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ARBEITERSTIMME/198: Hilflos gegen die Krise


Arbeiterstimme, Sommer 2009, Nr. 164
Zeitschrift für die marxistische Theorie und Praxis
- Die Befreiung der Arbeiterklasse muß das Werk der Arbeiter selbst sein! -

Hilflos gegen die Krise


Die Regierungen haben erwartungsgemäß die Banken- und Finanzmarktkrise nicht im Griff. Schlimmer noch: Zur Quantität des in toxischen Papieren angelegten fiktiven Kapitals im globalen Geldmarkt gibt es immer noch (Stand Mai 2009) keine verlässlichen Angaben. "Wir kennen den Wert der Finanzanlagen in den Bilanzen der Banken nicht." sagte das frühere Vorstandsmitglied der Bank of England, Professor Charles Goodhart, in einem Interview mit Die Zeit vom 5. Mai 2009. Dabei dürfte dieser Insider und jetzige Pensionär sich doch jetzt äußern.

Die Folgen für die reale Produktion zeichnen sich nun immer deutlicher ab.


1. Kapitalvernichtung und Arbeitslosigkeit am Beispiel Autoindustrie

Vorbemerkung: Ich konzentriere mich im folgenden auf Beispiele aus Deutschland und den USA, da eine Ausweitung auf andere Länder und Regionen zu ausführlich werden würde.

"Die Branche hat in den zurückliegenden fetten Jahren enorme Überkapazitäten aufgebaut. Die müssen jetzt an die geschrumpfte Nachfrage angepasst werden." (Fiat-Chef Marchionne lt. Spiegel 22/2009, S. 28)

Das Bruttoinlandsprodukt Deutschlands ist im 1. Quartal 2009 um 3,8% gegen das 4. Quartal 2008 gesunken. Die Wirtschaftsinstitute sagen für das ganze Jahr 2009 eine Abnahme von 6-7% voraus. Von derartigen quantifizierten Voraussagen ist zwar nicht viel zu halten, die bürgerlichen Ökonomen haben gerade in der neoliberalen Ära fast immer geirrt; doch daß die Rezession noch bedeutend fortschreiten wird, ist nach den gegenwärtig erkennbaren Entwicklungen kaum zu bezweifeln (siehe Tabellen unten).

Die Überkapazitäten in der Autoindustrie führten nicht nur General Motors und Chrysler in die Insolvenz (nach US-Recht, Chapter 11), sie haben auch schwerwiegende Auswirkungen auf die Zulieferindustrie, und sie werden zu einer Neuformierung der Konzerne nicht nur aber auch in dieser Branche führen müssen.

Überakkumulation auf Kreditbasis führte zu Überkapazitäten (vgl. Arsti Nr. 163, S. 1 ff.), zu in großen Teilen nicht verwertbarem Kapital, das nur - zusammen mit den zugehörigen Arbeitsplätzen - vernichtet werden kann. Eine Anpassung, d. h. eine Verdoppelung der Nachfrage an die Produktionsmöglichkeiten, z. B. durch Abwrackprämie oder entsprechendes für die teureren Segmente würde auch die Regierungen finanziell überfordern - von den ökologischen Auswirkungen zu schweigen. Natürlich spielt sich dieser Prozeß nicht gleichmäßig über alle Branchen, Länder und Konzerne und deren Zulieferer ab. Noch ist nur in einzelnen Fällen erkennbar, welche Firmen (bis auf vielleicht die Markennamen) ausscheiden werden.

Für das Herauslösen von Opel aus dem CM-Konzern wird einige Zeit gebraucht werden. Die USA und Deutschland werden beträchtliche Mengen an Staatsgeldern dafür ausgeben müssen. Der angebliche Investor Magna scheint eher die Rolle des Strohmanns für die russische Sberbank und den Autokonzern Caz in Nischnij Nowgorod zu spielen. Doch egal welche Summen die Steuerzahler, d. h. vorwiegend die Arbeiterklasse, in den neuen Konzern investieren müssen; egal welchen Lohnverzicht die Konzerne den Lohnarbeitern abpressen: An Kapitalvernichtung und damit Massenentlassungen wird kein Weg vorbei führen.

Der Erhalt der Opel-Standorte ist nur ein Scheingefecht, mit dem Ministerpräsidenten und Berthold Huber, IGM-Vorsitzender, beschäftigt werden. Ob nun eins oder zwei der deutschen Werke stillgelegt, oder ob durch Produktionsverlagerungen Kapazitäten in vier deutschen Standorten vernichtet werden, ist ein politisches, d. h. taktisches Problem. Langfristig werden Arbeitsplätze nach Russland verlagert werden, Caz soll auf niedrigem technischen Niveau produzieren. Die Löhne sind erheblich geringer als in Deutschland.

Die Vernichtung von Arbeitsplätzen und der Druck auf das Lohnniveau werden auch bei Opel unabwendbare Folgen sein. Zusätzlich sollen 10 % des Kapitals von Händlern und Beschäftigten aufgebracht werden, d. h. Löhne werden nicht ausgezahlt sondern einbehalten und in Kapitalanteile umgewandelt. Ob das eine gute Sparanlage für die Lohnabhängigen wird? Im ganzen also Lohnverzicht, Übereignung von Steuergeld an private Konzerne. Erhöhung von Massensteuern, Kürzungen bei Sozialausgaben und Renten werden die Folge sein, wenn der Wahlkampf erst vorüber sein wird.

Nicht nur Großfirmen wie Arcandor und Banken stellen Ansprüche auf Kapitalhilfen und/oder Bürgschaften an den Staat. In der Öffentlichkeit weniger beachtet sind auch Mittel- und Kleinunternehmen auf der Bettelliste. Mitte Mai waren es rund 1100 Firmen. Die Gründe sind unterschiedlich. Wenn es nur Liquiditätsprobleme sind, könnten staatliche Subventionen zum Erhalt von Kapital und Arbeitsplätzen beitragen. Wenn Überproduktion der Grund der Schwierigkeiten ist, dann werden staatliche Zuschüsse oder Bürgschaften Arbeitsplatzabbau bestenfalls hinauszögern. So werden Zwischenfinanzierungen die Karstadt Kaufhäuser nur dann retten, wenn die Umsätze erheblich gesteigert werden. Danach sieht es aber nicht aus, weil der Massenkonsum ebenfalls schrumpft.

Weniger Produktion führt nicht allein zu Produktionsverminderung bei den direkten Zulieferern der Autoindustrie, sie führt auch zu geringerer Stahlproduktion, zu weniger Transportkapazität auf Straßen, Schienen und Meeren, damit zu nicht ausgelasteten Werften, LKW- und Bahnfabriken usw.


Export

Die exponierte Position Deutschlands als "Exportweltmeister" zeigt ihre Schattenseiten. Der größere Teil der Exporte aus Deutschland (Autos ausgenommen) sind Investitionsgüter. Durch Rationalisierung und "moderate Lohnpolitik", d.h. kapitalhörige und von Neoliberalismus angekränkelte Gewerkschaften blieben die Lohnstückkosten in Deutschland nahezu konstant. Das schuf Wettbewerbsvorteile und schlug sich in Produktionssteigerungen nieder. Diese Politik rächt sich nun doppelt: Einmal in Überkapazitäten; zum andern in geringer Konsumtionsfähigkeit bei den Massen der Lohnabhängigen. Bei der global einsetzenden Rezession brach der Export im letzten Quartal 2008 ein. Im Maschinenbau betrug der Rückgang im April 2009 58 %. Große Kapazitäten bei Werkzeugmaschinenherstellern liegen vermutlich für lange Zeiträume brach.

Diese Branche ist so eindeutig exportabhängig, daß selbst eine höhere Nachfrage aus dem Inland (wo sollte die aber herkommen?) keine Auslastung bringen könnte. Ob technologische Vorteile der deutschen Herstellerfirmen die Krise überdauern werden, ist nicht sicher.

Ein Teil der Abnehmerländer, der in geringerem Maße von der Krise betroffen ist (Indien, China), kann nur einen kleinen Teil der Kapazitäten in Produktion halten.

Zusätzlich droht die Gefahr des Protektionismus. Alle Regierungen haben zuletzt auf dem G20-Gipfel in London beteuert, daß sie am Freihandel festhalten wollen. Inwieweit diese Vorsätze haltbar sind, ist eine andere Frage. Schon jetzt intervenieren in den USA Senatoren beider Parteien für den Schutz von Industrien in ihren Staaten. Die Parole "buy american" oder "buy british" ist populär.

Bisher (Stand Ende Mai) haben nach öffentlich zugänglichen Angaben die Maschinenherstellerfirmen keine Entlassungen bei der Stammbelegschaft vorgenommen. Es sei zu teuer und zu langwierig nach überstandener Krise den Bestand an qualifizierten Lohnarbeitern wieder aufzubauen, heißt es als Begründung. Man versuche mit Kurzarbeit durchzukommen. Weniger öffentlich wird, daß Entlassungen von Stammarbeitskräften mit z. T. langer Betriebszugehörigkeit wegen hoher Abfindungen und langer Kündigungsfristen teuer und langwierig sind. Wie lange das Kapital diese Strategie durchstehen kann, bleibt abzuwarten. Nicht zuletzt wird es von den Banken abhängen, die mit Krediten die Auftragsflaute überbrücken müßten.

Entlassen wurde natürlich auch in der Auto- und Exportindustrie. Zum einen bei den insolventen Firmen; zum andern traf es Leiharbeiter und solche in befristeten Arbeitsverhältnissen und Scheinselbständige.


Konsum

Bis vor kurzem hieß es noch, die deutschen Verbraucher würden ihre Konsumfreude und -gewohnheiten beibehalten. Das scheint Zweckoptimismus gewesen zu sein. "Im ersten Qnartal haben die Ladenbetreiber nach Angaben des Statistischen Bnndesamtes 3,1 % weniger umgesetzt als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Konsumforscher befürchten, daß sich die Kauflaune angesichts steigender Arbeitslosenzahlen weiter eintrüben wird." (lt. SZ v. 5. Mai 09)

Daß der Gesamtkonsum im 1. Quartal 2009 noch leicht zunahm, liegt an subventionierten Käufen von Autos gegen Abwrackprämien im Segment preiswerter Kleinwagen.

Die alte Gesetzmäßigkeit des Krisenablaufs setzt sich auch in dieser Beziehung durch. Entlassungen und Lohnkürzungen u. a. durch Kurzarbeit senken die Masseneinkommen, die Umsätze der Konsumgüterproduktion sinken und damit setzt sich die Überproduktionskrise auch in diesen Teil der Produktion (Abteilung 2) fort und wirkt zurück auf Abteilung 1 (Produktionsmittelherstellung).

Auch die Konjunkturprogramme zur Unterstützung der Nachfrage, vor allem die "Abwrackprämie" vermochten das vielleicht etwas einzuschränken aber nicht aufzuhalten. Außerdem wird es sich bei einem großen Teil der Autokäufe gegen Prämie um vorgezogenen Konsum handeln. Dafür werden künftig weniger Autos gekauft.

Es ist zu erwarten, daß die Arbeitslosigkeit weiter steigen wird. Die ersten Massenentlassungen sind bereits angekündigt: Schaeffler/Continental, Thyssen/Krupp, Karman u. v. a. werden tausende Lohnarbeiter auf die Straße setzen. Inwieweit die berechtigte Angst der noch ungekündigten Arbeiter und Angestellten weitere Konsumzurückhaltung und höhere Sparneigung verursachen wird, ist, wie alle mit Psychologie zusammenhängenden Probleme, schwer einzuschätzen.


2. Finanzmarkt

"... wie das zinstragende Kapital überhaupt die Mutter aller verrückten Formen ist, so daß z. B. Schulden in der Vorstellung des Bankiers als Waren erscheinen können" (Marx, Kapital Bd. 3, Kap. 29)

Banken und andere Finanzinstitute halten weiter mit Krediten zurück. Das hat unmittelbare und mittelbare Folgen für die Realwirtschaft:

Akkumulation in der realen Wirtschaft wird in normalen Zeiten ganz oder teilweise über Kredit finanziert. Ohne Kredit sind sie nicht möglich. Dasselbe gilt für die Finanzierung von Großprojekten oder für Zwischenfinanzierungen. Das mag sich z. Zt. noch nicht so auswirken, weil bei Umsatzrückgängen ohnehin weniger Kapital akkumuliert wird, aber längerfristig hält es die Akkumulation in engen Grenzen.

Der gesamte Handel erfordert laufend Kreditvorgänge. Wenn der Produktionsbetrieb an den Zwischenhändler liefert, entsteht in der Regel ein Kredit usw. Kreditzurückhaltung macht selbst normale Lieferungen schwierig. Die Geschäftsabwicklung wird schwierig, teuer und unsicher.

Ein großer Teil des Umsatzes an langfristigen Konsumgütern wird durch Konsumentenkredite finanziert. Diese sind z. Zt. sehr viel schwieriger und teurer zu bekommen. Auch das trägt zu rückläufigem Konsum bei.

Der Staat muß also den Banken und anderen Finanzdienstleistern helfen, das Kreditgeschäft wieder in Schwung zu bringen - wenn das kapitalistische Gesellschaftssystem beibehalten werden und wieder funktionieren soll. Was wie eine Hilfe aussieht, bringt eher die Macht des Finanzkapitals zum Ausdruck. Weil ohne das Finanzkapital nichts geht, muß die Gesellschaft diesem zu Willen sein. Das wird brutal ausgenutzt. Die Bourgeoisie und ihre Politiker sind gezwungen, die Steuergelder der Arbeiterklasse zum Ausgleich der Fehlspekulationen heranzuziehen.

An der Macht des Finanzkapitals ändert sich auch durch die "Verstaatlichungen" nichts. Da geschieht nichts anderes, als daß die Gesellschaft völlig zugrunde gerichtete Finanzinstitute zu überhöhten Preisen kaufen muß.

Die Menge an "Schrottpapieren" kann niemand genau nennen, deshalb weiß auch keine Bank, ob ein Kredit forderndes Unternehmen oder eine andere Bank nicht schon überschuldet, eigentlich insolvent ist. Nicht nur untereinander haben die Banken berechtigtes Mißtrauen. Auch das produzierende Kapital bekommt weniger Kredit.

Vor allem kleine Mittelständler oder neue Unternehmen klagen darüber, daß sie keine Kredite bzw. nur zu schlechten Bedingungen und hohen Zinsen bekommen.

Zu einem Teil ist die Unsicherheit erklärbar. Immer mehr Anleihen, die vorher als sicher und wenig spekulativ galten, werden nun zweifelhaft, weil die Schuldner u. a. durch die Überproduktionskrise in Schwierigkeiten kommen. Hier schlägt die Entwicklung in der realen Wirtschaft auf das Geldkapital zurück.


Rating-Agenturen

Die Rolle der rating Agenturen ist immer noch wichtig und verheerend. Hatten diese mit übertrieben positiven Bewertungen maßgeblich zum Aufbau der Blase der "subprime"-Papiere beigetragen, so reagieren sie jetzt mit zum Teil abrupten Herabstufungen und verschärfen damit die Finanzkrise. Ob diesen ratings wirklich noch Analysen zugrunde liegen, darf bezweifelt werden. Jedenfalls sind vor allem die drei großen Agenturen (Standard & Poors, Moody's und Fitch) zu Antreibern unrealistischer Entwicklungen in beiden Richtungen geworden und weit entfernt davon Schuldtitel und andere Derivate objektiv zu bewerten.


Bewertungsfragen

Trotz aller objektiven Gründe bleiben die Schätzungen über die Höhe der "toxischen Wertpapiere" stark unterschiedlich. Finanzminister Steinbrück nannte in der Diskussion um "Bad Banks" einen Gesamtbetrag von 250 Mrd. Euro für die deutschen Finanzdienstleister. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) kommt auf 816 Mrd. Euro. Die Finanzinstitute können oder wollen offenbar die Summe ihrer faulen Kredite nicht angeben.

Ähnliches wird aus den USA berichtet. Der "Stress-Test" der US-Banken ergab "nur" rd. 75 Mrd. $ an Trash-Anleihen. Das wäre nicht viel. Fachleute zweifeln diese Ergebnisse aber massiv an.

Zu den neuen Erscheinungen der aktuellen Finanzkrise gehört, daß dank der Deregulierung die in den Bilanzen der Banken aufgeführten "Werte" nicht mehr viel mit den tatsächlichen Vermögensverhältnissen und damit den Risiken der Unternehmen zu tun haben. Das verstärkt natürlich noch zusätzlich Mißtrauen und Verunsicherung.

Marxisten dürfte das weniger überraschen:

"Auch da wo der Schuldschein - das Wertpapier - nicht wie bei den Staatsschulden rein illusorisches Kapital vorstellt, ist der Kapitalwert dieses Papiers rein illusorisch. Man hat vorhin gesehn, wie das Kreditwesen assoziiertes Kapital erzeugt. Die Papiere gelten als Eigentumstitel, die dies Kapital vorstellen. Die Aktien von Eisenbahn-, Bergwerks-, Schiffahrts- etc. Gesellschaften stellen wirkliches Kapital vor, nämlich das in diesen Unternehmungen angelegte und fungierende Kapital oder Geldsumme, welche von den Teilhabern vorgeschossen ist, um als Kapital in solchen Unternehmungen verausgabt zu werden. Wobei keineswegs ausgeschlossen ist, daß sie auch bloßen Schwindel vorstellen. Aber dieses Kapital existiert nicht doppelt, einmal als Kapitalwert der Eigentumstitel (...) und das andre Mal als das in jenen Unternehmungen wirklich angelegte oder anzulegende Kapital." (Marx, Kapital Bd. 3, Kap. 29).

Der "Fortschritt" gegenüber Marx' Zeit besteht darin, daß bei Derivaten und anderen "intelligenten Finanzprodukten" das fiktive Kapital nicht nur doppelt sondern mehrfach zu existieren scheint.

In Deutschland ist die Hypo Real Estate soweit bis jetzt bekannt der größte Pool an Müllpapier. Wirtschaftler und Politiker schätzen sie als "too big to fail" ein - also zu groß um sie pleite gehen zu lassen, weil sie sonst andere Firmen, denen sie Geld schuldet, ebenfalls in die Insolvenz reißen würde. Der Fall Lehman Brothers in den USA, wo dieser Effekt ja tatsächlich eintrat, wird als warnendes Beispiel genannt.

Der Steuerzahler, d. h. im wesentlichen die Arbeiterklasse, wird diese Spekulationsverluste übernehmen müssen. Die Diskussion um "Bad Banks", mit denen dasselbe für die anderen Finanzinstitute vorgenommen werden soll, ist z. Zt. noch nicht abgeschlossen. Es sollen solche Institute für jede einzelne Bank, die das in Anspruch nehmen will oder muß, gegründet werden. Die Finanzierung, d. h. den Kauf der faulen Papiere zu Buchwerten mit einem Abschlag von 10 % übernimmt der Staat über staatlich verbürgte Anleihen. Die jeweiligen Banken müssen Gebühren zahlen. Wenn sie das nicht können, dürfen keine Dividenden ausgeschüttet werden. Die "Bad Banks" müssen langfristig versuchen, möglichst viel der faulen Papiere noch zu Geld zu machen. Wie viel das sein wird, das wagt niemand zu schätzen. Die Aktion soll maximal 20 Jahre laufen. Wenn am Ende ein "Verlust" bleibt, was sehr wahrscheinlich ist, soll die ursprüngliche Besitzerin dafür in mehrjährigen Raten haften. Das sind Vorstellungen, die noch nicht Gesetz sind. Ob es bei diesen Vorstellungen bleibt, halte ich für unwahrscheinlich. Nicht nur im Bundestag sondern vor allem in den Lobbies ist noch nichts entschieden.

Daß die Verursacher der Fehlspekulation wenigstens teilweise und der Möglichkeit nach für die Folgen herangezogen werden, könnte einem Linken ja noch gefallen. Es liegt mir fern, diese Leute zu bedauern. Doch ob solche "sauberen" Banken dann noch Geldkapital bekommen werden um Kredite zu geben oder Großprojekte zu finanzieren, erscheint mir fraglich.

Manches deutet daraufhin, daß dann wieder der Staat das fehlende Eigenkapital zuschießen muß. Dafür werden außer bei der HRE und der Commerzbank noch bei anderen Banken Aktien vom Steuerzahler übernommen. Unter Verstaatlichung hatte ich mir anderes vorgestellt. Ein gutes Geschäft wird es sicher nicht. Welche Summen an Steuergeld dies erfordern wird, ist zur Zeit nicht absehbar.

Auch die Verschärfung der Basel-II-Abkommen, nach dem Banken für Kredite je nach deren Bonität (die aber wieder durch ratings bestimmt wird) einen festen Anteil an Eigenkapital halten müssen, führt vielleicht zu mehr Sicherheit und größerer Vorsicht der Banken bei der Kreditvergabe, doch sie schränkt die Kreditvolumina ein, was durch "verstaatlichte" Banken verhindert werden soll.


3. Folgen der Krise für die "3. Welt"

Die Globalisierung, verstanden als Übernahme neoliberaler Grundsätze durch die Entwicklungsländer, führt jetzt viele dieser Länder in die Katastrophe. Die Subsistenzwirtschaft in zahlreichen Ländern wurde weiter zurückgedrängt, weil WTO, Weltbank und der IWF in der Vergangenheit die Vergabe von Krediten von Auflagen abhängig machten, die diese Länder in die Weltwirtschaft integrieren sollten. Das sollte die wenig industrialisierten Länder zu Wohlstand führen und den Abstand der Lebensstandards zu den industrialisierten Ländern verringern.

Doch die Länder, die dieser Politik folgten, und statt einheimischer Lebensmittel "cash crops", d. h. Weltmarktprodukte liefern wollten, werden nun durch die fallenden Rohstoffpreise ruiniert. "Für 390 Millionen der ärmsten Afrikaner werde sich das Einkommen um 20 % reduzieren. Die Konsequenz: Hunger, der Millionen von Kindern auf Jahre kaum reversible Schäden zufügt." (lt. Sozialismus 4/2009, S. 35)

Bei jeder Rezession werden weniger Erze, Energie, Baumwolle, Nahrungs- und Genußmittel (Kaffee, Kakao usw.) nachgefragt, weil die Industrie bei fallender Produktion weniger von diesen Rohstoffen benötigt und die Massenkaufkraft auch für Genußmittel weniger Absatz zuläßt.

Entsprechend können die betroffenen Länder vor allem Afrikas auch weniger Nahrung, Medikamente, Textilien usw. einführen. Sie werden sich sogar weiter einschränken müssen, auch weil für die Importeure weniger Kredit zur Verfügung steht.

Auch in der Wirtschaftsgeschichte der Industrieländer gibt es Beispiele dafür, daß bei unterbrochener Zufuhr aus Ländern mit Monostrukturen Krisen sowohl in den Herstellungs- wie in den Abnehmerländern ausbrachen wie z. B. bei der Baumwollkrise ab 1861 in Großbritannien und den amerikanischen Südstaaten. Ähnliches droht, wenn auch in anderer Erscheinungsform, in Afrika.

Der Nahrungsmangel nimmt zu, die Zahl unterernährter Menschen wächst.

Bei Fortdauer der Krise in den entwickelten Ländern wird sich die Situation verschlimmern, weil immer weniger Nahrung importiert werden kann.

Zusätzlich werden Arbeitsimmigranten, deren Überweisungen an ihre Familien in den jeweiligen Heimatländern zu deren Lebensunterhalt oder sogar zum Aufbau bescheidener Gewerbebetriebe beitrugen, zurückgeschickt oder arbeitslos.


4. Globale "Bekämpfung" der Krise

Die Regierungschefs der 20 wichtigsten Staaten (?) waren sich Anfang April einig. Die Unternehmen, vor allem der Finanzwirtschaft, müssen wieder stärker kontrolliert werden. Die Off shore Steuerparadiese mit geringer bzw. ganz fehlender Aufsicht über die Bilanzen ihrer Briefkastenfirmen werden abgeschafft. Na prima!

Leider können Gesetze für eine Re-regulierung der Finanzaufsicht nicht von internationalen Konferenzen, und seien sie noch so hochrangig besetzt, beschlossen werden; sie müssen von den jeweiligen Nationalstaaten in Gesetzesform gebracht und vor allem international aufeinander abgestimmt werden. Das wäre ein Jahrhundertwerk.

Es wurden Reformkommissionen eingerichtet von denen man seither nichts mehr gehört hat. Das ist kein Wunder bei dieser überaus umfangreichen und komplizierten Materie.

Schon bei der Konferenz in London zeichneten sich zwei recht unterschiedliche Tendenzen ab. Die angelsächsischen Länder zogen liberalere, die kontinentaleuropäischen strengere und präzisere Regeln für die Kontrolle von Banken vor. Osteuropäische Länder schlagen sich auf die Seite der USA und Großbritannien. Abgestimmte Gesetze sind aber bei einer globalisierten Finanzwirtschaft unbedingt notwendig, weil die Spekulanten sie sonst durch Wechsel von einem zum anderen Finanzplatz umgehen werden. Schon jetzt drohen Banker mit der Verlagerung des Finanzplatzes London nach Asien.

Es ist vom heutigen Stand aus unmöglich vorherzusagen ob vom G20- und von den diversen EU-Gipfeln überhaupt etwas herauskommen wird außer Showbusiness. Auch die Pläne der EU haben wenig Aussicht auf Erfolg: "Der west-östliche Widerstand zeigt schon jetzt erste Erfolge: Eine schlagkräftige europäische Aufsichtsbehörde dürfte es in Zukunft kaum geben." (Spiegel 23/2009, S. 73) Die Finanzwelt scheint auch vorerst wenig beunruhigt zu sein. Die deutschen Bilanzierungsgesetze sehen nach wie vor alle Möglichkeiten vor, mit denen Unternehmer ihre wahre finanzielle Situation verschleiern oder wenigstens beschönigen können. Der Neoliberalismus ist offenbar etwas schweigsamer geworden; er ist aber weiterhin mächtig.

Der Bekämpfung der Off shore Steuerparadiese war dagegen glänzender Erfolg beschieden: Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) sollte eine Liste erstellen, die Steueroasen rücksichtslos an den Pranger stellen würde. Die Liste war schnell fertig. Sie enthielt kein einziges Land: " Wer gegenüber der OECD beteuerte, sich künftig an die internationalen Verabredungen halten zu wollen, wurde spontan in den Kreis der vermeintlich Geläuterten aufgenommen." spottet selbst der Spiegel (16/2009, S. 72), der bis vor kurzem selbst stramm neoliberale Standpunkte vertrat.


5. Deutsche Konjunkturprogramme

Die wesentlichen bereits beschlossenen Gesetze und wem sie hauptsächlich zugute kommen, haben wir in Arsti 163, S. 7, Grafik 4 aufgeführt. Sie belaufen sich nach staatlichen Angaben auf rd. 82,5 Mrd. Euro. Dazu kommen Bürgschaften in Höhe von rd. 100 Mrd. Letztere dürften wegen angekündigten weiteren Hilfen für Banken und Industriebetriebe (Opel, Schaeffler usw.) noch deutlich ansteigen. Wieviel dieser Bürgschaften ausgabewirksam werden, ist nicht abzusehen.

In den nächsten Wochen muß die Bundesregierung einen zweiten Nachtragshaushalt mit neuerlicher Schuldenaufnahme vorlegen. Das dürfte nicht der letzte Nachtragshaushalt bleiben. Es ist die höchste Nettoverschuldung seit Bestehen der Bundesrepublik. Weil der erhöhten Geldmenge kein Gleichwertiges an Waren, an Wert, gegenüber steht, sind inflationäre Entwicklungen in der Zukunft nicht auszuschließen. Auch die Sozialkassen rutschen immer tiefer in die Miesen, weil Beitragseinnahmen geringer und Ausgaben tendenziell höher werden.

Dabei ist die Bundesrepublik bei der EZB und international noch kreditwürdig. Sie muß nur Zinsen in Höhe von wenig über 3 % bezahlen. Andere EU-Länder sind schlechter dran. Griechenland z. B. zahlt über 6 %. Ungarn konnte keine Kredite von Banken mehr bekommen und mußte vom IWF gerettet werden.

Auch Staaten können zahlungsunfähig werden. Sie müssen dann ihre Schulden streichen oder mindern, ihre Gläubiger also ganz oder teilweise enteignen (aber ohne Entschädigung). Im letzten Jahrhundert kam das in Deutschland zweimal vor. Dergleichen steht bei uns derzeit noch nicht vor der Tür. Es sollte aber festgehalten werden, daß auch Staatsbankrotte zum Kapitalismus gehören. Schuldenmacher sollten das bedenken.


Programme und Wahlkampf

Die Zahl der Vorschläge zur Beseitigung der Krise und der Vermeidung von Massenentlassungen ist unübersehbar. Daher nur einige Beispiele:

Die Parteien fordern Steuersenkungen. Dabei ist der Staat jetzt schon überschuldet. Das Steuersystem ist zweifellos zu kompliziert und ungerecht. Steuerreform war bisher immer ein Schlachtfeld für die Lobby. Alle Reformen bis heute machten das System noch unübersichtlicher und ungerechter.

Herr Hundt, Arbeitgeberpräsident, fordert Entlastung der Unternehmen von Sozialbeiträgen. Kollege Huber, IGM-Vorstand, fordert einen staatlichen Fonds in Höhe von 100 Mrd. Euro aus dem Unternehmen, die Entlassungen planen (oder dies vorgeben), subventioniert werden sollen. Herr Hundt und Kollege Berthold übersehen, daß die überkapazitäten dadurch nicht - geringer werden. Entlassungen werden also nicht vermieden sondern höchstens hinausgeschoben.

Es gibt zweifellos auch Reformen, die vom Standpunkt der Arbeiterklasse positiv zu bewerten und zu unterstützen sind. Das gilt vor allem für die Verlängerung der Kurzarbeit auf jetzt 24 Monate. Auch das wird den Abbau von Berproduktion nicht verhindern, sie aber für einen großen Teil der Betroffenen erträglicher machen. Dasselbe gilt für andere Vorschläge der Gewerkschaften. Rückführung des Renteneintrittsalters auf 65 Jahre oder weniger, Verbesserung der Möglichkeiten für Altersteilzeit usw.

Aber daß Überproduktionskrisen zur Vernichtung von Kapital und zu Arbeitslosigkeit führen, ist eines der unvermeidbaren Ergebnisse des kapitalistischen Produktionsverhältnisses.

Stand: 2.6.2009


*


Arbeitslosigkeit in Europa (in %)



NL
Österreich
Italien
Deutschland
Frankreich
Griechenland
Portugal
Irland
Spanien
2008  
  
2,8
3,8
5,8
7,2
7,7
8,0
7,7
6,5
11,3
2010 (Prognose)
5,2     
6,4     
9,5     
9,7     
9,8     
9,8     
10,1     
10,6     
17,6     

Quelle: Institut für Weltwirtschaft, Konjunktureinbruch im Euroraum, Kiel 12.3.2009


Absturz in Europa - BIP-Prognose 2009

Norwegen
Dänemark
Schweden
Griechenland
GB
Frankreich
Niederlande
Spanien
Italien
Deutschland
Portugal
Irland
Polen
Tschechien
Ungarn
Estland
Lettland
-0,5
-2,4
-2,8
-2 
-2,7
-2,9
-3,1
-3,2
-3,4
-3,7
-3,9
-6,5
-0,8
-1,1
-4 
-6 
-8 

Quelle: Institut für Weltwirtschaft, Konjunktureinbruch im Euroraum, Kiel 12.3.2009


Staatsdefizite und -überschüsse in Prozent des BIP



Belgien
Deutschland
Finnland
Frankreich
Griechenland
Irland
Italien
Niederlande
Österreich
Portugal
Slowakei
Spanien
2008  
  
-1,2
-0,1
4,2
-3,4
-5,0
-7,1
-2,7
1,0
-0,4
-2,6
-2,2
-3,8
2010 (Prognose)
-4,5     
-3,9     
-0,8     
-6,6     
-5,1     
-12       
-4,5     
-3,4     
-4,2     
-6,5     
-4,7     
-8,6     

"Defizitgrenze" (3 %)

Quelle: Eurostat, EU-Kommission


*


Quelle:
Arbeiterstimme, Nr. 164, Sommer 2009, S. 1 + 3 - 8
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Juli 2009