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ARCHITEKTUR/026: Architekturstudenten besuchen zentralasiatische Baudenkmäler (TU Dresden)


Dresdner UniversitätsJournal Nr. 14 vom 15. September 2009

Im Nachtzug nach Buchara...
Architekturstudenten besuchen zentralasiatische Baudenkmäler

Von R. Pries, Th. Will


Zentralasien und darunter das Gebiet des heutigen Usbekistans war über Jahrtausende ein Schmelztiegel der Völker, die an der Seidenstraße Handel trieben. Sie brachten ihr Wissen, ihre Kultur und Religion mit und schufen jene bedeutenden Städte und Monumente, von denen im fernen Europa zumindest die klangvollen Namen bekannt sind: Buchara, Samarkand, Chiwa, Kokand...

Was sich hinter diesen Namen verbirgt, versuchte eine Studentengruppe des Lehrstuhls für Denkmalpflege und Entwerfen und des Masterstudiengangs Stadtentwicklung und Denkmalpflege seit dem Wintersemester 2008 zu erhellen. Auf das vorbereitende Seminar folgte die Studienreise vom 28. Mai bis zum 9. Juni 2009, die durch den DAAD und die Gesellschaft von Freunden und Förderern der TU großzügig unterstützt wurde.

Anstatt der erwarteten Kamele prägen heute moderne Kleinwagen usbekischer Fabrikation das Stadtbild Taschkents, in der 2,5-Millionen-Metropole erinnert nur noch wenig an die glorreiche Vergangenheit der Seidenstraße. 1966 durch ein Erdbeben größtenteils zerstört, wurde die usbekische Hauptstadt von Baukolonnen aus der gesamten Sowjetunion im Geiste des modernen Städtebaus wiedererrichtet. Heute vermittelt das Stadtzentrum den Eindruck eines riesigen, von breiten Boulevards, Plattenbauten und monumentalen Repräsentationsbauten durchsetzten Waldparks.

Ein ganz anderes Bild offenbart sich in Buchara, der zweiten Reisestation. Im Nachtzug wird man von traditioneller usbekischer Musik geweckt, über der Steppe lässt sich der Sonnenaufgang beobachten. Am Fenster ziehen Lehmhäuser vorbei, Kühe und Schafe grasen nahe den Gleisen, daneben stehen kleine Jungen, die euphorisch aufspringen und dem vorbeifahrenden Zug zuwinken. Man fängt an, zurückzuwinken. Die Luft ist staubig und heiß - aus dem grünen Taschkent kommend, bietet Buchara das Bild der orientalischen Wüstenstadt aus Ziegeln und Lehm. Auch wenn nur der innerste Kern der Stadt erhalten ist, vermittelt das Ensemble aus Hofhäusern und Monumentalbauten, die bis in das 9. Jahrhundert zurückreichen, einen Eindruck der einst so bedeutenden Stadt der Wissenschaft, Religion und des Handels: Immer wieder gelangt man aus der Enge der Gassen auf Plätze, um die sich Koranschulen, Minarette, Moscheen und Basare gruppieren.

Ein ähnliches Bild bietet sich in Samarkand, dem Schwerpunkt unserer Reise. Amir Timur hatte diesen Schnittpunkt der Kulturen im 15. Jahrhundert durch verschleppte Baumeister und Handwerker aus allen umliegenden Kulturräumen prunkvoll zur Hauptstadt seines kurzlebigen Weltreiches ausbauen lassen. Die über 2700 Jahre alte Stadt, wie Buchara zum Weltkulturerbe erklärt, wird von einer nach der russischen Eroberung 1868 angelegten Kolonialstadt mit Bauten des ausgehenden 19. Jahrhunderts ergänzt. Eine dritte Schicht fügte die Sowjetunion mit Stadterweiterungsgebieten in Plattenbauweise mit einer reichen Palette an "traditioneller" Fassadenornamentik und einem neuen administrativen Zentrum hinzu.

Die imposanten Baudenkmäler der Timuriden und ihrer Nachfolger, von denen das Ensemble um den Registan-Platz das wohl bekannteste ist, suchen in Zentralasien ihresgleichen und beeindrucken bis heute durch ihre schiere Monumentalität, aber auch mit ihren überaus lebendigen, farbigen Dekorationen. Die prächtigen Zeugnisse islamischer Baukunst sind allerdings nicht alle so historisch, wie es den Anschein hat. Das Klima, die Bautechnik und häufige Erdbeben haben ihren Beitrag dazu geleistet, dass die vorwiegend in Backstein und Holz errichteten Bauten des Mittelalters die Zeit nur teilweise überdauerten. Vieles wurde erst in jüngerer Vergangenheit und nicht selten auf Spekulationen basierend restauriert und häufig auch freizügig rekonstruiert, wie man es an der Großen Moschee Timurs, der Bibi Khanum, beobachten kann. Wir konnten so manche Handwerker bei der Erneuerung glasierter Ziegelfassaden beobachten, doch die Flexmaschinen machten unüberhörbar klar, dass die mittelalterliche Bautradition nur noch in ihren Abbildern weiterlebt. Mit der historisierenden Wiederherstellung symbolträchtiger Monumente geht eine andere Modernisierungspraxis einher, die für uns recht befremdlich zu beobachten war: Ganze Bereiche der traditionellen Mahallas, der baulich wie sozial dicht verwobenen Wohnviertel, werden abgerissen oder hinter neuen Mauern verborgen, um die großen Monumente freigestellt in künstlichen Parklandschaften präsentieren zu können - eine Praxis, die freilich auch in Europa einst gang und gäbe war und erst durch die Entwicklung des "Ensembles" als Denkmalkategorie überwunden wurde. Mit einer besonders interessanten Situation beschäftigen wir uns in einem Semesterprojekt weiter: Die Anlage eines Besucherzentrums für das Ischrat Khane, der Ruine eines timuridischen Palastes. Nicht Isolierung von der umgebenden Wohnbebauung, sondern deren Erhaltung und sinnvolle Einbindung schwebt uns vor - ein Thema für den geplanten weiteren fachlichen Austausch mit den Architekturhochschulen in Samarkand und Taschkent.

Neben den vielen fachlichen Erfahrungen, die wir beim Studium der Bauten, Freiräume und Städte machen konnten, ergaben sich auch intensive und eindrückliche Kontakte mit der Bevölkerung. In Taschkent begleiteten uns Studenten und Dozenten der Architekturhochschule, die uns die Stadt zeigten und ihre Studienarbeiten erklärten. Die Zeit in Samarkand konnten wir als Gäste bei Germanistikstudenten und ihren Familien verbringen. Nachdem ein erster Kulturschock und so manche Magenverstimmung nach dem Genuss von Baumwollöl überwunden waren, nutzten wir umso interessierter die Gelegenheit, Einblicke in die usbekische Gesellschaft und ihre Gastfreundschaft zu gewinnen, sei es beim familiären Zusammenleben - im traditionellen Hofhaus die einen, im sowjetischen Hochhaus andere - oder bei einer Hochzeit, wo Tradition und Moderne sich in ähnlicher Weise begegneten. Auch für die Usbeken, die wir kennengelernt haben, war das Zusammentreffen mit uns eine besondere Erfahrung, da viele noch keinen Kontakt mit Europäern gehabt hatten. Umso mehr gilt unser besonderer Dank den Gastgebern, die uns so freundlich aufgenommen haben und die Reise zu einem einmaligen Erlebnis für alle Beteiligten gemacht haben. Wir freuen uns auf den vereinbarten Gegenbesuch einer Studentengruppe der Architekturhochschule Taschkent, die im September nach Dresden kommen wird.


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Quelle:
Dresdner UniversitätsJournal, 20. Jg., Nr. 14 vom 15.09.2009, S. 3
Herausgeber: Der Rektor der Technischen Universität Dresden
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. September 2009