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PONYFREUND/003: Striegeln nach Vorschrift? (SB)


Hallo Leute,

Striegeln nach Vorschrift hört sich zum Wiehern an, nicht wahr?


Und doch kann man in jeder besseren oder schlechteren Reitlehre nachlesen, wie man ein Pferd richtig striegelt. Sabine hat es mir vorgelesen, ich weiß also Bescheid und bin wirklich froh, daß sie es bei mir mit der Vorschrift nicht ganz so genau nimmt. Ich erzählte euch ja bereits, daß die beste und natürlichste Fellpflege diejenige ist, die praktisch von allein geschieht - durch Regen, Wind und ein gelegentliches Sandbad, bei dem man sich genüßlich in einem Sandloch wälzt und sich juckende alte Hornhautschuppen von Haut und Fell abschilfert. Voraussetzung dafür ist allerdings, daß man sich viel im Freien bewegt.



Sandbad oder Striegel?

Gerade die Kollegen im Stall haben es da nicht so einfach. In Reitschulen beispielsweise, wo es den ganzen Tag heißt "Rein in die Box - Sattel runter - Sattel rauf - raus aus dem Stall, ab in die Halle...", kommen die Pferde vielleicht nur wenige Stunden am Tag ins Freie, müssen jedoch viele Stunden - meist auch noch unter im Sattel herumplumpsenden Anfängern - in der Reithalle schwitzen. Ohne regelmäßige und gewissenhafte Fellpflege vor den einzelnen Einsätzen ist das gar nicht durchzustehen. Ihr glaubt nicht, wie schnell man sich bei diesem Sport unter dem Sattel das Fell durchscheuert, wenn verschwitztes oder schmutziges Haar durch das Gewicht des Reiters und des Sattels über Stunden an unserer empfindlichen Haut hin- und hergerieben wird. "Satteldruck" nennt man die blankgeriebene Stelle dann, und sie ist ein ziemlicher Schrecken für alle passionierten und verantwortungsbewußten Reiter. Hat ein Kollege erst mal Satteldruck, dann kann ihn nämlich vorerst keiner mehr reiten, was für das Pferd, abgesehen von der juckenden Wunde, vielleicht sogar ganz wünschenswert ist. Der Reiter hat jedoch das Nachsehen und außerdem für alle Zeit ein Zeichen an seinem Pferd, das allen anderen Reitern sagt: "Seht her, dieser Reiter hat sein Pferd nicht ordentlich gepflegt, es hatte Satteldruck." Denn verheilt die Wunde, bleibt ein kleines Stückchen schneeweißes Fell zurück.



Fellpflege - aber pferdgerecht

Nun gut, in solchen Fällen, d.h. wenn ein Pferd im Stall steht oder auch, wenn es regelmäßig mit Sattel und Zaumzeug geritten wird, halte auch ich eine gute und gründliche Fellpflege für angebracht und richtig. Ehe ich mir also selbst einen Sattel überstülpen lasse, darf mir Sabine mit Striegel und Kardätsche an den Pelz. Doch immer hübsch vorsichtig!

In die linke Hand kommt der Striegel, in die rechte die Kardätsche - so heißt's in der Reitlehre. Aber wer weiß schon "was dies" und "was jenes" genau ist. "Kardätsche", denkt ihr vielleicht jetzt, "das klingt ein bißchen so wie Fliegenpatsche, ist also sicher dieses Gummiding - und `Striegel' - das kommt sicher von striegeln, und striegeln heißt Pferd bürsten, muß also die Bürste sein ...?"
"Reingefallen - alles ganz falsch!"

Frieda, das Ferkel im Koben nebenan, weiß es ganz genau: Die Kardätsche, also das Teil mit dem unangenehmen und schwer zu merkenden Namen wurde früher, und zum Teil auch heute noch, aus echten Schweineborsten hergestellt. Frieda haßt deshalb alle Kardätschen und manchmal auch die Pferde, die damit gestriegelt und gebürstet werden, weil viele ihrer Ahnen, Verwandten und Freunde dafür ihr Leben lassen mußten. Die Kardätsche ist also einfach eine sehr große Haarbürste ohne Stiel, die aus guten, heute pflanzlichen Naturborsten hergestellt wird (Schweineborsten müssen es wirklich nicht sein). Damit sie einem beim Striegeln nicht ständig aus der Hand rutscht, ist ein breites Band an ihr befestigt, das man über den Handrücken zieht. Mit dieser Bürste bearbeitet man das Fell seines Ponys oder seines Pferdes in kleinen Kreisen, wobei immer am kräftigsten mit dem Strich gebürstet wird. Aaahhh, wenn einer das gut kann, wie z.B. meine Freundin Sabine, dann kann das glatt ein Sandbad ersetzen, so wohlig massieren die Bürstenstriche Haut, Haar und darunterliegendes Bindegewebe. Hinterher ist der Reiter selbst ganz verschwitzt und müde und unsereiner hat nicht mehr so 'ne Last mit seiner Erziehung. Mein Fell aber glänzt wie silberne Seide.

Der Striegel wird möglichst gar nicht eingesetzt. Deshalb kommt er ja auch in die linke Hand, wo er schön still gehalten werden soll. Früher wurden die Striegel noch aus Metall gefertigt, heute sind sie aus hartem Gummi, aber das kann ebenfalls zwiebeln, wenn es an die Haut kommt. Ihr müßt euch das mal vorstellen: Ein Striegel ist ungefähr so groß wie die Kardätsche und meist ebenfalls mit einem Band für den Handrücken versehen. Aber statt weicher Borsten sieht die Unterseite geradezu wie das Innere von einem Haifischmaul aus. Lauter harte Zacken. Der kluge Reiter nutzt den Striegel nur, um die ausgebürsteten Haare, die in der Kardätsche feststecken, an diesen Zacken abzustreifen. Früher allerdings - und das steht eben noch in so mancher Reitlehre und Pflegevorschrift - wurde "gestriegelt", d.h. zuerst ein paar kreisförmige Striche mit dem Striegel, um Hornhaut und Schuppen zu lösen, dann ein paar Striche mit der Kardätsche. Brrr.... - danach war nicht nur der Reiter, sondern auch das Pferd erledigt, das Fell brannte einem auf der Haut, denn ein scharfer Striegel konnte einem ganz schön die Haut aufkratzen. Ein Pferd stand oft stundenlang in seiner eigenen Staubwolke, was wiederum gräßlich in der Nase kitzelte und schlecht zum Atmen und für die Lungen war. Staub können Pferde überhaupt nicht vertragen.

Ganz moderne Reitställe haben deshalb Striegel und Kardätsche völlig aus ihrem Repertoire verbannt und nur noch für Notfälle parat. Dort werden die Pferde mit einem kleinen Staubsauber gepflegt, damit man nicht so viel Staub aufwirbelt, aber abgestorbene Haare und Hautschuppen wirklich restlos aus dem Fell beseitigt werden.

Striegeln im Freien ist deshalb auch für Mensch und Tier das Gesündeste, und - wie gesagt - nur bürsten und nicht mit dem Striegel rubbeln. Pferde, die ganzjährig im Freien leben, sollte man in den kühlen Jahreszeiten nicht so kräftig striegeln, weil man damit auch den Talg und die Unterwolle aus dem Fell reibt, die gemeinsam eine sehr gute zusätzliche Isolationsschicht gegen die Kälte bilden. Doch Sand, ausgerupfte Fellbüschel, Dreckklumpen und was sich sonst noch so alles im Ponyfell finden läßt, müssen rausgebürstet werden, ehe man einen Sattel auflegt, sonst scheuern sie beim Reiten - das versteht sich ja von selbst. Wenn unsereiner dann für diesen oder jenen Pferdesportler nicht mehr so ganz präsentabel aussehen mag, dann haben die einfach keinen Pferdeverstand. Heutzutage sind im Freien lebende, robust gehaltene Ponies mit dickem Winterfell Gott sei dank genauso akzeptiert wie kurzhaarige, geschniegelte und frisierte Turnierpferde.

Ich sage dazu nur: "Silver, was dem einen sein Sport, ist dem anderen sein Winterfell - man kann nicht alles haben... oder?"

Erstveröffentlichung im Jahr 2000

27. Juni 2008