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ARBEITERSTIMME/252: Tarifrunde 2012 - Ein Erfolg auf ganzer Linie?


Arbeiterstimme, Sommer 2012, Nr. 176
Zeitschrift für die marxistische Theorie und Praxis
- Die Befreiung der Arbeiterklasse muß das Werk der Arbeiter selbst sein! -

Tarifrunde 2012

Ein Erfolg auf ganzer Linie?



Die Tarifrunde der Metall- und Elektroindustrie ist Vergangenheit. In der Nacht zum 19. Mai einigten sich die Tarifparteien in Sindelfingen auf einen neuen Tarifvertrag mit einer 13monatigen Laufzeit. "Kräftige Einkommenszuwächse, mehr Sicherheit für Junge sowie mehr Mitsprache und mehr Geld bei Leiharbeit - das Ergebnis kann sich sehen lassen", beschreibt direkt, das Infoblatt für Funktionäre der IG Metall, das Ergebnis. Dem schließen sich Berthold Huber und die Tarifkommissionen von Baden-Württemberg an. "Wir haben einen Forderungsdreiklang aufgestellt, um die Herausforderungen einer modernen Arbeitswelt bewältigen zu können", sagt Huber am 19. Mai in Sindelfingen. Und wertet das Ergebnis als "guten Kompromiss".


Erhöhung der Löhne und Gehälter

Und in der Tat, auf den ersten Blick sieht das Ergebnis gar nicht so übel aus. Deshalb gilt es zu überprüfen, ob und inwieweit die positive Bewertung des Abschlusses durch den IG Metall-Vorstand gerechtfertigt ist. Beginnen wir mit dem Geld: Der Abschluss sieht die Erhöhung der Löhne, Gehälter und Ausbildungsvergütungen um 4,3 Prozent ab dem 1. Mai vor.

In der Pressemitteilung der IG Metall zum Tarifabschluss ist dazu zu lesen: "4,3 Prozent gleichen die Preissteigerung mehr als aus. Das Ergebnis liegt auch deutlich über dem verteilungsneutralen Spielraum aus Inflation und Produktivitätsanstieg. Die Beschäftigten werden am Wohlstandszuwachs ordentlich beteiligt".

Abgesehen davon, dass das Tarifergebnis, umgerechnet auf 13 Monate, nur bei 4 Prozent liegt, ist die vereinbarte Entgelterhöhung von 4,3 Prozent die höchste Erhöhung seit 10 Jahren. Aus diesem Grunde wird sie auch von den Beschäftigten überwiegend positiv akzeptiert. Trotzdem ist sie alles andere als üppig. Berücksichtigt man noch die Reallohnverluste der vergangenen Jahre und die Einbußen durch lang anhaltende Kurzarbeit, die viele Metaller erlitten, dann ist das vorliegende Ergebnis nicht mehr als der Tropfen auf den heißen Stein. Um die Verluste der Werktätigen auch nur annähernd auszugleichen, wäre eine Entgelterhöhung notwendig gewesen, die weit über der gestellten Forderung gelegen hätte. So wird lediglich der Status quo des vergangenen Jahres gehalten.

Bei ihrer Feststellung, dass das Tarifergebnis "deutlich" über dem verteilungsneutralen Spielraum liege, legten die direkt-Redakteure eine Inflationsrate von 1,9 Prozent und eine Produktivitätssteigerung von 1,0 Prozent zugrunde. Damit ergibt sich nach ihrer Rechnung ein verteilungsneutraler Spielraum von 2,9 Prozent. Nochmals zur Erinnerung: Liegt eine Entgelterhöhung innerhalb dieses verteilungsneutralen Spielraums, ist sie für den Kapitalisten keine Kostenbelastung, die seinen Profit schmälert. Es gibt darüber hinaus auch andere Berechnungen, die auf einen verteilungsneutralen Spielraum von 5 Prozent kommen, wobei hier die angenommene Produktivitätssteigerung in den Betrieben weit höher angesetzt wird.

Doch zurück zu der Berechnung der IG Metall. Die Differenz zwischen diesem verteilungsneutralen Spielraum und der jetzt ausgehandelten Entgelterhöhung liegt auf 12 Monate gerechnet bei 1,1 Prozent. Dieses starke eine Prozent macht es nach Ansicht des IGM-Apparates aus, dass "die Beschäftigten ... am Wohlstandszuwachs ordentlich beteiligt (werden)". Es ist schon unglaublich, was alles getan wird, um ein dürftiges Ergebnis schön zu schreiben. Dabei wissen sie es besser. In einer Information für Angestellte ist zur Begründung der Forderungshöhe zu lesen: "Um 7,4 Prozent ist die Produktivität in der Metall- und Elektroindustrie gestiegen. Das heißt: Bei gleichem Einsatz wurde pro Stunde über 7 Prozent mehr produziert. (...) Um Einkommensverzerrungen zwischen unterschiedlichen produktiven Branchen zu vermeiden, legt die IG Metall stets die Produktivitätssteigerung der Gesamtwirtschaft zugrunde:für 2012 erwartete 1,0 Prozent". Und weiter ist in der besagten Information zu lesen: "Die Unternehmer haben 2011 gut verdient. Entgeltzuwächse über den verteilungsneutralen Spielraum hinaus beteiligen die Beschäftigten daran". Das ist eine glatte Lüge! Die Werktätigen werden in keiner Weise an den Profiten der Kapitalisten beteiligt. Nach Abzug der Steuern und Sozialbeiträge wird es für sie in diesem Jahr bestenfalls ein Nullsummenspiel sein. Mehr auch nicht!

Die Kapitalseite dagegen ist der eindeutige Gewinner. Nicht nur, dass in den Metall- und Elektrobetrieben die tatsächliche Produktivitätssteigerung um 6,4 Prozent über der Berechnungsgrundlage der IG Metall liegt, nein, auch der Anteil der Lohnkosten an den Gesamtkosten ist in der Branche äußerst gering. Er liegt inzwischen nur noch bei durchschnittlich 16,1 Prozent.

Diese Entwicklung fällt inzwischen selbst den bürgerlichen Medien auf. Der Spiegel schreibt in seiner Ausgabe Mitte Mai: "Eigentlich müssten bei so einem Abschluss die Gewerkschaften, jubeln und die Arbeitgeber jaulen, doch die Reaktionen fallen auf beiden Seiten erstaunlich gelassen aus. (...) Das ist natürlich ein guter Abschluss, sagte ein Sprecher des Sportwagenbauers Porsche am Freitag. Er sei für beide Seiten fair". Und der Spiegel kommt bei seiner Betrachtung schließlich zu dem Ergebnis: "der Lohnkostenanteil in der hochtechnisierten Metallindustrie liegt inzwischen so niedrig, dass es sich für die Arbeitgeber längst nicht mehr lohnt, deswegen einen flächendeckenden Streik zu riskieren".

In der betrieblichen Praxis ist der Entgeltabschluss für die Unternehmer also mehr als komfortabel. Sie können die Lohn- und Gehaltserhöhungen wohl aus der Portokasse bezahlen.

Und für die Beschäftigten ist der Abschluss - wie war das noch mal: eine ordentliche Beteiligung am Wohlstandszuwachs? Was will man dazu noch sagen?!


Übernahme der Auszubildenden

Das zweite Forderungselement war die unbefristete Übernahme der Auszubildenden nach dem Ausbildungsende. Hier war in vielen Betrieben in der Vergangenheit die Praxis so, dass, wenn übernommen wurde, eine Befristung der anderen folgte.

In dem neuen Tarifvertrag wurde jetzt, wie auf der Homepage der IG Metall nachzulesen ist, das folgende vereinbart: "Arbeitgeber und Betriebsrat können eine Betriebsvereinbarung abschließen. In dieser Vereinbarung wird der Bedarf, den Arbeitgeber und Betriebsrat gemeinsam feststellen, festgelegt. Auszubildende, die zu diesem 'Bedarf' zählen, werden nach dem neuen Tarifvertrag nach bestandener Abschlussprüfung unbefristet übernommen. Über Bedarf Ausgebildete haben keinen Anspruch auf Übernahme.

Über Bedarf Ausgebildete haben Anspruch auf eine befristete Übernahme von zwölf Monaten. Bisher mussten sie überhaupt nicht weiterbeschäftigt werden. Zusätzlich muss der Arbeitgeber drei Monate vor Auslaufen der Befristung prüfen, ob eine Weiterbeschäftigung möglich ist". Und Detlef Wetzel, Zweiter Vorsitzender der IG Metall, meint sogar: "Die Jungen sind die großen Gewinner des Tarifergebnisses".

Der Spiegel schreibt dazu in der erwähnten Ausgabe: "Auch beim Streitthema Azubi-Übernahme haben sich die Arbeitgeber große Freiräume gesichert. So sieht der Tarifvertrag künftig zwar im Regelfall die unbefristete Übernahme von Azubis nach der Lehre vor - doch die Liste möglicher Einschränkungen und Hintertürchen ist lang".

Die Kritik ist richtig. Auch dieser Teil des neuen Tarifvertrages hat deutliche Schwachstellen. Laut IG Metall wird zukünftig der Personalbedarf von den Betriebsparteien ermittelt und festgelegt. Der Betriebsrat hat dem Unternehmer gegenüber jedoch lediglich ein Beratungs- und kein Mitbestimmungsrecht. Das heißt, juristisch kann der Betriebsrat die Übernahme von Auszubildenden nicht erzwingen. Die regionalen Arbeitgeberverbände haben das auch sofort nach Tarifabschluss ihren Mitgliedsbetrieben gegenüber festgestellt: "Den voraussichtlichen Bedarf bestimmt der Arbeitgeber". Wie kann es auch anders sein! Ohne Not lassen sich die Kapitalisten ihr Direktionsrecht nicht nehmen.

Die Möglichkeiten, die Übernahme der Azubis zu umgehen, sind also sehr umfassend. Wenn die IG Metall, um ihren Abschluss positiv zu verkaufen, sagt: "Die Auszubildenden werden nach bestandener Abschlussprüfung künftig unbefristet übernommen", dann ist das nur bedingt richtig!

Trotzdem sollte man nicht so weit gehen, wie jener Metaller, der im labournet geschrieben hat: "Auf der Ebene der Übernahme der Ausgebildeten hat die IGM außer heißer Luft praktisch gar nichts erreicht". Zwar kann ein Betriebsrat die Übernahme nicht juristisch erzwingen, doch ist mit der neuen Regelung seine politische Ausgangslage deutlich besser geworden. Der Unternehmer muss sich auf Verhandlungen hinsichtlich der Übernahme einlassen. Und dadurch ergeben sich für Betriebsräte in der Folge deutlich verbesserte Möglichkeiten, politisch Druck auf den Unternehmer auszuüben - sofern sie das wollen.

Die Schwachstellen dieser Übernahmevereinbarung werden vermutlich erst zu einem späteren Zeitpunkt zu Tage kommen. Momentan ist der Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften in den Betrieben sehr hoch, so dass in der Metall- und Elektroindustrie die Übernahme von Auszubildenden fast die Regel ist. Spätestens aber, wenn die Konjunktur wieder nach unten rutscht, wird sich die tatsächliche Qualität dieser tariflichen Regelung zeigen.


Leiharbeit zu "fairen" Bedingungen?

Hier wollte die IG Metall Großes erreichen, nämlich die wirkliche Mitbestimmung des Betriebsrates beim Einsatz von Leiharbeitskräften. Und auf der Homepage der IG Metall wird behauptet, das jetzt erreicht zu haben. Wir lesen dort: "Der Einsatz bedarf der Zustimmung des Betriebsrats. Er darf darüber hinaus nur vorübergehend sein. Der Tarifvertrag legt die Kriterien hierfür fest. Unter anderem ist der Einsatz zulässig, wenn im Betrieb spezielle Qualifikationen fehlen oder kranke Beschäftigte vertreten werden müssen. Oder wenn es gilt, Auftragsspitzen abzuarbeiten".

Hier sei festgestellt, das ist keine Veränderung zum juristischen Ist-Zustand! Hier werden die Möglichkeiten, die es jetzt schon gibt, beschrieben! Bereits heute hat der Betriebsrat durch das Betriebsverfassungsgesetz Mitwirkungs- und Beratungsrechte bei allen Angelegenheiten, die die Arbeitsplätze betreffen. Darüber hinaus hat er bei Einstellungen ein Mitbestimmungsrecht. So kann er z.B. gegen eine Einstellung ein Veto einlegen, wenn diese unter anderem gegen einen Tarifvertrag verstößt. Geschieht das, kann der Unternehmer nur dann einstellen, wenn er sich dafür die Zustimmung vom Arbeitsgericht einholt, wie das jüngst bei BMW in Leipzig geschehen ist. Mit der Tarifregelung zur Leiharbeit wird er in Zukunft an diesem Punkt eingeschränkt. Der Einstellung von Leiharbeitern kann er deshalb nicht mehr grundsätzlich widersprechen, weil deren Einsatz jetzt tariflich geregelt ist. Das hat für aktive Betriebsräte zur Folge, dass sich ihre Möglichkeiten, das Gesetz im Interesse ihrer Kollegen zu interpretieren, verringern.

Eine weitere Regelung im Tarifvertrag betrifft die Übernahme von Leiharbeitern: arbeitet ein Leiharbeiter zwei Jahre im selben Betrieb, muss er dort künftig ein Angebot für eine feste Stelle erhalten. Diese Regelung geht voll an der betrieblichen Realität vorbei. Alle Beteiligten wissen, dass es einen Leiharbeiter mit einem so langen Einsatz im selben Betrieb kaum gibt. Im Durchschnitt arbeitet ein Leiharbeiter nämlich nur maximal 12 Monate im selben Betrieb. Diese Tarif-Regelung ist also reine Kosmetik.

Doch es wird noch bescheidener: Der Tarifvertrag sieht vor, dass in freiwilligen (!) Betriebsvereinbarungen Einsatzzweck, Einsatzbereich, Höchstgrenzen und Übernahmeregelungen vereinbart werden können. Ist ein Unternehmer zu einer solchen Vereinbarung bereit, kann er im Gegenzug weitere Arbeitszeitflexibilisierung verlangen. Im Klartext heißt das, dass der Anteil der KollegInnen, die heute bereits wieder 40 Stunden arbeiten müssen, um 12 Prozent erhöht wird. (in BaWü von 18 auf 30 Prozent, in den anderen Bezirken von 13 auf 25 Prozent). Tariflich ist geregelt, dass in einem solchen Fall im selben Umfang 30-Stunden-Verträge (ohne Lohnausgleich) angeboten werden müssen, was aber nur schwer zu verwirklichen sein wird.

Man kommt nicht umhin, festzustellen, dass die IG Metall hier ohne Not der weiteren Aushöhlung der 35-Stunden-Woche zugestimmt hat und damit der völligen Zerstörung dieses Tarifvertrages objektiv den Weg bereitet. In einem sechswöchigen Streik begann vor 28 Jahren der Einstieg in die Arbeitszeitverkürzung. Diese musste in den Folgejahren in heftigen Auseinandersetzungen mit dem Kapital durchgesetzt und verteidigt werden. Und jetzt dieses Zugeständnis! Für einen Tarifvertrag, der, die Leiharbeit betreffend, nicht das Papier wert ist, auf dem er steht. Für die Kapitalisten, die sich nie mit der 35-Stunden-Woche abgefunden haften, ist das mehr als ein Erfolg.

Resümierend kann man feststellen, dass dieser Tarifvertrag nicht zu der Eindämmung von Leiharbeit führt, sondern zu deren Zementierung.


Tarifvertrag mit den Zeitarbeitsverbänden

Obwohl die IG Metall unter den Zeitarbeitern kaum Mitglieder hat, hat sie mit den Zeitarbeitsverbänden BAP und IGZ einen Tarifvertrag abgeschlossen, in dem für die Metall- und Elektroindustrie Branchenzuschläge vereinbart worden sind. Diese Zuschläge liegen laut IG Metall nach einem sechswöchigen Einsatz "(...) zwischen 15 und 50 Prozent (und) bringen Leiharbeitnehmern in der untersten Entgeltgruppe 186 bis 621 Euro mehr Geld im Monat. In der obersten Entgeltgruppe beträgt das Plus 414 bis 1380 Euro. Ab neun Monate Einsatzdauer gilt die Höchststufe von 50 Prozent - die durchschnittliche Einsatzdauer von Leihbeschäftigten in Metallbetrieben liegt darüber". Umgehen können die Metallunternehmer diesen Tarifvertrag nicht, weil mit Gesamtmetall vereinbart ist, dass deren Mitgliedsbetriebe nur noch Verträge mit Verleihfirmen abschließen dürfen, die auch diese Zuschläge bezahlen. Der Tarifvertrag tritt am 1. November in Kraft und hat eine Laufzeit von fünf Jahren.

Obwohl auch in Zukunft Leiharbeiter gegenüber einer Stammbelegschaft deutlich schlechter gestellt sind, sind die Branchenzuschläge natürlich eine deutliche Verbesserung für die betreffenden KollegInnen. Es fragt sich nur, warum die Kapitalisten bereit für dieses Zugeständnis waren. An der gewerkschaftlichen Kraft in den Verleihfirmen kann es nicht liegen, denn diese gibt es dort nicht. Also müssen andere "Argumente" eine Rolle gespielt haben.

Für die Zeitarbeitsverbände lässt sich Frage relativ leicht beantworten. Ihnen blieb nichts anderes übrig, als dieses Zugeständnis zu machen, sonst wären sie in Zukunft nicht mehr in die Metall- und Elektrobetriebe gekommen. Aber warum ging Gesamtmetall diesen Weg mit? Diese frage ist von außen (zur Zeit) nicht zu beantworten. Und fast zwangsläufig entsteht der Eindruck, dass hier gemauschelt wurde. Vielleicht zeigt die Zukunft, welchen Preis die IG Metall bezahlt hat, um dieses Zugeständnis von Gesamtmetall zu erhalten.


Sieger Gesamtmetall

Analysiert man das Tarifergebnis der IG Metall im Gesamten, kommt man zu dem Schluss, dass das Ergebnis weder ein "Rekordabschluss", wie der Spiegel schreibt, ist und auch nicht ein "Ergebnis, sich das sich sehen lassen kann", wie direkt meint. Unter dem Strich ist eindeutig Gesamtmetall der Sieger. Die vereinbarte Entgelthöhe liegt weit unter dem verteilungsneutralen Spielraum der Betriebe, die Übernahmeverpflichtung der Azubis hat genügend Hintertürchen, um sie bei Bedarf umgehen zu können und die neu geregelte Mitbestimmung der Betriebsräte bei Leiharbeit ist reine Kosmetik, verbunden mit der Erhöhung der betrieblichen Flexibilität, die zu Lasten der Belegschaften geht. Lediglich die Branchenzuschläge für Leiharbeiter scheinen eine deutliche materielle Verbesserung für diesen KollegInnenkreis zu sein, wobei der dafür bezahlte Preis nicht bekannt ist.

Mehr war aber für die IG Metall nicht erreichbar, trotz der beeindruckenden Warnstreikzahlen von über 800.000 Metallern. Die Tarifrunde war seitens des Gewerkschaftsvorstandes von vorneherein als reine Verhandlungsrunde angelegt. Ein Streik war nicht gewollt. Man hoffte mit der neu gewonnene "Reputation" im Unternehmerlager zu einem "vernünftigen" Ergebnis zu kommen. Bei einer realistischen Einschätzung der gesellschaftlichen Machtverhältnisse hätte aber auch einem Berthold Huber und einem Detlef Wetzel klar sein müssen, dass man mit qualitativen Forderungen, die tief in das Direktionsrecht der Unternehmer eingreifen, nur mit dem Mittel des Streiks tatsächlich reale Verbesserungen erreicht. Um aber das gesamte Forderungspaket streikfähig zu machen, hätte der Forderungsteil, der die Interessenslage aller Beschäftigtengruppen gleichermaßen betrifft, nämlich das Geld, deutlich höher sein müssen. Bei der so geringen Differenz von 2,2 Prozent zwischen Forderung und Angebot lässt sich ein Streik nicht mehr führen - für die Mitbestimmung von Betriebsräten und für die Übernahme von Auszubildenden alleine aber auch nicht. Deshalb war die Aufstellung der Entgelt-Forderung von 6,5 Prozent das Zeichen an das Unternehmerlager: "Wir wollen euch nichts tun!". Es ist nicht wahrscheinlich, dass aufgrund des jetzt vorliegenden Ergebnisses bei der IG Metall-Spitze ein Nachdenkprozess eintritt, der zu einem zukünftigen veränderten Handeln führt. Verändern kann sich nur etwas, wenn von der Gewerkschaftsbasis entsprechender Druck kommt. Momentan lässt sich ein solcher Druck von aktiven, kritischen Gewerkschaftern nur schwer entwickeln, was nicht zuletzt der Sonderrolle der deutschen Ökonomie in Europa geschuldet ist. Das muss allerdings nicht so bleiben. Dabei haben die Tarifrunden im Metallbereich und bei ver.di gezeigt, dass die Belegschaften durchaus mobilisierbar sind. Besonders positiv dabei war die aktive Beteiligung der Jungen bei Streiks und Aktionen. Das gibt für die Zukunft durchaus Anlass zur Hoffnung.

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Quelle:
Arbeiterstimme, Nr. 176, Sommer 2012, S. 1 + 3 - 5
Verleger: Thomas Gradl, Postfach 910307, 90261 Nürnberg
E-Mail: redaktion@arbeiterstimme.org
Internet: www.arbeiterstimme.org
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. August 2012