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BERICHT/049: Animiert und angeregt - Zeitreise der Computerspiele ... (SB)


Game Masters

Ausstellung im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg


Der Einfluss, den Videospiele auf unser Leben und unsere persönliche Geschichte genommen haben, ist für jeden völlig verschieden. Wir erleben sie anders als Medien wie Radio, Fernsehen oder Film, mit denen wir alle flächendeckend und generationsübergreifend in ähnlicher Weise in Berührung gekommen sind. Die Wahrnehmung der Kinder der 1980er Jahre, die ganze Tage und Nächte vor verpixelten Atari- und Nintendospielen saßen, bis die Augen so quadratisch wurden wie die Bildpunkte selbst, ist eine völlig andere als die der Eltern, die sich Sorgen machten, weil der Sprössling das Haus nicht mehr verließ. Genauso nehmen die sogenannten Digital Natives, die heute mit ihren Smartphones und Tablets permanenten Zugriff auf mediale Unterhaltung haben, die virtuellen Welten anders wahr als die Generation vor ihnen. Noch vor zehn Jahren schleppten wir mehrere Kilogramm schwere Röhrenmonitore und Desktop PCs auf Lan-Parties, um dort unter massivem Konsum von Energy Drinks und Instant Nudelsuppen ohne Wasserzugabe die Tage und Nächte durch zu zocken. Welchen Einfluss die Videospiele auch immer auf uns haben mögen, ob wir sie lieben oder hassen, ob wir uns in ihren endlosen Welten verloren haben oder fürchten mussten, Menschen in ihnen zu verlieren, geprägt haben sie uns alle auf die eine oder andere Weise und ihre Geschichte ist es wert, erzählt zu werden:

Das Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg gibt mit der Ausstellung "Game Masters" einen umfangreichen Überblick über die rund 40-jährige Geschichte der Computer- und Videospiele, mit ihren vielfältigen Designs, ihren zahllosen Welten und ihren tiefgreifenden gesellschaftlichen Einflüssen. Der Fokus wurde dabei auf Interaktion und Erlebnis gelegt, denn der überwiegende Teil der Präsentation besteht aus über 100 spielbaren Konsolen, Arcade-Maschinen und PCs, an denen die Werke verschiedener Entwicklerfirmen und Designer vorgestellt werden.


Vier Arcade-Spieleautomaten, im Vordergrund ist die Aufschrift 'Space Invaders' zu lesen - Game Masters, Ausstellungsansicht, Foto: © Michaela Hille

80er Jahre Spielhallen-Flair im Museum
Game Masters - Ausstellungsansicht, Foto: © Michaela Hille


Informatiker, Ingenieure, Designer - ein interdisziplinäres Berufsfeld entsteht

Die Anfänge der Videospiele liegen in den 1970er Jahren, als die ersten Spielhallen mit Computertechnologie ausgestattet wurden. Die mannshohen Maschinen boten eine Kombination aus mechanischen Bedienelementen und digital errechneten Alien-Horden, die vor allem Heranwachsende stundenlang fesselte und vielen Sparschweinen das Leben kostete. Spiele wie Space Invader, Frogger oder Donkey Kong, deren popkultureller Einfluss heute größer ist denn je, legten damals die Grundsteine für ein neues Berufsfeld, in dem Techniker, Informatiker, Autoren und Künstler aufeinandertrafen und gemeinsam eigene Realitäten erschufen. Doch auch in den Wohnzimmern hielten die Computerspiele bereits 1972 Einzug. Die erste Heimkonsole mit dem klangvollen Namen "Magnavox Odyssey" bot 12 auf Steckkarten mitgelieferte Spiele mit recht schmucklosen Titeln wie "Submarine" und "Soccer". Mangels einer internen Grafik bediente man sich bunter Plastikfolien, die von den Usern mittels Adhäsionskraft am Bildschirm des Fernsehers befestigt wurden, wodurch das Ganze im Gegensatz zu den imposanten Arcade-Maschinen ein eher dürftiges Spielerlebnis bot. Dennoch sollte die Konsole, die immerhin 350.000 Einheiten verkaufte, eine neue Zeitrechnung einläuten. Im Lauf der folgenden 40 Jahre entstand eine Milliardenindustrie, die immer neue Spielekonsolen produzierte und in der sich die Hardware Firmen bis heute erbitterte Kämpfe um die Vorherrschaft am Markt liefern. Die technischen Entwickler ließen kaum eine Idee unversucht, die Art, wie wir Computerspiele bedienen und erleben, zu revolutionieren. Von den ersten Virtual-Reality-Konzepten wie dem "Nintendo Virtual Boy", der mit einer auf schwarz/roter Vektorgrafik basierenden 3D-Brille Augenschäden und Kopfschmerzen verursachte, bis zu den modernen VR-Brillen wie Oculus Rift und von alternativen Bedienkonzepten wie dem Power Glove [1] bis zur modernen Touchpad-Steuerung von Tablet und Handy befinden sich Computerspiele und unser Kontakt mit Ihnen in einem stetigen Wandel.


Eine weiße Spielekonsole mit Holzapplikationen und einem mechanischen Bedienelement mit Drehreglern - Foto: By Evan-Amos (Own work) [Public domain], via Wikimedia Commons

Die erste Heimspielekonsole der Welt: Magnavox Odyssey
Foto: By Evan-Amos (Own work) [Public domain], via Wikimedia Commons


Die Grenzen des Mediums beugen - der Dialog mit dem Spieler jenseits von Hack and Slash

Dabei haben die Entwickler auch immer wieder versucht, mit ihren Spielinhalten alternative Wege zu beschreiten und so das Medium als künstlerische und philosophische Plattform zu nutzen. Ein bekanntes Beispiel dafür ist der Titel "Deus Ex", der im Jahr 2000 auf dem PC erschien und bis heute als eines der besten Spiele aller Zeiten gilt. Der Hybrid aus Shooter und Rollenspiel ist im Setting einer dystopischen Cyberpunk-Zukunft angesetzt und lässt dem Spieler in jeder Situation die Wahl zwischen mehreren Herangehensweisen, eine Herausforderung zu bewältigen. Jede Entscheidung wirkt sich im Lauf der verzweigten Story auf alle weiteren Handlungsoptionen des Spielers aus. Die im Programmcode hinterlegte Moral-Skala bewertet die Handlungen dynamisch und der Spieler kann so die Persönlichkeit seines Avatars selbst bestimmen. Dieses Konzept war zum damaligen Zeitpunkt einzigartig und "Deus Ex" das erste große, kommerzielle Spiel, das dem Spieler die Wahl ließ, das Ende des Spiels zu erreichen, ohne dafür einen einzigen Gegner töten zu müssen. Die spielbare Geschichte war komplex und anspruchsvoll. Sie diskutierte neben den ethisch-moralischen Entscheidungen, vor die der Spieler gestellt wurde, auch Themen wie den Transhumanismus und die Freiheitsberaubung des Individuums durch repressive staatliche Organisationen. Im Vorfeld wurden die Randbedingungen, sowohl für die politischen Umstände als auch für die im Spiel behandelte Nanotechnologie, exakt recherchiert und während des Spielverlaufes in diversen audiovisuellen Formaten erklärt. "Deus Ex" brach mit diesem Konzept mit dem üblichen Hau-drauf-Schema der klassischen Videospiele und es gelang der Beweis, dass das Medium ein weitreichendes Potential mit sich bringt.

Ein weiteres Spiel, das bis heute als eines der besten Gesamtwerke gilt, ist das 2005 erschienene "Shadow of the Colossus" vom Spiele-Regisseur Fumitu Ueda. Der Spieler schlüpft in die Rolle des jungen Protagonisten Wander, der versucht, ein Mädchen aus dem Totenreich zu retten. Dabei muss er mit dubiosen Mächten kooperieren, über deren Beweggründe und Absichten der Spieler im Verlauf der Handlung nur Mutmaßungen anstellen kann. Um die Mission zu erfüllen, reitet man durch eine endlose und vollkommen leere Steppe, auf der Suche nach 16 gigantischen, amorphen Wesen, die man töten muss. Die Kolosse greifen dabei, anders als in klassischen Spielen, nicht von sich aus an. Erst nach massiven Provokationen durch den Spieler fangen sie an, zu kämpfen. Es stellt sich dem Spieler dabei stets die Frage, ob es die richtige Entscheidung ist, die friedlichen Wesen zu töten, um die eigene Agenda zu erfüllen. Im späteren Verlauf der Story wird dann deutlich, dass es in dieser Welt gar keine klassischen guten und bösen Fraktionen gibt. Die Frage nach der Rechtmäßigkeit der Handlungen des Spielers bleibt daher offen. Auch in "Shadow of the Colossus" wurde der Versuch unternommen, die Regeln zu brechen, nach denen Computerspiele üblicherweise funktionieren und die Interaktivität des Mediums für eine Diskussion mit dem Spieler zu nutzen. Anders als bei "Deus Ex", ließ man dem Spieler jedoch keine Wahl, sondern zwang ihn, entgegen seiner moralischen Bedenken zu handeln, wenn er die Geschichte fortführen wollte.


Eine Wand mit Bildern von Konzeptskizzen für ein Spiel - Game Masters, Ausstellungsansicht, Foto: © Michaela Hille

Handarbeit kommt vor der Digitalisierung: Konzeptskizzen
Game Masters - Ausstellungsansicht, Foto: © Michaela Hille


Bild, Ton und Interaktion - Kunstwerke entstehen erst durch das Zusammenwirken

"Shadow of the Colossus" gilt aber auch als ein künstlerischer Meilenstein der Spielgeschichte und wird als eines der ersten Beispiele dafür gehandelt, dass ein Spiel auch in seiner Gesamtheit ein Kunstwerk sein kann. Während die meisten Studios bis heute damit auftrumpfen, die Computer Hardware maximal auszureizen und eine immer realistischere Grafik zu produzieren, gingen Fumitu Ueda und sein Team einen anderen Weg. Sie bedienten sich einer gedeckten Farbpalette und eines malerischen Pastell-Stils, die in Verbindung mit dem orchestralen Soundtrack eine wirkungsvolle und wunderschöne Atmosphäre schufen. Eben diese Wirkung entfaltete sich erst durch das Zusammenspiel von Bild, Ton und Gameplay. Seither haben mehrere Entwickler bewiesen, dass das Medium Computerspiel auch für die Vermittlung von inspirierenden Illustrationen und Musikstücken geeignet ist. Obwohl am Ende die Kunst häufig den Begrenzungen von Hardware und Gameplay zum Opfer fällt, zeigen vor allem die vielen Konzept-Skizzen und Charakterentwürfe, dass die Videospielindustrie eine Heimat für viele begabte Illustratoren, Designer und Zeichner ist. Besonders die sogenannten "Indie Games", Spiele, die nicht durch große Entwicklerstudios finanziert werden und vorrangig durch kreative Konzepte auftrumpfen müssen, bieten heute mit liebevoll gestalteten Hintergrundbildern und Charaktermodellen einen neuen Raum für künstlerische Entfaltung.


Screenshot aus einem Indie Spiel. Futuristische Stadt mit kleinen Roboter-Figuren und einem Brunnen in der Mitte des Bildes - Jakub Dvorský Machinarium, 2009 Courtesy: Amanita Design © Amanita Design

Raum für Entfaltung: moderne Indie-Games
Jakub Dvorský Machinarium, 2009 Courtesy: Amanita Design
© Amanita Design

Die Game Masters Ausstellung ist eine sorgfältig zusammengestellte und interaktive Sammlung, in der sich der Besucher stundenlang in den vielen spielbaren Arcade-Maschinen und Konsolen verlieren kann. Neben vielen Video-Interviews mit Spielentwicklern gibt es hunderte Konzeptskizzen, Storyboards und Bildausschnitte zu sehen, die das große Spektrum des Mediums effektvoll vermitteln. Ob man ein enthusiastischer Computerspiel-Fan ist oder sich einfach wundert, was es mit ihnen auf sich hat - diese Ausstellung ist ein guter Startpunkt, um sich mit der Vergangenheit und Zukunft des Kulturgutes Computerspiel zu beschäftigen.

Die Ausstellung ist noch bis zum 23. April 2017 im Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg zu sehen.


Anmerkung:

[1] https://www.youtube.com/watch?v=MYDuy7wM8Gk


5. Dezember 2016


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