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ANALYSE & KRITIK/386: Krisen-FAQ - Inflation? Staatsbankrott? Generationengerechtigkeit?


ak - analyse & kritik - Ausgabe 551, 18.06.2010

Krisen-FAQ
Inflation? Staatsbankrott? Generationengerechtigkeit?

Von Ingo Stützle


Mit der Finanz- und Wirtschaftskrise kamen die Fragen. Einigen sind wir in den letzten Monaten in den "Handreichungen zum Klassenkampf" nachgegangen (Was sind die Grenzen der Staatsverschuldung? Umverteilung durch Steuern? Was bringt die Bankenabgabe? Was ist Spekulation?). Drei weitere greifen wir an dieser Stelle auf.

Droht Inflation? Die Hyperinflation sei eine deutsche Fantasterei, schrieb Mitte Mai die Wirtschaftszeitung Les Echos aus Frankreich. "Der ganze Euro-Raum darf sich nicht von Wahnvorstellungen anstecken lassen, die aus der Weimarer Republik stammen." Unter Inflation wird im Gegensatz zu einer relativen Preiserhöhung, also der Verteuerung einzelner Waren, ein Anstieg des allgemeinen Preisniveaus verstanden. Oder umgekehrt: eine Entwertung des Geldes.

Warum ist das problematisch? Geld ist das Mittel, das Warentausch und Kapitalakkumulation überhaupt ermöglicht - Marx nennt es das allgemeine Äquivalent. Mit einer starken Entwertung dieses Mittels wird die kapitalistische Verwertung gestört. Weil sich bei einer Inflation auch Schulden entwerten, wurden beispielsweise 1923 Kredite auf Basis von Roggen und Kilowattstunden abgeschlossen. Die Flucht in sogenannte Sachwerte befeuert die Inflation, weil sie die Güternachfrage erhöht. Auch Löhne werden entwertet. In Geld ausgezahlt werden sie nicht automatisch der Inflation angepasst. Damit bedeutet eine Geldentwertung verschärfte Ausbeutung und eine Verschlechterung der Lebensverhältnisse.

Während bei der Beschreibung des Phänomens weitgehend Einigkeit herrscht, scheiden sich die Geister bei der Erklärung von Inflation. Die unterschiedlichen theoretischen Begründungen führen zu verschiedenen Einschätzungen darüber, ob eine Inflation droht oder nicht. Die Neoliberalen (oder "Monetaristen") gehen davon aus, dass einzig die Erhöhung der Geldmenge eine Inflationsgefahr mit sich bringt. Dem lässt sich entgegenhalten, dass sich die Geldmenge nur der Kostenstruktur anpasst: Die Unternehmen geben höhere Kosten - steigende Zinsen, Löhne oder Rohstoffpreise - in Form von höheren Preisen weiter. Eine erhöhte Geldmenge ist demnach Folge, nicht Ursache der Inflation.

Auch das Argument, dass in den letzten Monaten die Märkte mit Geld geflutet wurden, ist kein Argument für drohende Inflation. Unternehmen haben bisher von diesem Geld in Form von Krediten fast nichts gesehen (Kreditklemme). Für Banken sind Kredite an die sogenannte Realwirtschaft eben mit einem hohen Risiko verbunden. Deshalb tummeln sie sich mit dem frischen Geld der EZB auch lieber dort, wo sie sich auskennen - auf den Finanzmärkten. Insofern kann man eher von einer Inflation der Vermögenspreise (Wertpapierinflation, Gold) sprechen. Eine Inflation der Güterpreise ist vorerst nicht zu erwarten. Dies auch deshalb nicht, weil die europaweiten Sparpakete eher deflationär wirken. Die gesellschaftliche Nachfrage wird geschwächt und die Unternehmen werden im verschärften Konkurrenzkampf ihre Preise senken.

Verschuldet sich der Staat zu Lasten zukünftiger Generationen? Bis in die Grünen hinein hat sich inzwischen die Mär festgesetzt, Verschuldung finde auf Kosten zukünftiger Generationen statt. Schließlich müssten diese den Schuldenberg abtragen und die Zinslast schultern. Das ist blanker Nonsens. Es findet keine Umverteilung zwischen, sondern innerhalb der Generationen statt. Und zwar - wer hätte es geahnt - eine von unten nach oben. Denn: Die in der Zukunft anfallenden Zins- und Tilgungszahlungen werden ja an irgendjemand ausgeschüttet. Das bedeutet, nicht nur die Verpflichtungen, sondern auch die Ansprüche werden "vererbt". Es ist deshalb viel relevanter zu analysieren, wer aufgrund von Besitz von Staatsschuldtiteln Zinsen kassiert und wer in Form von Steuern die Zinszahlungen des Staates finanziert.

2008 warf allein die deutsche Staatsschuld 69 Mrd. Euro Zinsen ab. Die Schuldpapiere befinden sich überwiegend im Besitz von Banken, institutionellen Anlegern und Vermögenden, die über genug Einkommen verfügen, um sparen zu können. Die Steuern hingegen werden - dank der Steuerreformen der letzten zehn Jahre - zu ungefähr zwei Dritteln von den Lohnabhängigen finanziert, d.h. von denen, die mit Erspartem vielleicht in den Urlaub fahren, nicht aber in staatliche Wertpapiere "investieren" können. Das bedeutet: Es findet keine Umverteilung zwischen den Generationen statt (die Summe der Forderungen und Verpflichtungen gleichen sich nämlich aus), sondern ein Vermögenstransfer von denjenigen, die aufgrund ihrer Steuern die Zins- und Tilgungszahlungen finanzieren, hin zu jenen, die jährlich als Besitzer von Staatspapieren Milliarden Euro kassieren.

Kann ein Staat Bankrott gehen? Grundsätzlich ja. Staaten sind historisch immer wieder Pleite gegangen. Pleite ist ein Land dann, wenn es seine Kreditverpflichtungen nicht mehr bedient. Das kann aufgrund von realen Finanzierungsproblemen geschehen oder weil ein Land politisch beschließt, den Schuldendienst einzustellen. Auch der Untergang eines Staates als juristische Einheit kann de facto bedeuten, dass angehäufte Schulden nicht mehr bezahlt werden. Das versuchen die Nachfolgestaaten zu vermeiden, da so zwar nicht die Schuld, aber eben auch die mangelnde Kreditwürdigkeit und die Skepsis in deren Währung übertragen wird. Das ist von Nachteil, denn Vermögensbesitzer sind nur bereit, in einer sicheren Währung Kredit zu gewähren (US-Dollar, Euro). Zudem verlangen sie bei Unsicherheit höhere Zinsen. Das spürt beispielsweise die Stadt New York, die 1975 Pleite ging und bis heute vergleichsweise hohe Zinsen für Kredite zahlen muss - als Risikoausgleich, eine Art Strafaufschlag.

Aber Staatspleiten sind keine Sache der Vergangenheit. Die Ratingagentur Moody's hat 13 Zahlungsausfälle im Zeitraum zwischen 1998 und 2008 untersucht. Der durch den Bankrott ausgesetzte Handel mit Staatspapieren kam in den analysierten Fällen erst einen Monat später und im Schnitt mit einem Abschlag von 50 Prozent wieder in Gang. Bei den Pleiten von Russland (1998) und Argentinien (2001/2002) mussten Anleihebesitzer allerdings auf mehr als zwei Drittel ihres ursprünglichen Vermögens verzichten.


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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Juni 2010