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FUNGI/004: Pilze - gewandelt, gewechselt und nicht aus der Welt ... (SB)



Mit unserer Umwelt steht es nicht zum Besten. Die Luft ist in weiten Gebieten mit Schadstoffen belastet. Durch Industrieabgase, durch Wald- und Brandrodung sowie durch Landwirtschaft und Verkehr wird viel zu viel CO2 an die Atmosphäre abgeben, was den Klimawandel vorantreibt. Die Ozeane sind durch atomaren Abfall und durch die Atom-Katastrophe von Fukushima mit radioaktiven Stoffen belastet, hinzu kommt der viele Plastikmüll, der in den Weltmeeren entsorgt wird. Der Boden, ein wirklich wichtiger Bestandteil unserer Erde, denn ohne ihn gäbe es kein Pflanzenwachstum und damit keine Nahrung für Mensch und Tier, wird in weiten Gebieten stark geschädigt. Pflanzenschutzmittel, die in zu hohem Maße eingesetzt werden, zerstören das Bodenleben, der Boden wird ausgelaugt, trocknet aus und wird leicht vom Wind fort getragen, was einen großen Verlust von Ackerboden und Anbauflächen bedeutet. Eine ganze Reihe anderer Verschmutzungen, beispielsweise durch Öl, Ölrückstände oder andere chemische Substanzen, die auf verschiedenen Wegen ins Erdreich gelangen, tragen ebenso zur Zerstörung des Bodenlebens bei. Kein Wunder, dass sich Wissenschaftler intensiv mit der Schadensbegrenzung befassen und nach Lösungen suchen, wie der immensen Umweltverschmutzung Einhalt geboten werden kann - oder wie man vielleicht sogar einige Schäden reparieren kann?


Können Pilze helfen, die Welt zu retten?

Einige deutsche und amerikanische Wissenschaftler haben es sich zur Aufgabe gemacht, die Böden von Schadstoffen zu befreien. Doch wer kann ihnen dabei helfen? Wäre es nicht ratsam, sich an jene zu wenden, die sich am besten mit dem Boden auf der Erde auskennen - die Pilze? Schließlich sind sie die ältesten und größten Lebewesen an Land auf unserer Erde. Heute lebt ein ca. 2400 Jahre alter Hallimasch-Pilz in Oregon/USA. Seine Größe sieht man nicht, denn sein Pilzgeflecht, also die Myzelien, das sind weiße, dünne miteinander verbundene Fäden, die sich unterirdisch auf einer Fläche von ca. 9 Quadratkilometern ausbreiten, sind der eigentliche Pilz. Über der Erde sehen wir lediglich die Fruchtkörper dieses Pilzgeflechts. Um sich das Ausmaß etwas besser vorstellen zu können - 9 Quadratkilometer entsprichen einer Fläche von 1200 Fußballfeldern!


Die Grafik zeigt fünf große und kleine Pilze im Gras und ihr weit verzweigtes Pilzgeflecht unter der Erde - Buntstiftzeichnung: © 2017 by Schattenblick

Unter der Erde breitet sich das Myzel, das Pilzfädengeflecht, aus
Buntstiftzeichnung: © 2017 by Schattenblick

Abgesehen von Alter und Größe dieser Lebewesen, sind sie auch diejenigen, die überhaupt erst den Boden bereitet haben. Sie sind die mächtigsten Zerleger von Stoffen, die sie bis auf molekularer Ebene zersetzen können. Eine wissenschaftliche Annahme lautet, dass vor ca. 1,3 Milliarden Jahren bereits Pilze an Land existierten. Ihr Myzel ist in der Lage, Säuren (Oxalsäure) und Enzyme zu produzieren, die wiederum Gestein brüchig werden lassen. Das sei der erste Schritt zur Bildung von Erdboden gewesen, erst dann folgten viele Millionen Jahre später die Pflanzen. Wer also sollte sich besser mit Bodenaufbau auskennen als Pilze?


Pilze können Öl zerlegen

In einem ersten Versuch wird in einen Haufen Erde, der mit Diesel und Ölabfallprodukten durchtränkt ist, ein Pilz-Myzel gegeben. Das Myzel produziert Enzyme (Peroxydasen), die in der Lage sind, Kohlenwasserstoff-Bindungen aufzulösen. Diesel, Benzin und Öl sind allesamt aus diesen Kohlenwasserstoff-Bindungen aufgebaut. Eigentlich sind die sehr giftig. Wie kommt es, dass die Pilze in einer solchen Umgebung leben können? Ihre sehr dünnen Zellwände bestehen aus Chitin, wie bei Insekten oder Krebsen. So können die Pilze, beziehungsweise kann das Pilz-Myzel inmitten der Giftstoffe existieren und mit dem Zerlegen eben dieser Stoffe beginnen. Das ist ein nicht ganz einfach zu beschreibender Vorgang und die Wissenschaftler sind sich auch noch nicht sicher, alles richtig verstanden zu haben. Auf diesem Forschungsgebiet gibt es noch viel Unbekanntes. Aber bislang gilt, dass das Pilz-Myzel bestimmte Enzyme abgibt, die dann die Kohlenwasserstoffe, aus denen Öl, Diesel und Benzin aufgebaut sind, in immer kleinere Bausteine zerlegen.

Nach einigen Wochen prüften die Wissenschaftler den Versuchshaufen und stellten fest, dass das Diesel-Öl, wie auch die anderen Ölabfallprodukte verschwunden waren. Stattdessen wuchsen hunderte von Austernpilzen darauf. Die Erde sah viel heller aus und roch gut nach Humuserde. Die Enzyme des Pilz-Myzels haben die Kohlenwasserstoffe in Kohlenhydrate umgewandelt, das heißt in Zucker. Und das ist eine gute Nahrungsquelle für andere Pilzarten und Pflanzen. Eine bemerkenswerte Entwicklung folgte: die Austernpilze bildeten Sporen aus, Insekten wurden angezogen, die Eier gelegt haben, aus denen sich Larven entwickelten. Mit den Vögeln wurden Samen zu dem Haufen gebracht und allmählich grünte der ganze Haufen und war mit neuem Leben erfüllt. Wichtig zu erwähnen ist, dass beispielsweise die Austernpilze, die auf einem in der Weise gereinigten Boden wachsen, keinerlei giftige Rückstände in ihrem Fruchtfleisch aufwiesen!

Ein anderes Forscher-Team unternahm einen ähnlichen Versuch, nur viel großflächiger. Auf einer ehemaligen LKW-Tankstelle war die gesamte Bodenfläche mit Benzin und Ölrückständen verseucht und praktisch tot. Die Forscher züchteten in einem riesigen Haufen Sägespäne ein Pilz-Myzel heran. Als die Späne gut von dem Pilz durchwachsen waren, wurden sie auf den ölvergifteten Boden großflächig ausgebracht. Im Labor hatten die Wissenschaftler schon mehrere Versuche erfolgreich durchgeführt. Doch im Freien spielen immer auch noch viele andere Faktoren eine Rolle. Die Forscher wollten nun prüfen, ob "ihre" Pilze sich auch unter diesen Bedingungen durchsetzen würden, um Öl und Benzin zu zerlegen. Auch dieser Versuch war von Erfolg gekrönt. Einer der an diesem Experiment beteiligten Wissenschaftler erklärte, dass, wenn die Pilze ihre Arbeit getan haben und alle Giftstoffe beseitigt worden sind, der Pilz stirbt.

Vielleicht kann man sich das so erklären, dass er nichts mehr zu "fressen" hat? Jedenfalls übernehmen dann andere Bodenorganismen die weitere Zersetzungstätigkeit. Am Ende soll die Erde sehr nährstoffreich sein und Gräser, Blumen, Sträucher und Bäume können sich hier ansiedeln.


Pilze helfen Bakterien, Hindernisse zu überwinden

Bakterien waren bislang die erste Wahl, wenn lebende Helfer gesucht wurden, um Schadstoffe zu beseitigen. In Gewässern oder Böden, die mit Ölrückständen oder Benzin belastet waren, wurden diese nimmersatten Mikroorganismen eingesetzt. Sie entwickeln einen großen Appetit auf Schadstoffe, wie beispielsweise auf Benzol, das als krebserregend gilt. Die Bakterien wandeln diese Stoffe in harmlosere Verbindungen um. Voraussetzung für den zügigen Abbau dieser Gifte ist, dass sie wasserlöslich sind, denn Bakterien können sich nur in Wasser oder dünnen Flüssigkeitsfilmen aufhalten. Nun gibt es aber viele Schadstoffe, die sich nur schlecht in Wasser lösen. Dabei handelt es sich um die sogenannten "PAK" (polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffe), die in Kohle und Erdöl vorkommen. Bei Verbrennungsprozessen werden diese PAK frei und sind zum Beispiel an verkehrsreichen Straßen oder Flughäfen im Erdreich zu finden. Im Boden gibt es Bakterien, die diese Chemikalien abbauen können, aber oft erreichen sie diese Substanzen gar nicht, denn die schwer löslichen PAK haften oft direkt an Bodenpartikeln. Zwischen den Bakterien und der "Schadstoffnahrung" PAK befindet sich eine dünne, aber unüberwindliche Luftschicht. Die Bakterien stoßen hier an eine Grenze, die giftigen Stoffe können nicht von ihnen abgebaut werden. Hier kann das Pilz-Myzel helfen. Die sehr dünnen Pilzfäden (Hyphen) durchziehen das Erdreich, leben sowohl im Wasser als auch in der Luft und durchdringen selbst die feinen Bodenporen. Um sich ein Bild zu machen und eine Idee davon zu bekommen, in welch kleinen Verhältnissen sich alles abspielt: in einem Gramm Boden können sich manchmal bis zu zehn Kilometer! Pilzfäden aufhalten. Auf diesen leicht schleimigen Oberflächen der Pilzfäden können sich die Bakterien bewegen und zu den Schadstoffen gelangen. Auf diese Weise könnte ein geeignetes Pilz-Bakterien-Team noch effektiver Schadstoffe zerlegen. Doch man muss die richtigen Partner finden, denn einige vertragen sich nicht und behindern sich sogar. Deshalb suchen Forscher nach passenden Team-Partnern bei Pilzen und Bakterien.

Vielleicht gelingt es mit Hilfe der Pilze und Bakterien tatsächlich, verseuchte Gewässer und Böden zu reinigen, dass sie sogar wieder zu nährstoffreichen Grundlagen für neues Leben werden können. Bleibt nur zu hoffen, dass es die Industrie und Haushalte nicht veranlasst, Schadstoffe in Wasser und Boden abzuführen, frei nach dem Motto: "Dank der Pilze und Bakterien kann das alles wieder gereinigt werden!"

Im nächsten Teil: Pilze als Helfer in der Industrie


Diesem Artikel liegen folgende Quellen zugrunde:

http://www.zeit.de/wissen/umwelt/2010-01/erde-sd-pilze-plastik

http://www.abendblatt.de/ratgeber/wissen/article109955581/Pilze-bauen-Schadstoff-im-Boden-ab.html

https://idw-online.de/de/news195536

https://www.ted.com/talks/paul_stamets_on_6_ways_mushrooms_can_save_the_world/transcript?language=de

TV-Sendung:
"Pilze - Pioniere der Biotechnologie"
Dokumention, Frankreich, 2013
Regie: Thomas Sipp, Anne Rizzo
55 Min.


9. Mai 2017


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