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ARBEITERSTIMME/277: Kein Politikwechsel - Das Ergebnis der Bundestagswahl und die politische Lage danach


Arbeiterstimme, Winter 2013, Nr. 182
Zeitschrift für die marxistische Theorie und Praxis
- Die Befreiung der Arbeiterklasse muß das Werk der Arbeiter selbst sein! -

Kein Politikwechsel

Das Ergebnis der Bundestagswahl und die politische Lage danach



Es ist schon seltsam: in den ersten Analysen zum Bundestagswahlergebnis sind sich die linken Gruppen wieder mal nicht ganz so einig. Die "Arbeiterstimme" hatte schon im September vorausgesagt: "Keine Schicksalswahl", kein "grundsätzlicher Politikwechsel". Im Hamburger "Sozialismus" stand hingegen die Überschrift: "Wahlen mit Sprengkraft". In der "Jungen Welt" hieß es: "Alles so schön ruhig", während die UZ Alarm gab: "Es hätte kaum schlechter kommen können". Die "Arbeiterpolitik" sah die Wahl "Im Schatten der europäischen Krisen". In der "Disput", der Mitgliederzeitschrift der PdL, hieß die Überschrift bezeichnenderweise: "Jubeln und Nachdenken".


Rechtskoalition abgewählt

Halten wir uns an die Fakten. Das wichtigste Ereignis wurde von den bürgerlichen Medien bewusst niedrig gehalten: Die Regierung der Rechtskoalition von CDU/CSU und FDP unter Kanzlerin Merkel wurde abgewählt. Im Bundestag verfügen die bisherigen Oppositionsparteien über eine Mehrheit von zehn Mandaten. Nur das weiterhin aufrecht erhaltene Tabugebaren der SPD gegenüber der Partei die Linke verhindert von vornherein eine zahlenmäßig machbare "Linkskoalition" von rosa-rot-grün. Für die Union ist eine neue schwierige Lage entstanden. Sie muss die Regierungsgewalt eigentlich nun mit einem weiter links stehenden Partner teilen.


Fragwürdige Mehrheiten

Durch einen Zugewinn von 3,5 Millionen Stimmen wurden CDU und CSU mit 41,5 % der abgegebenen gültigen Stimmen am stärksten. Geht man jedoch von den Wahlberechtigten aus und berücksichtigt man die 30,6 % der Nichtwähler und ungültig Wählenden, so hat nur ca. ein Drittel der Wahlberechtigten den Parteien der bisherigen Regierungskoalition ihr Votum gegeben. Entgegen dem Triumphgeheul der Medien haben sich in Wirklichkeit nur 32 % der Bevölkerung für Merkel und ihre Politik ausgesprochen. Andererseits: Umfragen sollen ergeben haben, dass eine Mehrheit der Bevölkerung Angela Merkel Sympathien entgegenbringt und sie weiterhin als Kanzlerin wünscht.


Die Macht, das Geld und die Tricks

Undemokratische Verhältnisse und Bestimmungen schränken die Korrektheit demokratischer Wahlen auch in Deutschland ein. Einmal ist das die geballte Medienmacht, die die Rechtsparteien bevorzugt und langfristig Einfluss nimmt. Zum anderen besteht eine undemokratische 5 %-Klausel, die vor allem das Aufkommen neuer Parteien verhindern soll. Dazu kommt eine immer mächtigere Lobby der Konzerne, die üppige Wahlspenden verteilt, wie kurz nach den Wahlen 690.000 Euro von BMW. Durch die 5 %-Barriere wurden diesmal bei der Bundestagswahl sage und schreibe sieben Millionen Wähler um eine parlamentarische Vertretung betrogen (2 Mio. FDP, 2 Mio. AfD, fast 1 Mio. Piraten, 560.000 NPD usf.)


Kleinbürgerliche Illusionen der Massen

Jenseits einer mehr formalistischen Zahlendurchleuchtung muss in den Vordergrund rücken, dass allgemein eine Wechselstimmung nicht vorhanden war. Das "weiter so" war offensichtlich bestimmend. Ein gravierender Politikwechsel ist damit ausgeschlossen. Es ist leider so, dass, wenn man alle diesbezüglichen Parteien zusammen nimmt, über 54% der Wählerinnen und Wähler für Rechtsparteien gestimmt haben. Der neoliberale Grundkonsens aller Parteien (außer der Linkspartei) ließe eine linke Alternative von vornherein nicht zu. Die "Halblinken", wie man SPD und Grüne nennen könnte, waren im Wahlkampf in einem erbärmlichen Zustand und ließen sich von den Rechtsparteien die Themen vorschreiben. Wie die Regierungsparteien klammerten sie die wirklichen Lebens- und Zukunftsfragen nahezu aus. Wenn die lohnabhängigen Wählermassen das so hinnahmen, bewiesen sie damit wieder einmal ihre Ignoranz gegenüber den anhaltenden Sozial- und Wirtschaftskrisen, den Kriegen und Umweltkatastrophen. Die meisten halten sich aber selbst davon kaum für betroffen. Sie ziehen die falschen Schlüsse und glauben, mit der bisherigen Politik ihren kleinbürgerlichen Lebensstandard aufrechterhalten zu können. Deshalb - keine Experimente... Ihre Erfahrungen speisen sich aus den vordergründigen Krisenbewältigungsmaßnahmen der Merkel-Regierung 2008, als diese u.a. mit Unterstützung der Kurzarbeit und mit Konjunkturspritzen für die Auto- und Bauindustrie gegensteuerte.

Die deutsche Arbeiterklasse ist weiterhin auf Sozialpartnerschaftskurs und braucht von der Gewerkschaftsbürokratie nicht extra dazu gedrängt werden. Die Streikfreudigkeit sank nahezu auf Schweizer Niveau.

Nach dem Krieg und der ungeheuren Vernichtung materieller Werte hat es fast ein halbes Jahrhundert lang eine sprunghafte Entwicklung der Produktivkräfte im Kapitalismus gegeben. Die daraus entstandene soziale Befriedung großer Teile der Arbeiterklasse hat zum Schwinden des Klassenbewusstseins beigetragen. Nun sind wir an einem Punkt, wo immer mehr Arbeiter und Angestellte nicht mal mehr die gegensätzliche Interessenlage von Lohnarbeitern und Kapitalisten zu erkennen vermögen. Da überrascht es dann nicht mehr, dass bei der Bundestagswahl CDU und CSU mit 36% den größten Anteil an Arbeiterwählern vermelden konnten. Bei den Angestellten waren es mit 40% noch mehr. Bei der traditionellen "Arbeiterpartei" SPD betrug der Anteil jeweils nur 26%! Bei Der Linken ging dieser Anteil gegenüber 2009 sogar zurück: bei den Arbeitern von 18% auf nun 12% und bei den Angestellten von 12% auf 7%. Vermutlich spielte die Ausländerfeindlichkeit in diesen Schichten dabei eine große Rolle. Auch kehrten manche Gewerkschafter in das Lager der SPD-Wähler zurück.


Schein-sozialdemokratische Ausflüge der CDU/CSU

Im Wahlkampf behauptete Merkel, ihre Regierung sei die erfolgreichste seit der "Wiedervereinigung", mit dem Rekord von über 41 Millionen Menschen in Arbeit. Das zunehmende Prekariat, die Schere zwischen arm und reich, eine niedergehende Infrastruktur und viele andere Missstände mehr wurden bewusst ausgeblendet. Ihr Schlüsselsatz war: "Drei Viertel der Deutschen sind mit ihrer persönlichen wirtschaftlichen Lage zufrieden." Merkel und Seehofer setzten jahrelang auf Populismus.

Forderungen der Opposition wurden entweder übernommen oder verbal als eigene Ideen verkauft, vieles verwässert, wie die Mindestlohnforderung. Aus der Losung einer Reichensteuer und der Wiedereinführung der Vermögensteuer durch Linke, Grüne und SPD konstruierten Union und FDP umgehend mit Hilfe der Medien das Gespenst einer allgemeinen Steuererhöhung, was für ziemlichen Wirbel sorgte. Die Oppositionsparteien brachten es nicht mehr fertig, dieses falsche Bild in der Öffentlichkeit zu korrigieren. Von der Union erhofften sich manche zukünftig einen härteren Kurs gegenüber Flüchtlingen, Euro-Hilfen und EU-Bindungen. Davon nicht überzeugt waren jene 290.000 ihrer bisherigen Wähler, die zur AfD überliefen. Von dem FDP-Absturz profitierte die Union andererseits durch 2,1 Millionen Überläufer.

Der riesige Geheimdienst-Abhörskandal der USA hatte kaum Einfluss auf das Wahlergebnis.


Die Quittung für den krassen Marktradikalismus der FDP

Die FDP war der große Verlierer des Tages. Sie flog nicht nur aus der Regierung, sondern auch aus dem Bundestag. Sie verlor fast 4 Millionen Stimmen und fiel mit nur 4,8 % unter die 5 %-Klausel. Die FDP hatte sich in den letzten Jahren als Lobbyistenpartei selbst entlarvt. Hauptthema war für sie eine Steuersenkungspolitik für die Reichen, ein Versprechen, das sie nicht wie von ihrer Klientel gewünscht einlösen konnte. Vom traditionellen liberalen Freiheitsstreben, wie in der NSA-Affäre, hörte man nichts. Um so mehr trat die Partei als soziale Bremse auf. Der Geschäftsführer des deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes gab sich erfreut: "Der Marktradikalismus ist abgewählt". Das dürfte denn doch voreilig sein.

Der Ruf der FDP nach Leihstimmen aus der Union blieb ungehört. Die Bourgeoisie bevorzugte die Union, der es noch gelingt, die Klassenverhältnisse zu verschleiern. 2,1 Millionen ehemalige FDP-Wähler machten ihr Kreuz bei den Schwarzen, 530.000 gingen zur SPD. Und dann hatte auch noch eine Konkurrenz den Laden aufgemacht: 430.000 wanderten zur AfD ab. Es kann sein, dass die FDP sich unter neuer Leitung und mit Hilfe der Medien nicht vergeblich um eine Wiederauferstehung bemüht.


Anfänge einer rechtspopulistischen Sammlung?

Die AfD, die sogenannte "Alternative für Deutschland", hätte beinahe den Einzug ins Parlament geschafft. Sie erhielt 4,7 %, das waren über zwei Millionen Stimmen. Und das als neue Partei, die inzwischen 17.000 Mitglieder hat. EU-Bedenken und Euro-Kritik standen bei ihr im Vordergrund. Ob sie noch weiter in den Rechtspopulismus abdriftet, wird die Zukunft zeigen. Sie erhielt Zuwachs aus dem Reservoir aller Parteien. Wie weit das Absinken der NPD auf 1,3 % (560.000) und auch der REP damit zusammenhängen, war nicht zu erfahren.


Enttäuschung und Rückzug bei den Grünen

Die Grünen waren enttäuscht über das Ergebnis von 8,4 % und 3,7 Millionen Stimmen. Sie hatten vor allem wieder an die SPD und die CDU Wähler verloren. 2009 hatten sie 10,7% eingefahren. Ihre Erfolge, vor allem in Baden-Württemberg, hatten sie verleitet, an anhaltende Höhenflüge zu glauben. Doch ein Hauptziel, der Atomausstieg, ist nach der Fukushima-Katastrophe Geschichte, das Stuttgart 21-Projekt versandet. Partnerschaft mit der SPD und Linken hin und her, da wurde versucht, vom Thema soziale Gerechtigkeit auch einen Happen abzuzwacken. Die einstige Kriegsgegnerschaft haben die Grünen schon unter dem Zepter von Fischer aufgegeben, als sie seinen Propagandalügen auf den Leim gingen. Mit Steuererhöhungsplänen fiel man bei der eigenen Klientel tüchtig auf die Nase. Nun hatten die Realos Oberwasser, die Halblinken Trittin und Roth mussten abtreten. Die Ökologie soll wieder in den Vordergrund treten, hieß es richtigerweise. Doch dann kam die Abbitte an die herrschende Klasse. Verklausuliert lautete das dann so: Es müssten "mehr Brücken zur Wirtschaft gebaut werden". Hoffentlich nicht zu den Energieriesen. Wie hieß es kürzlich in Brüssel? "Der Ausbau der nuklearen Energieerzeugung soll zum Ziel der EU erklärt werden." Da liegen die Aufgaben. Stattdessen wird erklärt, die Grünen müssten weiter nach rechts rücken!


Die Linke: Erfolg trotz großer Verluste

Die Partei Die Linke musste im Vergleich zur Bundestagswahl 2009 schwere Verluste hinnehmen. Und doch ging nun nach dem Zwist und dem Riss in der Partei in den letzten Jahren mit den erreichten 8,6% (8,7% 2005) und den 3.690.000 Stimmen ein Aufatmen durch die Partei. Sie ist jetzt im neuen Bundestag mit 64 Abgeordneten vertreten, mit 36 Frauen und 28 Männern, je 32 aus Ost- und Westdeutschland. Im alten Bundestag waren es noch zwölf mehr, bei einem 11,9 %-Ergebnis 2009. Ein gewaltiger Aderlass von 1,4 Millionen Wählern verteilte sich ungleich auf Ost- und Westdeutschland. Im Osten stürzte sie von 28,5 auf 21 % ab, im Westen erhielt sie 5,2 statt 8,3 %. Man kann wohl davon ausgehen, dass 23 Jahre nach dem Anschluss der DDR das Nostalgie- und Weltanschauungspotential stark zurückgeht, wie auch die sozialen Proteste gegen Hartz IV usw. Auch die Regionalinteressen gehen mit der Zeit zurück. Dazu kommt, dass in beiden Landesteilen die Protestbewegungen mit der AfD und mit den Piraten neue Anziehungspunkte erhalten haben. Wenn die PdL 340.000 Wähler an die AfD verliert, muss man sich schon fragen, wie weit bei diesen Wechselwählern wirkliches Linkssein und Klassenbewusstsein überhaupt je vorhanden waren, auch bei jenen 120.000, die nun statt links CDU gewählt haben. Auch ist es der SPD gelungen, durch ihre angebliche Linkswende 370.000 Linkswähler wieder zurückzugewinnen.

Die Linke hatte im Wahlkampf stark auf "100 % sozial" gesetzt. Ihre alten Forderungen wie 10 Euro Mindestlohn, Reichensteuer, Mindestrente, Strompreisstop, Mietpreisbremse usw. wurden der PdL teils von SPD und Grünen gestohlen. Grundsätzliche gesellschaftskritische Positionen wurden kaum eingebracht. Darüber gibt es auch weiterhin Streit in der Partei. Die Vorsitzende Kipping verkündet gar, die PdL wolle den "Kapitalismus nicht beseitigen" und Liebig, der in Pankow das Direktmandat eroberte, tritt dafür ein, in der Frage von Militärinterventionen Unterschiede zu machen. Der Streit in der Partei hält weiter an, doch fühlt man sich dem Wähler gegenüber gezwungen, ihn gemäßigter zu führen. Die PdL bleibt eine Union unterschiedlicher linker Kräfte, bei der der sozialistische Flügel in der Minderheit ist. Das kann auch beim Zustand der Klasse, auf die sie sich beruft, nicht viel anders sein. Fraktionsführer Gysi und andere haben im Bundestag die Kriegs- und Rüstungspolitik, die Privatisierungen und die Bereicherungspolitik angeprangert und draußen im Lande ihren Protest propagandistisch verbreitet. Das ist nicht wenig, bei den heutigen ungünstigen Bedingungen. Die PdL kann kein Klassenkampforgan sein, kann aber Vorbedingungen fördern, sich für demokratische Freiheiten einsetzen. Die MLPD hatte kandidiert und ist mit 0,1%, 25.000 Stimmen, gescheitert, wie auch die DKP in drei Wahlkreisen mit 0,1 - 0,3 %.


Die Träumerei von einer Linksregierung

Die von der PdL angestrebte Linkskoalition von rot-rot-grün kam trotz einer Mehrheit nicht zustande. Nicht nur, weil die Mehrheit angesichts politischer Uneinigkeit zu knapp war und auch nicht nur, weil die SPD immer noch die Hoffnung hat, sie könne Die Linke marginalisieren. Die PdL-Führung geht von der Illusion aus, sie hätte mit der SPD und den Grünen zwei ausgesprochen linke Parteien mit linken Wählern vor sich. Das trifft jedoch nicht zu, denn beide Parteien werden von mehreren Flügeln getragen, mit entsprechendem Anhang. Nach Umfragen waren nur 22 % der Bevölkerung für das Zustandekommen einer Linkskoalition eingetreten. Ein Politikwechsel wäre eine Kampfansage an die Bourgeoisie von großer Härte. Nicht nur die rechten Flügel von SPD und Grünen würden das nicht mittragen, die Schärfe der Auseinandersetzung würde diese Parteien zerreißen, die sich Kanzler Schröders Maxime längst zueigen gemacht haben: "Ich kann nicht gegen die Wirtschaft und die Bildzeitung regieren."

Denkbar ist auch noch eine ganz andere Entwicklung zu einer sogenannten "Linksregierung": wenn die PdL ihre linken Kernpositionen aufgibt, sich anpasst und anbiedert. Doch dann macht sie sich selbst überflüssig.


Die SPD - Nur Beifahrer der Union?

Das Wahlergebnis der SPD lag mit elf Millionen Wählern im erwarteten Rahmen. Gegenüber 2009, als sie als Quittung für die Schröder-Politik gewaltig von 34,2 auf 23% abstürzte, hat sie nun auf Grund des schlechten Gedächtnisses ihrer Wähler wieder um 12% aufgeholt. 25,7 % bedeutet, dass die SPD 1,3 Millionen Wähler zurückgewinnen konnte, allein 370.000 von Der Linken. Ihre verlogene Wahlpropaganda von der Partei der "sozialen Gerechtigkeit" hat teilweise doch gefruchtet, ihre Verantwortlichkeit für den sozialen Raubbau der Regierungszeit von "rot"-grün wurde nicht mehr hinterfragt. Indem die SPD soziale Forderungen aus dem Wahlprogramm Der Linken teilweise übernahm, versuchte sie, auf diesem Gebiet die Unterschiede zu verwischen. Von der Losung "höhere Steuern für Wohlhabende" waren die Sozialdemokraten schon vor Ende des Wahlkampfes abgerückt. Vielleicht hätte die SPD mit einem anderen Kanzlerkandidaten mehr Zuspruch erhalten? Steinbrück als "Streiter für soziale Gerechtigkeit" zu präsentieren, war schon eine starke Zumutung. Gehörte er doch zu den Hauptverantwortlichen der Agenda 2010 und galt er doch geradezu als Symbol für kapitalismusfreundliche Politik. Die meisten Gewerkschaftsführungen, an ihrer Spitze DGB-Vorsitzender Sommer, unterstützten mit großem Aufwand durch ihre Presse die SPD, als sei nichts gewesen.

Zu den politisch auch für Deutschland brennendsten Fragen hat auch die SPD im Wahlkampf wenig beigetragen. Wer das kapitalistische System mit allen Fasern vertritt, wie die SPD, muss auch in der Krisenbekämpfung an der Oberfläche bleiben. Eurokrise, EU-Krise, Bankenkrise, Verschuldungskrise usf., da geht es nicht mehr nur um Fehler im System - der Kapitalismus selbst ist der Fehler!

Deshalb kann auch die SPD keine wirkliche Alternative aufzeigen. Da mutet es direkt komisch an, wenn der SPD-Vorsitzende Gabriel verkündet: "Die Bändigung des Kapitalismus" sei mehr denn je die Aufgabe seiner Partei. Er hoffe, "dass wir nicht mal mehr zehn Jahre brauchen ... für die Bändigung des Finanzkapitalismus." Hoffentlich hört Merkel auf ihren künftigen Juniorpartner. Und, die künftigen SPD-Minister werden dann wohl nicht mehr die politische Polizei, genannt Verfassungsschutz, auf die Gegner des kapitalistischen Systems hetzen, oder?

Die laufenden Koalitionsverhandlungen zwischen der Union und der SPD lassen nichts Gutes erahnen. Es wird immer offensichtlicher, dass sich die SPD über den Tisch ziehen lässt, wenn es um den Zugang zu den Fleischtöpfen geht. Außerdem will man ja auch die Wirtschaft nicht verärgern.

58% haben sich für eine Große Koalition ausgesprochen, verkünden die Umfragen. Wichtiger ist, dass dies auch im Interesse der deutschen Bourgeoisie liegen dürfte. Vor allem angesichts der sozialen Opfer, die infolge der Krisenzuspitzungen in den nächsten Jahren dem Volk verordnet zu werden drohen.

Unruhen, Proteste und Streiks sind schlecht für die Geschäfte. Ein politisch angeschlagener Juniorpartner SPD, und in ihrem Bannkreis die Gewerkschaften, kann da zum Stillhalten manches beitragen. Je schwächer die Opposition, umso besser. Die Mehrheit der Geschäftsführer der "Arbeitgeberverbände" begrüßen nach WSI-Erhebungen die Aussage: "Die deutsche Sozialpartnerschaft ist ein Vorteil im internationalen Wettbewerb", berichtete das Gewerkschaftsorgan "Einblick". Durchschnittlich 66 % von ihnen stünden dahinter, 2012 waren es erst 59 %. Im Bereich der IG Metall sind es heute 75 %.

Die SPD ist in einer geschwächten Situation, da sie einer wesentlich stärkeren Union an die Seite treten muss. Da ist vorauszusehen, dass sie mit ihrer Beteiligung und mit der Durchsetzung ihrer Mindestforderungen schlecht wegkommt. Schon das Theater um einen Mindestlohn, für den verbal eigentlich nun alle Bundestagsparteien sind, zeigt, dass CDU/CSU am längeren Hebel sitzen. Ist das Spiel mit den Grünen auch für diesmal zu Ende, kann Merkel immer noch mit Neuwahlen drohen, gäbe die SPD nicht klein bei. In diesem Fall müsste die SPD mit Verlusten rechen. Die FDP könnte wieder in den Bundestag einziehen, was eine Neuauflage von schwarz-gelb zur Folge hätte. Eine solche Koalition hätte zwar Schwierigkeiten mit dem Bundesrat, doch diese Konstellation gab es bisher auch. Auf dem SPD-Konvent Mitte Oktober gab es große Bauchschmerzen. Zu mager erschien den Delegierten die Morgengabe der Schwarzen. Letztlich stimmten aber nur 14% gegen weitere Koalitionsgespräche. Am Ende müssen die Mitglieder darüber abstimmen. Eine Ablehnung ist aber unwahrscheinlich, würde sie doch die ganze Führung bloßstellen. Doch die Bedingungen, welche die Delegierten stellten, werden von den konservativen Unionsvertretern kaum annähernd erfüllt werden. Darunter sind für diese so harte Brocken wie "keinerlei Kürzungen von Sozialleistungen". Die "Nürnberger Nachrichten" berichteten darüber: "Zu den wirklichen Knackpunkten zählen neben dem gesetzlichen Mindestlohn nur die doppelte Staatsangehörigkeit für Migrantenkinder, eine Finanztransaktionssteuer, mehr Geld für die Pflege und irgendeine Form der Frauenquote."

Zu einem Politikwechsel hätten gesellschaftspolitische Umverteilungen von oben nach unten gehört, wie die Erhöhung des Spitzensteuersatzes, die Reichensteuer, eine neue Bewertung bei der Erbschaftsteuer, eine tatsächliche Steuererfassung, usw. Ein neues Renten-, Pflege-, und Gesundheitssystem ist schon längst fällig. Dazu fähig zu sein und das auch wirklich zu wollen, hätte von der SPD erfordert, zusammen mit allen Linken und militanten Gewerkschaften den offenen Kampf darum bis ins letzte Dorf zu tragen - wer kann sich das noch vorstellen? Das Ergebnis der Bundestagswahl hat im Allgemeinen für die Arbeitsbedingungen sozialistischer Kräfte in der Bundesrepublik keine wesentlichen Änderungen gebracht. Unsere Situation bleibt weiterhin schwierig. Wie es weitergeht in Deutschland und ob die sich abzeichnende Große Koalition Bestand haben wird, hängt davon ab, ob die kapitalistischen Krisen auch hier das Bestehende aufbrechen. Allein wenn die Widersprüche des kapitalistischen Systems soziale Bewegungen erzeugen, gibt es auch für uns neue Ansatzpunkte. Wenn wir sie dann nutzen, kann die anhaltende politische Lähmung überwunden werden.

20.10.2013

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Quelle:
Arbeiterstimme, Nr. 182, Winter 2013, S. 1+3-6
Verleger: Thomas Gradl, Postfach 910307, 90261 Nürnberg
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. März 2014