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BERICHT/042: Krieg und Propaganda 14/18 - Die unsichtbare Naht des Widerspruchs (SB)


Ausstellung im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe über die Mythen von Begeisterung und Repression


Foto: © 2014 by Schattenblick

Detailaufnahme der Monumentalfotografie 'Over the Top (Battle at Ypern)' des australischen Fotografen Frank Hurley von 1917 mit projiziertem Ausstellungslogo im Museum für Kunst und Gewerbe
Kompositfotografie, 450 x 650 cm
National Library of Australia, Hurley Negative Collection
Inv. PIC HURL 43/7
Foto: © 2014 by Schattenblick

Sommer 1914. War es die propagandistisch manipulierte Naivität der jungen Soldaten oder ein romantisch geprägtes Streben nach der Erfüllung einer großen Lebensaufgabe, das so viele Menschen während des Ersten Weltkriegs dazu brachte, sich zum Kriegsdienst zu melden und sich in Hunger, Leid und qualvollen Tod führen zu lassen? Hätten weltweit über 9 Millionen Militärangehörige am Leben und mehr als 20 Millionen Verwundete unversehrt bleiben können, wenn sie gewusst hätten, was wir heute wissen?

Welche Rolle spielte vor dem Hintergrund einer Vernichtung, deren kollektiv verinnerlichte Schrecken über die neuen Medien Fotografie und Film weit in die Nachkriegszeit hineinragten, die von allen kriegführenden Staaten unablässig verbreitete Propaganda, die die Massen unter dem fragwürdigen Vorwand einer ökonomisch sinnvollen Investition in die Zukunft nicht nur dazu antrieb, Kriegsanleihen zu zeichnen und an der "Heimatfront" trotz eigener Not das letzte Hemd zu geben, sondern auch dazu, in der Fremde sein Leben für das Vaterland zu riskieren? Konnte man sich zwischen 1914 und 1918 den Aufforderungen, auf welche Weise auch immer unterstützend am Krieg teilzunehmen, überhaupt entziehen?

Immerhin klingt die Erklärung des damals Noch-Sozialdemokraten Karl Liebknecht zur Begründung seiner Ablehnung weiterer Kriegskredite vom 2. Dezember 1914 an den Präsidenten des deutschen Reichstages erstaunlich und erschreckend modern:

Dieser Krieg, den keines der beteiligten Völker selbst gewollt hat, ist nicht für die Wohlfahrt des deutschen oder eines anderen Volkes entbrannt. Es handelt sich um einen imperialistischen Krieg, einen Krieg um die kapitalistische Beherrschung des Weltmarktes, um die politische Beherrschung wichtiger Siedlungsgebiete für das Industrie- und Bankkapital. [1]
Plakat mit Soldat in voller Montur an der Front - Foto: Maria Thrun

Fritz Erler
Helft uns siegen! Zeichnet die Kriegsanleihe, 1917
Farblithographie, Letterndruck, 57,7 x 44 cm
Druck: Hollerbaum & Schmidt, Berlin
Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg
Foto: Maria Thrun

Das Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg untersucht vom 20. Juni bis zum 2. November 2014 in seiner neuen Ausstellung über "Krieg und Propaganda 14/18" die breit gefächerten Erscheinungsformen dieser zeitgenössischen internationalen Gebrauchskunst. Das "Experimentierfeld Massenpropaganda" des Ersten Weltkriegs, so die These, machte das Heldenopfer mit bunten Farben, bissigen Karikaturen, emotionalen Slogans und moralischem Druck zur Vaterlandspflicht für jeden, der in einer der kriegführenden Nationen geboren worden war. Dabei nimmt die Schau, die auch die historischen Ursprünge der bis in unsere Gegenwart weiterentwickelten multimedialen Strategien darstellen will, einen für das Museum für Kunst und Gewerbe ungewöhnlich mutigen und kritischen Bezug auf unsere Gegenwart. Ausgehend von der eigenen Plakatsammlung aus dem ersten Weltkrieg, die der damalige MKG-Direktor und deutsche Patriot Prof. Dr. Justus Brinckmann bereits während der Kriegszeit anlegte, um sie für die Nachwelt zu erhalten, soll der Blick der Museumsbesucher für die Methoden der auf Krieg ausgerichteten Propagandastrategien geschärft werden, so dass in der etwaig anschließenden Analyse der heutigen Medienwelt mehr oder weniger deutliche Anknüpfungspunkte ausfindig gemacht werden können. Kurator Dennis Conrad beschreibt im Ausstellungskatalog:

Übertreibungen, Wiederholungen, Behauptungen, Dramatisierungen oder gar Erfindungen standen auf der Tagesordnung, deshalb konnte der britische Pazifist Lord Arthur Ponsonby rückblickend festhalten, dass die Wahrheit das erste Opfer des Krieges ist.
In diesem Zusammenhang zeigen die jüngsten weltpolitischen Ereignisse, dass Krisensituationen gestern wie heute einen gefährlichen Nährboden für Gerüchte und Vorurteile und die leichtfertige Entwicklung von Feindbildern darstellen. Im Kern greifen die gleichen Methoden, die vor einhundert Jahren von den Kontrahenten ins Feld geführt wurden, auch 2014 noch und beeinflussen die Ansichten der Öffentlichkeit. Lediglich das Spektrum der verfügbaren Massenmedien hat sich erweitert. Die Ausstellung Krieg und Propaganda 14/18 möchte in diesem Sinne sensibilisieren für eine kritische Auseinandersetzung mit der Flut von Informationen und Bildern, die gerade in der heutigen Mediengesellschaft kaum zu durchschauen ist. [2]
Kinder mit Waffen und einer Rotkreuzfahne auf dem Umschlag eines alten Buches - © VG Bild-Kunst, Bonn 2014

Ernst Kutzer
Wir spielen Weltkrieg. Ein zeitgemäßes Buch für unsere Kleinen, um 1915
Druck: Kriegshilfsbüro d. k. k. Minist. d. Innern; Gesellsch. f. Graph. Industrie in Komm., Wien
Bibliothek für Zeitgeschichte in der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart
© VG Bild-Kunst, Bonn 2014

Wie 92 andere Wissenschaftler und Kulturschaffende jener Zeit unterzeichnete im Oktober 1914 auch Direktor Brinckmann den Aufruf "An die Kulturwelt!". Das Dokument, das die Gräueltaten in Belgien, die den Deutschen weltweit vorgeworfen wurden, bestritt und an die militaristische Bewahrung der deutschen Hochkultur appellierte, war eine Art Reaktionspropaganda, die sich gegen die Verleumdungen des deutschen Volkes als "kulturlose Barbaren" zur Wehr setzte:

Ohne den deutschen Militarismus wäre die deutsche Kultur längst vom Erdboden getilgt. Zu ihrem Schutze ist er aus ihr hervorgegangen in einem Lande, das jahrhundertelang von Raubzügen heimgesucht wurde, wie kein zweites. [3]

Der Aufruf ist in der Ausstellung neben anderen Schriftstücken der sogenannten "Faktenpropaganda" zu sehen, die einen Teil der "Dämonisierungs-" und "Rechtfertigungspropaganda" darstellt. Offizielle deutsche Dokumente sind in räumlicher Inszenierung den populär-sarkastischen Grafiken des Niederländers Louis Raemaekers gegenübergestellt, der mit hochemotionalen Täter-Opfer-Motiven das schiere Grauen blutig skizzierte und sich aufgrund eines angeblich von den Deutschen auf ihn ausgesetzten Kopfgeldes von 12.000 Gulden 1915 dazu gezwungen sah, nach England auszuwandern, wo er fortan für das War Propaganda Bureau arbeitete.

Sobald die Mittel bereit standen, durch die die Öffentlichkeit mit tendenziösem Gedankengut infiltriert werden konnte, ließ sich die ohnehin schon feine Linie zwischen propagandistischer Meinungsmache und solider Berichterstattung oft kaum mehr ausmachen. Die brutalen Kriegsgräuel an der Bevölkerung in Belgien, bei denen zwischen August und Oktober 1914 6.500 Zivilisten den Tod gefunden haben sollen, wurden den deutschen Verursachern nicht nur vorgeworfen und völkerrechtlich zur Anklage gebracht, sondern von den Briten mit dem "Bryce Report", der in verschiedene Sprachen übersetzt wurde und in hoher Auflage verbreitet wurde, auch zu Propagandazwecken missbraucht, um die eigene Bevölkerung und die neutralen Staaten auf den Krieg gegen den "barbarischen" Feind einzuschwören, so die Argumentation der Ausstellung. Diese Information ist als rein historischer Aspekt für den unbedarften Besucher, der den sachlich verfassten "Bryce Report" nicht ohne weiteres als Propaganda einzuordnen gewusst hätte, durchaus interessant, verläuft jedoch in der aufzählenden Flüchtigkeit musealer Ausstellungspraxis - wie auch die Darstellung der Versenkung des Passagierschiffs Lusitania, die Zerstörung der belgischen Stadt Löwen oder die Schlacht an der Somme - ohne weiteres geschichtliches und vor allem politisches Hintergrundwissen im Sande einer endlos ausgeuferten Wie-du-mir-so-ich-dir-Kausalität. Welche politischen oder wirtschaftlichen Kreise ein Interesse an dieser Uneindeutigkeit hatten, die das Schicksal der Opfer zum Hintergrund neuer Gewaltaufrufe machte und letztlich immer auch jene verlässlichen Quellen in Mitleidenschaft zog, die möglicherweise grundlegend wichtig gewesen wären, um einen erfolgreichen Widerstand gegen den Krieg aufbauen zu können, wird in der Ausstellung kaum explizit erwähnt, der Besucher soll diese Leerstellen selbst füllen. So führt Kurator Dennis Conrad aus:

Es geht uns in der Ausstellung nicht darum, die Geschichte des Ersten Weltkriegs zu erzählen, wir haben zwar natürlich die historischen Fakten mit der Hilfe eines historischen Fachwissenschaftlers geprüft und berücksichtigt, aber es geht uns primär um die Propagandastrategien, um die Methoden, mit denen man Menschen, Bevölkerungen auf seine Meinung einschwören konnte, wie man die Sympathien auch gerade der neutralen Länder für sich gewinnen konnte.
Foto: © 2014 by Schattenblick

Kurator Dennis Conrad auf der Pressekonferenz zur Ausstellung
Foto: © 2014 by Schattenblick

Das Ineinandergreifen der Propagandaformen, die oft als kommunikativer Abtausch zueinander in Beziehung standen und sich auch aus heutiger Perspektive nur schwer eindeutig voneinander abgrenzen lassen, reiht die Ausstellung in sieben Bereiche. In der zeitgemäßen, jedoch räumlich teilweise etwas unausgewogenen und gedrungenen Ausstellungsarchitektur des Berliner Szenographiebüros chezweitz finden unter den Stichworten "Mobilisierung, Dämonisierung, Partizipation, Filmpropaganda, Erinnerung, Kriegsrezepte und Werbefeldzüge" über 400 Exponate in Form von Postkarten, Plakaten, Fotos, Filmen, Spielzeug, Geschirr und Objekten persönlicher Erinnerungen Platz. Der Besucher ahnt die überwältigende und massenzwingende Wirkung der vielseitigen und alle Ebenen des Alltags durchziehenden audiovisuellen Propagandamittel, deren überbordende Menge die Frage aufwirft, ob die sich stark wiederholenden Strategien für die medienunerfahrenen Menschen wirklich so schwer als staatliche oder feindliche Propaganda zu identifizieren waren, wie uns die Ausstellung nahelegen will. Direkt im Anschluss an den ausgesprochen vielseitig bestückten Filmraum, der Ausschnitte französischer, deutscher, amerikanischer und britischer Kinopropaganda in Miniloops flimmern lässt, laden Tonkabinen zum Verweilen ein, in denen "Briefe gefallener Soldaten" aus der Sammlung des Literaturprofessors Philipp Witkop zu hören sind, die von Kriegsbegeisterung und dem Sterben an der Front erzählen und sich wegen ihrer authentischen Dramatik aus heutiger Perspektive nur schwerlich als moralisierende Propaganda einordnen lassen.

Raum mit Filmpropaganda und Audiokabinen in blau-grünen Farben - Ausstellungsansicht 3 - Foto: Michaela Hille

Raum mit Filmpropaganda und Audiokabinen
Ausstellungsansicht 3
Foto: Michaela Hille

Auch wenn der Argumentationsrahmen der Ausstellung ausschließlich die Propaganda des Ersten Weltkriegs fokussiert, irritiert das Fazit, das die Kuratoren aus dem Gemeinschaftsprojekt des Museums für Kunst und Gewerbe und der Tageszeitung Hamburger Abendblatt, "Hamburg erinnert sich", ziehen. Über 200 Leser folgten dem Zeitungsaufruf, der Öffentlichkeit geerbte Erinnerungsstücke aus dem Ersten Weltkrieg in der Ausstellung zugänglich zu machen, und brachten mehr als 1000 Objekte aus den Jahren 1914 bis 1918 in das Museum, von denen nur wenige in "Krieg und Propaganda 14/18" zu sehen sind. Diese unerwartete Resonanz verweist auf eine lebendige, empathische und gedankenvolle Auseinandersetzung der Nachkommen mit den Schicksalen der ihnen bekannten, im Ersten Weltkrieg gefallenen oder verletzten Soldaten und führt den Betrachter erschreckend nah an die Lebenswirklichkeit der ehemaligen Besitzer der ausgestellten Stücke heran. So ist zum Beispiel eine beschädigte Taschenuhr zu sehen, die am unteren Rand eine tiefe Beule aufweist, sie konnte die Kugel, die ihren Eigentümer in die Brust getroffen hat, nur bedingt vor dem Eindringen in seinen Körper abhalten. Andererseits lassen die mittelbaren Zeitzeugenberichte der Objektgeber, die unter der Webadresse www.propaganda1418.de leider als nur zweiminütige Videoclips frei zugänglich sind, die tiefe Diskrepanz zwischen den Erfahrungen der vom Krieg direkt Betroffenen und denen ihrer Kinder und Kindeskinder erahnen. Die bodenlose Hilflosigkeit der Väter in der Auseinandersetzung mit dem Erlebten mündete oft nur in Schweigen über die schwer wiegenden Erinnerungen.

Dass das Museum für Kunst und Gewerbe "authentische Erinnerungen und propagandistische Allgemeinplätze" in den persönlichen Tagebuchaufzeichnungen von Offizieren, auf den idyllischen Motiven des Hamburger Amateurmalers Friedrich Adolf Elling und in den Mitteilungen zahlreich erhaltener Feldpostkarten, die im Projektsaal der Ausstellung gezeigt werden, "verschwimmen" sieht, wirkt wie ein rein der konzeptuellen Ausstellungsargumentation geschuldeter Kommentar, der einzig den Strang der Propaganda konsequent verfolgt, ohne einer möglichen Verzweiflung der Soldaten Rechnung zu tragen, die in den Briefen vielleicht auch in unterschwelliger Ironie, Sarkasmus und übersteigerter Anpassung an die vorherrschende Meinung zu Tage getreten ist. Der in anderen Zusammenhängen des Thesenaufbaus sehr wohl erläuterte Aspekt einer staatlich rigoros ausgeübten Bildzensur, deren Drohung für die Soldaten auch über der Feldpost geschwebt haben muss und möglicherweise dazu führte, dass viele Mitteilungen aus Angst vor Sanktionen gar nicht erst geäußert wurden, wird ausgerechnet hier gänzlich außer Acht gelassen, so dass der Eindruck entsteht, die Soldaten seien der Propaganda so umfassend auf den Leim gegangen, dass ein Begreifen zumeist ausblieb und die Ermutigungsstrategien sogar noch über privateste Aufzeichnungen vervielfältigt wurden. So heißt es im Wandtext zu "Hamburg erinnert sich" weiter:

Diese Ambivalenz zeigen auch die Feldpostbriefe früherer Mitarbeiter des MKG aus dem Museumsarchiv oder die privaten Frontbilder des Zeichners Friedrich Elling. Die staatliche Meinungslenkung in Form von Durchhalteparolen, Heldenbildern oder idealistischen Zeitungsschlagzeilen findet sich aber selbst in privaten Fotoalben und Alltagsgegenständen wider.
Glasvitrine mit Feldpostkarten und Fotografien - Foto: Michaela Hille

Lebenszeichen und Dokumentationen des Kriegsalltags
Ausstellungsansicht 2
Foto: Michaela Hille

Der Schattenblick hatte anläßlich der Pressekonferenz zu "Krieg und Propaganda 14/18" die Möglichkeit, eine der Objektgeberinnen, Ingrid Grundmann, danach zu fragen, in welchem Ausmaß die staatliche Propaganda sich im Nachlass ihres Großonkels Paul Zschiesing niedergeschlagen hat, der nach seinem Fronteinsatz eine komprimierte Sammlung von Dokumenten aus der Zeit von April 1915 bis September 1916 aufbewahrte. Paul Zschiesing hat, so Ingrid Grundmann, sein Erleben als Soldat an der Front über Lazarettberichte, Briefe und Erinnerungsstücke detailliert dokumentiert.

Ingrid Grundmann: Das sind ganz persönliche Niederschriften des eigenen Erlebens gewesen, die aber in einem völligen Gegensatz zu dem stehen, was man sonst so gesehen hat, also Bilder meinetwegen, wo Soldaten Ziehharmonika spielen im Schützengraben, entspannt und fröhlich, solche Mitteilungen hat er überhaupt nicht gemacht. Er ist unter der Last dieses halben Jahres zerbrochen und er hat sich eigentlich nie mehr im Leben davon erholt, so dass auch alles, was er vorher Schönes erlebt hatte, nicht ausgelöscht war, aber ganz verdrängt.

Schattenblick: Könnte man daraus schließen, dass die Propaganda eher oberflächlich funktioniert und die Menschen nicht so tief ergriffen hat?

Foto: © 2014 by Schattenblick

Ingrid Grundmann erzählt von den Aufzeichnungen ihres Großonkels Paul Zschiesing
Foto: © 2014 by Schattenblick

IG: Vielleicht wurden die, die weiter draußen blieben, eher davon ergriffen als die Soldaten, die unmittelbar von dem Kriegsgeschehen berührt wurden. Das zeigt für mich schon dieses Bild, als er nach der Mobilmachung eingekleidet worden war, zu diesem Anlass sind sie ja wohl alle fotografiert worden, da strahlt er überhaupt nichts aus, was eine Energie in Richtung Front zeigt oder ähnliches.

SB: Das Wissen darum, wo es hinging, war ihm also schon präsent?

IG: Ja. Er ist eigentlich ein Schöngeist gewesen, der auch als Buchbindergeselle gewandert war, durch die Schweiz, Frankreich, Italien, und für ihn war der Kriegseintritt dann eben wirklich die Zerstörung seines normalen Lebens.

© Münchner Stadtmuseum, Sammlung Fotografie

Heinrich Hoffmann
Eine improvisierte Musikkapelle, 1915
Fotografie auf Gelatineentwicklungspapier, 12 x 16,9 cm
© Münchner Stadtmuseum, Sammlung Fotografie

"Krieg und Propaganda 14/18" gibt einen umfassenden und beeindruckenden Einblick in die internationalen Propagandastrategien des Ersten Weltkriegs. Obwohl zu Anfang des Rundgangs noch verkürzt von Demonstrationen gegen den Krieg die Rede ist, an denen sich in Deutschland im Sommer 1914 hunderttausende Menschen beteiligt haben sollen, versäumt es die Ausstellung in der Gewichtung ihrer Argumente jedoch - bis auf die einmalige Nennung des Widerstandskämpfers Karl Liebknecht und einen Satz des Arbeiterführers August Bebel - auszuführen, dass es im Deutschen Kaiserreich bereits vor Kriegsausbruch und auch während des Krieges eine organisierte Widerstandsbewegung im Schatten der Propaganda gegeben hat, die unter Hochdruck an einer Abkehr der öffentlichen Meinung vom imperialistischen Massenwahn arbeitete. [4] Die Ausstellung erweckt so den Eindruck einer unausweichlich meinungsbildenden Einöde und läuft mit dieser konzeptbedingten Leerstelle unfreiwillig Gefahr, die rigoros ausgeführte staatliche Unterdrückung und Gewalt gegen jene, die sich frühzeitig gegen den Krieg wandten, mit der Letztbegründung einer im Ominösen siedelnden "massenpsychologischen Wirkung" der Propaganda zu verschleiern und in ihrer Profession historischer Neutralität den Allmachtsstatus propagandistischer Einflüsse bis heute festzuschreiben.

Das Museum für Kunst und Gewerbe mit Ausstellungsplakaten, auf denen pink verfremdete britische Propagandamotive zu sehen sind - Foto: © 2014 by Schattenblick

Foto: © 2014 by Schattenblick


Anmerkungen:

[1] http://www.jungewelt.de/2014/05-03/002.php (Stand: 29.06.2014)

[2] Dennis Conrad: Krieg und Propaganda 14/18. Zur Einführung. In: Sabine Schulze, Leonie Beiersdorf, Dennis Conrad: Krieg und Propaganda 14/18. Ausstellungskatalog. Hamburg 2014.

[3] "An die Kulturwelt!" Aufruf vom 4. Oktober 1914. In: Sabine Schulze, Leonie Beiersdorf, Dennis Conrad: Krieg und Propaganda 14/18. Ausstellungskatalog. Hamburg 2014.

[4] Gerd Fesser: Deutschland und der Erste Weltkrieg. Köln 2014.


Siehe auch Bericht und Interview zur Ausstellung unter
Schattenblick → INFOPOOL → KUNST → REPORT:
INTERVIEW/028: Krieg und Propaganda 14/18 - Stimmung, Zeitgeist und Versagen, Prof. Dr. Sabine Schulze im Gespräch (SB)

29. Juni 2014