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ANALYSE & KRITIK/387: Mit Schwarz-Gelb stellen sich neue Fragen für die Anti-Atom-Bewegung


ak - analyse & kritik - Ausgabe 551, 18.06.2010

Tigerente: nicht so possierlich wie es scheint
Mit Schwarz-Gelb stellen sich neue Fragen für die Anti-Atom-Bewegung

Von Elisabeth Krüger und Martin Nesemann, anti-atom-aktuell


Wenn Blechtonnen zu Demonstrationszwecken als Atommüllfässchen bemalt werden, dann sind die Farben dafür gelb und schwarz. Jahrelang hat sich dabei wahrscheinlich niemand was gedacht. Seit vergangenem Jahr aber ist das anders: plötzlich markiert die Kombination auch die aktuelle Regierungskonstellation. Außerdem kommt es viel häufiger vor, dass jemand ein Fässchen bemalt. Letzteres finden wir gut. Das andere nicht.

Der Slogan "Wichtige Dinge darf man keiner Regierung überlassen" charakterisiert seit langem eine in der Anti-Atom-Bewegung weit verbreitete Grundhaltung - zumindest bei den noch verbliebenen Aktiven. Die allerdings treten - so ehrlich wollen wir sein - in den letzten Jahren nicht mehr ganz so zahlreich in Erscheinung. Zähe Aufklärungsarbeit hat zwar wieder ins öffentliche Bewusstsein gerückt, dass die Atomgrube Asse am Absaufen ist. Im Wendland sorgt die Vorstellung, dass nach zehn Jahren Bauunterbrechung die Arbeiten an einem Endlager für heiße und hoch strahlende Giftstoffe wieder aufgenommen werden sollen, für Unruhe. Dynamik erhielt die Bewegung allerdings ausgerechnet durch die bevorstehende Wahl zum Bundestag.

Aus Erfahrung klug geworden, hatte man sich gegenüber jedwedem Wahlgetöse eine angemessene Unaufgeregtheit zugelegt. Doch je länger 2009 der Werberummel um die Wahl ging, umso häufiger wurde in Anti-Atom-Kreisen der Farbkombination schwarz-gelb eine besondere Bedeutung zugeschrieben. Aus einer Konvention international vereinbarter Gefahrgutkennzeichnung wurde mit einem Mal ein fassbares Gegenüber in Form einer Parteienkonstellation. Mehr und mehr sah sich die Bewegung vor die Aufgabe gestellt, vor einer Übertragung der Regierungsgeschäfte auf ein schwarz-gelbes Atomungeheuer zu warnen.


Die Anti-Atom-Bewegung wird instrumentalisiert

Es wäre nur die halbe Wahrheit, die Schuld für den Verlust einer klaren, anti- oder zumindest außerparlamentarischen Sicht dem Wirken von Grünen oder SPD alleine zuzuschreiben. Natürlich nutzten diese die günstige Gelegenheit, die noch gar nicht so lange zurückliegenden Zeiten vergessen zu machen, in denen sie selbst zur Festschreibung von Atomanlagen ihren Beitrag geleistet hatten: den rot-grünen Castor und die Aufforderung von Jürgen Trittin, bei der Gelegenheit doch brav zu Hause zu bleiben; die Ausweitung der Urananreicherung um das Zweieinhalbfache; die Beseitigung des Entsorgungsengpasses durch den Bau von zwölf neuen Anlagen; die vertragliche Zusicherung des ungestörten Weiterbetriebs in einem klar kalkulierbaren Rahmen.

Es gehörte schon eine besondere Mischung aus Frechheit und Mut bei Rot und Grün dazu, eine Wahlkampfstrategie einzuschlagen, die darauf setzt, dass die Zumutungen rot-grüner Atompolitik bereits nach einer Legislaturperiode aus dem Gedächtnis verschwunden sind. Aber mit ihrer irreführenden Kampagne zum klimarettenden Atom lieferte die Allianz aus Energieversorgern und Union eine Steilvorlage, der sich wohl kein Parteimanager entziehen mochte. Ohnehin war es für sie in Zeiten der Krisen schwierig genug, Themen zu finden, mit deren Hilfe sich die eine Partei von den anderen unterscheidbar machen konnte.

Was auch immer die Gründe waren - der Erfolg gab Grünen und SPD Recht. In der gesellschaftlichen Wahrnehmung wurde die Zuschreibung etabliert, dass eine schwarz-gelbe Regierung eine atomfreundliche, eine rot-grüne dagegen eine atomfeindliche sei. Dass es bisher noch jede Regierung vermieden hat, sich wirklich mit der Atommafia anzulegen, ist vielen nicht klar. Vermutlich, weil die "Atomkraftgegner im Regierungsamt" eine andere Rhetorik bemühen. Sigmar Gabriel zum Beispiel klang häufig so, als könnten alle AtomkraftgegnerInnen noch von ihm lernen. Die konkreten Ergebnisse des Regierungshandelns aber lagen so furchtbar weit gar nicht auseinander.

Die andere Hälfte der Wahrheit ist, dass auch innerhalb der Anti-Atom-Bewegung einige Leute große Chancen darin sehen, den Blick auf einen konkreten Gegner zu fokussieren. Tatsächlich gelang es Ende September, 50.000 Menschen zu einem Thema zu mobilisieren, das eigentlich aus der Mode schien. Als Akteure neuen Stils traten Grüppchen wie ausgestrahlt! oder campact auf den Plan. In kurzer Zeit bauten sie professionell organisierte Kampagnen auf; sie laden Umweltverbände, Gewerkschaften, Kirchen und Parteien zu Strategietreffen, schmieden Bündnisse. Nicht unproblematisch ist das für die Gruppen, die seit langer Zeit kontinuierlich, aber ohne vergleichbare gesellschaftliche Resonanz an atompolitischen Themen arbeiten. In einem Streitpapier, das sich kritisch mit dieser Entwicklung auseinandersetzt, fragt das Berliner Anti-Atom-Plenum "wer ist die Anti-Atom-Bewegung?" - und äußert klare Vorstellungen, wer ihrer Meinung nach nicht dazu gehört.

Aber nützt das? Es lässt sich ja keine und keiner verbieten, Atomanlagen nicht gut zu finden. Das will auch niemand. Viel beängstigender ist es, wenn sich schleichend die Antworten auf die Frage "was macht Bewegung aus?" verändern. "Der Trog bleibt, nur die Schweine wechseln", hieß es auf einem Motivwagen beim Treck nach Berlin - noch waren also die parteiskeptischen Stimmen vernehmbar. Aber bereits da war deutlich, dass viele die Demonstration nicht als Ausdruck des eigenen Wollens empfanden, sondern als Appell, der darauf abzielte, eine schwarz-gelbe Wahlmehrheit zu verhindern.

Das Appellieren setzte sich nach der Wahl fort. Mit ungeheurer Rührigkeit wurden die Koalitionsverhandlungen begleitet. Wochen danach richteten sich die Bemühungen auf die nächste Wahl. Mit dem "ambitionierten Vorhaben", eine 120 Kilometer lange Menschenkette zwischen Brunsbüttel und Krümmel zustande zu bringen, wurde kurz vor der Landtagswahl in NRW ein Bündnis angeboten, in dem sich die VerteidigerInnen des Atomkonsenses in Szene setzen konnten. Die Fernsehbilder am Abend gehörten Sigmar Gabriel und Jürgen Trittin. 140.000 Menschen, die an diesem Tag ihr Unbehagen zum Ausdruck brachten, bildeten die Kulisse. Der Jahrestag der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl, der das Bewusstsein hätte schärfen sollen, dass die "zivile Nutzung" der Atomtechnik Tausende Menschen ums Leben, um ihre Gesundheit und ihr Zuhause gebracht hat, geriet darüber völlig aus dem Blick.

Das passierte nicht einfach so. Diejenigen, die sich diesen großen Zählappell ausgedacht hatten, hatten ausdrücklich dafür gesorgt. Damit sich auch wirklich alle einreihen konnten, verzichteten sie auf die offensive Forderung nach einer sofortigen Stilllegung aller Atomanlagen. Eingeladen war auch, wem, sagen wir mal, eine Verlängerung von Laufzeiten eher ungünstig erscheint. Da ist es nur konsequent, wenn in Lüneburg im Menschenkettenbündnis darüber nachgedacht wird, demnächst eine große Demonstration für nur mäßig bis nicht allzu sehr verlängerte Laufzeiten zu organisieren.


Der grüne Kapitalismus generiert neue Widersprüche

Solch vorauseilendes Unkenntlichmachen eigener Positionen ist schwer zu ertragen. Dass es gar nicht erforderlich ist, bewies das Bündnis im Rhein-Main-Gebiet. Mit ihrer Sofort!-Forderung riefen sie auf zur Demonstration und regionale Grüne wie Sozialdemokraten waren sich nicht zu schade, durch ihre Unterstützung die Kundgebung am AKW Biblis zur größten seit vielen Jahren zu machen. Und das, obwohl mit der Parole "Atomausstieg ist Handarbeit" bewusst ein Kontrapunkt zur Fixierung auf parlamentarische Bemühungen gesetzt wurde.

Um Klarheit bemüht zeigten sich auch die Gorleben-GegnerInnen mit der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg (BI) und Bäuerlicher Notgemeinschaft. Mit einem tapferen Treck - mitten in der Zeit der Frühjahrsbestellung - von Gorleben nach Krümmel versuchten sie, ein Zeichen dafür zu setzen, dass sie sich eben nicht vor andere Karren spannen lassen. Und genau darauf kommt es an: dass sich Bewegung nicht instrumentalisieren lässt. Weder als Wahlhelfer noch als Werbeträger für eine Boom-Branche.

"Energiepolitik wird auf Schiene und Straße verhandelt!" machte die BI-Vorsitzende Kerstin Rudek in ihrer Rede am 30. Jahrestag der Räumung des Hüttendorfs 1004, benannt nach einem Bohrloch, ihr Grundverständnis deutlich. In Geschehen eingreifen und damit unmissverständlich Haltung zum Ausdruck bringen! Gemeinsam mit anderen Möglichkeiten für konkretes Handeln entdecken und erweitern: dafür biete der bevorstehende Castortransport im November Gelegenheit wie sonst selten.

Aber bis dahin wird noch vieles geschehen. So werden Sicherheitsanforderungen an ein Endlager festgeschrieben, der Schwarzbau in Gorleben erhält einen neuen Genehmigungsstempel, die Steuerprivilegien der AKWs werden angetastet, dafür der Gefahrenzeitraum ausgedehnt. Wann und wie genau ist noch Verhandlungssache.

Vor der Bundestagswahl gaben sich die Spitzen der späteren Tigerenten-Koalition noch eindeutig. Der Atom-Konsensvertrag, der auf dem Mist von Rot-Grün gewachsen war, sollte abgelöst werden. Stattdessen stellten sie eine Wiederherstellung energiepolitischer Machtverhältnisse in Aussicht, wie sie seit vier Jahrzehnten in der Bundesrepublik üblich waren. Sauberes Atom für ein besseres Klima hieß eine der schlicht gestrickten Formeln im Wahlkampf; geringer steigende Kosten für Energie war das Versprechen an die Bevölkerungsmehrheit und verlängerte Laufzeiten für längst amortisierte Atomkraftwerke das an die großen Energieversorgungsunternehmen.

Doch kaum war die Regierung aus Union und FDP im Amt, zeigte sich, dass auch in den eigenen Reihen die Widersprüche größer waren als zunächst gedacht. Statt wie angedroht rasch den Ausstieg aus dem Ausstieg zu organisieren, bekundete die Koalition die Absicht, innerhalb eines guten Jahres herauszufinden, was sie energiepolitisch für klug hält. Gängige Interpretation für dieses doch eher zurückhaltend erscheinende Vorgehen war der Hinweis auf die bevorstehende Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen. Sozialdemokratie und Grüne sollten in dem Bemühen, sich mit einem Anti-Atom-Profil als Alternative zu Schwarz-Gelb unterscheidbar zu machen, nicht noch mehr Wasser auf ihre Mühlen bekommen. Wahrscheinlich stimmt an dieser häufig angeführten Begründung auch etwas. Entscheidender dürfte allerdings sein, dass der Konflikt zwischen den verschiedenen Kapitalfraktionen um unterschiedliche Zielvorstellungen bei der Investitionsplanung quer durch alle Parteien geht.


Der Trog bleibt, nur die Schweine wechseln

Längst hat sich nämlich herumgesprochen, dass sich auch im Bereich der erneuerbaren Energieträger im großen Stil Geld machen lässt. Insgesamt stehen keineswegs nur ÖkologInnen der Idee offen gegenüber, mit einer grünen Orientierung ließe sich eine neue Modernisierungswelle des Kapitalismus auslösen. Auf dem Hintergrund der Krisen erscheinen auch den ÖkonomInnen Konzepte eines Green New Deal durchaus als Hoffnungsschimmer. Konservative wie der umweltpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion Josef Göppel finden hier mit Modernisierern wie dem neuen Umweltminister Norbert Röttgen problemlos zusammen. Gegenüber denjenigen, die wie etwa Roland Koch oder Stefan Mappus in klassischer Manier die Interessen der Atomriesen vertreten, haben sie eine immerhin respektierte Position im bürgerlichen Lager aufgebaut.

Auseinander strebende ökonomische und machtpolitische Interessen in einer gesamtgesellschaftlichen Krisensituation gilt es wahrzunehmen und zu analysieren. Aber sich selbst darin verstricken, sich vereinnahmen lassen durch falsche Bündnisse, durch Schielen auf die große Zahl, durch Zurückgehen hinter ursprüngliche und zentrale Forderungen? All das würde selbst eine zahlenmäßig starke Bewegung zu einem leicht integrierbaren Spielball im kapitalistischen Modernisierungsprozess machen.

Der Versuch von Politik und Presse, nach der gelungenen Menschenkette die Bewegung zu einem friedlichen und einschätzbaren Akteur schönzureden, war nicht zu übersehen. Es ist kein Gewinn, wenn sich viele, wie Jochen Stay, der Sprecher von ausgestrahlt!, darüber freuen, dass die Bewegung in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist. Es geht dabei verloren, was Anti-Atom-Bewegung für sich beansprucht: eine starke, unbestechliche gesellschaftliche Kraft zu sein, die auf systemimmanente menschengefährdende und ausbeuterische Verhältnisse aufmerksam macht. Und die grundlegende Veränderung anstrebt.


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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Juli 2010