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ANALYSE & KRITIK/385: Die Sparpläne der Bundesregierung - Interview mit Stephan Lessenich


ak - analyse & kritik - Ausgabe 551, 18.06.2010

Zynisches Spargehabe
Die Sparpläne der Bundesregierung. Interview mit Stephan Lessenich

Die Bundesregierung hatte sich gleich die Fahrtkosten nach Schloss Meseberg gespart. Die Rotstifte lagen stattdessen im Bundeskanzleramt bereit, wo Schwarz-Gelb das größte Sparpaket aller Zeiten verabschieden wollte. Die Richtung der Beschlüsse ist klar, es trifft die Armen und Ärmsten. Stephan Lessenich, Soziologe aus Jena, Redaktionsmitglied der Zeitschrift Prokla sprach mit ak über die Folgen des Sparhammers und die Möglichkeiten von Protest.


ak: Ist das die Sparorgie, vor der viele Linke seit Monaten gewarnt haben?

Stephan Lessenich: Auf der Linken ist in der Tat schon seit der Bundestagswahl und unter dem Motto "Nach NRW, dann ..." mit einer gewissen Schmerzenslust darauf gewartet worden, dass die schwarz-gelbe Koalition endlich die Maske fallen und den Rotstift regieren lässt. Jetzt geht's also los. Man kann nicht sagen, dass es dabei große Überraschung gegeben hätte: Verschonung der oberen Einkommensklassen und der Vermögenden, symbolische Heranziehung der "Wirtschaft", Luftbuchungen in Sachen Verwaltungsreform, Kürzungen bei Sozialleistungen für Langzeitarbeitslose. Nichts Neues also an der Konsolidierungsfront. Nur das Berliner Stadtschloss hatte niemand auf der Rechnung, bis auf Schäuble. Vielleicht kommt ja hier die gute alte Simulation wieder zum Einsatz - würde zu einem "Sanierungspaket" passen, das angeblich "die Grundpfeiler unserer Zukunft stärken" wird.

ak: Als Guido Westerwelle im Februar den Sozialstaat mit dem Gerede von spätrömischer Dekadenz attackierte, war der Aufschrei groß. Bei Umfragen begrüßten jedoch viele die Debatte um Hartz IV. Was bedeutet das angesichts der Notwendigkeit von Protest gegen das Sparpaket?

Stephan Lessenich: Herr Westerwelle hat den rhetorischen Bogen vermutlich ein wenig überspannt, denn dass in den Niederungen der Armut tatsächlich ein dekadenter Lebensstil Einzug gehalten habe, dürfte auch für den durchschnittlichen Mittelschichtsangehörigen keine unmittelbar naheliegende Vorstellung sein.

Und dennoch: Dass die Hartz-IV-Empfänger ruhig härter rangenommen werden können und sollen, findet nicht wenig Anklang in der Gesellschaft. Das hat verschiedenste Gründe, die von der völligen Unkenntnis der Alltagsrealität von Armut aufseiten der "Mehrheitsgesellschaft" bis hin zu klassischen sozialpsychologischen Mechanismen der angstbesetzten, ressentimentgeladenen Abgrenzung gegen den vermeintlich leistungslosen Bezug von staatlichen Leistungen reichen.

Es ist in der Tat ein Phänomen, dass "Hartz" in der öffentlichen Wahrnehmung zugleich für eine fundamentale politische Fehlentscheidung und für inakzeptable Lebensweisen in der "Unterschicht" steht. So ist es dann auch möglich, dass die mittlerweile auch im Koalitionsmilieu angemahnten "Reformen" der Hartz-Gesetze erneut zulasten der Betroffenen gehen. Größerer Protest ist da nicht zu erwarten, so viel Westerwelle muss sein.

ak: Was bedeuten die drohenden Kürzungen für die politischen Aushandlungen um neue Hartz-IV-Regelsätze nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Februar?

Stephan Lessenich: Das Verfassungsgericht hat in seinem allseits gelobten Urteil ja explizit nicht die Höhe der Regelsätze infrage gestellt, sondern die zweifelhafte Form ihrer Berechnung. Es hat ein Recht auf materielle Grundsicherung dem Grunde und gewissermaßen dem Verfahren, nicht aber der Höhe nach proklamiert. Was jetzt im Zuge des "Sparpakets" geschieht, ist ein weiterer Akt der sozialpolitischen Demütigung der Gedemütigten. Mit der Streichung des Übergangsgelds zum Arbeitslosengeld II wird der soziale Abstieg längerfristig Erwerbsloser weiter beschleunigt. Die schon bislang nur noch symbolischen Rentenversicherungszuschüsse bei ALG-II-Empfang werden nun ganz abgeschafft. Elterngeld wird es für Hartz-Haushalte nicht mehr geben. Man wird in den Ministerialverwaltungen demnächst schon etwas länger nachdenken müssen, wenn es darum geht, der Armutsbevölkerung das Leben noch schwerer zu machen, ihr noch mehr Lebenschancen zu nehmen. Aber es wird ihnen schon noch etwas einfallen.

ak: Kurz vor der Ankündigung, den Rotstift bei den Sozialausgaben anzusetzen, kam Ursula von der Leyen mit einer alten Idee: "Bürgerarbeit". Droht neben Kürzungen ein verstärkter Arbeitszwang?

Stephan Lessenich: Davon wird man wohl ausgehen müssen. Zu den sogenannten Luftbuchungen gehören ja fast fünf Milliarden Euro, die in den nächsten Jahren durch die "effizientere Vermittlung" von Hartz-IV-Empfängern "erwirtschaftet" werden sollen. Wenn arbeitslose Arbeitssuchende das Wort "Effizienz" hören, müssen sie sich warm anziehen. In Sachen formellen und informellen Arbeitszwangs - der Ökonom spricht lieber von "Arbeitsanreizen" - ist das Ende der Fahnenstange noch lange nicht erreicht.

Bemerkenswert ist auch eine andere alte Idee regressiver Umverteilungspolitik, an die Angela Merkel bei der Präsentation der Sparpläne erinnerte: Es gehe darum, den Haushalt zugunsten von "Zukunftsinvestitionen" umzuschichten. Abgesehen davon, dass dieser Begriff immer schon unsinnig war - Vergangenheitsinvestitionen tätigt allenfalls der Bund der Vertriebenen -, erscheinen hier Arbeitslose als bloße Abschreibungsobjekte. Zukunft ist Bildung - über deren sozialstrukturell ungleiche Zugänglichkeit hierzulande mittlerweile auch der Bildungsfernste Bescheid weiß. Es sind solche zynischen Umschreibungen, die das Spargehabe der Bundesregierung doppelt unerträglich machen.

ak: Neue Montagsdemos sind nicht in Sicht. Was tun?

Stephan Lessenich: Erwerbslose haben keine Lobby außer sich selbst. Und es ist schwer vorstellbar, dass sich nun eine soziale Bewegung aus Soziallagen heraus formiert, deren Demoralisierung und politische Hoffnungslosigkeit offenkundig sind. Mit der Aussicht auf eine weitere administrative Drangsalierung der Arbeitslosen ist das Bündnis für ein Sanktionsmoratorium wichtiger denn je, auch wenn seine politischen Erfolgsaussichten durch die Sparrunde nicht eben größer geworden sind. In dieser Situation könnte die nächste "Gesundheitsreform", die nicht mehr lange auf sich warten lassen wird, ein Ansatzpunkt für breitere Gegenmobilisierungen sein. "Ihr macht uns krank": Das gilt nicht nur für die arbeitnehmerseitig zu zahlenden Zusatzbeiträge, und darunter können sich wohl nicht nur Hartz IV-Haushalte etwas vorstellen.

Interview: is


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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Juni 2010