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BERICHT/032: Szene Berlin - Skulpturen, Entfremdung, Burnout (SB)


Medienhype gegen den Strich gebürstet



Ausstellungsprojekt "A Burnt-out Case? in Berlin-Kreuzberg

Mutet "Burnout" auf den ersten Blick wie eine präzise und unmittelbar verständliche Beschreibung eines verhängnisvollen Prozesses ausbrennender menschlicher Lebensinteressen an, so entführt die aktuelle Popularisierung dieses Syndroms in ein Labyrinth der Verschleierung. Deutungen, Definitionen und Klassifizierungen im Armdrücken um die Erklärungshoheit lassen einen unverhohlenen Zugriffsdrang erkennen, im berufsständischen Hauen und Stechen das Terrain zu okkupieren, weshalb ihm gerade deswegen trittsichere Positionen einer Streitbarkeit gegen das verzehrende Feuer ferner nicht sein könnten. Das Ausbrennen zu beklagen, um darüber dem Verbrennungsprozeß zu huldigen, erhebt eben jene Verhältnisse zur unanfechtbaren Gültigkeit, deren Asche man unter den Teppich zu kehren versucht. Das Vokubalar des entufernden Diskurses türmt sich zu einer haushohen Halde, die von emsig wühlenden Administratoren der Verwertung nach Kategorien von Recycling und Restmüllentsorgung in immer neue Portionierungen sortiert werden.

Verspürt man in unabweislichem Unbehagen den Wunsch, Hand eigenständiger Ermächtigung an diesen Moloch zu legen, bedarf es zuallererst einer Neuformulierung jener Ausgangsposition, die von der Debatte um das Für und Wider des Konzepts Burnout systematisch ausgeblendet wird. Daß unter dem Regime kapitalistischer Lohnarbeit Menschen wahlweise ausgepreßt oder in die Reservearmee der Brotlosen geworfen werden, worüber man sie spaltbar und erpreßbar hält, zeitigt einen Schraubstock der Ausbeutung und Verelendung. Wer diese Gesellschaftsordnung für reformierbar hält und sich mit ihr zu arrangieren trachtet, macht die Rechnung ohne den Wirt innovativer Entwürfe seitens ihrer Strategen und Profiteure, die den Bestand ihrer Vorherrschaft unablässig sichern und in die Zukunft fortschreiben.

Bezeichnenderweise begegnet man dem als Burnout gedeckelten Phänomen zuallererst in jenen relativ besser gestellten Kreisen, die ihre Beteiligung am System mit dem Bestreben einer Sinnstiftung kreuzen. Daß man in diesen Verhältnissen passabel leben und mittels eigener Berufstätigkeit nicht nur Einkünfte generieren, sondern darüber hinaus auch anderen helfen könne, schürt den fremdbestimmten Vernutzungsbrand zur Flamme eigenverantwortlichen Erfolgszwangs, die den Kessel bis zur erlebten Nichtigkeit und Unentrinnbarkeit aufheizen kann. Wenngleich nicht von der Hand zu weisen ist, daß es unter diesen Umständen unerhört viel zu reparieren, regenerieren und wiedereinzugliedern gäbe, drängt sich doch der Zweifel auf, ob diese lösungsverhaftete Verkürzung womöglich den Schmierstoff eben jener Maschinerie abgibt, deren Räderwerk den auf die Verwertbarkeit seiner Arbeitskraft reduzierten Menschen unausweichlich verbraucht und zermalmt.

Sich fragenabschneidender Belehrungsdiktate zu enthalten ist ein Ansatz, den das Ausstellungsprojekt "A Burnt-out Case?" offenhält, das die Neue Gesellschaft für Bildende Kunst noch bis zum 14. Oktober im Berliner Stadtteil Kreuzberg präsentiert [1]. Die NGBK hatte KünstlerInnen, AktivistInnen und interdisziplinäre Arbeitsgruppen aufgerufen, vielschichtige Sichtweisen auf Burnout zu entwerfen und dieses Phänomen nicht nur als ein individuelles, sondern vor allem als ein gesellschaftliches Symptom zu behandeln. Mit diesem Konzept setzten Kunstverein, Projektgruppe und die beteiligten Künstlerinnen und Künstler insofern ein Zeichen gegen den Trend der Auseinandersetzung mit dem Themenkomplex, als dieser in hohem Maße auf individuelle Erklärungsmuster und Verhaltsmodifikationen fixiert ist.

Die von einer interdisziplinären Jury ausgewählten elf künstlerischen Positionen, die in der Ausstellung realisiert werden, unterscheiden sich konzeptionell gewollt und anregend für die BesucherInnen in hohem Maße voneinander. Hier stellvertretend nur eine einzige vorzustellen, soll nicht unzulässigerweise die individuelle Vorliebe zu einem Qualitätsmerkmal erheben, das die anderen Arbeiten in den Schatten stellte. Die Künstlerin Kaoru Hirano löst in einem täglichen Arbeitsprozeß Faden für Faden aus Kleidungsstücken und verwebt sie zu einer filigranen, wuchernden Netzstruktur im Ausstellungsraum. Diese end- und sinnlose Mühsal stellt die Frage nach der Obsessivität und dem Sich-Auflösen in zerstörerischen Arbeitsstrukturen. Das von oben herab wachsende Netz strahlt eine Mischung aus Düsternis und Faszination aus, die unmittelbar berührt und die verhängnisvolle Nähe von Schrecken und der Überantwortung an ihn erlebbar macht.

Kaoru Hirano an ihrer Installation - Foto: © 2012 by Schattenblick

... zum ausweglosen Netz verwoben
Foto: © 2012 by Schattenblick

Indem sich die Ausstellung einer klaren Antwort oder Lösung verweigert und stattdessen nach gegenläufigen, poetischen oder aktivistischen Wegen der Auseinandersetzung fragt, lädt sie die BesucherInnen dazu ein, selbst Stellung zu beziehen. Das mag allzu gering und mühsam anmuten, doch ist keine andere Bresche in Sicht, als eben diese, die man eigenhändig ins Dickicht des Expertenstreits und Medienrummels zum Thema Burnout schlägt. Ob das Projekt der selbstgesetzten Zielvorgabe nahekommt, widerständige und utopische Strategien für den Umgang mit Ressourcen und Grenzen zu entwickeln, ist mithin untrennbar mit seiner Rezeption und insbesondere den daraus gezogenen Konsequenzen verbunden. Hier Kausalbrücken einzufordern hieße allerdings, nicht nur dieser Kunst einen Bärendienst zu erweisen. Sollten sich indessen Zweifel einschleichen oder Fragen rühren, die sich über den Tag hinaus nicht beschwichtigen lassen, wäre mehr errungen, als der offiziöse Diskurs zum Thema Burnout zu vernebeln vermag.

Fußnote:
[1] http://www.burnt-out-case.de/ausstellung.html

12. Oktober 2012