Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

ARBEITERSTIMME/213: Zum Stand der "Steuergerechtigkeit" am Beispiel Hessen


Arbeiterstimme, Frühjahr 2010, Nr. 167
Zeitschrift für die marxistische Theorie und Praxis
- Die Befreiung der Arbeiterklasse muß das Werk der Arbeiter selbst sein! -

"Querulatorische, sich selbst überschätzende Durchschnittsbeamte"
Zum Stand der "Steuergerechtigkeit" am Beispiel Hessen

Von Luis Waldheim


Vollzugsdefizite bei der Steuererhebung

Die Steuern müssen unter sozialstaatlichen Vorgaben erhoben und unter sozialstaatlichen (sozial-ökologischen) Aspekten verausgabt werden. Auf beiden Seiten gibt es massive "Vollzugsdefizite" (Finanzämter sind zu 30% unterbesetzt; Steuerfahnder und Betriebsprüfer fehlen; ein Steuerfahnder erwirtschaftet bei jährlichen Gesamtkosten von 80.000 EUR ca. das 10-fache dieser Kosten, also "Mehrergebnisse" von 800.000 EUR usw.).

Auf der Einnahmen-Seite werden die abhängig Beschäftigten über die "Quellensteuer" Lohnsteuer (davon abhängig sind die Kirchensteuern und die Ergänzungsabgabe - irreführend "Solidaritätszuschlag" genannt.) und die anderen "Massensteuern" (wie "Mehrwertsteuer", Mineralölsteuer, andere Verbrauchsteuern etc.) entsprechend dem "Leistungsfähigkeitsprinzip" zur Staatsfinanzierung herangezogen. Als zukünftige neue Großgruppe im Besteuerungsverfahren sind die ehemaligen abhängig Beschäftigten - die jetzigen RentnerInnen - zu nennen. Noch immer gibt es für diese "Kohorten" keine "Bagatellgrenze", unterhalb der eine Heranziehung zur Steuer-Deklaration nicht vorgenommen wird.

"Passive" Einkünfte (Kapitaleinkünfte/ Spekulationserträge etc.) hingegen erfreuen sich nur relativ geringer Aufmerksamkeit der Finanzbehörden (Steinbrück schätzte als Finanzminister jährlich ca. 100 Milliarden hinterzogene Steuern). Wenn Finanzbehörden effektiv arbeiten, werden finanzbehördliche Banken-Betriebsprüfungsgruppen (Frankfurt!) aufgelöst und hochqualifizierte Großbetriebsprüfer bei der Prüfung von Klein- und Kleinstbetrieben eingesetzt. Da geht es nicht zimperlich zu. Die Bankenbetriebsprüfung wird zerschlagen und die Finanzbeamten werden auf zahlreiche Finanzämter verteilt ("Hessen vorn" - aber ganz negativ!). So gehen Know-how und wirksame Steuerfahndungsstrukturen verloren. Dieser Verlust ist eine politisch gewollte "stille Subvention" der Begünstigten, die - wie heute noch deutlicher wird - ihre Vermögen im Ausland angelegt haben und ihre Auslandseinkünfte in der Bundesrepublik Deutschland nicht deklarieren, obwohl das sog. Welteinkommensprinzip gilt. D.h., dass der Steuerpflichtige in der BRD - sofern er hier seinen Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt hat - mit seinen gesamten Einkünften in der BRD der Inlands-Besteuerung unterworfen wird. Die Nichterklärung dieser Einkünfte ist als Steuerhinterziehung eine kriminelle Handlung, die unter das bestehende Steuerstrafrecht zu fassen wäre. Aber: wo kein Kläger - da kein Richter ...


Zinseinkünfte ab 2009

Zinseinkünfte werden ab 2009 über die sog. Abgeltungssteuer mit einem linearen Steuersatz von nur 25% und nicht mehr mit den individuellen Grenzsteuersätzen (von z.Z. höchstens 42% bzw. 45%) besteuert. Diese Kapitalertragsteuer von 25% (plus Solidaritätszuschlag und evtl. Kirchensteuer) ist dem Grunde nach als "Schedulenbesteuerung" der deutschen Steuersystematik wesensfremd und stellt eine Begünstigung der wirklich Reichen dar ...


Nachhaltige Geschäftsbeziehungen zu Finanzinstituten im Ausland

Im neuen Hauptbogen 2009, Zeile 108 (Einkommensteuer-Mantelbogen) findet sich neuerdings die furchteinflößende Frage: "Unterhalten Sie nachhaltige Geschäftsbeziehungen zu Finanzinstituten im Ausland? 1 = Ja oder 2 = Nein" - Es bleibt abzuwarten, wie auf diese Frage von den Betroffenen reagiert wird und wie die Finanzbehörden im Kontext der Steuer-Veranlagung mit den Antworten auf diese Frage umgehen werden ... ("Hornberger Schießen"!?) - Bei Sachverhalten mit Auslandsbezug bestehen erhöhte Mitwirkungspflichten [Paragraph 90 (2) AO (Abgabenordnung)]. Deshalb werden Angaben über das Bestehen nachhaltiger Geschäftsbeziehungen zu Finanzinstituten im Ausland gefordert. Geschäftsbeziehungen sind nachhaltig, wenn sie auf Dauer angelegt sind. Nachhaltige Geschäftsbeziehungen zu Finanzinstituten im Ausland sind deshalb auch gegeben, wenn bei einem Finanzinstitut im Ausland Konten unterhalten werden, einschließlich der von Treuhändern gehaltenen Konten.


Die Nichterhebung der Vermögensteuer begünstigt(e) Steuerverkürzung und Steuerhinterziehung

Seit dem 01.01.1996 wird die "Vermögensteuer" nicht mehr erhoben.Die Vermögensteuer ist aber nicht "verfassungswidrig", wie u.a. von interessierten Politikern immer wieder behauptet wird! Diese Behauptung ist nur ein Vorwand, um die Durchführung einer Besteuerung nach dem Vermögen auszuhebeln; tatsächlich ist die Vermögensbesteuerung nur ausgesetzt.. Laut höchstrichterlicher Entscheidung ist lediglich die ungleiche Bewertung von Immobilien- und anderem Vermögen verfassungswidrig. Bezeichnenderweise wurde es seither von allen Regierungen jeglicher Couleur unterlassen, diese grundgesetzkonform auszugestalten. Damit werden große Vermögen auch nicht mehr finanzamtsbekannt.

Vermögen führt i.d.R. zu einer der (sieben) hiesigen Einkunftsarten. Würde die Vermögensteuer erhoben, könnten die Finanzbehörden zielgerichtet nachhaken und nachfragen und so den Deklarierungsdruck erhöhen. Die Nichterhebung der Vermögensteuer ist ebenfalls mit ihren Weiterungen als "stille Subvention" der Begünstigten zu betrachten und verstößt auf besondere Weise gegen das "Sozialstaatsgebot" des Grundgesetzes (Sozialpflichtigkeit des Eigentums - "Gemeinwohlorientierung" - führt letztendlich auch zu Steuerzahlungen ...).


Die "Steuerfahnderaffäre" in Hessen - erst gemobbt und dann bekloppt: Steuerbeamte werden für paranoid erklärt

Die Bankenprüfungsgruppe des Finanzamtes V in Frankfurt prüfte im Jahr 2000 mit den zur Verfügung stehenden Mitteln die "Deutsche Bank" und die "Commerzbank". Der betriebene Aufwand war erheblich und verhältnismäßig. Zahlreiche "Steuersünden" (vulgo Steuerstraftaten - schon die Verniedlichung ist verräterisch) wurden im Zuge dieser Ermittlungen finanzamtsbekannt. Das bestehende "Steuergeheimnis" (Paragraph 30 AO) verhindert regelmäßig, dass die Ermittlungen öffentlich werden (Vergehen, Namen, Umfang etc. werden z.B. der Presse nicht mitgeteilt). Die Öffentlichkeit hat aber ein großes Interesse, weil dem Staat Steuern in erheblichem Umfang auf kriminelle Weise vorenthalten wurden.

Da "sensible Daten" nun bekannt wurden, dürften die betroffenen Großbanken ihre politischen Kanäle benutzt haben. Zu Beginn der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts gab es eine Gruppe in der JU/CDU, die als Gruppe "Zinsfuß" bzw. "Adel und Banken" bezeichnet wurde und, die Bezeichnungen verraten es, eine große Bankennähe aufwies. Diese CDU-Gruppierung ist heute in der CDU-Hessen wirkmächtig. - Auch wenn das nicht der Fall war, wurden im Ergebnis 1. die Bankenprüfungsgruppe beim Finanzamt V aufgelöst und 2. die Großbetriebsprüfung als eigenständige Struktur aufgelöst. Das fanden dutzende Finanzbeamte/Steuerfahnder nicht in Ordnung. Sie schrieben an ihre Dienstvorgesetzten. Nun begann der Druck auf die Steuerfahnder, was sich in Hessen zur "Steuerfahnder-Affäre" ausweitete. Die Frankfurter Rundschau hat dieses Feld auf hervorragende Weise über Monate hin bearbeitet, so dass die schlimmsten Auswüchse das grelle Licht der Öffentlichkeit erreichten: Ein Nerven-Arzt wurde wegen "fehlerhafter Erstellung von Sachverständigengutachten" verurteilt. Mit diesen Gutachten wurden Steuerfahnder für paranoid erklärt und aus dem aktiven Dienst entfernt. Die anderen Finanzbeamten duckten (was man verstehen kann) sich weg. Aber welche verheerende Auswirkungen hat der Vorgang auf die Steuerverwaltung? Den Finanzbeamten wird jeglicher Mut genommen, sich der "Steuersünder" (ab 250.000 EUR Steuerhinterziehung aufwärts) anzunehmen, da ja dem obersten Dienstherrn (Finanzminister/Ministerpräsident) die Ausschaltung der Kritiker wohl nicht unbekannt gewesen sein konnte. Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss in Hessen soll weitere Klarheit in der Angelegenheit schaffen. Den Opponenten sind messerscharfe und wirklich weiterführende Fragen zu wünschen.

Gerade in Frankfurt und im Frankfurter Umfeld haben zahlreiche (Groß-)Banken Sitz und Geschäftsleitung und natürlich haben auch diese Banken Tochtergesellschaften in den "Steuerschurkenstaaten" (Schweiz, Luxemburg, Österreich, Liechtenstein, Monaco usw. usf.). Alle genannten Länder stehen seit geraumer Zeit nicht mehr auf der "Steuerschurkenstaaten"-Liste der OECD! (...)


Eine Staatsanwältin packt ein (Finanzamt Bochum)

Das Beispiel Hessen steht nicht alleine. Die Bochumer Steuerstaatsanwältin Margrit Lichtinghagen verlässt die Staatsanwaltschaft und wechselt als Richterin an ein Amtsgericht (Dezember 2008). Die mit Steuerhinterziehungen in Liechtenstein (es geht um Millionenbeträge!) befasste Staatsanwältin wird fertiggemacht und quittiert den Finanzamtsdienst. Das Finanzamt Bochum ist für zahlreiche sehr vermögende Liechtenstein-Steuerkriminelle zuständig ... Liechtenstein 'beherbergt' bei einer Einwohnerzahl von ca. 20.000 - 30.000 Menschen ca. 80.000 "Stiftungen" ...


Die "Affäre Wolski"

Diese Angelegenheit beschäftigt seit Monaten ein hessisches Gericht und die Presse. Die Eheleute (es handelt sich um ein Juristenehepaar) gaben über 5 Jahre lang keine Einkommensteuererklärung ab. Jeder kleine Handwerksmeister weiß, dass solche Deklarationen spätestens 5 Monate nach dem Ende des Kalenderjahres abzugeben sind (vgl. Paragraph 149 AO). Die Nichtabgabe einer Pflicht-Steuererklärung ist als Steuerhinterziehungstatbestand (Paragraph 170 AO) zu werten.

Bei den Gerichtsverhandlungen wird offenbar, dass Finanzamtsakten unvollständig sind (...); das Erinnerungsvermögen von Finanzbeamten zu wünschen übrig lässt und es politische Einflussnahmen gibt. Unerklärlich bleibt das Nichttätigwerden der Finanzbehörden etc. - Obwohl beide Eheleute "Organe der Rechtspflege" sind, ist von berufsgerichtlichen Verfahren (Herr Wolski ist als Rechtsanwalt tätig) und disziplinarrechtlichen Maßnahmen (Frau Wolski - eine CDU - Politikerin im Umfeld des Herrn Koch - ist zudem Richterin am Hessischen Staatsgerichtshof!) bisher abgesehen worden.

Beide Eheleute bezogen in der fraglichen Zeit erhebliche Einkünfte, die nicht erfasst wurden (hier geht es auch um Betrugsdelikte!), so dass gemutmaßt wird - mit Blick auf die innere Verfasstheit der Finanzämter -, dass durch Einflussnahmen "von oben" ein wirksames Tätigwerden der Finanzbehörden unterblieb.

1:1-Umsetzung der Vereinbarungen des Koalitionsvertrages:

Das "Wachstumsbeschleunigungsgesetz" - Hoteliers sind nur eine der begünstigten Gruppen

Nutznießer der neu geschaffenen Regelungen sind im Kern großbetriebliche Einheiten (auch wenn behauptet wird, dass die Neuregelungen vor allem dem "Mittelstand" helfen sollen):

1. Bei den sog. gewerbesteuerlichen Hinzurechnungen wird mit Blick auf Mieten und Pachten für unbewegliche Wirtschaftgüter der Prozentsatz von 65 % auf 50 % der Kosten herabgesetzt, so dass geringere Gewerbeertragsteuer anfällt.

2. Die "Zinsschranke" wurde gelockert (die "Zinsschranke" soll verhindern, dass hiesige Konzerne Gewinne nicht auf ihre Tochtergesellschaften im Ausland verlagern können). Die "Freigrenze" wird von einer Million auf drei Millionen EUR erhöht.

3. Wenn Konzernstrukturen untereinander Grundstücksveräußerungen tätigen, unterliegen diese Umsätze nicht mehr der Grunderwerbsteuer.

4. Aufweichungen gab es auch beim GmbH-Mantelkauf. Die gekauften GmbH-"Verluste" können jetzt erhöht zu Gewinnminderungen in Sanierungsfällen führen.

5. Die Beherbergungsleistungen im Hotel-, Pensions- und Gastronomie-Gewerbe werden jetzt nur noch dem ermäßigten Umsatzsteuersatz von 7% unterworfen. Das führt - bei ungeminderten Hotelpreisen etc. - zu höheren Gewinnen der Hoteliers. "Möwenpick" honorierte das mit Großspenden der "Substancia AG" von 1,1 Millionen EUR an die FDP und 820.000 EUR an die CSU (dahinter steht der Milliardär August Baron von Finck, dessen Familie Miteigentümer der "Möwenpick"-Gruppe mit 15 Hotels in Deutschland ist). - Westerwelle sieht, wie das in der Öffentlichkeit wirkt und drischt zur Ablenkung seit geraumer Zeit auf die Ärmsten ("Hartz IV") ein ("müheloses Einkommen", "spätrömische Dekadenz", "Sozialismus"-Vorwürfe etc.).

6. Kindergeld und Kinderfreibeträge werden erhöht. Das Kindergeld je Kind (184 EUR - (20 EUR mtl. höher!) wird durch monatliche Mehrbelastungen, z.B. mtl. Mehrbeiträge zur Krankenkasse von 8 EUR, erhöhte (Kommunal-) Gebühren etc. überkompensiert. Der erhöhte Kinderfreibetrag führt dagegen bei den wirklich Reichen zu jährlichen Mehrentlastungen von bis zu knapp 1.000 EUR je Kind. Das hängt mit der steuerlichen Wirkweise von Freibeträgen im Steuerrecht zusammen (Berechnungen - siehe Anlage!).

7. Auch im Erbschafts- und Schenkungsfall sind gezielt Entlastungen geschaffen worden (Absenkung der Steuertarife in Steuerklasse II, kürzere Behaltensfristen bei übertragenen Betriebsvermögen, gemilderte "Lohnsummenregelung" etc.).

8. Es wurde mit kleinen Abänderungen die alte GWG-Regelung als Option wieder eingeführt. Selbständig bewertbare Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens bis 410 EUR können jetzt wieder im Jahr der Anschaffung voll abgeschrieben werden.


Von CD's, Kriminellen und den aktuellen "Steuerschurkenstaaten"

Die Diskussion über den Ankauf von CD's, die brisante Details zu Steuerhinterziehungsfällen (UBS-Bank/Schweiz!) beinhalten, hat zu Hunderten von "Selbstanzeigen" (Paragraph 371 AO), die Straffreiheit zur Folge haben, in Deutschland geführt. Im Frankfurter Großraum sind schon mehr als 400 Selbstanzeigen bei den zuständigen Finanzämtern (Hofheim, Bad Homburg, Frankfurt I-V etc.) eingegangen. Die Selbstanzeige hat zur Voraussetzung, dass alle Steuertatbestände vollständig erklärt werden müssen, damit man strafrechtlich nicht belangt wird: Steuerhinterziehung kann zu Gefängnisstrafe führen (Paragraph 370 AO).

Verd.di-Experte Reinhard Kilmer berichtete auf der unten geschilderten Gewerkschaftsveranstaltung, wie z.B. Schweizer Banken verfahren. Beim "cash-matching" hat eine Schweizer Bank Kunden in Deutschland, die Geld abheben bzw. einzahlen wollen. Um für die einzahlenden und abhebenden "Kunden" einen möglicherweise riskanten Grenzübergang in die Schweiz (zum Bargeldtransport) oder eine auffällige (sprich nachvollziehbare) Überweisung in die Schweiz zu vermeiden, wird Kontakt zu den "Kunden" in Deutschland durch Vermittlung hergestellt. In Deutschland übergibt der "einzahlende Kunde" dem "abhebenden Kunden" das Bargeld; und in der Schweiz wird buchmäßig ein entsprechender Kontenausgleich vorgenommen (Belastung bzw. Gutschrift). So bleibt "Schwarzgeld" in Deutschland unentdeckt.


Konsequenzen - was tun? - Steuer- und Bankgeheimnis als Monstranzen - Wie schnöde Steuerhinterziehung zu einem antifaschistischen Akt wird

Die Diskussion um die Steuer-CD's hat merkwürdige Blüten getrieben. So sei angeblich das "Bankgeheimnis" gegen die Nazis geschaffen worden; obwohl klar ist, dass Nazis selbst z.B. durch Finanzaktivitäten in der Schweiz Rücksicherung betrieben. Auch das Steuergeheimnis (Paragraph 30 Abgabenordnung) wird missbräuchlich genutzt. Erkenntnisse z.B. im Kontext von Steuerhinterziehung sollen (Finanz-) Beamte nicht der Öffentlichkeit preisgeben können. - Hier müsste geprüft werden, ob bei erheblichem Interesse des deutschen Staates eine Aufhebung möglich wäre.


Frankfurter Gewerkschaftsveranstaltung

Am Montag, dem 01.02.2010, diskutierten im Frankfurter Gewerkschaftshaus Fachleute über "Hessen, eine Steueroase?". Anwesend waren knapp 300 Gewerkschafter. Reinhard Kilmer (ver.di) ist Ermittler beim Finanzamt Bochum, das schwerpunktmäßig Steuerhinterziehung bearbeitet. Er setzte sich für einen strikten Steuervollzug durch eine zu schaffende "Bundessteuerverwaltung" ein. Die 16 Bundesländerfinanzverwaltungen hätten unterschiedliche Interessen; zu gemeinsamer Arbeit kommt es nur nach sehr langwierigen Aushandlungsprozessen. Flächendeckend sollten eigenständige Schwerpunkt-Finanzämter für Steuerfahndung eingerichtet werden (wie in Niedersachsen). Die Zahl der ca. 3.000 Steuerfahnder sollte erheblich aufgestockt werden.

Dr. Wilhelm Schlötterer war leitender Finanzbeamter in Bayern und ist - trotz allem - heute noch CSU-Mitglied. Seine Erfahrungen mit Steuern von einflussreichen Menschen wie Franz Beckenbauer schrieb er in einem Buch nieder: "Macht und Missbrauch". Er prangerte die (bayerischen) Steueraffären an (Amigo-Affäre, "Wienerwald"-Besitzer Jahn, massive Ermittlungsbehinderungen im Steuerstrafverfahren gegen Strauß-Sohn Max Josef etc., ein Finanzminister, der alles genehmigte). Hier sei "Stehvermögen", das nicht jeder hat, gefordert. Aufschlussreich auch seine Äußerungen: Er hat "überlebt"; prangerte die "vorsätzlich falschen Gutachten" des Psychiaters an, mit der die fünf Finanzbeamten aus dem hessischen Staatsdienst entfernt wurden. Von "Bösgläubigkeit der Herren in der Oberfinanzdirektion ..." spricht er. Auf Grund der Organisationsstrukturen der Finanzverwaltung hätte Finanzminister Weimar immer bescheid gewusst; ... "was wusste Roland Koch?"

Matthias Thieme referierte als Redakteur der Frankfurter Rundschau, die seit Monaten ausdauernd und erfrischend hartnäckig berichtet. Thieme spricht von massiven Anfeindungen seitens der hessischen CDU. Die Chronologie der Ereignisse wird von ihm prägnant vorgetragen. Die "Schwarzgeldaffäre" der CDU (1999 bis 2001) mit dem "brutalstmöglichen" Aufklärer Koch spielt ebenfalls als Ausgangspunkt eine Rolle: Die Steuerfahndung nimmt sich der Deutschen Bank und Commerzbank an, die Steuerfahndung wird in diesem Kontext um über 100 Leute aufgestockt; der Amtsleiter des Finanzamtes V schreibt an die Oberfinanzdirektion; es erfolgt z.B. die Anweisung, erst bei über 250.000 EUR tätig zu werden; der Finanzamts-Banken-Koordinator wird versetzt; die Groß-Betriebsprüfung (Frankfurt am Main V) wird zerschlagen; 70 Steuerfahnder protestieren; Steuerfahnder werden gemobbt und dienstentlassen etc. etc. - Thieme wird von einem Diskutanten aufgefordert, ein "Schwarzbuch": Vollzugsdefizite in der Hessischen Steuerverwaltung zu schreiben. Ihm wird empfohlen, sich zu seinem eigenen Schutze gut zu vernetzen.


*


Quelle:
Arbeiterstimme, Nr. 167, Frühjahr 2010, S. 21-24
Verleger: Thomas Gradl, Postfach 910307, 90261 Nürnberg
E-Mail: redaktion@arbeiterstimme.org
Internet: www.arbeiterstimme.org

Die Arbeiterstimme erscheint viermal im Jahr.
Das Einzelheft kostet 3 Euro,
Abonnement und Geschenkabonnement kosten 13 Euro
(einschließlich Versandkosten).
Förderabonnement ab 20 Euro aufwärts.


veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Mai 2010