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KALENDERGESCHICHTEN/097: 01-2019   Der kleine Elefant - Aufbruch ... (SB)



Die Gräfin streckt ihre Hand schützend zum kleinen Elefanten hin, daneben stehen viele Koffer - Buntstiftzeichnung © 2019 by Schattenblick

Mit einem wohligen Gähnen, das wie ein leises Tröten klang, erwachte Roland, der kleine Elefant, auf seinem Bettchen aus Heu und Stroh und vielen bunten Kissen. Etwas taumelig rappelte er sich auf seine Füße und stapfte zur Wasserschüssel, hielt seinen Rüssel hinein, sog das kühle Nass auf und ließ es in sein Maul sprudeln. Das tat gut und um genau das kundzutun, trötete er abermals, nur diesmal viel lauter und schickte noch ein deutliches "Guten Morgen" in Elefantensprache hinterher.

Die Zimmertür wurde geöffnet und eine sehr elegante, fein gekleidete Dame betrat den Raum. "Hallo, mein Kleiner, du bist schon wach, das erfreut mich sehr. Darf ich annehmen, dass du ebenso aufgeregt bist wie ich selbst? Ich konnte des Nachts jedenfalls keinen guten Schlaf finden", erzählte sie ihrem Mini-Elefanten Roland, den sie liebevoll streichelte. "Tja, kleiner Ronny", so nannte sie ihn, wenn sie gut gelaunt war, "heute beginnt die große Reise nach Afrika. Ich bin schon viel in der Welt herum gekommen, aber ich muss doch sagen, dass ich noch nie in Begleitung eines Elefanten gereist bin. Das ist eine große Verantwortung, wahrscheinlich werde ich reichlich damit beschäftigt sein, auf dich aufzupassen, was meinst du?"

Roland fand es nicht so toll, dass jemand auf ihn Acht geben sollte, schließlich war er alt genug und brauchte keinen Aufpasser, aber ihre warmherzige Stimme gefiel ihm und so schwang er seinen Rüssel hin und her, was die Gräfin, denn das war die feine Dame, sofort als ein "Ja" deutete. Sie lachte und herzte ihn. "Ich werde Johann veranlassen, unser Gepäck in den Mercedes zu verstauen, damit wir dann auch rechtzeitig das Haus verlassen und pünktlich den Flughafen erreichen", erklärte sie und verschwand sogleich.

Roland überlegte, was er gern mitnehmen mochte und wie es in diesem fernen Land zugehen würde. Genau wie hier oder anders, aber ein Anders, wie mochte das aussehen? Was für Leute lebten dort wohl und vor allem interessierte es ihn, ob es dort vielleicht auch viele Elefanten geben würde.

Er entschied sich für den prunkvollen Kopfschmuck, den die Gräfin Gerlinde extra für ihn hatte anfertigen lassen. Außerdem musste seine große, gelbe Plüsch-Banane, die er als Kopfkissen benutzte, unbedingt mit. Er schnappte sich beide Teile mit dem Rüssel und stieß mit dem Kopf die Zimmertür auf. In der großen Diele der Villa hatte der Diener Johann bereits die Koffer der Gräfin aufgetürmt. Roland trabte dort hin und legte sein Bananenkissen und seinen Kopfschmuck ganz nach oben auf den Stapel. "So", dachte er, "damit ist wohl sicher, dass meine Sachen mitkommen."

Endlich ging es los. Roland wurde behutsam auf den Rücksitz gehoben und die Gräfin bestand darauf, dass Johann ihm den Sicherheitsgurt umlegte. Das gefiel aber dem Mini-Elefanten gar nicht und so gab er missmutige Laute von sich. Doch es half nichts, er blieb fest angeschnallt. Als er aber sah, dass die Gräfin Gerlinde sich ebenfalls einen Gurt überstreifte und ihn auch festzurrte, ergab er sich in sein Schicksal.

Zum Glück dauerte die Fahrt zum Flughafen nicht lange. Der Chauffeur fuhr über einen abgeteilten Bereich auf das Rollfeld zu dem Privatjet der Gräfin und parkte den Wagen ganz in der Nähe. Nachdem alle ausgestiegen waren, bugsierte er das Gepäck in den Laderaum des Fliegers. Die Gräfin schritt die Treppe hinauf in ihren Jet, Roland hatte allerdings einige Mühe mit den hohen, schmalen Stufen. Der Diener Johann bemerkte es, hob ihn hoch und trug ihn ins Flugzeug. Darin war es geräumig und mit Sesseln, einer Liege, einem Tisch und vielen schönen Dingen ausgestattet, so dass es hier beinahe so aussah wie in einem der vielen Zimmer der heimischen Villa.

Freundlich begrüßte der Pilot seine Passagiere und bat schließlich die Gräfin, ihren kleinen Elefanten in einen Transportbehälter zu verfrachten - aus Sicherheitsgründen. Man könne ihn ja nicht auf einen Sessel setzen und festschnallen, da sei eine solche Transportvorrichtung schon komfortabler und besser geeignet ihn zu schützen. Und so geschah es, dass Roland in einem etwas engen, aber durchaus noch bequemen Kasten gesetzt wurde.

"Was soll das denn, warum werde ich eingesperrt? Habe ich etwas angestellt?", überlegte er, "nein, ganz sicher nicht!" Entrüstet machte er durch lautes Elefantengeheul deutlich, dass er sich in seiner Box gar nicht wohl fühlte.

Aber die Gräfin achtete nicht auf ihn, sie telefonierte mit ihrem Handy und es schien sich bei dem Gespräch um wichtige Dinge zu handeln, so bedeutend, dass sie kein Ohr mehr für Rolands Beschwerdegejammer hatte. Wütend und gekränkt legte er sich in das Heu, wo am hinteren Ende der Box ein dickes Kissen in Herzform lag. Das versöhnte ihn ein wenig und er machte es sich so gut es ging gemütlich. Das Telefongespräch schien kein Ende nehmen zu wollen, selbst als die Maschine startete und die Gräfin sich fast automatisch in einem Sessel niederließ, um sich anzuschnallen, hörte sie nicht auf zu reden. Irgendwann schlief der kleine Elefant ein.

*

So böse war der kleine Elefant noch niemals zuvor geweckt worden! Seine Box wurde durch einen heftigen Stoß umgeworfen und obendrein hüpfte sie ruckartig auf und nieder und kippte auf die andere Seite. Roland stieß sich den Kopf und stemmte sich mit seinen Beinen gegen den Boden des Transportbehälters. Er wollte hier raus und zwar sofort. Nie zuvor hatte er solche Angst, nie zuvor wollte er nur noch weg rennen. Aber es ging nicht. Verzweifelt trötete er einen lauten Hilferuf. Doch niemand kümmerte sich um ihn. Roland hatte keine Ahnung, was mit ihm geschah, er fühlte sich verlassen, hilflos und eingesperrt! Was hatte all das nur zu bedeuten? Wo war die Gräfin, die doch auf ihn aufpassen wollte?

Fortsetzung folgt ...



zum 1. Januar 2019


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