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BERICHT/024: Gefesselte Kunst - Über die Kommodifizierung hinausdenken ... (SB)


Bilanz einer Begegnung mit Entwicklungspotential

Abschlußplenum der Konferenz radius of art am 9. Februar 2012 in Berlin


Zuschauer stehen sich in Reihen gegenüber - Foto: © 2012 by Schattenblick

Aus der Rolle des Publikums gerissen ...
Foto: © 2012 by Schattenblick

Die Konferenz "radius of art" in der Berliner Heinrich-Böll-Stiftung hat auf einzigartige Weise renommierte internationale Experten aus Kunst und Kulturförderung zusammengeführt, um deren Erfahrungsschatz und Sachkompetenz für gesellschaftspolitische Fragestellungen fruchtbar zu machen. Auf Grundlage der persönlichen Begegnung, des fachkundigen Austausches und eines engagierten Dialogs ging es dabei um nichts weniger als die Diskussion im Spannungsfeld von Kunst, Kultur, Wissenschaft und Gesellschaft zu beflügeln und insbesondere maßgebliche Weichenstellungen hinsichtlich des künftigen Diskurses auf der "Suche nach Wegen in ein postfossiles Zeitalter und einer neuen Ära menschlicher Entwicklung auf der Basis der Ästhetik der Nachhaltigkeit" vorzunehmen, wie es Barbara Unmüßig für den Stiftungsvorstand in ihrer Begrüßungsrede formuliert hatte.

Podiumsgäste - Foto: © 2012 by Schattenblick

Beobachterinnen und Beobachter ziehen Bilanz
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Zum Abschluß der beiden mit Foren und Workshops überreich gefüllten Konferenztage kamen die Referentinnen und Referenten samt zahlreichen Gästen der Tagung zu einem gemeinsamen Fazit im Plenum zusammen. Unter Moderation der Journalistin und Filmproduzentin Andrea Thilo waren alle Teilnehmer aufgerufen, von ihrer "Transformation" durch die vielfältigen Zusammenkünfte zu berichten: "Wir möchten Ihre Kritik hören, Ihre wichtigsten Ideen hinsichtlich der Konferenz, Ihre berührendsten Augenblicke. Was fehlt trotz allem nach diesen eineinhalb Tagen, um uns zu 'change agents' zu machen?" Von dieser begrüßenswerten Anregung, sich bei aller wohlverdienten Würdigung der Konferenz nicht mit dem nahen Ende eines hochinteressanten Programms zu bescheiden, sondern in kritischer Bewertung darüber hinauszugreifen, machten die Diskussionsteilnehmer regen Gebrauch.

Blick aufs Podium - Foto: © 2012 by Schattenblick

Moderatorin Andrea Thilo mit Marco Kusumawijaya
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Zunächst kamen die Beobachterinnen und Beobachter zu Wort, die die vier Sektionen der Konferenz begleitet hatten und nun zu deren Verlauf, Ergebnissen und Perspektiven Stellung nahmen. Von Andrea Thilo behutsam, aber zielstrebig mit der Überlegung, ob man die Frage nach Erfolg und Qualität stellen dürfe, an des Pudels Kern erinnert, nahm der Architekt und Urbanist Marco Kusumawijaya (Rujak Center for Urban Studies, RCUS, Jakarta) kein Blatt vor den Mund. Ihm habe der Diskurs über Utopien gefehlt, die er als Ausdruck einer optimistischen Synthese für unverzichtbar halte. Wenngleich er anerkenne, daß einige Elemente Utopias angesprochen wurden, habe er doch die von ihm erwartete Breite vermißt. Insbesondere aber habe die vielfach geäußerte zuversichtliche Auffassung von der Rolle der Kunst bei der Gestaltung der Utopie seinen Argwohn geweckt. Befördere Kunst tatsächlich diesen wunderbaren kritischen Diskurs? Befasse man sich mit der Zukunft, könne man nicht umhin, über das urbane Utopia zu sprechen, da Urbanität 40 Prozent der weltweit verfügbaren Materialien und 30 Prozent der Energie verbrauche.

Blick aufs Podium - Foto: © 2012 by Schattenblick

Onur Suzan Kömürcü Nobrega und Marcus Graf
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Als zweiter Beobachter stellte auch der Kunsthistoriker und Kurator Marcus Graf (Yeditepe University, Istanbul) die Skepsis in den Vordergrund. Es sei nur eine Minderheit von Künstlern, die sich mit public art beschäftige, und doch erwarte man von dieser Minderheit, daß sie die Gesellschaft verändere. Man habe sich auf der Konferenz mit einem sehr komplexen Thema befaßt und sei zu dem Fazit gelangt, daß man Probleme habe, was ja durchaus nichts Schlechtes sei. Viele Künstler wollten nicht "angels of change" sein, sondern zögen den Part des "troublemakers" vor. Dann kam er auf die inflationäre Verwendung des Raumbegriffs zu sprechen, der in den Debatten als public art, public sphere, public space, civic space, civil space, out of home space oder common space eine derart entufernde Verwendung fand, daß enormer Diskussionsbedarf bestehe, was eigentlich gemeint sei. Ohne erkennbare Ironie schlug Graf selbst und abschließend einen between space vor, der nicht formuliert werden sollte, da man ihm andernfalls einen bestimmten Rahmen und eine Rolle verpasse.

Onur Suzan Kömürcü Nobrega - Foto: © 2012 by Schattenblick

Kritische Beobachterin bezieht Stellung
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Vom Labyrinth diffuser Räumlichkeit offenbar wenig angetan, stürzte sich die Medienwissenschaftlerin Onur Suzan Kömürcü Nobrega (Goldsmiths, University of London) auf die Kernfrage, ob troublemaker überhaupt gefördert würden. Einen liberalen Diskurs vorausgesetzt sei dies an den zurückliegenden beiden Tagen mit ja beantwortet worden. Stelle man jedoch die Frage, ob Kunst einen Übertrag auf soziale Transformation habe oder gar deren treibende Kraft sein könne, komme ihr das allzu sehr wie ein Imperativ vor: Mach die soziale Transformation! Wenngleich das eine modische Antwort sei, wenn Menschen aus diversen Regionen der Welt zusammenkommen, in denen soziale Krisen, Protest und Prekarität in Erscheinung getreten sind, könne einen dieses Narrativ begleiten, im nächsten Augenblick aber auch wieder verschwinden. Was zu tun sei, hänge untrennbar damit zusammen, was man unter Utopie verstehe. Die Zukunftsvorstellungen seine indessen derart vielfältig und unterschiedlich, daß man sich kaum auf eine gemeinsame Definition einigen könne. Ihres Erachtens seien die Kämpfe um Teilhabe, um eine Stimme, um Anerkennung gefangen in einem System kolonialer Patronage. So habe es sie außerordentlich irritiert zu hören, daß der Komponist in "Kinshasa Symphony" für Beethoven lebe. Hier treffe man auf die äußerst problematische zivilisatorische Mission: Wir bringen dir ein gutes Leben, du lebst für Beethoven. Man solle bescheidener werden und sich fragen, wie das soziale, politische und ökonomische Element in der Kunst die künstlerische Tätigkeit beeinflußt und wie man sich selbst im Radius der Krisen, Widersprüche und Macht transformieren könne. Leide man nicht am Stockholm-Syndrom, wenn man vom "flüssigen Kapitalismus" als Geisel genommen werde und anfange, seinen Geiselnehmer zu lieben?

Blick aufs Podium - Foto: © 2012 by Schattenblick

Patricia Kistenmacher
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Nach diesem kritischen Verweis auf die unhinterfragten Voraussetzungen des proklamierten emanzipatorischen Anspruchs von Kunst zog es die soziale Netzwerkerin Patricia Kistenmacher (Latin American Net for Social Transformation, Argentina) als vierte Beobachterin vor, sich einer ausformulierten Stellungnahme zu enthalten. Statt dessen organisierte sie einen paarweisen Interaktionsprozeß im ganzen Saal, was angesichts der unvermeidlichen Irritation, auf Kommando und ohne jeden konkreten inhaltlichen Bezug zu kommunizieren, allemal für Befremden sorgt, das sich in allerlei emotionalen Reaktionen Bahn bricht. Nun habe man eine Ahnung von sozialer Transformation, die einem gefalle oder auch nicht, fand der kurze Ausflug ins Reich nicht näher spezifizierter Möglichkeiten des Zwischenmenschlichen seinen nebulösen Abschluß.

Andrea Thilo - Foto: © 2012 by Schattenblick

Moderation voller funkensprühendem Enthusiasmus
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Zwei anschließende Fragen der Moderatorin an alle vier Berichterstatter stießen nur bedingt auf Resonanz: Ob man nicht im Kontext sozialer Transformation die emotionale Seite stärker berücksichtigen müsse, wollte Andrea Thilo von ihnen wissen. Des weiteren erbat sie eine Stellungnahme zum Widerspruch zwischen dem lebenslangen Ringen des Künstlers um seine Individualität und dem Anspruch, trotz dieser Voraussetzung eine kollektive Veränderung hervorzubringen. Marcus Graf stimmte ersterem insofern zu, als Emotionen zwangsläufig von Bedeutung seien, weil Kunst über Wissen hinausgehe und sich der Utopie zuwende: Ohne Gefühle könne man Wissen nicht vermitteln oder erschließen. Patricia Kistenmacher sprach von Schönheit und Qualität der Kunst, wobei sie den Einwand Andrea Thilos, ob man nicht Kriterien von Qualität jenseits der persönlichen Beteiligung bestimmen wolle, mit dem Verweis auf Diversität beantwortete, die man akzeptieren und bejahen müsse.

Stimme aus dem Publikum - Foto: © 2012 by Schattenblick

Segun Adefila
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Da dieses Intermezzo einen recht vagen Verlauf zu nehmen drohte und niemand auf die zweite, durchaus interessante Frage einzugehen schien, eröffnete die Moderatorin nun die allgemeine Debatte. Man solle den verwendeten Begriffen mehr Aufmerksamkeit schenken, da man andernfalls aneinander vorbeirede, brachte der erste Diskussionsbeitrag aus dem Plenum ein augenscheinlich verbreitetes Unbehagen angesichts des Hantierens mit konsensbefrachteten, doch in ihrer Bedeutung ungeklärten Begrifflichkeiten auf den Punkt. Eine Künstlerin aus Ecuador bemängelte die fehlende Dekolonisierung der Begriffe und Strukturen. Es gebe in ihrem Land sehr viel Energie und Hoffnung gerade unter den jungen Leuten, doch müsse man die Beziehungen zwischen Norden und Süden, Förderung und Künstler dekolonisieren.

Das enorme Gefälle an ökonomischen Möglichkeiten und kulturalistischer Einflußnahme zwischen Nord und Süd thematisierten mehrere Teilnehmer aus südlichen Ländern. So deutete ein Künstler aus Afrika die enormen Probleme bei der Ausübung seiner Tätigkeit an, weshalb er bei der Suche nach der Utopie nicht lange Ausschau halten müsse. Für ihn und einige andere sei die Konferenzteilnahme an sich schon ein derartiger Glücksfall, daß man von einem Utopia sprechen könne. Ein westindischer Teilnehmer brachte sein Unbehagen angesichts des enormen Drucks, das moralisch Richtige zu tun und vorformulierte Ansprüche zu erfüllen, zum Ausdruck.

Daß vielerorts Basisbewegungen am Werk sind, die vom Radar der Kunstförderung in den Industrieländern des Nordens kaum registriert werden, hob ein Teilnehmer hervor, der eine Lanze für die "stille Revolution" brach, die nichts mit den Riots auf der Straße zu tun habe. So viele Menschen führten eine alternative Lebensweise, bauten ihre eigene Nahrung an und Ökonomie auf, seien schöpferisch in vielerlei Hinsicht. Dies sei eine echte, kreative Revolution. Der in Brasilien lebende Theaterdirektor und Sozialaktivist Dan Baron verwies darauf, daß nach seiner Erfahrung die Produktion von Kunst in einem kollektiven Prozeß erfolge, der wiederum essentiell für die soziale Transformation sei. Man arbeite dabei mit einer runden Architektur, die er als indigen und vorindustriell bezeichnete und allen sozialen Bewegungen, aber auch den Stiftungen der Kunstförderung anempfahl. Menschliche Wesen seien Künstler von Geburt an: Durch Tanzen lernten sie gehen, durch Singen lernten sie sprechen, sie schüfen beständig visuell neue Zusammenhänge und seien unablässig kreativ, um sich ihre Umgebung zu erschließen. In weiten Teilen der Welt beschäftigt man sich nicht mit der Krise der Kunstförderung, sondern der Transformation menschlicher Ressourcen in eine Ökonomie der Solidarität und des Austausches, so Dan Baron.

Mehrere Diskussionsteilnehmer gingen auf den grundsätzlichen Widerspruch zwischen Kunstförderung und dem Künstler als Unruhestifter ein. Hänge der "Troublemaker" von der Förderung ab, gebe es bald kein Geld mehr, um weiterhin Unruhe zu stiften, warnte ein anwesender Künstler. Daher sei es nicht immer wünschenswert, in eine geförderte Beziehung einzutreten, was insbesondere dann gelte, wenn sie mit Wertediskussionen oder ideologischen Ansprüchen überfrachtet sei. Wenngleich es natürlich unangenehm sei, ohne solche Unterstützung künstlerisch tätig zu sein, sei das doch manchmal der bessere Weg. Die in der Diskussion aufgestellte Gegenthese, daß die beteiligten Institutionen Künstler gerade deshalb fördern sollten, weil sie Unruhestifter seien, wies ein anderer Teilnehmer als blauäugig zurück: Sobald ein "Troublemaker" Fördermittel erhalte, sei es mit dem Unruhestiftern vorbei.

Die in Dublin lebende Künstlerin Fiona Whelan, die seit Jahren in Sozialprojekten arbeitet, brachte den gesellschaftlichen Kontext zur Sprache, der während der Konferenz vielfach ausgeblendet worden war. Wir lebten aufgrund der ökonomischen Situation in Europa in Zeiten der Krise, Korruption und Kriegsgefahr. Soziale Transformation sei keinesfalls ein Interesse, das alle teilten. Wer dennoch dafür eintrete, müsse dieses Anliegen daher sehr ernst nehmen und dafür kämpfen. Für einen Künstler sei es unter diesen Voraussetzungen außerordentlich schwer, nicht von städtischen oder staatlichen Interessen korrumpiert zu werden. Sie fühle sich unbehaglich inmitten all der lächelnden Gesichter, weil sie nicht immer dem entsprächen, was tatsächlich vor sich gehe.

Mit ihrer Rückbindung einer allzu freischwebend erörterten Problematik von Kunst und Kulturförderung an die herrschenden Verhältnisse hatte Fiona Whelan jenem Teil des Plenums eine Stimme gegeben, dem eine Tätigkeit unter nicht selten ungewissen Bedingungen wie auch der Zweifel an der Wirksamkeit des eigenen Engagements näher zu sein schienen als die Euphorie künstlerischer Aufbruchsstimmung im Dunstkreis der Fleischtöpfe institutionalisierter Bemittelung. Ein Teilnehmer brachte den Zwiespalt mit folgenden Worten auf den Punkt: Die Diskussion über Förderung sei ein zentrales Beispiel für den Antagonismus zwischen Kunst als Ware und der Selbstbestimmung des Künstlers. Dieses Problem stehe wie ein Elefant im Raum, über den angemessen zu sprechen tunlichst vermieden wird.

Bei der Abschlußrede - Foto: © 2012 by Schattenblick

Barbara Unmüßig
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Hatte Barbara Unmüßig die Konferenz mit einer Rede eröffnet, so war es ihr nun vorbehalten, auch das Schlußwort zu sprechen und damit die Brücke von Erwartung zu Ergebnis zu schlagen. Sichtlich bestrebt, die Ernte sicher einzufahren, sie vor Blitz und Hagelschlag allzu beißender Kritik zu bewahren, schloß sie mit einem geharnischten Plädoyer für die Zielsetzungen des anderthalb Jahre intensiv vorbereiteten Großprojekts. Man sei in der Gewißheit zusammengekommen, daß soziale Transformation jede Minute, jede Stunde stattfinde. Der Wunsch, daß diese Transformation in Freiheit, Demokratie, Gleichheit und Gerechtigkeit von statten gehe, verbinde die Konferenzteilnehmer: "Daran sollten sich alle erinnern, daß (...) soziale Transformation (...) nicht noch einmal interpretiert werden muß, weil es mein gutes Recht ist", verwahrte sich Barbara Unmüßig gegen ihres Erachtens kontraproduktive Grundsatzdiskusssionen.

Zum zweiten habe die Teilnehmer zusammengebracht, daß man mit der drohenden Zerstörung des Planeten konfrontiert sei. Künstler könnten ihren Beitrag leisten, diese Gefahr abzuwenden, wobei sie beileibe nicht einzigen seien. Sollte diese Bemerkung ein warnender Seitenhieb an die Adresse der Kunstschaffenden gewesen sein, ihre Bedeutung nur nicht im Übermut zu strapazieren, so schien Barbara Unmüßig dies im unmittelbaren Anschluß zu bestätigen: "Sei bescheiden! Ich halte es für großartig, daß das hier mehrfach erwähnt worden ist." Die Heinrich-Böll-Stiftung unterstütze zahlreiche Experimente, Pioniere und Visionäre, um Menschen darin zu bestärken, Ungleichheit zu überwinden und die Zerstörung zu beenden. Wie die Konferenz gezeigt habe, befinde man sich gemeinsam auf der Suche nach der so dringend erforderlichen Veränderung und kenne die Lösungen noch nicht. Sehr viele Menschen begleiteten diesen Prozeß der Suche, weshalb sie sehr dankbar sei, daß es möglich war, Raum dafür anzubieten. Auf dieser Suche solle man sich nicht gegenseitig bezichtigen, denn sie wünsche sich eine Welt, in der nicht ständig ein Urteil darüber gefällt wird, was andere tun: "Lassen Sie uns in neutraler, gegenseitiger Wertschätzung zusammenarbeiten, das wünsche ich mir, anstatt zu verurteilen, was andere Personen versuchen herauszufinden, um die Zerstörung der Welt zu überwinden", beendete Barbara Unmüßig ihr Schlußwort mit einem letzten eindringlichen Appell zum geschlossenen Gleichschritt von Kulturförderung und Kunstschaffen, der tiefsitzenden Zweifeln und fundamentalkritischen Einwänden eine Absage erteilt.

Demo gegen EU-Grenzregime - Foto: © 2012 by Schattenblick

Draußen vor der Tür europäische Realitäten
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Fragen, die keiner Antwort bedürfen, können befreiend wirken

Die etwas dünnhäutige Reaktion, mit der die Abschlußrednerin die Kritik aus dem Plenum quittierte, spiegelt das grundsätzliche Problem, die im Titel der Konferenz enthaltenen Ansprüche der "kreativen Politisierung des öffentlichen Raums" und des Auslotens von "kulturellen Potentialen für soziale Transformation" mit den offenliegenden Wiedersprüchen kapitalistischer Vergesellschaftung in Übereinstimmung zu bringen. So sehr das Vorstandsmitglied der Heinrich-Böll-Stiftung von ihren guten Absichten überzeugt sein mag, so sehr ist die Arbeit ihrer den Grünen nahestehenden Institution von der spezifischen Geschichte dieser Partei und der ihr eigenen Bündnisse und Arrangements mit der in Deutschland hegemonialen Kapitalmacht geprägt. Die sich daraus ergebenden liberalen Grundauffassungen sind davon bestimmt, elementare gesellschaftliche Antagonismen wie den von Kapital und Arbeit weitgehend auszuklammern, um sozialethische Postulate wie das der Freiheit der Wahl oder des Anspruchs auf Fairness im gegenseitigen Umgang überhaupt als Basis politischer Aushandlungsprozesse in Anspruch nehmen zu können. Die Grenze der Tragfähigkeit dieser Konzepte wird erreicht, wenn antikapitalistische Systemüberwindung auf regulative Bestandssicherung stößt.

Dies prägte auch die Debatten auf der Konferenz radius of art. Das dort in Hinsicht auf die Bedingungen öffentlicher wie privatwirtschaftlicher Kulturförderung anklingende Problem, sich auf diese oder jene Weise mit den Interessen der Geldgeber arrangieren zu müssen, erklärt unter anderem, wieso so häufig bei abstrakten Prozessen auf die Metapher des Raumes zurückgegriffen wurde. Reduziert man das Erwirtschaften von Handlungsmöglichkeiten auf die Totalität des kapitalistischen Verwertungsanspruchs, dann wird schnell deutlich, daß die Suche nach Freiräumen künstlerischer Selbstverwirklichung vor dem unüberwindlich erscheinenden Hindernis steht, daß alle Felder, die man betritt, bereits über Preisschilder verfügen. Selbst die notdürftigste Subsistenzwirtschaft kann sich von den Bedingungen der Eigentumsordnung nicht freimachen, um so mehr bietet sich das Konstrukt virtueller Räume zur Suggestion einer dennoch möglichen Widerspruchsfreiheit an.

Diese - zuendegedacht vergebliche - Hoffnung ist eine wesentliche Triebkraft für die historische Entwicklung einer sich mit den herrschenden Verhältnissen arrangierenden und die Ziele emanzipatorischer Politik dementsprechend moderierenden Bürgerlichkeit, die ihren Anfang in den sozialrevolutionären und linksalternativen Aufbrüchen der 1960er und 1970er Jahre nahm. Daß die Konferenz radius of art unter den großzügigen und komfortablen Bedingungen des Hauses der Heinrich-Böll-Stiftung stattfinden konnte, ist ein Ergebnis dieser Entwicklung. Sie wurde keineswegs im Nebel der Unkenntnis ihrer politischen Konsequenzen vollzogen, wie die umfassende Ergründung der konstitutiven Faktoren kapitalistischer Vergesellschaftung in jener Zeit belegt. Dementsprechend ist die dem Vorhaben inhärente Problematik, die von kapitalistischer Wachstumslogik befeuerte Zerstörung der Welt im Rahmen der dadurch reproduzierten Gesellschaftsordnung zu überwinden, kein Geheimnis.

Was sich damals in Gestalt von der aufkeimenden Umweltbewegung wie dem linken Ideal solidarischen Handelns inspirierter Alternativentwürfe etablierte, legte den Keim zu einer nicht mehr revolutionären, sondern integrativen Form der Gesellschaftsveränderung. Diese erhielt im parlamentarischen Aufbruch der Grünen 1980 ihre übergreifende institutionelle Gestalt. In den Nischen vermeintlicher Gegenökonomien, den Freiräumen der Hausbesetzerbewegung und selbstorganisierten Produktionsgemeinschaften wie den Bürgerinitiativen der Umweltbewegung entstand ein durchaus angesagter Professionalismus, der insbesondere nach dem Anschluß der DDR an die BRD und dem damit verbundenen Niedergang der radikalen Linken neue Erwerbs- und Partizipationschancen generierte. Die Lähmung des sozialen Protestes, der zu einem nicht geringen Teil unter dem Dach der Grünen sein neues Aktionsfeld gefunden hatte, zugunsten der Interessen der Funktions- und Kapitaleliten erfolgte spätestens in der Ära der rot-grünen Bundesregierung, die gerade durch die Neutralisierung linken Widerstands in der Lage war, Deutschland beim Überfall der NATO auf Jugoslawien kriegsfähig zu machen und seine Workforce mit der Agenda 2010 neoliberal zu modernisieren.

So fügten sich emanzipatorische Begrifflichkeiten und Programmatiken etwa der Gleichberechtigung, des Antirassismus und des Umweltschutzes nahtlos in die neoliberale Zurichtung der Arbeitsgesellschaft ein und befeuerten in Konzepten wie Gender Mainstreaming, Good Governance oder Self Empowerment die Rationalisierung kapitalistischer Produktivität. Sozialwissenschaftlich erforschte Motivationstrategien der Eigenverantwortung und Anerkennung erheben den sozialdarwinistischen Konkurrenzdruck der Arbeitsgesellschaft wie den materiellen Mangel des aktivierenden Sozialstaates zur humanen Produktivkraft, während die Aussteuerung sozialer und ökologischer Widerspruchslagen im Green New Deal oder in der Green Economy neue Wachstumshorizonte eröffnet. Kurz gesagt, ein in der Theoriebildung der radikalen Linken gewachsenes Wissen um die Erfordernisse der Organisation von Staat und Gesellschaft im Kapitalismus wird nicht mehr zu dessen Überwindung, sondern Reformierung eingesetzt.

Diese von der immensen Adaptionseffizienz kapitalistischer Gesellschaften zeugende Integrationslogik und Legitimationsproduktion schlägt sich auch in leitmotivisch verwendeten Begrifflichkeiten wie "soziale Transformation" oder "Nachhaltigkeit" nieder. Nicht der offensive Bruch mit den Zumutungen kapitalistischer Ausbeutung und staatlicher Repression, sondern das defensive Arrangement mit den angeblichen Sachzwängen wirtschaftlicher Produktivität sei der Schlüssel zu einer Veränderung, deren Sachwalter an der Eigentumsordnung ebensowenig rütteln wollen wie der Mehrwertproduktion. Was sich in einer vergleichsweise wohlhabenden Gesellschaft wie der Bundesrepublik als verträgliche Option bürgerlicher Liberalität darstellen mag, erhält spätestens in den durch die massiven Produktivitätsunterschiede in den globalisierten Wertschöpfungsketten, durch den Raubbau an Ressourcen aller Art und die Folgen des Klimawandels ökologisch verwüsteten und sozial verelendeten Regionen der Welt eine Dringlichkeit, die mit dem täglichen mangel- und gewaltbedingten Tod Zehntausender Menschen drastisch unterstrichen wird.

So verständlich es ist, daß die auf der Konferenz anwesenden Kulturmanager und -funktionäre sich dem Glauben hingeben, all dies ließe sich regeln, ohne sich persönlich mit der Ohnmacht jener Millionen zu konfrontieren, die weder Stimme noch Gesicht haben, sondern wie zum Werkstoff degradierte Nichtmenschen in die globale Reichtumsproduktion eingespeist werden, so relevant ist die Parteilichkeit von Künstlerinnen und Künstlern, die die Konfrontation mit der Aussichtslosigkeit menschlicher Verworfenheit suchen. Nicht wenige Kunstschaffende sind selbst von materieller Armut betroffen, doch stellt sich darüberhinaus stets die Frage, welchen Einfluß die Kommodifizierung der eigenen Arbeit zur Ware ästhetischen Genusses wie auch politischer Legitimation auf die eigene Subjektivität nimmt.

So wären vielleicht nicht nur neue Wegen der Kulturförderung zu suchen, sondern die Möglichkeiten einer Selbstorganisation zu erkunden, die der Abhängigkeit von Geldgebern von vornherein eine Absage erteilt. Die Ideologie der kreativen Klasse, die sich für die gesellschaftliche und urbane Entwicklung unentbehrlich macht, indem sie den Strömen des nach neuen Verwertungsmöglichkeiten suchenden Kapitals avantgardistisch den Weg bahnt, kann künstlerische Autonomie zwar propagieren, aber nicht einlösen. Für die im Titel der Konferenz angesprochene Politisierung haben sich gerade mit dem weltweiten Aufkommen neuer Protestbewegungen Möglichkeiten jenseits der Pfade institutioneller Kulturadministration eröffnet. Authentische schöpferische Kraft nicht zum Tauschwert zu degradieren, sondern die eigene Reproduktion zum Gebrauchswert künstlerischer Arbeit wie Lebenspraxis zu erheben könnte kulturellen Aktivitäten zu einer Bedeutung verhelfen, die sie bestenfalls in der Morgenröte revolutionärer Aufbrüche hatte.

Wenn es um Kunst geht, geht es immer auch um Menschen und ihre Befreiung von Zwängen, die in der Abstraktion des Naturbegriffs eine nur scheinbar nichtmenschliche Adresse finden. Wie die Zwangslogik neoliberaler Verwertung und die fortschreitende Biologisierung des Sozialen belegen, herrscht ein immenser Mangel an kulturellen Entwürfen, die über die naturförmige Not von Produktion und Reproduktion hinausweisen. Der damit zu erschließende Reichtum an subjektiver Lebenswirklichkeit bedarf keiner Funktionalisierung und Instrumentalisierung durch fremde Zwecke und Interessen, sondern der Radikalität von Fragen, die sich nicht mit Antworten abspeisen lassen.

Perkussionsinstrumente - Foto: © 2012 by Schattenblick

Schlagwerk wartet auf Orchester
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Mit ausgebreiteten Armen - Foto: © 2012 by Schattenblick

Johannes Heimrath dirigiert ...
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Vornüber gebeugt - Foto: © 2012 by Schattenblick

mit raumfüllender Emphase ...
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In der Hocke - Foto: © 2012 by Schattenblick

unter Einsatz des ganzen Körpers ...
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Konferenzgäste werden zu Musikern - Foto: © 2012 by Schattenblick

das musikalische Finale "Sinfonie of the moment"
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27. Juni 2012