, ihrer Anführerin vorne weg, der kleinen Gästeversammlung. Nachdem sich alle wieder beruhigt hatten und sicher waren, dass von dem Unheimlichen im Busch keine Gefahr drohte, schlug Rebecca vor, sich nun doch endlich um den armen Lukas zu kümmern. Sie bat Gina, noch einmal zum Busch hinüber zu laufen und einige Blätter abzuzupfen. Sie selbst nahm ein wenig Fett aus ihrem Bürzel, mit dem sie sonst ihre Federn einfettete, damit das Wasser besser daran abperlte, und zog die Blätter durch ihren Schnabel. Nun, da sie gut gefettet waren, bat sie Henry Maus daraus einen Verband zu fertigen, der genau die Wunde an Lukas Pfote bedecken sollte. Mika, Gina und die anderen Enten staunten über den tollen Blätterverband.

"So, das wäre dann erst einmal alles. Nun musst du eine Nacht lang tief und fest schlafen und morgen ist deine Pfote wieder wie neu!", verkündete Rebecca.

"Vielen Dank, das fühlt sich ja jetzt schon viel besser an und ich glaube, ich werde mit dem Schlafen gar nicht bis heute Abend warten können, ich bin todmüde und total erschöpft. Das viele Herumhumpeln ist ganz schön anstrengend," gähnte der Marderhund und legte sich sogleich an Ort und Stelle gemütlich hin.

"Und ich habe ganz fürchterlichen Hunger", jammerte Gina und blickte etwas gierig auf die Reste des ausgestreuten Entenfutters. Rebecca sah es und ermunterte sie, davon zu fressen. Als sie satt war, gesellte sie sich zu Lukas, der bereits selig schlummerte, und kuschelte sich an sein dichtes Fell.

Die Enten gingen ihrer Wege, einige schwammen auf dem See, andere dösten in der Sonne und so blieben nur noch Henry Maus und Mika übrig, die sich gegenseitig noch etwas misstrauisch beäugten. Der Mäuserich war sich nicht sicher, ob er dem kleine Fuchs trauen konnte. Was, wenn der nun doch einen großen Appetit auf Mäuse hatte? Schließlich baute sich Henry zu seiner vollen Größe auf: "Ich hoffe doch sehr, dass du mich nicht fressen wirst?!"

"Oh, nein, niemals. Ich weiß doch, dass du für Gina wie ein Vater bist, wie könnte ich so etwas tun, nein, nein, keine Sorge", beruhigte Mika die Maus und fügte dann aber noch hinzu, "obwohl du ganz schön lecker aussiehst."

"Pass bloß auf, das will ich jetzt gar nicht gehört haben!", schimpfte Henry Maus mit einem kleinen Augenzwinkern.

"Lass uns lieber Freunde sein und erzähl mir doch, wie du Gina gefunden hast", bat Mika den Mäuserich. Gerade als dieser zustimmen und mit dem Erzählen beginnen wollte, erklang eine ihm wohl bekannte Stimme: "Henry, hier steckst du! Du glaubst gar nicht, wo ich schon überall nach dir und Gina gesucht habe. Ist Gina auch hier?", wollte Chiko, der alte Kater, wissen.

"Oh, ja, Chiko, das ist ja verrückt, toll, dass du uns gefunden hast. Eigentlich wollte Gina nur mal sehen, wie die großen Enten aussehen, damit sie weiß, was einmal aus ihr wird. Aber dann kam alles ganz anders, verdammt anders, aber das erzähl ich dir in Ruhe", freute sich Henry Maus über das Wiedersehen mit seinem alten Wohngenossen, "sieh nur, dort hinten neben Lukas liegt Gina und schläft."

Etwas beunruhigt beobachteten die Enten den neuen Gast auf ihrem Hof, der eine wahrlich prächtige Erscheinung war und wohl ebenso zur Familie von Henry Maus und Gina zählte.

Rebecca beschloss, sich nicht mehr zu wundern und sich stattdessen darüber zu freuen, dass so viele unterschiedliche Leute in friedlicher Stimmung Gäste auf ihrem Hof waren. Sorglos drehte sie noch eine Runde auf dem Teich und schnatterte hier und da mit der einen oder anderen Ente.

Henry war gerade dabei, Chiko ausführlich zu berichten, was sie alles inzwischen erlebt hatten und wen sie kennen gelernt hatten, als plötzlich die Haustür mit einem lauten und deutlichen Knarren aufgestoßen wurde. Ein Mann verließ wutentbrannt das Haus und pöbelte vor sich hin.

"Diese dumme, alte Bäuerin, warum nur will sie diesen alten, schrottigen, verlotterten Hof nicht verkaufen? Verflucht noch eins, das kann doch gar nicht wahr sein, dass meine Pläne, hier ein wunderschönes, mehrstöckiges Hotel zu bauen, an dieser sturen Bauersfrau scheitern!" In dieser Weise fluchte der Herr weiter in sich hinein, bis er sein Auto erreicht hatte, einstieg, die Tür zuknallte und losfuhr.

"Was war das denn?", wunderte sich Henry Maus als in dem Moment eine rundliche ältere Frau ebenfalls durch die noch offen stehende Haustür trat, dem davon fahrenden Auto hinterher sah und erbost ausrief: "Niemals werde ich meinen Hof verkaufen, niemals!"

Sie prustete und strich sich müde eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Dann setzte sie sich auf die Bank, die neben der Tür an der Hauswand lehnte und blickte sorgenvoll auf die Scheune mit dem kaputten Dach, den Stall, in dem schon lange keine Kühe mehr gemolken wurden und auch die Schweine nicht mehr laut nach Futter quiekten. Nur ihre Enten waren ihr geblieben. Als sie zum Teich hinüber sah, entdeckte sie eine recht merkwürdige Tierversammlung. Ein Marderhund, ein Entenküken, einen Kater, eine Maus und ein Fuchskind und seltsamerweise waren ihre Enten völlig ruhig und gar nicht erschrocken über die Anwesenheit eines Fuchses oder des Marderhundes.

"Was ist denn hier passiert", die Bäuerin rieb sich nachdenklich ihr Kinn, blieb aber sitzen, um die Tiere nicht zu erschrecken. Kater und Maus schienen sich viel zu erzählen zu haben, während der kleine Fuchs nur aufmerksam zuhörte. Das Küken und der Marderhund hingegen lagen in tiefen Schlummer und machten einen ganz unbekümmerten Eindruck.

"Merkwürdig, sehr merkwürdig, tse, tse, tse, nee aber auch, was es alles gibt. Das sieht so friedlich aus. Das tut richtig gut so etwas anzusehen, gerade nach diesem unangenehmen Besuch dieses unverschämten Herrn", sprach sie zu sich selbst und überlegte laut weiter: "Ob diese Tiere wohl bei mir bleiben würden? Kann ich zu ihnen hinübergehen, oder verscheuche ich sie dann? Was soll ich nur anfangen, damit ich sie nicht erschrecke." Lange saß die alte Bäuerin auf der Bank und grübelte. Sollte sie vielleicht doch dem garstigen Herrn ihren geliebten Hof verkaufen? Was sollte sie hier noch so ganz allein? Andererseits war dies seit Ewigkeiten ihr Zuhause und wo sollte sie denn auch hin? Unterdessen versank die Sonne in leuchtendem Orange hinter dem Horizont.

Fortsetzung folgt ...


zum 1. Oktober 2018


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