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ANALYSE & KRITIK/486: Deutschland und die EZB - Geldwertstabilität über alles


ak - analyse & kritik - Nr. 568 - 20.01.2012
zeitung für linke Debatte und Praxis

Kredit und Macht
Deutschland und die EZB: Geldwertstabilität über alles

Von Anna Blume und Nick Sinakusch


Europas Elite ist zerstritten. Vermehrte Käufe von Anleihen der Euro-Länder durch die Europäische Zentralbank (EZB) könnten die Krise stoppen, meint der Niederländische Ökonom Paul de Grauwe. Die DZ Bank sieht in diesen Käufen sogar »die einzige Möglichkeit, den Teufelskreis zu durchbrechen». Die deutsche Bundesregierung hingegen wehrt sich mit aller Macht gegen die EZB-Anleihekäufe. Was wie ein Streit unter FinanzexpertInnen anmutet, ist vielmehr ein Kampf um die Macht in Europa und um den Status des Euro als Weltwährung. Die Materie ist kompliziert, daher der Reihe nach: Was ist das Ausgangsproblem?

Die Finanzmärkte - also die Kreditgeber der Regierungen - haben das »Vertrauen« in einige Länder der Eurozone verloren. Sie zweifeln, ob ihr Geld in Euro-Staatsanleihen noch gut angelegt ist. Diese Zweifel haben in den vergangenen Monaten die Kurse der Anleihen einiger Staaten sinken lassen. Spiegelbildlich sind die Zinsen gestiegen. Damit werden neue Kredite für Regierungen immer teurer, was das Misstrauen der AnlegerInnen anheizt. Die Anleihekurse fallen weiter, die Renditen steigen und so weiter. (1) Immer größere Rettungspakete und Euro-Rettungsfonds haben das »Vertrauen« der Märkte nicht wieder herstellen können.

Allein die EZB könnte diesen Teufelskreis durchbrechen, meint zum Beispiel Holger Schmieding, Chefvolkswirt der Berenberg Bank. Die Zentralbank müsste sich bereit erklären, im Notfall abstürzende Anleihen aufzukaufen. Dies gäbe den AnlegerInnen wieder Sicherheit. Denn »die EZB kann Geld drucken. Sie kann daher jeden Betrag ausgeben, der ihr nötig erscheint. Da die Investoren wissen, dass der EZB niemals das Geld ausgehen kann, wäre eine EZB-Garantie glaubwürdig und würde eine Panik verhindern. Andersherum gesagt: Da die Investoren wissen, dass die EZB bei einer Panik einschreiten würde, haben sie keinen Grund mehr zur Panik und die EZB müsste gar nicht einschreiten«, erklärt Schmieding. (2)

Tatsächlich kauft die Zentralbank bereits Anleihen von Griechenland, Portugal, Spanien und Italien. Seit Mai 2010 hat sie dafür über 212 Milliarden Euro ausgegeben. Doch betont sie stets, diese Käufe seien begrenzt - zeitlich und in ihrer Höhe. Niemand weiß, wann die EZB aufhört, den Markt zu stützen. Folglich schafft ihr Anleihenkaufprogramm bei den AnlegerInnen nicht die Sicherheit, die nötig wäre, um die Krise zu stoppen. »Wir brauchen eine Aussage, dass es nie einen Ausfall italienischer Anleihen geben wird«, sagte im November Allianz-Finanzvorstand Oliver Bäte.

Zur Beruhigung der Märkte müsste die EZB also das Versprechen abgeben, im Notfall unbegrenzt zu kaufen. Dagegen wehrt sich aber insbesondere die Bundesregierung. Denn erstens würde die EZB per Anleihekauf die Kreditzinsen für Krisenstaaten senken, ihre Schuldenlast erleichtern und so den Druck zu sparen von ihnen nehmen. Und ganz allgemein sei zweitens das massenhafte Drucken von Geld durch die Zentralbank ein Stabilitätsrisiko. Spätestens an dieser Stelle steigt der Laie aus und die Fachleute streiten sich.

Noch einmal zurück: Was ist die EZB, und was tut sie? Sie kann als einzige Instanz Geld »drucken«. Was die Zentralbank herausgibt, ist ein exquisites Druckerzeugnis: Papierzettel, die als kapitalistischer Reichtum fungieren. Das können sie, einfach weil die Staatsgewalt sie zum Zahlungsmittel deklariert hat. Die Euro-Zettel repräsentieren den Kredit der Euro-Staatengemeinschaft.

Mit diesen Zetteln »versorgt«, wie es immer so schön heißt, die EZB die Geschäftsbanken. Das läuft über sogenannte Tendergeschäfte: Die Geschäftsbanken geben der Zentralbank Wertpapiere - zum Beispiel Anleihen - und erhalten dafür von der EZB frisch gedrucktes Geld, das der Geschäftsbank als Basis für Kredite an Unternehmen, Regierungen oder Haushalte dient.

Die Zentralbank rückt bei ihren Tendergeschäften also echtes Geld im Tausch gegen Wertpapiere heraus, die lediglich Zahlungsversprechen sind. Damit beglaubigt sie die Geld-Gleichheit der Zahlungsversprechen - allerdings nur über einen festgelegten Zeitraum. Danach wird das Geschäft rückabgewickelt, die Bank nimmt die Anleihe und gibt der Zentralbank das Geld zurück.

Mit ihren Leihgeschäften kreditiert die Zentralbank also lohnende Geschäfte der Banken. Ihr Kredit soll ein Vorschuss auf künftiges Wirtschaftswachstum sein. Funktioniert dies, stößt das neue Geld der EZB tatsächlich vermehrte Kreditvergabe der Banken und diese wiederum vermehrte Akkumulation an, dann setzt diese vermehrte Akkumulation die Geldvermehrung quasi ins Recht. Die Geldmenge wächst, aber die Wirtschaftsleistung auch. So das Ziel.


Deutschlands Interessen gegenüber der EZB

Kauft die EZB jedoch Staatsanleihen, so finanziert sie Regierungen mit gedrucktem Geld, kritisiert die Bundesregierung. Damit nehme die Zentralbank den Druck von den Krisenstaaten, eisern zu sparen und sich das Vertrauen der Finanzmärkte wieder zu verdienen. Über Anleihekäufe der EZB würden die Krisenstaaten zudem deutlich weniger abhängig von Hilfskrediten der EU und mithin von der Zustimmung der Bundesregierung. Genau das wünschen sich die Regierungen der Krisenländer, aber nach deutschem Wunsch soll es nicht geschehen.

Die Bundesregierung stellt klar: Die Macht der EZB zum Drucken von Zetteln, die Geld sind und das Vertrauen der Welt genießen, beruht auf der ökonomischen Macht Deutschlands. Ohne Deutschland im Rücken ist der Euro nichts. Mit ihrer dosierten Ablehnung von Eurobonds, der Aufstockung des Euro-Rettungsschirms EFSF (3) oder den Anleihekäufen der EZB demonstriert die Bundesregierung, dass sie mit ihrer Kreditwürdigkeit nicht für die Kreditwürdigkeit der anderen Staaten einsteht, beziehungsweise: dass die anderen Staaten diese Unterstützung mit Gegenleistungen bezahlen müssen.

Als Gegenleistung verlangt die Bundesregierung Sparpakete, Kürzung von Beamtengehältern, höhere Rentenalter und überhaupt eine kapitalfreundlichere Politik in Europa. Sie nutzt das Bedürfnis anderer Euro-Staaten nach EZB-Hilfen, Euro-Rettungsschirmen oder Notkrediten als Hebel für das eigene Interesse: die Kosten für die Stabilisierung der Eurozone auf die Krisenländer abzuwälzen. Diese Erpressung funktioniert: Die Regierungen sparen, verarmen ihre Bevölkerungen und knüppeln den Widerstand nieder. Demokratische Verfahren werden ausgehebelt, nicht gewählte, »technokratische« Regierungen setzen Sparmaßnahmen durch, ohne Rücksicht auf Wählerstimmen oder die heimische Konjunktur. So regiert Deutschland in Europa durch und zeigt, dass seine Macht weniger in seinem Militär als in seinem Kredit besteht, den die anderen Staaten brauchen, um nicht pleitezugehen.

Dieser Machtzuwachs ist für die Bundesregierung kein Selbstzweck. Sie verfolgt ein Ziel - und auf dieses Ziels besteht sie, wenn sie gegen EZB-Anleihekäufe einwendet, sie seien ein »Stabilitätsrisiko«.

Mit den Warnungen vor einem Verlust der »Geldwertstabilität« verweist die Bundesregierung auf den Zweck der Gründung des Euro: Durch das Zusammenführen der ökonomischen und finanziellen Macht der europäischen Länder sollte eine Weltwährung aus der Taufe gehoben werden - größer und machtvoller als die D-Mark, ein unschlagbares Angebot an die Finanzmärkte, ihr Geld sicher anzulegen. Dies sollte den Regierungen und damit den Unternehmen Kredite zu niedrigen Zinsen eröffnen.

Der Euro sollte ein Mittel in der globalen Konkurrenz der Staaten um den Kredit der Finanzmärkte sein, eine Konkurrenz, die sich derzeit verschärft: 2012 müssen sich die Euro-Länder 870 Milliarden Euro von den Finanzmärkten leihen. Dabei stehen sie »in einem harten Wettbewerb um Investorengelder, da die großen Industrieländer sich dieses Jahr insgesamt 6.000 Milliarden Euro leihen müssen, um auslaufende Kredite zu verlängern«, so die Finanzagentur Bloomberg Anfang Januar 2012.

Vorbild und Konkurrent des Euro ist der US-Dollar: Trotz rasant steigender Staatsschulden vertrauen die Finanzmärkte in das US-Geld, ziehen sich aus Europa zurück und geben stattdessen den Vereinigten Staaten jeden Kredit zu niedrigen Zinsen. (siehe FAQ)


Stabile Währung nur zum Preis von mehr Armut

In dieser Konkurrenz um Kredit könnte der Euro Schaden nehmen, sollte die EZB nun massenhaft Geld drucken, mahnt die Bundesregierung. Denn: Kauft die Zentralbank Staatsanleihen von zweifelhaftem Wert, so kreditiert sie nicht - wie sonst üblich - lohnende Geschäfte der Banken, also eine gelungene Akkumulation. Stattdessen übernimmt sie bloß die Haftung für zunehmend faule Staatskredite. Anders gesagt: Die frisch gedruckten Euros, mit denen die EZB abstürzende Anleihen erwirbt, repräsentieren nicht mehr die Kreditmacht der Euro-Staaten, sondern ersetzen sie. Formuliert wird dies mit der Warnung, durch die Anleihekäufe würde die EZB zu einer Art Bad Bank: »Wer sich mit Fäulnispapieren zudeckt, bekommt irgendwann einen toxischen Schock«, so CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt. (4)

Die vermehrte Kreditschöpfung könnte unter AnlegerInnen also Zweifel in die Solidität des Kreditmittels - des Euro - säen. »Im Gedächtnis der Märkte könnte haften bleiben, dass die EZB im Laufe der Krise Staatsausgaben mit der Notenpresse finanziert hat«, so die Commerzbank. Diese Zweifel will die Bundesregierung unterbinden.

Mit ihrem Beharren auf »Stabilität« und Schuldensenkung und mit ihrer Ablehnung der EZB-Anleihekäufe riskiert die Bundesregierung eine Rezession, eine Eskalation der Krise und mithin das Ende des Euro. Gleichzeitig besteht sie damit aber darauf, dass der Euro entweder ein ebenbürtiger Rivale des US-Dollar wird oder seine Existenzberechtigung aus deutscher Sicht verliert.

Was die deutsche Seite über Spardiktate, Defizitregeln und Schuldenbremsen durchsetzen will, ist das Diktat des stabilen Geldes, das keine Verschuldung duldet, die nicht der Kapitalakkumulation dient. Mit ihrer Warnung vor dem »Gelddrucken« der EZB und ihrer Forderung nach Senkung der Staatsschulden stellt die Bundesregierung klar, dass alles Geld nur ein Ergebnis erfolgreichen kapitalistischen Geschäfts sein darf und auch nur zur Förderung dieses Geschäfts verwendet werden soll. Alles andere ist ein Risiko für die Stabilität des Euro.

Dieser Forderung wollen sich die anderen Euro-Regierungen nicht verschließen: Sie senken die Kosten ihrer Herrschaft über »Sparpakete«, um die unproduktive Verwendung von Euros zu minimieren; zum anderen erhöhen sie ihre »Wettbewerbsfähigkeit« über Lohnsenkungen, um so die produktive Verwendung des Euro zu garantieren. Eine stabile Währung gibt es nur zum Preis von mehr Armut.


Anna Blume und Nick Sinakusch schrieben in ak 566 über den Schuldenerlass für Griechenland.



Anmerkungen:

1) Mit dem Zinsanstieg werden nicht nur Kredite für eine Regierung teurer, sondern für alle KreditnehmerInnen im Land. Denn wie viel Zins beispielsweise ein italienisches Unternehmen oder ein italienischer Privathaushalt zahlen müssen, berechnet sich als Aufschlag zu dem Zins, den der sicherste Schuldner des Landes - die italienische Regierung - zahlt.

2) Berenberg Bank: Euro crisis: The role of the ECB.

3) Deutschland ist mit einem Anteil von 28 Prozent größte Garantiemacht im EFSF.

4) Das Problem wären hier etwaige Zweifel an der Solidität des Euro - und nicht mögliche Vermögensverluste, die die Anleihen der EZB bescheren könnten. Derartige Verluste könnte die EZB - wie jede große Zentralbank - wegstecken. Siehe dazu Commerzbank: »Kann die EZB den Euroraum retten?«,
www.derboersianer.com/uploads/tx_wcresearch/111118_WiF_dt.pdf.


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Quelle:
ak - analyse & kritik, Ausgabe 568, 20.01.2012
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Februar 2012