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BERICHT/011: "Made in Germany Zwei" - Vorschau auf ein Kunstereignis in Hannover (SB)


Internationale Kunst in Deutschland - eine Werkschau nicht nur für Experten

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"Made in Germany" - ein in der entgrenzten Welt globalisierter Produktionsprozesse und Handelsströme leicht anachronistisch angehauchtes Markenzeichen - firmiert zum zweiten Mal als Titel einer Kunstausstellung, die der Landeshauptstadt Niedersachsens dennoch internationales Flair verleihen wird. Fünf Jahre, nachdem das Sprengel Museum Hannover, die kestnergesellschaft und der Kunstverein Hannover die Arbeiten von 53 in Deutschland lebenden Künstlerinnen und Künstlern unter diesem Signet präsentierten, wird vom 17. Mai bis 19. August an der Leine zum zweiten Mal eine große Werkschau internationaler Kunst in Deutschland stattfinden. "Made in Germany Zwei" ist dieses Ereignis folgerichtig überschrieben, und die stets disparat wirkende Amalgamierung deutscher und englischer Sprache kann durchaus als programmatischer Akzent des Projekts verstanden werden.

Erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt auf einer Pressekonferenz, die im Rahmen der Internationalen Tourismus-Börse Berlin inmitten einer Geschäftigkeit stattfand, deren der gewinnbringenden Kommodifizierung des Reisens gewidmeter Zweck so gar nichts mit den die utilitaristische Vereinnahmung menschlicher Produktivität bestreitenden Entwürfen bildender Kunst zu tun hat, hätte man auf den Gedanken kommen können, daß das mehrwertgenerierende Anliegen des Fremdenverkehrs in erster Linie Pate bei der Ausrichtung der Ausstellung stand. Daß dem nur bedingt so ist, konnten die Kuratorin Gabriele Sand und die Pressesprecherin Silke Janßen in einer dialogischen Tour d'Horizon durch Vergangenheit und Zukunft des ambitionierten Kunstprojekts vor kleinem Publikum deutlich machen.

Foto: © 2012 by Schattenblick

Silke Janßen und Gabriele Sand informieren über die Ausstellung
Foto: © 2012 by Schattenblick

Wie die just von vier Kulturexperten erhobene Forderung, man könne in der Bundesrepublik getrost auf die Hälfte der subventionierten Theater, Museen und Bibliotheken verzichten, da der Anspruch, Kultur für alle anzubieten, ohnehin gescheitert sei, belegt, stehen selbst so renommierte Kunstinstitutionen wie die drei in Hannover ansässigen Urheber der Ausstellung "Made in Germany Zwei" unter erheblichem Druck, ihre Arbeit gegenüber Förderern und Öffentlichkeit zu legitimieren. Ohne die Presse mit griffigen Leistungsmerkmalen wie etwa den 60.000 Besuchern der Ausstellung 2007 zu versorgen, aus einigen der 400 damals veröffentlichten Rezensionen zu zitieren, und darauf zu verweisen, daß die 40 Künstlerinnen und Künstler der Neuauflage in mehr als zweijähriger Arbeit von einem neunköpfigen Kuratorenteam ermittelt wurden, wozu es unter anderem 150 Atelierbesuche bedurfte, kommt eine derartige Präsentation nicht aus. Wünschenswert wäre dennoch gerade unter dem Ansturm einer neoliberalen Rationalisierungsoffensive, auf kunstimmanente Argumente für eine emanzipatorische und demokratische Ausstellungslandschaft zurückzukommen.

Gabriele Sand, die dem neunköpfigen Kuratorenteam angehört, betonte denn auch die künstlerische Ausrichtung ihres Projekts im Unterschied zur Ausstellung 2007, an deren Kuratierung sie ebenfalls beteiligt und die eher am Standort Deutschland orientiert gewesen war. Ohnehin komme man mit sehr viel weniger Künstlerinnen und Künstlern und einem weit geringeren Etat als die fast zeitgleichen Mega-Events documenta und Berlin Biennale aus. Ziel der kommenden Ausstellung sei eine Bestandsaufnahme internationaler Kunst in Deutschland, die natürlich immer subjektiv ausfalle angesichts des gigantischen Kunstangebots in Deutschland. Dies weite sich durch den Zuzug vieler Künstlerinnen und Künstler in die Bundesrepublik immer weiter aus, und so stammten viele der in Hannover ausgestellten Werke von Künstlern, die zwar in Kanada, Schweden, Rumänien, Israel, Britannien, Frankreich oder Brasilien geboren wurden, aber hierzulande leben und arbeiten.

Digitales Video, 30 Min., Loop - Courtesy Arratia Beer, Berlin und gb agency, Paris; Foto: Omer Fast

Omer Fast - 5000 Feet is the Best, 2011
Courtesy Arratia Beer, Berlin und gb agency, Paris; Foto: Omer Fast

Installation und Performance mit verschiedenen Materialien - Courtesy Neue Alte Brücke, Frankfurt am Main; Foto: Performance view Art Perform | Art Basel Miami Beach

Simon Fujiwara - The Mirror Stage, 2009 (fortlaufend)
Courtesy Neue Alte Brücke, Frankfurt am Main;
Foto: Performance view Art Perform | Art Basel Miami Beach

Sechs Themenschwerpunkte oder Perspektiven hätten die Arbeit der Kuratoren geleitet, erklärte Sand. Die Frage der Narration illustrierte sie anhand der Arbeiten des Israelis Omer Fast und des britisch-japanischen Künstlers Simon Fujiwara. Fasts halbstündiges Video "5000 Feet is the Best" widmet sich der neuen Form ferngesteuerter Kriegführung mit Hilfe eines mit Schauspielern nachgestellten Interviews mit einem Drohnenpiloten. Das Töten auf Knopfdruck, dem weit entfernt von seinem Arbeitsplatz in Las Vegas Aufständische wie Zivilisten in Afghanistan und Pakistan zum Opfer fallen, erhebt ihn in eine übermenschliche Position, die dennoch von moralischen Skrupeln heimgesucht wird. Simon Fujiwaras autobiographische Performance "The Mirror Stage" kreist um seine Begegnung mit der abstrakten Malerei, inszeniert als absurde persönliche Reise durch die britische Kunstwelt der Nachkriegszeit.

HDV, übertragen auf Hard Drive, synchronisierte fünf-Kanal Videoinstallation, fünf-Kanal Soundsystem 42:19 Min. - Courtesy carlier |gebauer, Berlin; Foto: Bernd Borchardt

Marcellvs L. - O, 2010
Courtesy carlier | gebauer, Berlin; Foto: Bernd Borchardt

Das Problem des sozialen oder psychologischen Raums wird mit einer Videoinstallation des brasilianischen Künstlers Marcellvs L. thematisiert, die in Island entstand, wo die Nacht zum Tag respektive der Tag zur Nacht wird, um urbane Landschaften am Rande der Zivilisation in unwirkliches Licht zu tauchen.

Holz, Stoff, Metall, MP3-Player, Verstärker, Boxen, Glühbirnen, Leuchtröhren, Kabel, gerahmtes Poster - Courtesy Galerie Mehdi Chouakri, Berlin; Foto: Jan Windszus, Berlin

Saâdane Afif - Stereo (DATRARC), 2010
Courtesy Galerie Mehdi Chouakri, Berlin;
Foto: Jan Windszus, Berlin

Das Kriterium des Rhizoms oder Netzwerks als Themenfokus, der das Schaffen eines Künstlers in besonderer Weise auszeichnet, weil er durch seine Arbeiten hindurch einen rote Faden spinnt, wird anhand eines Werks des insbesondere mit Klanginstallationen spielerisch agierenden französischen Künstlers Saâdane Afif aufgegriffen.

Holz, Acryl, Spulen, 270 x 500 x 50 cm, 200 x 300 x 50 cm, 200 x 200 x 100 cm; Installationsansicht The stability of truth

Alon Levin - The fake, the future and the finite (a commemoration of the absolute in the 21st Century), Part 1: Sun, Rainbow, Arch (reinvented), 2007/2008
Foto: Smart Project Space, Amsterdam

Unter dem Begriff "Retromania" wollte Kuratorin Sand die Nutzung der Kunstgeschichte und Utopien des 20. Jahrhunderts als Steinbruch symbolisieren. Die Frage, ob man über Kunst überhaupt noch Utopien ausdrücken könne, soll etwa anhand eines Werks des israelischen Künstlers Alon Levin aufgeworfen werden. Sein Titel "The fake, the future and the finite (a commemoration of the absolute in the 21st Century)" könnte als ironischer Kommentar für den Versuch dienen, über mathematisch ermittelte Proportionen Ordnungsprinzipien zu gestalten, deren gesellschaftliche Verabsolutierung fatale Folgen zeitigte.

Heu, Drahtgeflecht, Fixativ, Holz 166 x 124 x 28 cm - Courtesy Galerie Gebr. Lehmann, Dresden, Berlin; Foto: Jens Ziehe

Olaf Holzapfel - Lichtbild Köper, 2011 Courtesy Galerie Gebr. Lehmann, Dresden, Berlin;
Foto: Jens Ziehe

Das Thema Material stellte Gabriele Sand anhand eines aus Heu gefertigten Objekts des deutschen Künstlers Olaf Holzapfel vor, das auf traditionelles Handwerk und natürliche Strukturen aus der Warte einer Kunst Bezug nimmt, die vielleicht mehr mit archaischen Produktionsweisen zu tun hat, als ihr hoher Abstraktionsgrad ahnen läßt.

Film, 35 mm, audio-visuelle Tonspur, 5 Min. - Courtesy carlier | gebauer, Berlin © VG Bild-Kunst, Bonn 2012

Rosa Barba - The Hidden Conference: A Fractured Play, 2011
Courtesy carlier | gebauer, Berlin © VG Bild-Kunst, Bonn 2012

Als letzten der Themenschwerpunkte, die den Kuratoren als inhaltliche Deutungsmuster, strukturbildende Momente oder richtungsweisende Orientative dienten, nannte Sand den Surrealismus. Die deutsche Künstlerin und Filmemacherin Rosa Barba wirft mit dem Video "The Hidden Conference" anhand einiger in Archiven verstaubender Kunstwerke einen nachdenklichen Blick auf die Gebrochenheit der Geschichte. Die Schwedin Nina Canel arbeitet mit den Aggregatzuständen natürlicher Materialien und setzt sich mit ihrer unterschwelligen Transformation von einer Phase in die andere auseinander.

Holzblöcke und Kaugummirohstoff - Courtesy Konrad Fischer Galerie, Düsseldorf, Berlin, Mother's Tankstation, Dublin & Galerie Wien Lukatsch, Berlin

Nina Canell - Treetops, Hillsides & Ditches (Detail), 2011 Courtesy Konrad Fischer Galerie, Düsseldorf, Berlin, Mother's Tankstation, Dublin & Galerie Wien Lukatsch, Berlin

Die in den Häusern des Sprengel Museums, der kestnergesellschaft und des Kunstvereins ausgestellten und vorgeführten Exponate werden dem Publikum mit Audioführungen wie durch persönliche Vermittlung nahegebracht. Ein Rahmenprogramm mit Performances und Videos, Künstlergesprächen und Vorträgen sowie eine eigens entwickelte App, die den Fokus der Betrachtung auf Atelierbesuche und Gespräche mit den Direktoren der drei Häuser erweitert, komplettieren ein Angebot, das gezielt auf eine möglichst breite Kunstvermittlung ausgerichtet ist.

Pressekonferenz vom Gang aus  - Foto: © 2012 by Schattenblick

Spiegelungen
Foto: © 2012 by Schattenblick

Wie die Herkunft der genannten Künstlerinnen und Künstler belegt, ist "Made in Germany Zwei" alles andere als eine Leistungsschau deutscher Kunst. Wenn es überhaupt einen nationalen Bezug in der Bildenden Kunst gibt, dann sicherlich nicht im funktionalen Sinne des namensgebenden Markenzeichens. Da die zur Fertigung einer Ware erforderlichen Rohstoffe, Vorprodukte und Arbeitsprozesse im Rahmen der internationalen Arbeitsteilung, dem betriebswirtschaftlichen Kalkül unterworfen, weithin entgrenzt sind, kann dieses für den Güterexport wertvolle Siegel bereits dann vergeben werden, wenn nur einige Teile der Endfertigung in der Bundesrepublik stattfinden. Wenn über 90 Prozent einer Ware im Ausland hergestellt werden können, um dennoch rechtens mit diesem verkaufsfördernden Signet versehen zu werden, dann handelt es sich um nichts anderes als eine durch volkswirtschaftliche Produktivitätsunterschiede ermöglichte Ausbeutung billiger Arbeitskraft zugunsten der Auftraggeber.

Nimmt man den grenzüberschreitenden und Menschen verbindenden Anspruch der Kunst ernst, dann wäre ihm am meisten damit gedient, wenn das Label "Made in Germany Zwei" als ironische Konnotation und subversiver Kommentar zu der sich in Zeiten der Krise wieder verstärkenden Konkurrenz der Nationalstaaten aufgefaßt würde. Diese zeitigt unter anderem Folgen wie diejenige, daß die erfreuliche Internationalität der bundesrepublikanischen Kunstszene vom Schatten der europäischen Flüchtlingsabwehr überwölkt wird. Wo die Signatur des Staatsbürgers harte, bisweilen über Leben und Tod entscheidende Ein- und Ausschließungskriterien hervorbringt, könnten die Künste das Ihrige dazu tun, aus ideellen Horizonten lebenspraktische Entwürfe zu formen.

Culture Lounge auf der ITB - Foto: © 2012 by Schattenblick

Foto: © 2012 by Schattenblick

Culture Lounge auf der ITB - Foto: © 2012 by Schattenblick

Geschäftiges Treiben bei der Kunstvermarktung
Foto: © 2012 by Schattenblick

15. März 2012